Höllenknecht - Ines Thorn

  • 2. Band der Reihe „Die Verbrechen von Frankfurt“


    Kurzbeschreibung:


    Frankfurt im Jahre 1532: Gier, Gold und GaumenfreudenFrankfurt, 1532. Auf dem Römer wird ein menschlicher Arm gefunden, ein paar Tage später ein Bein. Die Frankfurter sind sicher: Ein Kannibale treibt sein Unwesen. Nur Richterswitwe Gustelies und Tochter Hella lassen sich von der Aufregung nicht anstecken. Bei ihren Ermittlungen stoßen sie bald auf eine Spur. Ein magisches Buch soll im Umlauf sein, und mancher würde töten, um es zu besitzen



    Über die Autorin:


    Ines Thorn wurde 1964 in Leipzig geboren. Nach einer Lehre als Buchhändlerin studierte sie Germanistik, Slawistik und Kulturphilosophie und arbeitet heute als freie Autorin. Ines Thorn lebt und arbeitet in Frankfurt am Main.



    Eigene Meinung:



    Mit großer Spannung hatte ich den zweiten historischen Kriminalroman der Serie „Die Verbrechen von Frankfurt“ von Ines Thorn erwartet. Wie bereits im ersten Band, setzt sie auf ihr bewährtes Konzept, und lässt die Gattin des Richters, Hella und ihre verwitwete Mutter Gustelies, im Hintergrund an den Ermittlungen ihres Mannes teilhaben. Diesmal geht die Reise ins Jahr 1532, als plötzlich nach und nach Leichenteile in der Stadt entdeckt werden. Doch das nicht genug, diese verfügen auch noch über mysteriöse Bissspuren, wodurch sich in der Stadt das Gerücht festsetzt, dass ein Kannibale in Frankfurt sein Unwesen treibe.


    In vielen Besprechungen zum ersten Band findet sich die Kritik, dass ein zu exzessiver Gebrauch von Gewaltszenen vorherrschend sei. Dies trifft jedenfalls nicht auf den zweiten Band zu. Diesmal werden keine Gewaltszenen geschildert. Dennoch kein Buch für Leser, die gern sterile Krimis lesen. Ins Detail gehende Beschreibungen von länger in der Sonne liegenden Leichenteilen, sollte man nicht während einer Mahlzeit lesen.


    Leider lief jedoch in diesem Band das Verhältnis zwischen Kriminalfall und dem Privatleben der Figuren völlig aus dem Ruder. Der Kriminalfall nimmt über Strecken fast nur die Rolle einer Fußnote ein. Vielmehr im Vordergrund stehen die Probleme der einzelnen Figuren, gewürzt mit Kochrezepten. Dabei mag bei mir leider kaum eine Atmosphäre für die Zeit entstehen. Viele Handlungen erscheinen mir zu heutig, ja fast schon ein Abklatsch einer Serie a la „Desperate Housewives“, um 500 Jahre in die Vergangenheit verschoben, zu sein.


    Zudem erschienen mir die Figuren stellenweise in ihrer Entwicklung wie eingefroren. Viele ihrer Probleme und Haltungen sind schon aus dem ersten Band bekannt. Manchmal etwas pointierter, manchmal etwas intensiver dargebracht, aber im Grunde schon da gewesen. Im Vergleich zu sonstigen Büchern von Ines Thorn gehen mir diesmal auch sehr stark die Interpretationsspielräume für die Motive der einzelnen Figuren ab.


    Der Kriminalfall an sich, wäre nicht schlecht. Mit guten Einfällen werden einzelne Ermittlungsschritte gezeigt, auch die Situation von Richter Heinz Blettner in der Hierarchie der Stadt wird gut geschildert. Nur bleiben diese Szenen im Verhältnis zum Privaten deutlich an Häufigkeit zurück. Gerade die Lösung, die letztlich auch eher in Richtung Zufall tendiert, kam am Ende doch recht schnell.


    Alles in allem bleibt der zweite Teil weit hinter dem ersten zurück. Der flüssige Schreibstil von Ines Thorn, kann noch etwas gut machen. Für mich reicht es diesmal nicht mehr als zu drei Punkten.




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  • Zitat

    Original von taciturus


    Alles in allem bleibt der zweite Teil weit hinter dem ersten zurück. Der flüssige Schreibstil von Ines Thorn, kann noch etwas gut machen. Für mich reicht es diesmal nicht mehr als zu drei Punkten.


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    :yikes Oh, das klingt ja gar nicht gut. Drei Punkte hier oder 3 Amazonpunkte?

  • Zitat

    Original von Bouquineur
    Danke für die Rezension :-)


    Ich war ja nach dem ersten Buch unsicher, ob ich die Folgebücher lese. Ich denke, ich werde das erst mal nicht tun.


    Da kann ich mich in beiden Punkten nur anschließen.
    Schon der erste Teil war für mich zwar nicht schlecht, aber nicht komplett überzeugend.
    Ich glaube, ich werde dieses Buch nun von meiner WL streichen (oder noch ein paar Rezis abwarten :gruebel).

    Liebe Grüße, Sigrid

    Keiner weiß wo und wo lang

    alles zurück - Anfang

    Wir sind es nur nicht mehr gewohnt

    Dass Zeit sich lohnt

  • Hm, schade. Aber es deckt sich auch mit meiner Meinung. Ich fand´ den ersten Teil auch nicht soo toll, hab´ ihn dann nur mal günstig als ME mitgenommen. Weil, man soll ja nichts verkommen lassen...aber wirklich begeistert war ich nicht. Kann ich also mit dem zweiten Teil getrost warten.


    [SIZE=7]Ich hofffe nur, dass die Kaufmannsserie, die mit 2 Büchern bei mir subbt, nicht auch so enttäuschend ist... [/SIZE] :gruebel

  • Lieber Taciturus,



    zuerst einmal danke ich dir, dass du dich mit meinem neuen Roman beschäftigt hast. Deine Rezi kann ich gut akzeptieren.


    Ich habe mich bei diesem zweiten Teil bemüht, die Anregungen der Büchereulen zur Galgentochter aufzunehmen. Aus diesem Grund habe ich beim Höllenknecht auf Gewaltszenen verzichtet.


    Du schreibst, die Handlung kommt dir sehr heutig vor. Das war und ist auch beabsichtigt. Meiner Meinung nach gibt es nämlich im eigentlichen Sinne keine historischen Romane. Die Alltagssorgen der damaligen Frauen (und Männer) sind zum Teil den unseren so fremd, dass es schwierig sein würde, meine Leser dafür zu begeistern. Eine spätmittelalterliche Frau hatte Angst, im Kindbett zu sterben, sie war sehr gläubig und abergläubig, sie sprach anders, dachte anders, hatte andere Prioritäten. All diese Aspekte sind für die Leserinnen von heute nicht so gut nachvollziehbar, deshalb sind meine Romane stets Alltagsromane in historischer Kulisse, d.h. meine Protagonisten schlagen sich mit den Problemen der Gegenwart herum und tragen dabei Hörnerhauben . Ich kann verstehen, dass an dieser Stelle für dich das "Mittelalterfeeling" vielleicht etwas kurz gerät, aber ich hoffe sehr, dass meine spätmittelalterliche Kulisse doch so geraten ist, dass man sich das Frankfurt dieser Zeit gut vorstellen kann.


    Gelächelt habe ich über deinen Einwurf zu Desperate Housewives. Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen. Vor rund zwei Jahren schlug mein Agent mir vor, zur Verbesserung meiner Dramaturgie einmal amerikanische Serien zu schauen. Er empfahl mir Desperate Housewives. Ich kaufte alle Staffeln und guckte, bis mir die Augen tränten. Die Dramaturgie der Serie hat mich begeistert. Sie ist wirklich richtig gut - und sie funktioniert auch beim Roman. Deshalb habe ich genau diese Dramaturgie auch schon verwendet, allerdings nicht beim Höllenknecht. Dramaturgisch ebenfalls begeistert hat mich die Serie "Six feed under".
    Vielleicht erscheint das manchem Leser, mancher Leserin ein bisschen trivial, aber ich habe sehr viel lernen können.


    Die Entwicklung der Figuren erscheint dir eingeschränkt, schreibst du. Nun, zwischen Band 1 und Band 2 ist gerade mal ein halbes Jahr vergangen (Romanzeit). Eine wirklich rasante Entwicklung war für die Figuren rein zeitlich schon nicht möglich. Außerdem dachte ich, dass der Wiedererkennungseffekt bei den Lesern positive Resonanz auslöst. Scheinbar habe ich da falsch gedacht und werde mir für den dritten Band etwas anderes überlegen.


    Alles in allem sage ich dir Danke sehr. Deine Anmerkungen habe ich mir notiert und werde sie, soweit es in den Text passt, sehr gern beachten. Ich freue mich, dass du dir so viel Zeit genommen hast. Deine Kritik fand ich sehr fundiert, sachlich und höflich. Wenn ich jetzt sage, dass ich mich darüber gefreut habe, würde ich lügen (wer freut sich schon über schlechte Kritik?), aber sie war an einigen Stellen sehr hilfreich. Ich würde mich sehr freuen, auch in Zukunft deine Meinung zu meinen Büchern zu hören oder zu lesen.


    Liebe Grüße Ines

  • Zitat

    Die Alltagssorgen der damaligen Frauen (und Männer) sind zum Teil den unseren so fremd, dass es schwierig sein würde, meine Leser dafür zu begeistern. Eine spätmittelalterliche Frau hatte Angst, im Kindbett zu sterben, sie war sehr gläubig und abergläubig, sie sprach anders, dachte anders, hatte andere Prioritäten. All diese Aspekte sind für die Leserinnen von heute nicht so gut nachvollziehbar, deshalb sind meine Romane stets Alltagsromane in historischer Kulisse, d.h. meine Protagonisten schlagen sich mit den Problemen der Gegenwart herum und tragen dabei Hörnerhauben .


    Ich glaube nicht, dass es schwierig wäre, die Leser für die Alltagssorgen der mittelalterlichen Menschen zu begeistern. Im Gegenteil, wenn ich einen historischen Roman lese, möchte ich doch etwas anderes als die Gegenwart vor alten Kulissen erleben und mich richtig in die mittelalterliche Psyche hineinversetzen lassen. Ich lese sehr gern "authentische" historische Romane, selbst wenn ich aus der Sicht des 21.Jahrhunderts über manche Verhaltensweisen den Kopf schütteln muss... :-)


    Den hier diskutierten Roman kenne ich nicht, das ist also eine ganz allgemeine Betrachtung zum Thema Mittelalterroman.

  • Liebe Ines,


    Ich kann natürlich verstehen, dass der Kommentar keine Freude war. Ich bin auch schon gespannt auf den dritten Teil der Deutschlandsaga. Gerade da wohl auch eine andere Epoche wieder mehr Abwechslung bringen wird, wobei dabei wohl auch zuerst einige Stimmen abwarten werde.


    Auch wenn ich das Dilemma um die Thematiken in historischen Romanen verstehen kann, will ich diesem Schluß, es gäbe gar keine historischen Romane im eigentlichen Sinne, nicht zustimmen. Unbestritten ist, dass sich das Alltagsleben so stark unterscheidet, dass wohl vieles für heutige Leser fremd ist. Gerade diese Fremdheit ist wohl aber auch ein Reiz historischer Romane. Dennoch gibt es viele historische Romane, bei denen ich den Eindruck habe, dass diese fremde Welt, fremde Gedanken und andere Probleme, sehr gut transportiert werden. Um nur eines der letzten Zeit gelesenen zu nennen, „Seelen im Feuer“ von Sabine Weigand, das eindringlich das Klima der Hexenverfolgung und der manchmal dahinterstehenden Politik verständlich macht. Den Eindruck hatte ich ja auch bei deinen bisherigen Büchern. Aber diesmal ist für mich vor allem ein Ungleichgewicht zwischen Handeln und Denken entstanden. Damit meine ich, dass mir diesmal nicht nur Gedanken von Figuren zu heutig erschienen, sondern vor allem ihr handeln.


    Andererseits kann man die Geschichte an sich auch als eine Form der Entwicklung zu dem Status sehen, auf dem wir heute angelangt sind. Gerade auch durch das Aufzeigen solcher Entwicklungen, wo langsame Errungenschaften begonnen haben in Arbeitswelt, Wirtschaft, Rechtsstaat etc., die Grundlage für heutige Systeme sind. Insofern kann ich dem nicht zustimmen, dass man heutige Leser mit historischen Themen nicht packen könne bzw. hoffe ich, dass es nicht so ist.
    Etwas ketzerisch könnte man sich sonst fragen, wozu überhaupt historische Romane schreiben? Wäre es dann nicht glaubwürdiger und stimmiger einen Roman zu schreiben, der in der Gegenwart handelt? Ich finde des Konzept einen Menschen des 21. Jhs. ins 16. Jh. zu transplantieren, jedenfalls nicht sonderlich ansprechend.


    Zur Entwicklung der Figuren kann ich natürlich verstehen, dass sich in der kurzen Zeit nicht allzuviel ändern kann. Ansätze sind ja auch da, vor allem durch den Schultheiß sieht man Heinz diesmal in einer stärkeren Rolle. Für mich waren aber einfach die markanten Stellen zu ähnlich und im Grunde wiederholt. Die markigen Sprüche von Gutta kennt der Leser schon. Der Sager von Pfarrer Naur liest sich nach der xten Wiederholung auch nicht mehr gleich unterhaltsam, wie zu Beginn. Und diesmal fehlt auch eine Figur, die im ersten Band von ihrer Entwicklung viel auf sich gezogen hat, da man diesmal nur den Ermittlern über die Schulter schaut.


    mfg

  • Ich liege hier mit Enigma und Taciturus auf einer Linie. Historische Romane reizen mich gerade deshalb, weil ich im besten Fall einen Einblick über die damalige Zeit mit ihren damaligen Sorgen erhalte. Ich möchte wissen, mit was sich die Menschen damals beschäftigt habe, wo ihre Probleme lagen, was anders war als heute. Das sind Dinge, die ich aus einem solchen Roman "mitnehmen möchte". Historisches Setting als Verpackung und Kulisse für Probleme des 21. Jahrhunderts ist mir persönlich zu wenig.

  • Hi, ich kann mich da meinen Vorrednern nur anschließen. Genau so sehe ich das auch.


    Denn ansonsten bräuchte ich ja keine historischen Romane zu lesen. Ich lese sie gerade deshalb um zu erfahren, wie die Menschen damals dachten und handelten. Wie oft habe ich mich schon "aufgeregt", weil Romanfiguren genauso handelten wie heute und ich mir dachte, das war damals so ganz bestimmt nicht.

  • Darf ich - sehr leise - fuer die Haltung von Ines eine Lanze brechen?


    Ich moechte sehr gern, soweit es irgend moeglich ist (und es ist nur in beschraenktem Mass moeglich, dessen muss man sich, bevor man sich hineinwagt, bewusst sein), Menschen innerhalb ihrer Epoche und Kultur beobachten, erforschen, hoeren, und von dem, was ich dabei an Erkenntnissen (die subjektiv bleiben werden) gewinne, erzaehlen, Spuren auf den Seiten festhalten. Ich freue mich ueber jedes Buch, in dem das - soweit ich es beurteilen kann! - dem Autor gelingt. Und ich freu mich darueber, dass hier so viele Leser dasselbe sagen, naemlich dass es ihnen wichtig ist.
    Aber:
    Meine Erfahrung entspricht im Grossen und Ganzen der von Ines. Ich glaube, die Mehrheit der Leser sieht das etwas anders.
    Ich hoere ueber meine eigenen Figuren sehr oft von enttaeuschten Lesern: "Nee, der XY war mir zu religioes - staendig dieses Gebete." Oder: "So wie YZ kann man sich doch nicht verhalten - mein Ex-Freund war auch mal in der Lage, aber der hat das ganz anders gemacht..." oder: "Ja, mag ja sein, dass das damals so war, aber ich kann mir solche verqueren Leute nicht vorstellen."
    Ich hoere dieses und aehnliches auch oft ueber Buecher, die ich grossartig finde, weil ihnen eben das von euch geforderte gelingt.


    Neben der Bedeutung des Glaubens, die als stoerend empfunden wird, kommt besonders haeufig Kritik an "unmenschlichem" Verhalten, z.B. an Eltern, die die Zuechtigung von Kindern fuer unabdingbar halten, Maennern, die Frauen nicht als gleichberechtigt empfinden, die lieber Soehne wollen als Toechter wollen und auch nicht der Ansicht sind, Treuegeluebde muessten von Maennern gehalten werden wie von Frauen, Adligen, die nicht auf die Idee kommen, ihre Bediensteten haetten dieselben Rechte wie sie etc.
    Wenn ich aber eine Figur (und zwar nicht nur "die Boesen") mit diesen Denkmustern nicht ausstatten darf, ohne dass die Figur - und ich! - die Sympathien der allermeisten Leser verlieren, kann ich sie nicht in eine Umgebung aus Jahrhundert 13 oder 16 einbetten. Das geht einfach nicht.


    Ich moechte das nur zu bedenken geben. Es sind nicht unbedingt die Buecher, deren Autoren am meisten um angemessene Darstellung ihrer dem 20. Jahrhundert nicht entsprungenen Figuren ringen, die die meisten Leser begeistern. Und dass Autoren auf Leser hoeren und deren Kritik ernst nehmen, verlangen Leser schliesslich zu Recht.


    Ich wollte damit niemanden kritisieren und auch nicht behaupten, Ines' Haltung sei die einzig moegliche. Aber es ist definitiv eine, die ich nachvollziehen kann.


    Sehr herzliche Gruesse von Charlie


    P.S.: Dass das praechtige "Seelen im Feuer", das taciturus nennt, eins der Gegenbeispiele zum von mir geschriebenen ist, bestreite ich nicht, im Gegenteil - es freut mich sehr.

  • Zitat

    Ich hoere ueber meine eigenen Figuren sehr oft von enttaeuschten Lesern: "Nee, der XY war mir zu religioes - staendig dieses Gebete." Oder: "So wie YZ kann man sich doch nicht verhalten - mein Ex-Freund war auch mal in der Lage, aber der hat das ganz anders gemacht..." oder: "Ja, mag ja sein, dass das damals so war, aber ich kann mir solche verqueren Leute nicht vorstellen."


    Es ist wohl auch eine Frage der Zielgruppe. Sicher gibt es viele Leser, die einen (historischen) Roman zur leichten/seichten Unterhaltung lesen und sich nicht die Mühe machen wollen, langsam zu lesen, sich mit dem Gelesenen auseinanderzusetzen und zusätzlich zu recherchieren (Google, Wikipedia oder Fachliteratur)
    So sind Autoren vermeintlich historischer Romane, die pro Jahr 4 - 5 Romane veröffentlichen (ich nenne keine Namen ;-) ) möglicherweise in kommerzieller Weise recht erfolgreich, aber... das sind für mich keine guten Autoren und keine guten Romane.
    Ein historischer Roman, der meinen Qualitätsansprüchen entspricht, kann weder in Rekordzeit geschrieben noch gelesen werden. Ich vermute, dass es in einem Literaturforum wie hier zahlreiche Leser meiner Art gibt, die eine historisch wahrheitsgetreue Darstellung vorziehen. Ich selbst bin überzeugter Nicht-Christ und Agnostiker, trotzdem lese ich gern Romane, in denen die Figuren äußerst religiös sind, da ich gerade dieses "Anderssein" des mittelalterlichen Menschen faszinierend finde und zwischen dem mittelalterlichen und meinem Weltbild differenzieren kann. :grin

  • Auch wenn das Buch bei taciturus nicht gut abschneidet, werde ich es auf jeden Fall in absehbarer Zeit lesen.
    Mich hat der erste Teil einfach zu gut unterhalten, als dass mich jetzt eine Meinung ( und bis jetzt hat es ja nur taciturus gelesen, oder ? ) davon abhalten könnte. ;-)


    Edit: Zum Diskussionsthema: Ich habe schon Romane aus der hier kritisierten und gelobten Richtung gelesen und ich kann für mich nur sagen: Beides ist zu seiner Zeit in Ordnung und kann als das richtige Buch zur richtigen Zeit empfunden werden. Von daher schliesse ich für mich weder das eine noch das andere aus. :-)

  • Darf ich mich - in der Tür stehen bleibend - mal ganz kurz einmischen?
    Ich finde die Diskussion, die hier entstanden ist ("Wie authentisch darf/soll der Autor historischer Romane Leben und Denken der Menschen darstellen"), so ungeheuer spannend, dass ich dringend bitten möchte, sie an einem anderen Ort fortzusetzen.
    (Nicht im Autorenbereich, sondern z.B. im "Allerlei Buch"-Bereich.)
    Auch ich habe sie nur ganz zufällig und nur durch den Hinweis einer Autorenkollegin gefunden. Dabei geht es um Fragen, die ich mir ständig stelle und die Autoren historischer Romane immer wieder miteinander diskutieren. Hier hätten wir die einmalige Chance, Lesermeinungen dazu erfahren.
    Nur fürchte ich, hier findet das Thema niemand oder traut sich nicht, einen Rezensionsthread damit auszubeulen.
    Und, falls ihr mir zustimmt - bitte bringt eure bisherigen Beiträge dazu mit!
    Ich habe dazu noch keinen Thread eröffnet, da ich ja hier sozusagen eingedrungen bin und nicht weiß, ob ihr damit einverstanden seid.


    Liebe Grüße
    Katerina

  • Ihr Lieben,


    die Auffassung, dass es keine historischen Romane im eigentlichen Sinne gibt, stammt nicht von mir, sondern von Feuchtwanger, nachzulesen in seinem Essay "Vom Sinn und Unsinn des historischen Romans".
    Eure Einwände sind natürlich berechtigt, trotzdem möchte ich zu bedenken geben, dass
    - die Geschichte in erster Linie von Männern geschrieben wurde
    - der Alltag im Mittelalter erst sehr spät überhaupt Gegenstand der Forschung war
    - der Alltag der Frauen, so sie nicht gerade Hildegard von Bingen heißen und aus armen Schichten stammen, bis heute wenig erforscht ist. Sachbücher zu diesem Thema finden sich in den Bibliotheken, jedoch bleiben viele Fragen offen.
    - Originale Quellen nicht überall zur Verfügung stehen, und wenn, dann für uns Heutige nur schwer zu lesen und zu beurteilen sind. Hier ein Beispiel aus einer Gerichtsakte von 1635, Betreff Schmuckdiebstahl zu Frankfurt:
    "Bey welcher Liefferung (gemeint ist die Auslieferung des Diebes von Höchst nach Frankfurt) dann eine sehr grosse Menge Volcks, so mit hinausgegangen, gewessen und sonsten auch in der Statt auff der Gassen, da er durchgeführt worden, auffgewartet und diesen grossen Haupt- und Erzdieb sehen wollen, dergleichen zuvor niemals mehr besehen und gehört worden." Quelle: Frankfurter Strafenbuch


    Wenn man aber wissen möchte, ob die Mittelältler sich schon die Zähne geputzt , was sie anstatt Toilettenpapier benutzt , wie sie ihre Wunden versorgt, ihre Kinder erzogen und ihren Haushalt geführt haben, was auf den Tisch kam, welches Angebot der Schlachter hatte, wie viel ein Kleid kostete usw. usf., dann stößt man schnell an Grenzen.
    Es gibt beispielsweise unzählige Bücher über den Schmalkaldischen Krieg. Seitenlang wird in er Fachliteratur und in den Quellen berichtet, wer sich wann mit wem und wofür verbündet hat und was aus diesen Bündnissen entstanden ist. Wie sich diese Dinge aber auf den Alltag einer Frankfurter Handwerkersfrau ausgewirkt haben, steht im besten Fall zwischen den Zeilen.
    Ich bin stets davon ausgegangen, dass meine Leser/innen sich nicht so sehr für die innenpolitische Lage des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation interessieren, sondern eher für den Alltag.
    Und nichts anderes habe ich mit Kulisse gemeint. Schlicht den Alltag. In vielen historischen Romanen kann man den gut nachlesen, gut nachvollziehen, aber was für Wünsche, Träume, Sehnsüchte und Bedürfnisse die einfachen Menschen damals hatten, darüber können wir nur spekulieren.


    Ich möchte in meinen Büchern über den Alltag der Zeit erzählen, möchte berichten, dass selbst die Familie Goethe nur alle Vierteljahr die Wäscherin bestellt hat, und dass dies ein Zeichen für Reichtum war. Ich finde es interessant zu wissen, welche Aussteuer ein Handwerkermädchen mit in die Ehe brachte, wie viele Kleider sie besaß, von welchem Geschirr welche Mahlzeiten gegessen wurden.
    Dabei möchte ich natürlich auch die gesellschaftlichen Entwicklungen und Veränderungen mit einbeziehen, aber in erster Linie eben mit der Frage, wie diese sich auf den Alltag auswirken.
    Dabei gucke ich natürlich durch die heutige Brille. Einfach, weil mir keine andere zur Verfügung steht.
    Ich schreibe aus dem 21. Jahrhundert für Leser/innen des 21. Jahrhunderts.


    Zugleich möchte ich mich entschuldigen, dass ich an dieser Debatte nur sporadisch teilnehmen kann, da ich derzeit wegen Baulärm vor meinem Büro meist Zuhause arbeite und dort kein Internet habe (wirklich wahr).
    Euch allen herzlichen Dank für Eure Beiträge. Und einen besonderen Dank an alle, die für mein Buch nicht nur Geld ausgegeben, sondern sich obendrein damit auseinandergesetzt haben.


    Beste Grüße
    Ines

  • Hier geht es auch nicht darum, einem bestimmten Konzept generell die Rute ins Fenster zu stellen, sondern nur um den persönlichen Geschmack. Welche Linie die Leser im allgemeinen mehr bevorzugen, müsste man wohl die Buchhändler hier fragen, die aus Verkaufsgesprächen dazu vll. Rückschlüsse ziehen können.


    Mir geht es in historischen Romanen nicht nur darum, die Zeit kennen zu lernen, sondern auch die Menschen, die darin lebten. Auch wenn ich mich bei den meisten Büchern nur einen laienhaften Eindruck darüber bilden kann, inwiefern das gelungen ist, ist es mir ein wichtigs Anliegen. Zur Zeit lese ich einen Roman, der in der Zwischenkriegszeit in Wien spielt. Hier einen Eindruck von den Gedanken, Problemen und Sorgen von Kriegsheimkehrern, Angehörigen und den gesellschaftlichen Umständen zu erfahren, gehört für mich zum Kennenlernen der Zeit. Gerade hier können historische Romane eine Funktion erfüllen, die Sachbücher bei mir oft nicht erfüllen, nämlich mir einen Eindruck vom Leben der Figuren zu geben. Da gehören für mich deren Alltagssorgen dazu.


    Ich kann auch das von Ines geschilderte Problem nachvollziehen und bewundere auch Autoren historischer Romane für ihre Recherchen. Ich habe in der Regel auch kein Problem damit, wenn einzelne Figuren ihrer Zeit voraus zu sein zu scheinen - zumindest wenn es nicht immer ein Altpfarrer ist, da diese Rolle doch sehr gern gewählt wird. Das gleicht sich idR auch dadurch aus, wenn andere Figuren in einem Roman auf ein fortschrittliches Denken reagieren etc. Wenn ich dann aber den Eindruck habe, dass sich das völlig ausgleicht und fast alle Figuren auf fortschrittlich geschrieben werden, kommen mir starke Zweifel auf. Gerade auch, inwiefern das dann noch das Alltagsleben der Menschen dieser Zeit zu beschreiben vermag.



    @ Katerina: Einfach einen Thread dazu eröffnen. Ich suche gerade, weil mir vorkommt vor Urzeiten schon einen solchen gesehen zu haben, aber soweit ich ihn verfolgt hatte, war der wohl allgemeiner und nicht so sehr auf die Ausrichtung der Figuren konzentriert.

  • Ich denke auch, dass das ja sehr subjektiv ist. Was dem einen gefällt, ist dem anderen nicht recht.
    Ich hoffe ja auf weitere Rezis zu dem Buch.


    @ Ines: Danke. Ich finde es schön, dass du dich so offen der Diskussion stellst :-).

    Liebe Grüße, Sigrid

    Keiner weiß wo und wo lang

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    Wir sind es nur nicht mehr gewohnt

    Dass Zeit sich lohnt

  • Es wird dem "heutigen" historischen Roman ja oft vorgeworfen, dass seine Figuren zu modern seien.


    Aber, mit Verlaub, das ist mir bedeutend lieber, als wenn das dramatische Personal eben auch nicht authentisch ist, sondern beispielsweise als irgendwelche idealtypischen Indianer durch den Wald stapfen. So hatte "Der letzte Mohikaner" (notabene 1826 erschienen!) erheblich mehr mit exotisierender Sozialromantik zu tun als mit dem Leben der Indianer zur Zeit des von James Fenimore Cooper geschilderten Kriegs zwischen England und Frankreich, der stellvertretend in Nordamerika ausgefochten wurde?
    Und ob "Sinuhe der Ägypter" die Kriegsunlust so stark schon in der antiken Vorlage hatte, oder vielleicht nicht doch der Autor Mika Waltari im Erscheinungsjahr 1945 diskret ein paar Hinweise geben wollte, sei dahingestellt.


    Quo vadis, historischer Roman ... :chen


    Schöne Grüße von blaustrumpf, die den Höllenknecht sehr gerne gelesen hat und sich auf das nächste Verbrechen von Frankfurt freut

    Wer einmal aus dem Schrank ist, passt nicht mehr in eine Schublade.
    Aber mein Krimi passt überall: Inge Lütt, Eine Bratsche geht flöten. ISBN: 978-3-89656-212-8. Erschienen im Querverlag