Septimus Harding, Spitalvorsteher - Anthony Trollope

  • Im ebenso beschaulichen wie fiktiven Domstädtchen Barchester lebt der Kantor und Vorsteher des Hiramsspitals Septimus Harding mit seiner Tochter Eleanor in Ruhe und Beschaulichkeit. Wir lernen ihn als einen gütigen, selbstlosen älteren Herrn kennen, dessen größtes Glück es ist, bei der sonntäglichen Messe seine Stimme zu einem den Herrn lobpreisenden Lied zu erheben. Er ist ein musisch begabter Mensch, dieser zurückgezogen lebende Kantor, der nicht viel Aufsehens macht um seine Person. Nur wenn er den kranken, altgedienten Bewohnern des ihm unterstellten Spitals auf seinem geliebten Cello die eine oder andere Weise kredenzt, steht er im Mittelpunkt.


    Und so gehen die Jahre dahin, unaufgeregt, ruhig, ja man möchte sagen fast ereignislos. Der Bischof, mit welchem er aufs herzlichste befreundet ist, lädt ihn so oft als möglich ein, zum einen um sich die eigene Langeweile zu vertreiben, zum anderen um sich an der angenehmen Gesellschaft seines guten Freundes zu laben.


    Größere Sorgen sind dem guten Mann fremd, die ältere Tochter namens Susan ist glücklich in achtbarster Stellung mit dem Erzdiakon Dr. Grantly verheiratet, der mit strengem Blick und donnernder Stimme seine Schäflein zur Räson ruft und den absoluten Gehorsam der Kirche gegenüber fordert. Die jüngere, ebenjene Eleanor, pflegt immer häufiger intensiveren Kontakt zum ehrgeizigen und prinzipientreuen Chirurgen John Bold, ein Reformer vor dem Herrn, absolut integer in seinen Ansichten.


    Ebendiese Ansichten jedoch sind es, die die ersten grauen Wolken über dem Spital aufziehen lassen, denn es entwickelt sich eine Diskussion bezüglich der Vergütung des Vorstehers. 800 Pfund soll sich der gute Mann jährlich einstreichen, so sagen seine Neider, und wofür? Geld welches nicht ihm, sondern den Armenhäuslern des Spitals zustehe, wenn man denn mal den Willen des Spitalgründers John Hiram genauer zu Rate zöge.


    Der Mensch ist leicht zu verführen, vor allem in monetären Belangen und so kommt es, wie es kommen muss: Während Bold auf Ehre und Gewissen versucht, das verbriefte Recht der Armenhäusler durchzusetzen (und damit sein bis dato tadelloses Verhältnis zu Eleanor und ihrem Vater aufs Spiel setzt), werden diese durch gewiefte Anwälte in ihrer Meinung bestätigt, Septimus Harding habe das ihnen zustehende Geld unrechtmäßig einbehalten.
    Und schon tobt der Kampf zwischen John Bold und Dr. Grantly, zwischen Reform und Gewohnheitsrecht, zwischen Staat und Kirche. Als dann auch noch die Zeitungen von der Sache Wind bekommen und den armen Vorsteher öffentlich an den Pranger stellen, gerät der arme Mann in schwere Gewissenskonflikte. Von allen Seiten in die Enge getrieben, erhebt er sich schließlich wie Phoenix aus der Asche, um die Angelegenheit auf seine ganz eigene Weise aus der Welt zu schaffen.


    „Septimus Harding, Spitalvorsteher“ (im Original „The warden“) ist der erste von sechs Bänden der „Barsetshire novels“, die zwischen 1855 und 1867 entstanden sind. Dem geneigten Leser wird ein vergnüglicher Einstieg in die viktorianische Welt des Anthony Trollope geboten. Ich jedenfalls habe den zweiten Band, „Die Türme von Barchester“ schon ganz oben auf meiner Wunschliste stehen.

  • Anthony Trollope: The Warden (deutsch Septimus Harding, Vorsteher des Spitals zu Barchester)


    Dieser Roman, einer der ersten des Vielschreibers Anthony Trollope (1815-1882) eröffnete 1855 die erfolgreiche Reihe der sogenannten Barsetshire-Romane, die alle in dieser fiktiven Grafschaft spielen.

    Septimus Harding, Geistlicher und Freund des Bischofs von Barchester, hat von diesem eine Pfründe von 800 Pfund jährlich für das Amt des Vorstehers einer Einrichtung für zwölf arme alte Männer bekommen, das mit keiner besonderen Arbeit verbunden ist und diese schon über viele Jahre freudig genossen. Durch einen eifrigen jungen Mann, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, gegen Ungerechtigkeit zu kämpfen, wird ihm klar, dass der Stifter des Spitals nicht im Sinn gehabt haben konnte, dass die armen alten Männer zwar genug, um gut zu leben, bekommen, aber nur einen Bruchteil dessen, was er erhält. Obwohl sein zielstrebiger Schwiegersohn Grantly, der Sohn des Bischofs und dessen Stellvertreter, erfolgreich für das Recht der Kirche auf Verteilung ihrer Einnahmen kämpft, wird ihm klar, dass es ethisch falsch ist, sein Amt zu behalten, woraufhin er dieses allem Widerspruch zum Trotz niederlegt und die Stellung eines armen Vorstadtpfarrers annimmt.


    An Handlung passiert nicht viel in diesem Roman, seine Stärke liegt in seinen Dialogen und der Charakterisierung der handelnden Personen. Diese werden differenziert und überzeugend beschrieben: Es gibt keine Idealtypen und diese Lebensnähe überzeugt auch in den Schilderungen der Haushalte, Restaurants, Hotels und des Spitals und seiner Insassen. Leicht ironische Noten durchziehen gekonnt den auktorial geprägten Erzählstil, der nur dann abfällt, wenn Trollope erklärt satirisch werden will, wie zum Beispiel bei der Darstellung seiner Autorenkollegen Thomas Carlyle und Charles Dickens. Hier wird er schon allein in der Wahl der Namen recht grob (Dr. Pessimist Anticant und Mr. Popular Sentiment) und teilt wenig elegante Hiebe aus. Ansonsten ist aber seine Ironie wohl überlegt und treffend und erreicht bei der Darstellung der Macht der Medien ("Jupiter" als "Times") eine erstaunliche Modernität.


    Ein gut geschriebener Roman mit einem interessanten Thema, der mir Lust auf mehr Trollope-Lektüre macht.

  • Ha, es würde ihm keine Sekunde Unbehagen verursachen, schon morgen seine Politik zu ändern, wenn es die Zeitung fordert. (Seite 259)


    Meine Meinung


    Das ist eines der ganz wenigen Bücher, die ich gelesen habe, ohne vorher zu wissen, worum es geht. Einfach deswegen, weil ich schon lange etwas von Anthony Trollope lesen wollte. Um es kurz zu machen: es hat sich gelohnt, sehr gelohnt. Auch wenn das Thema - heute würde man so etwas wohl als „Shitstorm“ bezeichnen - nicht unbedingt meines ist. Aber Trollope hat einen so einmaligen Schreibstil, daß selbst so eine ernste Thematik amüsant zu lesen ist.


    Dabei könnte alles so schön sein: Septimus Harding, Witwer, ist Vorsteher eines Armenasyls mit zwölf Insassen. Seine älteste Tochter ist mit dem Erzdiakon der Diözese verheiratet, seine jüngste Tochter Eleanor wird wohl bald einen Mr. Bold heiraten, die Bewohner des Heims sind zufrieden und Mr. Harding auch. So könnte es eigentlich bleiben, wäre Mr. Bold nicht ein Weltverbesserer erster Ordnung. Und so bringt er einen Ball ins Rollen, der sich zur einer Lawine entwickelt, die nicht mehr zu stoppen ist, und Mr. Hardings Leben (das seines zukünftigen Schwiegervaters) zu zerstören droht. Wie das bei Weltverbesserern so war und ist, nehmen sie auf äußere Umstände oder gar Folgen ihres Tuns wenig bis keine Rücksicht noch denken sie groß darüber nach, wenn sie eine Entwicklung in Gang setzen.


    So auch hier, als Mr. Bold öffentlich die Frage stellt, ob die Bezüge von Mr. Harding eigentlich im Sinne des Stifters des Armenasyls gerechtfertigt sind oder ob statt des Vorstehers nicht die Insassen das Geld bekommen sollten. Da ist es mit der Ruhe denn vorbei. Mr. Harding ist verunsichert, Eleanor verärgert, die Armen hoffen auf Reichtum, der „Ihnen zustehen würde“, der Erzdiakon sieht alles völlig in Ordnung - wo kommen wir hin, wenn kirchliche Institutionen und vor allem Pfründe infrage gestellt werden?! - der Bischof ratlos. Als dann die Tageszeitung „Jupiter“ den Fall groß aufgreift und landesweit über das kleine Städtchen und die Berechtigung des Mr. Harding auf sein Einkommen diskutiert wird, ist das Chaos perfekt.


    Mit teilweise beißender Ironie, einem gewissen Sarkasmus sowie einer gehörigen Portion Humor entwickelt Trollope die Handlung, die zwar im 19. Jahrhundert angesiedelt ist, sich in ähnlicher Form aber durchaus auch heute so ereignen könnte. Die Funktion, die im Buch die einflußreiche Zeitung „Jupiter“ hat, würden heute die sogenannten „sozialen Medien“ übernehmen, wo sich ja auch ohne viel Vorwissen (warum muß man von einer Sache eigentlich etwas verstehen, wenn man sich dazu äußern will?) munter zu allen möglichen und unmöglichen Themen verbreitet wird und Forderungen aufgestellt werden, die an Absolutheit kaum zu überbieten sind.


    Und die Moral von der Geschicht? Gut gemeint ist nicht gut gemacht. Etwas, was für Aktivisten aller Zeiten Gültigkeit hat. Ich habe nämlich (meistens) den Eindruck, daß man - wie Mr. Bold - alles nur sehr einseitig durch eine getönte Brille sieht, danach handelt - und das große Ganze völlig aus dem Blick verliert. Mit entsprechenden Konsequenzen. Aber an die denken diese Aktivisten ja nicht, denn für diese müssen sie weder gerade stehen noch gar Verantwortung übernehmen.


    Im Nachwort meiner Ausgabe heißt es übrigens zum Abschluß desselben (S. 381): „Die folgenlose Aufrichtigkeit des Spitalvorstehers, die für andere als reine Donquichotterie erscheint und Harding an den Rang sprachlicher und gesellschaftlicher Konventionen rückt, ist insofern ein beredeter Kommentar Trollopes auf seine eigene Zeit.“

    Inwiefern dies auch ein Kommentar auf andere Zeiten, zum Beispiel unsere, ist, bliebe zu untersuchen.



    Mein Fazit


    Wenn ein Weltverbesserer aktiv wird und gut gemeint nicht gut gemacht ist, kann eine Entwicklung aus dem Ruder geraten. Mit Ironie, Sarkasmus und einer großen Portion warmherzigem Humor erzählt Trollope eine Geschichte, die so oder ähnlich auch heute ablaufen könnte. Vergnügliche Lesestunden mit einem durchaus ernsten Thema sind garantiert.


    ASIN/ISBN: 3717523864

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")