Im ebenso beschaulichen wie fiktiven Domstädtchen Barchester lebt der Kantor und Vorsteher des Hiramsspitals Septimus Harding mit seiner Tochter Eleanor in Ruhe und Beschaulichkeit. Wir lernen ihn als einen gütigen, selbstlosen älteren Herrn kennen, dessen größtes Glück es ist, bei der sonntäglichen Messe seine Stimme zu einem den Herrn lobpreisenden Lied zu erheben. Er ist ein musisch begabter Mensch, dieser zurückgezogen lebende Kantor, der nicht viel Aufsehens macht um seine Person. Nur wenn er den kranken, altgedienten Bewohnern des ihm unterstellten Spitals auf seinem geliebten Cello die eine oder andere Weise kredenzt, steht er im Mittelpunkt.
Und so gehen die Jahre dahin, unaufgeregt, ruhig, ja man möchte sagen fast ereignislos. Der Bischof, mit welchem er aufs herzlichste befreundet ist, lädt ihn so oft als möglich ein, zum einen um sich die eigene Langeweile zu vertreiben, zum anderen um sich an der angenehmen Gesellschaft seines guten Freundes zu laben.
Größere Sorgen sind dem guten Mann fremd, die ältere Tochter namens Susan ist glücklich in achtbarster Stellung mit dem Erzdiakon Dr. Grantly verheiratet, der mit strengem Blick und donnernder Stimme seine Schäflein zur Räson ruft und den absoluten Gehorsam der Kirche gegenüber fordert. Die jüngere, ebenjene Eleanor, pflegt immer häufiger intensiveren Kontakt zum ehrgeizigen und prinzipientreuen Chirurgen John Bold, ein Reformer vor dem Herrn, absolut integer in seinen Ansichten.
Ebendiese Ansichten jedoch sind es, die die ersten grauen Wolken über dem Spital aufziehen lassen, denn es entwickelt sich eine Diskussion bezüglich der Vergütung des Vorstehers. 800 Pfund soll sich der gute Mann jährlich einstreichen, so sagen seine Neider, und wofür? Geld welches nicht ihm, sondern den Armenhäuslern des Spitals zustehe, wenn man denn mal den Willen des Spitalgründers John Hiram genauer zu Rate zöge.
Der Mensch ist leicht zu verführen, vor allem in monetären Belangen und so kommt es, wie es kommen muss: Während Bold auf Ehre und Gewissen versucht, das verbriefte Recht der Armenhäusler durchzusetzen (und damit sein bis dato tadelloses Verhältnis zu Eleanor und ihrem Vater aufs Spiel setzt), werden diese durch gewiefte Anwälte in ihrer Meinung bestätigt, Septimus Harding habe das ihnen zustehende Geld unrechtmäßig einbehalten.
Und schon tobt der Kampf zwischen John Bold und Dr. Grantly, zwischen Reform und Gewohnheitsrecht, zwischen Staat und Kirche. Als dann auch noch die Zeitungen von der Sache Wind bekommen und den armen Vorsteher öffentlich an den Pranger stellen, gerät der arme Mann in schwere Gewissenskonflikte. Von allen Seiten in die Enge getrieben, erhebt er sich schließlich wie Phoenix aus der Asche, um die Angelegenheit auf seine ganz eigene Weise aus der Welt zu schaffen.
„Septimus Harding, Spitalvorsteher“ (im Original „The warden“) ist der erste von sechs Bänden der „Barsetshire novels“, die zwischen 1855 und 1867 entstanden sind. Dem geneigten Leser wird ein vergnüglicher Einstieg in die viktorianische Welt des Anthony Trollope geboten. Ich jedenfalls habe den zweiten Band, „Die Türme von Barchester“ schon ganz oben auf meiner Wunschliste stehen.