Die Frau aus Nazareth - Jonah Martin (Vorsicht: SPOILER!)

  • Ich mache jetzt doch in diesem Bereich einen „Ich lese - Thread“ auf. Eine Leserunde wird nicht zustande kommen, aber es gibt einiges, was ich zu dem Buch an Kommentaren los werden möchte, den Rahmen einer Rezi jedoch sprengt. Vor allem, weil ich relativ viele Kritikpunkte habe, die sich nur mit massiven Spoilern darstellen lassen. Zunächst etwas zum Buch:



    Kurzinhalt (Quelle: Eulenrezi)


    Dieser Roman spielt zu Zeiten und Wirken Jeshua, er nimmt seinen Ausgang in Nazareth und zeigt das Leben, wie es damals wohl gewesen ist. Shoshanna, die Hauptprotagonistin, hat allerlei Ungemach zu erdulden, es beginnt bereits, als sie als junges Mädchen sexueller Gewalt ausgesetzt ist. Sie muss erfahren, was es heißt, von der (Dorf- und Glaubens-)Gemeinschaft ausgeschlossen zu sein, sie muss lernen, auf eigenen Füßen zu stehen, sie wird erneuter Gewalt ausgesetzt, bei der auch ihr jüngerer Bruder ermordet wird. Sie schließt sich für eine kurze Zeit der Gruppe um Jeshua an, erlebt seine Heilungen, seine Predigten, muss sich aber wegen familiärer Zwänge wieder von dieser Gruppe trennen. Sie wird verschleppt, wird in Korinth auf einem Sklavenmarkt verkauft, erlebt eine kurze, viel zu kurze Zeit des Glücks an der Seite des Mannes, der sie erworben hat. Nach dessen Tod schlägt das Schicksal erneut brutal zu: Shoshanna wird in ein Bordell verkauft. Durch einen kühnen Plan kann sie fliehen, gerät wieder in ihre Heimat und muss in Jeruschalajim die Kreuzigung Jeshuas miterleben. Fast ein wenig versöhnlich entlässt der Roman den Leser, indem er Shoshanna wieder an das Glück glauben lässt.



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    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Ich bin derzeit auf Seite 195 und werde das Buch fertig lesen, auch wenn ich in vielen Dingen nicht glücklich damit bin.


    Das Grundproblem scheint mir bei dem Buch zu sein, daß es für einen historischen Roman zu wenig historisch und für einen christlichen zu wenig christlich ist. Die Autoren konnten (durften?) sich, so ist mein bisheriger Eindruck, nicht recht für eines der genannten Genres entscheiden, wollten es möglichst vielen (allen?) recht machen und haben von allem ein bißchen mit den den Roman eingebaut. Dadurch bleibt es, zumindest bisher, in beiden Genres eher an der Oberfläche, ohne sich für einen Schwerpunkt entscheiden zu können.


    Mit dem „Setting“ und den Hineinkommen ins Buch habe ich allerdings keine Probleme, da eines meiner diesjährigen Jahreshighlights nur ein paar Jahre später in Jerusalem spielte: „The Centurion’s Wife“ von Janette Oke und und Davis Bunn. Das ist allerdings ein eindeutiger christlicher historischer Roman (in genau dieser Reihenfolge, und beide Attribute zutreffend). Auch die übrigen in den letzten Monaten gelesenen Bücher, die in der Antike spielen, haben so viel an Wissen hinterlassen, daß ich mir die Welt gut vorstellen kann. Alleine auf Grund dieses Buches würde das vermutlich nicht funktionieren.



    Sachlich ist mir auf Seite 64f ein Fehler aufgefallen: die Steinigung hat vermutlich so nicht stattgefunden. Die Berichte, die ich über solche Hinrichtungen gelesen habe, ergeben ein anderes Bild bzw. Vorgehensweise. Eine Frau hatte keine Chance zu entkommen, ein Mann u. U. schon (wenn es dem Delinquenten gelang, sich zu befreien, war er/sie m. W. begnadigt).



    Seite 116f, die Szene ist mir zu kurz bis unausgereift beschrieben. Jaakov packt Shoshanna fest am Arm, so daß sie sich nicht entwinden kann. Ein paar Sätze später sinkt er auf einen Stuhl. Dazwischen (fast) normale Unterhaltung. Das paßt nicht zusammen. Das ist nur ein Beispiel von Szenen, die irgendwie nicht „passen“.



    Dem Roman fehlt erhebliche epische Breite. S. 153 ein Beispiel dazu; es heißt:
    Der Kerl mit der Peitsche trieb die Frauen und Kinder, die durch einen Strick miteinander verbunden waren, durch schmale Gassen und breite Straßen. Es wimmelte von Menschen und Eselskarren. Der Lärm war ohrenbetäubend. Sie kamen an mehrstöckigen Häusern vorbei, in denen kleine Läden untergebracht waren. Sie wurden an überfüllten Tavernen und Weinschenken vorbeigeschoben, an deren Türen kleine Steintafeln mit Würfel und Phallussymbolen anzeigten, dass die Gäste hier nicht nur trinken und spielen, sondern auch noch ganz andere Bedürfnisse befriedigen konnten.
    Nix für ungut, aber so eine Beschreibung einer antiken Stadt bekomme ich auch hin. Wie sahen aber nun die Häuser aus, wie war die Stimmungslage? Die paar Sätze passen auf viele Orte in der Welt - zu vielen verschiedenen Zeiten. Die Beschreibung würde vermutlich auch auf Lutetia oder Londinium passen. In meinem Kopf entsteht jedenfalls nicht unbedingt das Bild der antiken Stadt Korinth.



    Ich habe bisher den Eindruck, daß das Buch aus einer Aneinanderreihung von skizzenhaften Szenen besteht, die durch einen roten Faden verbunden sind (da die Verbindung durch Worte/Sätze bisweilen fehlt). Für einen historischen Roman ist er, so ist mein persönlicher Eindruck, zu wenig intensiv recherchiert. Für einen christlichen (und ich habe einige - gerne - gelesen) zu wenig religiös bzw. zu aufgesetzt. Konkret habe ich das Gefühl, daß Shoshanna, als Jüdin zur Zeit Jesu, nicht so gedacht (und gehandelt) haben würde wie hier im Buch beschrieben. Das schon zitierte Buch „The Centurion’s Wife“ spielt kurz nach der Kreuzigung Jesu in Jerusalem und Umgebung. Die im Titel angesprochene Frau ist ebenfalls Jüdin; ich habe ihr Denken und Handeln allerdings als sehr authentisch und glaubwürdig in Erinnerung behalten.



    Was mich auch irritiert hat ist, daß Shoshanna und Joel so einfach im Hafen entführt werden konnten. Ich bin kein Historiker, aber ich denke schon, daß die Römer in ihrem Reich für etwas mehr Sicherheit gesorgt haben als hier beschrieben. Sklaverei gab es damals, das weiß ich, aber einfach so auf offener Straße von Piraten, ohne daß die römische Staatsmacht etwas unternahm?



    Das mal so als erste Gedanken.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Original von SiCollier
    Konkret habe ich das Gefühl, daß Shoshanna, als Jüdin zur Zeit Jesu, nicht so gedacht (und gehandelt) haben würde wie hier im Buch beschrieben. Das schon zitierte Buch „The Centurion’s Wife“ spielt kurz nach der Kreuzigung Jesu in Jerusalem und Umgebung. Die im Titel angesprochene Frau ist ebenfalls Jüdin; ich habe ihr Denken und Handeln allerdings als sehr authentisch und glaubwürdig in Erinnerung behalten.


    Jetzt hast Du mich aber sehr neugierig gemacht. Das von Dir zitierte Buch kenne ich nicht - leider, mein Englisch ist nicht so gut, als dass ich mich daran wagen würde.


    Zum Buch insgesamt: Ja, es ist eigentlich schade, dass es keine Leserunde zu diesem Roman gegeben hat. Wäre vermutlich sehr interessant geworden.
    Die vielen sehr positiven Amazon-Rezis hatten ich damals sehr überrascht. Ich hatte den Eindruck, ein anderes Buch zu lesen, bonomania ging es, daran meine ich mich zu erinnern, ähnlich.

  • ich hatte keine Rezi geschrieben, weil ich die ersten 150 Seiten gelesen habe und dann noch die 50 letzten Seiten. Eine umfassende Bewertung war mir also nicht möglich. Die Eindrücke dieser ca. 200 Seiten deckten sich aber auch nicht mit den Rezis bei Amazon. Ich glaub ich hab andere Ansprüche an historische Romane. Ich möchte schon was mitnehmen aus solchen Büchern und suche da weniger bloße Unterhaltung.


    Es gab in einem anderen Forum eine Runde zu dem Buch, die habe ich mitgelesen. ich bin dort nicht registriert.
    Hinsichtlich der historischen Genauigkeit kam da wohl die Frage auf, wie wahrscheinlich es gewesen ist, dass es in römischen Häusern ein Bad im zweiten Stockwerk gegeben hat. Kann dann eigentlich nur den Teil in Griechenland betreffen, den ich nicht gelesen habe.

  • @ Lipperin
    „The Centurion’s Wife“ hat mir außerordentlich gut gefallen. Bisher ist keine deutsche Ausgabe angekündigt. Allerdings würde die, des Themas wegen, vermutlich im Frühjahr erscheinen; und was dann kommt, ist derzeit noch nicht bekannt. Wenn ich was dazu entdecke, poste ich es im entsprechenden Thread. (Bisher erschienen alle deutschen Ausgaben der Autoren bei Gerth-Medien. :gruebel Ich könnte dort mal anfragen. Tue ich nachher und poste, wenn ich eine Antwort bekomme. Edit teilt mit, daß der Verlag umgehend geantwortet hat und ich die >hier< gepostet habe.)



    Die Amazon-Rezensionen finde ich, ähm, seltsam auffällig für ein Buch aus einem eigentlich renommierten Verlag. Ich kann die meisten nicht so recht nachvollziehen. „Ausführliche Recherchen“ ist anscheinend ein recht dehnbarer Begriff, von „detaillierten Beschreibungen“ ganz zu schweigen.



    Zitat

    Original von Bouquineur
    Ich glaub ich hab andere Ansprüche an historische Romane. Ich möchte schon was mitnehmen aus solchen Büchern und suche da weniger bloße Unterhaltung.


    Da bin ich durch die Eulen inzwischen auch etwas verwöhnt. Daß jedoch auch ein reiner Unterhaltungsroman (und als solchen sehe ich ihn) gut recherchiert sein kann, hat Hildegard Burri-Bayer beispielsweise mit ihrem Buch „Der goldene Reif“ gezeigt. Dort habe ich übrigens erstmals aus der Sicht der den Römern unterlegenen gelesen und auf manches eine andere Sichtweise bekommen. Auch ein Sklavenmarkt kommt dort kurz vor. Kurz, aber dennoch eindringlicher als hier im Buch.



    Zitat

    Original von Lipperin
    Wie viele Bücher muss man wohl lesen, um die Perlen zu finden. Anders gefragt, wißt ihr, wie ihr die Perlen findet?


    Wie viele? Ziemlich viele. ;-)


    Zum Finden gehört viel Glück. Und Vertrauen in die Eulen. Hier entdecke ich so vieles, daß ich anderweitig kaum noch suche. Oder wenn mich ein Thema interessiert, ich gezielt themenmäßig suche. Da kommt dann meist auch mehr zusammen als ich lesen kann. Ein bißchen achte ich halte auch auf Verlagsnamen. Und hier war meine Skepsis anscheinend angebracht.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

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  • Seit heute ist der Urlaub auf Darkover die Unterbrechung zu Ende und ich lese weiter. Ich kann schon verstehen, daß Bouquineur abgebrochen hat. Wenn nicht die Art Geschichte in mein "Beuteschema" fiele, würde ich wohl nicht mehr zu Ende lesen. Irgendwie packt mich das Buch nicht, es hängt mMn, wie schon erwähnt, zwischen den Stühlen und kann sich nicht entscheiden, welchem Gerne es zugehören will. Es sind einige schlimme Dinge passiert, doch sie haben mich so gar nicht berührt. :rolleyes Ich habe mich ertappt, über weite Strecken halb "diagonal" zu lesen, so daß ich zwar die Handlung mitbekomme, aber doch sehr schnell voran schreite bzw. lese. Mit dem Kompromiß werde ich es wohl in ein, zwei Tagen beenden können.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")