Gedanken auf dem Heimweg

Heute hat meine Großmutter ihren 85. Geburtstag gefeiert.
Ich habe drei Gläser Sekt getrunken und das Gefühl des Schwebens gefällt mir sehr. Ich lasse das Auto stehen und laufe nach Hause.
20 Minuten, in denen mir völlig abstruse Gedanken durch den Kopf gehen:
Ich laufe diese Straße entlang, die vor mir schon meine Ururgroßväter und -mütter benutzt haben. Natürlich nicht genau dieselbe Straße mit den Straßencafés, Kneipen und Geschäften.
Vor mehr als hundert Jahren war hier höchstwahrscheinlich nur ein Feldweg - wenn überhaupt.
Aber genau hier haben sie gelebt.
Welche Sorgen und Nöte haben sie damals ausstehen müßen?
Ich weiß es nicht. Trotzdem stelle ich mir das Leben damals sorgloser und friedlicher vor. Sie haben in meinen Vorstellungen natürlicher gelebt. Natürlicher - ohne die heutige Medizin und deshalb sind auch vier von sechs Kindern im Kindesalter gestorben.
Vier von sechs Kindern. Ich habe nur zwei und diese beiden haben das Kindesalter überlebt. Ein Grund glücklich zu sein. Bin ich auch - irgendwie.
Ich halte am nächsten Kiosk und kaufe mir ein Päckchen Tabak und zwei Flachen Bier für zu Hause.
Dieses Gefühl des Schwebens will ich unbedingt weiter aufrechterhalten.
Ich packe die zwei Flaschen Bier in eine Plastiktüte und gehe weiter.
Was unterscheidet mich jetzt eigentlich noch von den Pennern, die auf der Straße leben?
Die Wohnung! Naja, dafür geht auch 60% meines Gehalts drauf. Ist es das eigentlich wirklich wert?
Mir schon! My Home is my Castle. Aber irgendwie ist es schon sehr unnatürlich mehr als zwei Wochen im Monat zu arbeiten, nur um ein warmes Dach über dem Kopf zu haben, oder nicht?
Natürlich arbeitet man auch für die Rente!
Höhe ihrer bisher erreichten Rentenanwartschaft entspräche einer heutigen monatlichen Rente von 380,46 Euro. Sollten sie bis zur Regelsaltersgrenze Beiträge wie im Durchschnitt der letzten fünf Kalenderjahre gezahlt werden, bekämen Sie von uns eine monatliche Rente von 620,53 Euro.
Also ohne Arbeiten hätte ich wahrscheinlich (wenn man vom heutigen Sozialsatz ausgeht) einen höheren Anspruch!
Ist schon irgendwie doof, das ganze System.
Also ohne Arbeit geht es mir jetzt und auch im Alter besser als mit Arbeit?
Das kann es doch nicht sein!
Eigentlich hatte ich immer gedacht, daß es mir mit Arbeit etwas besser ginge.
Wäre eigentlich logisch, oder?
Aber so lange ich noch Geld für zwei Flaschen Bier und ein Päckchen Tabak habe, sollte ich mich eigentlich nicht beschweren....

Danke, Voltaire,

ohne die zwei Flaschen Bier am Kiosk hätte ich mich wahrscheinlich auch geschämt, dieses Gedankenchaos aufzuschreiben ;-).
Der letzte Satz ist wahrscheinlich nur daraus entstanden, daß man als Arbeitslosen II-Empfänger (oder wie ich jetzt, als Arbeitnehmer mit einem Gehalt etwas über dem Arbeitslosen-II-Geld-Niveau) oft angegriffen wird, wenn man doch noch genug Geld "übrig" hat, um Alkohol und Zigaretten zu kaufen.

Edit: Und wer jetzt noch Anstoß an "meinem" Auto nimmt: Das ist gesponsert by Mama. Sie hat es mir ermöglicht ein Auto zu besitzen, das sie mir vererbt hat und für mich gleichzeitig die Steuern und Versicherung übernimmt. Meine Mutter ist Altenpflegerin in Rente.
So kann mein Arbeitgeber (Facharzt für Neurologie von Beruf) sich weiterhin die angemessenen Kosten für eine medizinische Fachkraft sparen und sich weiterhin mehrmals im Jahr Urlaub in der Karibik und Australien gönnen ;-).