Die Sterblichen - Yiyun Li

  • Verlag: Hanser
    Gebundene Ausgabe: 384 Seiten
    Übersetzt aus dem Amerikanischen von Anette Grube


    Kurzbeschreibung:
    In einer Provinzstadt weit weg von Peking soll die junge Gu Shan hingerichtet werden. Ihr Verbrechen: Sie, die während der Kulturrevolution fanatische Rotgardistin war, hat dem Kommunismus abgeschworen. Shans Tod wird weitreichende Konsequenzen haben. Nicht nur für ihre Eltern, sondern auch für die Rundfunksprecherin Kai, die längst an der Partei zweifelt; für die verkrüppelte Nini, die wie eine Sklavin gehalten wird; oder für den kleinen Tong, der nur von seinem Hund Liebe bekommt. Yiyun Li zeichnet ein plastisches Bild der Ereignisse in China am Ende der siebziger Jahre, die heute wieder von beklemmender Aktualität sind. Ihr Roman ist ein universelles Porträt von menschlichem Leiden und menschlichem


    Über die Autorin:
    Die Schriftstellerin Yiyun Li, geb. 1972, wuchs in Peking auf und ging 1996 in die USA. Heute lebt sie in Oakland, Kalifornien, mit ihrem Mann und zwei Söhnen.


    Meine Meinung:
    Der Roman besitzt ein großes Personal, die eine herausfordernde Komplexität erzeugen.
    Es ist das Jahr 1979. Die als Kontrarevolutionärin zum Tod verurteilte Gu Shan tritt als handelnde Personen nicht auf, dafür die Bevölkerung der chinesischen Provinzstadt Han Jhang, unter anderen auch diejenigen die die Verurteilte kennen. Das sind die Eltern, die natürlich verzweifelt sind und den Glauben an das System verlieren.
    Im Mittelpunkt steht auch die 12jährige Nini, seit der Geburt körperlich behindert, der junge Tong, die Schauspielerin Kai, Herr und Frau Hua, der merkwürdige Bashi und noch einige mehr, die alle von dem Ereignis in der einen oder anderen Form beeinflusst werden.
    Das Warten auf die Denuziationszeremonie mit Hinrichtung beginnt. Für die Schüler besteht Anwesenheitspflicht, die Verurteilte soll als warnendes Beispiel gelten. Dabei hat sie letztlich nur Zweifel am System geäußert und wurde dafür von einem Freund denunziert, der dann eine angestrebte Position dafür einnehmen konnte.


    Beim Lesen erfährt man einiges von einem China, in dem das System die Menschen gnadenlos unterdrückt, Denunziationen und Misstrauen fördert,
    der einzelne, das Individuum zählt nichts. Die Wohnbedingungen sind beengt und armselig, die Gesundheitsversorgung schlecht. Niemand darf es wagen, sich aufzulehnen oder er wird unbarmherzigen Repressalien ausgesetzt, die von langen Haftstrafen bis zu Hinrichtungen reichen.


    Yiyun Li lebt in den USA, lehrt dort an der Universität creative writing.
    Ihr eigener, überzeugender Stil ist auch amerikanisch geprägt, enthält rasante Perspektivwechsel und tiefgehende Charakterdarstellungen. Die bittere Handlung wird zugespitzt und erzeugt einen druckvollen Drive.


    Die Beziehungen der Figuren untereinander werden auf vielschichtige Art und Weise gezeigt.


    Dieser Roman ist sehr gelungen und lässt auch das 2010 erscheinende Erzählungsband der Autorin vielversprechend erscheinen.

  • Vielen Dank für die schöne Rezension, Herr Palomar. :-)
    Dank deiner Rezi und dank der Buchmesse ist mein SUB wieder um ein Buch höher geworden. ;-)


    :wave

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • Der Roman beginnt am 21. März 1979, der Frühlingstagundnachtgleiche - an diesem Tag soll Shan Gu, hingerichtet werden. Angesiedelt ist die Geschichte in einem kleinen Ort, der in Zeiten von Mao Tse Tung entstanden ist. Dieser Ort liegt ca 1000 km von Beijing entfernt.
    Li erzählt die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven: die Hauptprotagonisten sind Herr und Frau Hua, das Ehepaar Gu (die Eltern von Shan), Bashi, Nini und der kleine Tonga.
    Herr und Frau Hua, die selbst keine eigenen Kinder hatten, haben ausgesetzte Babies, die übrigens alle weiblich sind, aufgenommen und sie großgezogen, obwohl sie arm sind.
    Das Ehepaar Gu verzweifelt am System, sie kann den Tod ihrer Tochter nicht einfach hinnehmen und hält an der Tradition fest. Sie müssen die Kugel bezahlen, die ihre Tochter töten wird -eine erschreckende Erkenntnis.
    Man bekommt viel Einblick von einem China, dessen System die Menschen unterdrückt, wo Misstrauen und Angst vor Repressalien herrschen.
    Ein zutreffender Satz ist auf S. 119 zu finden: "Der Tod war bei weitem nicht das Schlimmste, was einem Menschen passieren konnte."
    Man ist als Leser ganz dicht dabei und erfährt vieles, was ein Mensch einem anderen antun kann: Shan werden z.B. die Stimmbänder durchtrennt, damit sie keine konterrevolutionären Sprüche rufen kann während der Denunziationszeremonie; dann werden ihr nach ihrem Tod die Nieren entnommen, die als Transplantate dienen.
    Auch das Schicksal der Hauptprotagonisten ist nicht einfach, so wird Nini wie eine Dienerin/Sklavin von ihren Eltern gehalten. Nini, die entstellt ist (den Grund erfährt man auch im Roman), hat keine Hoffnung, dass sie geheiratet wird - da lernt sie Bashi kennen und ein Hoffnungsschimmer glimmt auf.


    Li 's Roman liest sich flüssig - die Perspektivwechsel sind rasant und auch die Protagonisten sind lebendig dargestellt.
    Die Erinnerungen YiYun Li's an ihr eigenes Leben im kommunistischen Chinas (70-er/80-er Jahre) und die Erzählungen der Eltern und Großeltern inspirierten Li zu diesem Roman.


    Dem Roman ist ein kurzes Interview und ein Bericht der New York Times vorangestellt.




    Herr Palomar :
    Es ist das Jahr 1979 ;-)
    :wave

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • Habe das Buch soeben fertig gelesen und mir hat es insgesamt auch gut gefallen, kann mich da also nur meinen beiden Vorrednern anschließen, die sich ja schon ziemlich ausführlich geäußert haben.


    Zitat

    Original von Conor
    Dem Roman ist ein kurzes Interview und ein Bericht der New York Times vorangestellt.


    Echt, wo? Oder ist das auf den Umschlagsseiten zu finden? (Die entfernt die Bibliothek immer)

    "Es gibt einen Fluch, der lautet: Mögest du in interessanten Zeiten leben!" [Echt zauberhaft - Terry Pratchett]

  • saz :
    Dieses Interview und der Bericht sind bei meinem Exemplar vor dem Roman abgedruckt und nicht auf den Umschlagseiten.


    - Kurzbiographie YiYun Li (Ihre Großmutter schloss die Fenster, ehe sie über bestimmte Themen sprach) = 1 1/2 Seiten


    - Verbrechen der Unschuld ( New York Times) = 4 Seiten


    - Interview/Auszüge ("Ich bin in der Kultur aufgewachsen, die der Roman schildert")
    = 2 1/2 Seiten


    Ich habe es ertauscht und ein Blatt wurde entfernt wegen Signatur, ich kann also leider nicht sagen, ob es sich eventuell um ein Leseexemplar handeln könnte.


    Liebe Grüße

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Conor ()