Dies mythische gleicht kleinen Stückchen eines zersprungenen Edelsteins, die auf dem von Gras und Blumen überwachsenen Boden zerstreut liegen und nur von dem schärfer blickenden Auge entdeckt werden. (Wilhelm Grimm, S. 236)
246 Seiten, etliche Abbildungen, kartoniert
Verlag: Ulrike Helmer Verlag, Königstein/Taunus 2004
ISBN-10: 3-89741-158-X
ISBN-13: 978-3-89741-158-6
Diese drei Bücher gehören zusammen:
- Inanna - Gilgamesch - Isis - Rhea
- Fee Morgane - Der heilige Gral
- Frau Holle - Das Feenvolk der Dolomiten: Die großen Göttinnenmythen Mitteleuropas und der Alpen.
Kurzinhalt (Quelle: Klappentext + Amazon)
Die vertrauten alten Mythen vom Anfang und Ende der Welt, von göttlicher Macht, geheimnisvollen Schätzen und den archaischen Labyrinthen der Liebe sind hochaktuell. Hier begegnen sie uns neu und lesen sich bemerkenswert anders.
Mit ihren literarischen Nacherzählungen berühmter Epen schenkt uns Heide Göttner-Abendroth das Staunen über die Anfänge der Welt zurück. Sie erzählt die alten Göttinnenmythen des Vorderen Orients und östlichen Mittelmerraumes neu - als Mythen jener Region, in der für den gesamten westlichen Teil der Alten Welt die Wiege der matriarchalen Kultur stand.
Wir erfahren von den göttlichen Lebenszyklen der Inanna von Sumer und vom Heroskönig Gilgamesch, der die Göttin (Inanna) verhöhnt. Isis von Ägypten kämpft - unterstützt von ihrem Sohn Horus - um ihre alte Kultur, die der Wüstengott Seth und der Sonnengott Re ihr streitig machen. Und für die griechische Rhea ist die Lage ernst, aber nicht ohne Hoffnung auf einen Sieg für die Welt der Göttin.
Auch wenn sie zauberhaft Geschichten erzählen kann: Die bekannte Mythenforscherin legt kein »Märchenbuch« vor. Denn die Mythen sind Überlieferungen historischer Ereignisse und Deutungen einer rund acht Jahrtausende umfassenden Epoche, die bis 2.000 v.u.Z. reicht und in der sich große Umwälzungen vollzogen. Mit ihren literarischen Erzählungen bietet Heide Göttner-Abendroth einen neuen Zugang und einen Schlüssel zum Verständnis der bis heute teils zu »Märchen«, teils zu Legenden verklärten oder als Ausdruck eines kollektiven Unbewussten missinterpretierten Geschichten. So weicht die Unverständlichkeit der einzelnen Mythen: Sie berichten von matriarchalen Kulturen und dem Einbruch patriarchaler Muster. Sichtbar wird in dieser Leseweise der Wandel eines faszinierenden Göttinkults.
Über die Autorin (Biographie im Buch)
Heide Göttner-Abendroth, geb. 1941, ist Philosophin und Kultur- und Gesellschaftsforscherin. Sie hat zwei Töchter und einen Sohn. 1973 promovierte sie an der Universität München in Philosophie und Wissenschaftstheorie und lehrte anschließend zehn Jahre in München Philosophie. 1976 schloß sie sich der Neuen Frauenbewegung an, wurde zu einer Pionierin der Frauenforschung und ist durch ihre mehr als dreißigjährige Forschungsarbeit die Begründerin der Modernen Matriarchatsforschung. 1986 rief sie die autonome „Internationale Akademie HAGIA“ bei Passau ins Leben, deren Leitung sie seither innehat.
Sie ist eine von weltweit 1000 Frauen, die 2005 gemeinsam für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen wurden.
Informationen im Internet
- >Klick< - die Website der Autorin
- >Klick< - der Eintrag bei Wikipedia
- >Klick< - Homepage von Hagia - INTERNATIONALE AKADEMIE für Moderne Matriarchatsforschung und Matriarchale Spiritualität, dem von der Autorin gegründeten und geleiteten Institut
- >Klick< - der deutsche Wikipedia-Artikel über Inanna
- >Klick< - hier der englische Wikipedia-Artikel über Inanna
- >Klick< - der Wikipedia-Artikel über Gilgamesch
- >Klick< - und hier der zum Gilgamesch-Epos
- >Klick< - hier die Seite über Gilgamesch auf mesopotamien.de
- >Klick< - die Wikipedia-Seite zu Isis
- >Klick< - die Wikipedia-Seite über Rhea
- >Klick< - hier noch der kurze Eintrag zu Rhea in mytholgia.de
Meine Meinung
Manchmal scheint es mir, als ob die Augen der heutigen Menschen „stumpf“ geworden sind und nur noch das Gras, nicht mehr jedoch die darunter verborgenen Edelsteinstücke sehen können. In diesem Buch vermag die Autorin den Blick wieder zu schärfen, so daß die Edelsteinteile glitzern und erkennbar werden. Man kann sie aufsammeln und zu einem Bild zusammensetzen, es hinterher betrachten und sich fragen, ob dies die einzig mögliche Art ist, die Puzzleteile zusammenzufügen. Sinn ergibt das Bild jedenfalls, das Frau Göttner-Abendroth in diesem Buch zusammensetzt.
Anderweitig kam dieser Tage wieder die Diskussion auf die sumerische Göttin Inanna-Ishtar. In diesem Buch umfaßt der Teil zu ihr rund 45 Seiten, die sich schnell zu lesen versprachen. „Leider“ lasen die sich so gut, daß ich gleich, was gar nicht geplant war, das ganze Buch durchgelesen habe. Womit eines schon klar ist: es ist gut und flüssig lesbar geschrieben. Das trifft sowohl auf die Nacherzählungen der Mythen wie auch die kulturgeschichtlichen Erläuterungen zu.
In diesem ersten von drei Büchern über die großen Göttinnenmythen sind die (zeitlich) ältesten enthalten. Gilgamesch ist zwar nicht unbedingt eine Göttin ;-); das Epos fand hier jedoch seinen Platz auf Grund des Bezuges zu Inanna. Alle vier Teile sind gleich aufgebaut: zunächst die Nacherzählung der Mythe, im Anschluß zu den einzelnen Kapiteln Hinweise zu den verwendeten Quellen sowie Erläuterungen und Deutungen. Dazu Abbildungen aus dem entsprechenden Kulturkreis und eine Übersichtstafel zur Genealogie der matrilinearen Verwandtschaftsverhältnisse. Ergänzend wird angegeben, wo, wie und warum die Autorin von der Überlieferung abgewichen ist. Im Nachwort geht sie explizit auf den Umgang mit Mythen ein, erklärt und begründet nochmals ihre Herangehens- und Erzählweise.
Im Buch selbst ist einiges an „Sprengstoff“ enthalten. So kamen mir verschiedene Motive oder Geschichten gar seltsam sehr vertraut vor. Allerdings nicht in der Version der Sumerer, sondern der der jüdischen bzw. christlichen Bibel. Das fängt beim Motiv des „Guten Hirten“ (Seite 21) an, geht über Jungfrauengeburt und Empfängnis ohne Vater (z. B. S. 162: Als Demeter noch jung und heiter war, gebar sie Kore, ihre einzige Tochter. Sie gebar sie ohne Gatten, niemals war sie vermählt.) weiter und hört bei der Erzählung von einer „Sintflut“ (Gilgamesch, Zehnter Akt, Seite 70ff) lange nicht auf. Immer wieder stieß ich auf Bekanntes, das jedoch - weil die hier im Buch versammelten Überlieferungen die älteren sind - anscheinend hier die Ursprünge (oder Fundamente) hat. Allgemein gesagt: je mehr ich mich mit mythologischen Themen befasse, um so weniger Probleme habe ich, meine eigene Religion ebenfalls unter dem Dachbegriff „Mythologie“ einzuordnen. Und plötzlich wird manches verständlich, was lange unverständlich war. Etwa weshalb manche Motive (fast) überall auf der Welt in den verschiedensten Religionen anzutreffen sind. Wenn es, bildlich gesprochen, eine Wiege gab, von der aus einstens die mythische Überlieferung ihren Ausgang nahm und sich über die Welt verbreitete, müssen viele Motive zwangläufig immer wieder auftauchen. Ebenso wie die eine Mythe die nächste beeinflußt - bewußt (durch Übernahme) oder unbewußt. So finden sich denn in der jüngsten naturgemäß viele Motive aus den älteren. Ohne das jetzt an dieser Stelle weiter ausführen zu wollen (weil es den Rahmen eines Bücherforums sprengen würde), hat mir das Buch damit eine Frage beantwortet, mit der ich mich schon geraume Zeit herumschlage.
Die Autorin geht über weite Strecken davon aus, daß dem, was uns als Mythe überliefert ist, teilweise historische Geschehnisse zugrunde liegen. Etwa die Einwanderung der Hellenen nach Griechenland und dadurch bedingt die Unterwerfung der einheimischen Völker und Zerstörung deren überkommener Gesellschaftsordnung. Diese Hintergründe erklärt sie in den kulturhistorischen Erläuterungen. Dabei geht sie davon aus, daß die älteren Gesellschaften matriarchalisch aufgebaut waren und sich in den Mythen der (meist verlorene) Kampf gegen das aufkommende bzw. durch einwandernde Völker mitgebrachte Patriarchat spiegelt. Die Erzählungen um den Minotaurus, Theseus oder Ariadne erscheinen so in ganz neuem Licht.
Immer wieder geht sie auf die Unterschiede zwischen überkommener matriarchaler Ordnung und die Überhand gewinnende patriarchale ein. Als Beispiel sei nur dieser Satz zitiert: Deshalb geht es bei diesem Gericht nicht um Gerechtigkeit, sondern um die im Patriarchat übliche Verbindung von Macht und Recht. (Seite 149) Sie liefert etliche Denkanstöße für unsere heutige Zeit. Man mag mit den Ansichten von Frau Göttner-Abendroth übereinstimmen oder nicht, ihre Forschungsergebnsise mögen stimmen oder nicht (das vermag ich nicht zu beurteilen). Durch das Aufzeigen der (vermutlichen) historischen Hintergründe der Mythen sowie die folgenden Entwicklungen, die bis heute fortwirken, hat mir das Buch manche Erklärung für Entwicklungen und gesellschaftliche Gegebenheiten in unserer Zeit gegeben. Und es hat mir aufgezeigt, daß mit einer Besserung so schnell wohl nicht zu rechnen ist.
So vollendet jede Zeit ihr Geschick. (Seite 212)
Kurzfassung:
Nacherzählungen aus matriarchaler Sicht und Erklärungen von bzw. zu vier Göttinnenmythen. Gut lesbar geschrieben hat mir das Buch eine neue Sichtweise eröffnet, und in der Betrachtung dieser überkommenen Mythen manche Entwicklung der Gegenwart verständlich gemacht.
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