Der Mann schläft – Sibylle Berg

  • Hanser-Verlag, 312 Seiten
    2009


    Kurzbeschreibung:
    Eine junge Frau wird langsam älter, doch ihr scheint es schnell. Die jungen Männer werden immer jünger, aber leider nicht intelligenter. Die Welt ist leer und kalt, und die Liebe ein Marketinginstrument, um Waschmittel zu verkaufen. Und doch geschieht das Unerwartete. Die Frau lernt den einen Mann kennen, der sie glücklich macht. Was kann man sich Besseres wünschen in dieser unfreundlichen Welt, in der fast alle mit guten Gründen unglücklich sind? Doch dann kommt der Mann abhanden, und man fragt sich, ob das mit rechten Dingen zugeht. Sibylle Berg erzählt eine moderne Liebesgeschichte, und sie zeigt mit ihren so melancholischen wie bösartigen Bildern eine Welt, in der man höchstens überleben kann, wenn man nicht ganz alleine ist. Doch die Welt kennt kein Pardon für eine, die ihre Träume trotzdem nicht aufgeben will.


    Über die Autorin:
    Sibylle Berg wurde in Weimar geboren. Sie hat mehrere Bücher veröffentlicht sowie Theaterstücke und Texte für verschiedene Magazine in Deutschland und der Schweiz, darunter "Das Magazin" (Zürich), "Allegra" (Hamburg) und das "Zeit"-Magazin. Sibylle Berg lebt in Zürich.
    www.sibylleberg.ch


    Meine Meinung:
    Wer, wie ich, noch nie einen Sibylle Berg Roman bisher gelesen hat, kann sich freuen, den ganzen bisherigen Wahnsinn beiseite lassen und gleich in ihr wahrscheinlich bisher bestes Buch einsteigen. In „Der Mann schläft“ haben wir eine fast milde und weise Autorin vor uns und mit ihr eine erzählende Protagonistin, die abgeklärt das (Liebes)leben sieht. Von anstrengenden Beziehungeen mit jungen Männer hat sie jetzt genug.


    Inzwischen hat sie einen Mann gefunden, dessen einziger großer Vorteil es ist, dass er sie liebt. Also keine Kleinigkeit. Gemeinsam reisen sie in Urlaub nach Japan, Italien, China.
    In China begegnet ihr ein kleines Mädchen, das sie etwas aus der Lethargie reißt und einen Ausgleich zwischen permanenter Selbstbeobachtung und Fremdwahrnehmung schafft.


    Zeitlich wird in kurzen Kapiteln zwischen „Heute“ und „Damals. Vor vier Jahren“ hin und her gesprungen. Vor vier Jahren gab es die Trennung von einem jungen Mann und das kennenlernen mit "dem Mann".
    Die abwechselnden Zeitebenen nähern sich im Verlaufe des Romans immer dichter einander an und die rätselhafte Differenz zwischen Damals und Heute wird kontinuierlich spannender.


    Es gibt sehr viele originelle Sätze, praktisch auf jeder Seite ist mindestens einer dabei, über den man staunt oder lachen muss. Natürlich ist in den meisten Sätzen auch scharfe Ironie enthalten. Kontinuierlich erzeugt Berg mit ihren Sätzen Bilder von überraschender Visualität.


    Manche Sätze sind schon romantisch:
    „Es wird großartig, vielleicht erleben wir einen Tsunami, das wäre doch ein Erlebnis das unsere Beziehung stabilisieren könnte, falls wir es überleben.“ (Seite 232)


    Eine unkonventionell erzählte Liebesgeschichte und ein gelungenes Buch!

  • "Der Mann schläft" fängt ungefähr da an, wo "Ende gut" aufhört. Ich finde das neue eigentlich fast pessimistischer als die älteren Bücher von Sibylle Berg. Die Botschaft: Gemeinsam auf dem Bett sitzen und auf den Tod warten ist besser als einzeln auf dem Bett sitzen und auf den Tod warten. Weil es hat sowieso nichts irgendeinen Sinn, was wir Menschen hier machen.
    Vielleicht bin ich für so viel Abgeklärtheit einfach noch nicht weise genug.

  • Herr Palomar,
    erstmal danke für den link, das schaue ich mir gleich mal an. Ich habe mich für das Buch bei uns in der Stadtbücherei eintragen lassen und vor mir sind glaube ich noch zwei Leser/innen dran.
    Aber nach deiner ausführlichen Rezi freue ich mich noch mehr drauf, zumal ich von Frau Berg bisher nichts gelesen haben. Bin mal gespannt. :-)


    Edit: Grad von Harald Schmitt zurück....und ja, das hatte was :-)

    Herzlichst, FrauWilli
    ___________________________________________________
    Ich habe mich entschieden glücklich zu sein, das ist besser für die Gesundheit. - Voltaire

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von FrauWilli ()

  • Ich habe mir Sibylle Berg bei Harald Schmidt gestern Abend auch noch angesehen. Die ist ja cool drauf, die gute Dame :chen.


    Ich glaube, nun wird es Zeit, auch mal etwas von ihr zu lesen (ach, das gehört jetzt wohl in den thread bzgl. Sympathie) :grin.

    Liebe Grüße, Sigrid

    Keiner weiß wo und wo lang

    alles zurück - Anfang

    Wir sind es nur nicht mehr gewohnt

    Dass Zeit sich lohnt

  • Ich frage mich, ob das ein Zufall ist, dass gerade dieses relativ "nette" Bergbuch jetzt in allen Medien so ausführlich besprochen wird. Finde ihre älteren, böseren Bücher viel besser, auch sprachlich.
    Und jetzt so: Eine Frau entdeckt den Sinn des Lebens im Zusammensein mit ihrem Mann. Und wenn der wech ist, bricht alles zusammen, vor allem die Frau. Das ist im Grunde doch fürchterlich unemanzipiert und reaktionär. :hau

  • Ob dies nun ein nettes Berg-Buch ist, kann ich nicht sagen, da es mein Erstes ist. Also ich warte, wenn, dann allein :lache. Aber hier


    Meine Meinung dazu :-):
    Die Mitte 40-jährige Ich-Erzählerin hat sich eingerichtet in Einsamkeit, Kälte und „dem Abwarten der letzten Etappe“. Ihre Zeit für Beziehungen mit jungen Männern ist vorbei. Sie hält sich selbst für abstoßend und unattraktiv. Bis sie eines Tages ihn trifft, den Mann, wie die Ich-Erzählerin ihn nur nennt. Sie liebt ihn, weil er sie liebt, ohne Ansprüche, ohne Erwartungen, unaufgeregt. Der Mann wird für sie zum sichersten Ort der Welt.
    Die Idee, den Winter im Warmen zu verbringen verschlägt das Paar auf eine kleine Insel im Südchinesischen Meer. Dort kommt der Mann abhanden, als er nach einem Einkauf auf dem Festland nicht zurückkehrt.


    Gekonnt lässt Sibylle Berg zwei Zeitebenen aufeinander zulaufen, das Heute, der Alltag der Frau auf der Insel nach dem Verschwinden des Mannes, und die Vergangenheit, vier Jahre zuvor beginnend, vor, während und bis zum Ende der Beziehung. Die erinnerte Vergangenheit trifft dabei am Schluss des Buches die erzählte Gegenwart.


    Sibylle Bergs Sprache ist glasklar, pointiert und kraftvoll. Leidenschaftslos, den Leser nicht schonend, erzählt die Protagonistin ihr Dasein, ihr Weltbild. Dabei bedient sich die Autorin eindrücklicher, zum Teil schon brutaler Bilder und Metaphern.


    Nachdem die Frau zu dem Mann ins Tessin gezogen ist, ist sie überrascht über ihr Glück. Ihre „Glücks-Formel“: „Ich fühle mich nicht.“ Der Leser erlebt andererseits die Verzweiflung der Frau. Nach dem Verschwinden des Mannes, verschwindet auch das Glück wieder. Zwei Wochen sucht die Frau den Mann überall, fällt dann zunehmend in eine Depression. Täglich unternimmt sie die gleichen sinnlosen Wanderungen über die Insel, lernt dabei äußerst ungewöhnliche Inselbewohner kennen, die Anlass für weitere Betrachtungen sind.


    Eine Müdigkeit verbreitende, melancholisch-bedrückende Stimmung liegt über dem Buch. Sibylle Berg legt der Ich-Erzählerin weltverachtende, zynische Lebensbetrachtungen in den Mund, vernichtende Abrechnungen mit dem menschlichen Dasein, der Gesellschaft, dem Konsumverhalten, dem Kapitalismus.
    Die Autorin erlaubt dem Leser dabei kein Ausweichen, aber ihre bitterbösen-sarkastischen Bilder wirken schon wieder humorig.


    Sibylle Berg hat mit „Der Mann schläft“ eine Liebesgeschichte geschrieben, wie ich sie so ungewöhnlich, lebensklug, bissig und liebevoll zugleich noch nicht gelesen habe.


    9/10 Punkten

    Liebe Grüße, Sigrid

    Keiner weiß wo und wo lang

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    Dass Zeit sich lohnt

  • Meine Meinung
    "Der Mann schläft" war mein erster Roman von Sibylle Berg und ich kann mich weitestgehend den Rezensionen von Sigrid und Herrn Palomar anschließen.


    Zunächst war ich aufgrund der kurzen Abschnitte und dem sprunghaften Wechsel von Vergangenheit zur Gegenwart ein wenig irritiert, mit der Zeit hatte ich mich gut eingelesen.


    Berg beschreibt eine wirklich aussergewöhnliche, eine ungewöhnliche, Liebesgeschichte. Wie Sigrid schon geschrieben hat, bedient sie sich dabei zum Teil faszinierenden Metaphern und Bildern. Beinahe auf jeder Buchseite habe ich Sätze unterstrichen und Post-Its in das Buch geklebt - es hat mir wirklich gefallen, wie Sibylle Berg schreibt.


    Tief beeindruckt und mit viel Lust auf mehr Bücher von Sibylle Berg vergebe ich 9 Punkte. :-]

  • Die namenlose Hauptfigur dieses Romans ist eine ältere Frau. Von der Liebe ist sie gründlich enttäuscht. In ihren Affären mit jüngeren Männern ist sie immer wieder verlassen worden. Sie hat die Menschen gründlich satt, als sie dem Mann begegnet. Auch er bleibt namenlos, ist immer nur der Mann. Er ist weder schön, noch leidenschaftlich, sondern ebenso wie die Frau der Geschichte ziemlich träge. Der Mann schläft, wie schon der Titel sagt. Aber für die Frau ist er genau der Mann, den sie braucht. Seine Selbstzufriedenheit gibt ihr Sicherheit. Und dann verschwindet er plötzlich auf einer Reise auf einer südchinesischen Insel spurlos ohne eine Nachricht zu hinterlassen und die Frau ist vollkommen verstört.
    Sybille Bergs Roman erzählt sehr klug über die Liebe, auch wenn sie dieses Wort nicht einmal benutzt. Die Liebe muss kein loderndes Feuer sein, sondern ist manchmal ganz unspektakulär oder wie die Frau es ausdrückt: "Sie war alt genug zu wissen, dass es ein großen Glück ist, jemanden zu treffen, den man so sehr mag, dass er einen nicht nervt." Diesen Satz habe ich mir dick angestrichen, denn ich finde ihn seiner Schlichtheit absolut zutreffend. Seltern hat ein Buch die Ereignisarmut einer erfüllten Beziehung so gefeiert.
    Auch die Erzählweise des Romans ist interessant, nach und nach setzt sich die Lebensgeschichte der Frau zusammen.
    Leider trägt Sybille Bergs Erzählung nicht über die Länge des Romans. Eine Erzählung wäre vielleicht angemessener gewesen. So wiederholen sich die Erkenntnisse der Protagonisten, ihr Menschenüberdruss und ihr Bedürfnis nach Ruhe immer und immer wieder, bis man ihrer ebenso überdrüssig ist wie sie den Menschen. Auch die etwas absurde Handlung auf der chinesischen Insel kann darüber nicht hinweghelfen. So fand ich die zweite Hälfte des Romans schlicht langweilig.
    Da ich Euch ja schlecht raten kann, den Roman nur halb zu lesen, kann ich keine uneingeschränkte Leseempfehlung geben. Wen jedoch die Liebe interessiert, die Frage wie und warum Beziehungen funktionieren (oder eben auch nicht), dem bieten Sybille Berg eine originelle, kluge Perspektive auf dieses Thema.

  • Mein erstes Buch von Sibylle Berg, bisher kannte ich sie nur aus diversen TV-Sendungen. Mir hat es sehr gut gefallen. :-]
    So ein pessimistisches Buch habe ich noch nicht gelesen! Manche Ansichten kann ich gut nachvollziehen, z.B. dass man mal seine Ruhe haben und allein sein will. Von einigen Leuten wird man dann komisch angeschaut.


    Noch eine Frage zum Ende:


    Trotz des ganzen Pessimismus musste ich auch oft schmunzeln, wenn die Hauptperson über ihre Mitmenschen herzieht. :grin

  • Dies war auch mein erstes Buch von Sibylle Berg.


    Bevor ich noch einmal eins von ihr zur Hand nehme, oder sogar dieses erneut lese, warte ich aber lieber, bis ich... hmmm.... sagen wir mal, Mitte bis Ende vierzig bin.
    Nun hatte ich hier doch das Gefühl, wenn auch nicht mehr unbeleckt, so doch noch zu jung und noch nicht desillusioniert genug zu sein für die Lektüre.


    Selten ist mir ein Buch über den Weg gelaufen, das so viele vergiftete Seiten zu haben scheint. Und so widersprüchliche Botschaften aussendet.


    Nein, so ganz konnte ich mich damit nicht anfreunden.
    Es stört mich immer, wenn ich nicht erfahre, ob es sich bei ganzen Passagen um Hirngespinste der Figur handelt oder nicht. Vielleicht bin ich aber auch einfach nur zu dämlich, um zu begreifen...


    7 Punkte und Gruß vom killerbinchen :wave

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

  • Zitat

    Original von killerbinchen
    Selten ist mir ein Buch über den Weg gelaufen, das so viele vergiftete Seiten zu haben scheint. Und so widersprüchliche Botschaften aussendet.


    Alles, was ich bis jetzt von Sibylle Bergs Formulierungen - sei es in Interviews oder in ihren Büchern - mitbekommen habe, erinnert mich an ein Solo-Kabarett-Programm. Sie hat wohl einen schrägen Humor. Etwas anderes kann (und will) ich in ihren sprachlichen Bildern nicht entdecken. Vielleicht ist sie aber eine Giftspinne mit "einem neurotischen Gesicht" (Zitat aus "Der Mann schläft" gleich auf der 1. Textseite)?! Wer weiß.