Über das Buch sagt die Inhaltsangabe im Buch:
Als rebellische Einzelgängerin bereitet Hélène Grimaud ihren Eltern viel Kopfzerbrechen. Schon früh spürt sie eine tiefe Liebe zu den wilden Landschaften Korsikas und der Camarque. In der Natur fühlt sie sich frei. Doch als sie selbstzerstörerische Tendenzen entwickelt, suchen ihre Eltern verzweifelt nach einem Ventil für das unbändige Temperament ihrer Tochter. Als Neunjährige findet sie die Leidenschaft ihres Lebens: das Klavier. Ihre außergewöhnliche Begabung wird rasch erkannt. Und so wird Hélène, die für eine Pianistin relativ spät mit dem Unterricht begann, mit dreizehn Jahren die jüngste Studentin, die jemals am Pariser Konservatorium aufgenommen wurde. Mit fünfzehn spielt sie ihre erste CD ein, und seither nimmt eine einzigartige Karriere ihren Lauf. Doch Hélène Grimaud ist nicht nur eine Meisterpianistin, sie hegt noch eine zweite Passion: Seit sie bei einem nächtlichen Spaziergang in den USA der Wölfin Alawa begegnete, ist sie diesen faszinierenden Geschöpfen verfallen. Sie studiert Verhaltensforschung und gründet allen Behördenschikanen zum Trotz 1997 das „Wolf Conservation Center“, ein viel besuchtes Wolfsgehege mit Dokumentationszentrum. Wenn sie nicht auf Konzerttournee ist, verbringt Hélène jede freie Minute mit ihren Tieren. Ihr Buch ist deshalb nicht nur die Geschichte einer beispiellosen Künstlerkarriere, sondern auch das Porträt einer außergewöhnlichen Frau, die durch die Beziehung zu Natur und Musik den Schlüssel zum inneren Gleichgewicht gefunden hat.
Über die Autorin verrät das Buch:
Hélène Grimaud wurde 1970 in Aix-en-Provence geboren. Sie studierte in ihrer Heimatstadt, in Marseille und am Konservatorium in Paris Klavier. 1987 gelang ihr der Durchbruch beim MIDEM in Cannes und beim La Roque d'Anthéron Piano Festival. Inzwischen tritt sie mit allen berühmten Orchestern der Welt auf und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. 1997 gründete sie das „Wolf Conservation Center“ in South Salem/New York.
Meine Meinung oder „Da steh ich nun, ich armer Tor...“
Hélène Grimaud, eine Pianistin von internationalem Rang und mit Sicherheit eine der außergewöhnlichsten, weil vielleicht ehrlichsten Frauen unserer Zeit, hatte mir mit ihren „Lektionen des Lebens“ ein ungewöhnliches Artefakt in die Hand gegeben, um den dunklen Vorhang des Lebens wenigstens ein klein wenig anzuheben: Ihre Nachdenklichkeit gegen meine Trauer, das war eine Konstellation, bei deren Auseinandersetzung ich im Grunde nur gewinnen konnte. Und gewonnen habe ich, ein gut Stück Licht an meinem Horizont, auch in Töne gefasst durch einen Komponisten, den ich bis dato allenfalls am Rande wahrgenommen hatte: Johann Jacob Froberger.
Und weil ich eben etwas, was ich nicht gesucht hatte, in den „Lektionen des Lebens“ gefunden hatte, habe ich zur „Wolfssonate“ gegriffen, dem ersten Buch Hélène Grimauds. Der obigen Inhaltsangabe möchte ich gar nicht so viel hinzufügen, außer vielleicht, dass das Erzählen, das ihrem Leben gilt, immer wieder unterbrochen wird durch Passagen, die dem Wolf, sei es direkt, sei es indirekt, gewidmet sind. Anfangs hat es mich etwas verwirrt, den Lesefluss auf eine solche Weise unterbrochen zu wissen, macht aber, wie zumindest für mich am Ende des Buchs deutlich wurde, gerade in ihrer Anordnung, auch der der Passagen, Sinn.
Vorangestellt ist dem Buch ein Zitat Stig Dagermans, jenes Schriftstellers, dem der Tod und das Verlassen so treue Begleiter waren und der für mich fast ein (jüngerer, aber deshalb nicht unbedingt kleinerer) Bruder Strindbergs und Dostojewskijs ist. Dagerman und Dostojewskij spielen auch im Leben und – so denke ich mir – im Werden Hélène Grimauds eine wesentliche Rolle, prägende Autoren neben vielen anderen. Sie muss außergewöhnlich belesen sein, wie überhaupt die Bandbreite ihres Interesses meinen tiefen Respekt hervorruft.
In dem Buch „Wolfssonate“, gerade mal 255 Seiten stark, stecken sage und schreibe 23 Merkzettel, vollgeschrieben mit Anmerkungen, Gedanken, Fragen, Gegenreden, eigener Meinung, zeigen schon äußerlich mein Ringen mit dem Buch, mit der Autorin.
Mit Hélène Grimaud und um sie habe ich gerungen, ich liebe „ihren“ Rachmaninow, ich bin mehr als bereit, mich „ihrem“ Brahms auszusetzen und mein Versuch, mich mit „ihrem“ Beethoven auseinanderzusetzen, trägt manchmal die Spur einer Verzweiflung in sich. Muss ich mich nicht fragen bzw. fragen lassen, was es ist, warum ich auf ihr Schreiben, ihr Spielen so reagiere, wie ich es nun einmal tue? Was ihr Schreiben angeht, so ist die Antwort einfach zu finden: Sie hat einfach das, was man so leichthin eine „tolle Schreibe“ nennt. Sie kann mit einer bemerkenswerten Offenheit erzählen, aber auch einer ebenso bemerkenswerten Art etwas umschreiben, was aber der Deutlichkeit nicht den geringsten Abbruch tut. Ich bin begeistert von ihrem Erzählen, auch wenn das Thema nicht immer einfach oder leicht ist, weder für sie noch für mich. Ich lausche ihr mit weit offenen Ohren und Herzem, wenn sie von der Musik, von den Komponisten, von ihren Kollegen berichtet.. Ich hatte Tränen in den Augen, als sie von dem Konzert in London erzählte, diesem so außergewöhnlichen Konzert am 11.09.2001. Und ich hatte einen dicken Kloß im Hals, als sie über Fanny Hensel und jene Dichterin, deren Namen sie nicht parat hatte, berichtete, beide in ihrer Künstlereigenschaft von ihrem Umfeld, ihrer Familie missachtet und degradiert, reduziert auf das, was sie nach deren Meinung zu sein hatten, nämlich „nur“ Frau, Ehefrau, Mutter, Tochter, Schwester. Hélène Grimaud vermag mich zu fesseln; es fehlt nicht viel, und ich bin ihrem „Worteklang“ verfallen.
Kann man eine Künstlerin auseinanderdivieren? Ich kann die Schriftstellerin nicht von dem Menschen trennen, also werde ich auch die Pianistin nicht von ihr trennen können. Die Schriftstellerin trifft mich hin und wieder mitten ins Herz, einer dieser Sätze, die mich nicht mehr verlassen werden, steht auf Seite 133: „Liebe... Du hast mir klar gemacht, dass das wirkliche Leben nicht das ist, was zu uns kommt, sondern das, was von uns kommt.“
Auch die Pianistin rührt etwas in meinem Inneren an. Es wird wohl eben dieses „so andere“ Spiel sein, das mich ihr manchmal erliegen lässt und manchmal meinen Widerspruch reizt. Wie habe ich in Gedanken mit ihr gestritten, wie habe ich in rascher Reihenfolge Serkin, Kempff, Brendel, Richter, „meinen“ Solomon, natürlich Martha Argerich und die Geliebteste von allen, Clara Haskil aus dem Regal gezogen, aufgelegt, habe ihr, die doch nicht zuhört, versucht zu beweisen, dass es doch auch anders klingen kann, wenn nicht muss. Natürlich bin ich im Unrecht, was weiß ich von der Musik, was weiß ich von Hélène Grimaud? Welche Anmaßung das von mir war und ist, habe ich im Laufe der Lektüre begriffen, spätestens aber am Schluss, als sie mir sagte – und sagte sie es nicht zu mir ganz direkt? -: „Ich riskiere lieber, die Menschen zu enttäuschen, als sie zu belügen.“ (Seite 253). Nein, Hélène Grimaud wird mich nicht belügen, das nehme ich ihr ab; ob sie mich enttäuschen wird, liegt aber nicht nur an ihr, sondern auch an mir.
„Wolfssonate“ kann ich die zehn Punkte nicht verweigern, eben weil es mich zu einer solchen Auseinandersetzung mit der Pianistin Hélène Grimaud gezwungen hat, weil ich in erster Linie mich und meine Ansichten zu hinterfragen habe, weil ich nun weiß, wie weit mein Weg zum Verstehen ihrer ganzen Kunst und ihrer Selbst noch ist. Auf jeden Fall bin ich ihr zu Dank verpflichtet, für das Buch, für ihr Spiel, und nicht zuletzt für die Bekanntschaft mit zwei wirklich außerordentlichen Pianisten, die ich noch nicht kannte und die mich beide im Sturm erobert haben: Vlado Perlemuter und Pierre Barbizet.