OT: The Darling
Kurzbeschreibung:
Hannah Musgrave lebt seit Jahren auf einer abgelegenen Farm im Osten der USA. Niemand in dem kleinen Ort weiß von ihrem bewegten Leben: Hannah war in den 60ern Mitglied einer radikalen Studentenbewegung und musste sich vor dem FBI verstecken. Sie floh nach Liberia und begann ein neues Leben. Doch als dort der Bürgerkrieg ausbricht, wird sie ausgewiesen. Jetzt, mit 60 Jahren, wagt sie endlich nachzuforschen, was aus ihren drei Söhnen geworden ist, die sie damals zurückließ...
Über den Autor:
Russell Banks, geboren 1940 in New Hampshire, arbeitete als Schuhverkäufer und Klempner, fing an zu malen, studierte, unterrichtete an verschiedenen Universitäten und lebt heute als freier Schriftsteller und Dozent in Princeton, New Jersey. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, ist in mehreren prestigeträchtigen Literaturgremien vertreten, zwei seiner Romane sind verfilmt worden. Sein Werk wurde in zwanzig Sprachen übersetzt. Der bei Luchterhand erschienene Roman "John Brown, mein Vater" wurde für den PEN/Faulkner Award sowie für den Pulitzerpreis nominiert.
Meine Rezension:
Dies ist die fiktive Geschichte einer Frau, die in verschiedenen Welten lebt, immer auf der Suche nach der Verwirklichung ihrer Ideale und nach sich selbst. Als Jugendliche musste Hannah Musgrave, obwohl nie direkt an Anschlägen o.ä. beteiligt, in den Untergrund abtauchen, weil das FBI nach ihr fahndete. Geflohen nach Liberia, heiratet sie einen Afrikaner und bekommt drei Söhne. Doch dann überstürzen sich die Ereignisse und die politische Situation zwingt Hannah erneut zur Flucht.
Rückblickend erzählt Hannah Musgrave in diesem Roman aus ihrem Leben, beginnend bei dem aktuellen Entschluss, nach 10 Jahren Farmleben in den USA wieder zurück nach Liberia zu reisen. Diese Reise ist Anlass, ihr gesamtes Leben Revue passieren zu lassen, sich an die Menschen, die ihr begegnet sind, zu erinnern und die Ereignisse, die ihr widerfahren sind, die Erfahrungen, die sie gemacht hat, aus damaliger und aus aktueller Sicht zu beleuchten. Es ist ohne Frage ein spannendes Leben, von dem der Leser hier erfährt, aber auch ein gefährliches, exotisches und grausames, widersprüchliches und dennoch (oder gerade deswegen) faszinierendes. Ihr Leben, vor allem aber ihre Zeit in Liberia, ein afrikanisches Land, von dem ich vorher bis auf seine Existenz nichts wusste, ist eng verknüpft mit der neueren Geschichte dieses zerrissenen Staates, dessen Einwohner von Armut und Bürgerkrieg, Korruption und Hunger gebeutelt sind.
Außerordentlich behutsam, doch ohne zu beschönigen verwebt Autor Russell Banks die beiden Ebenen der politischen und persönlichen Situation seiner Hauptfigur und schafft so nicht nur ein komplexes Bild einer starken, eigenwilligen und überaus glaubwürdigen, weil menschlichen Figur, sondern auch einen guten Eindruck von der Geschichte Liberias. Neben der überaus gelungenen Gesamtkomposition überzeugt vor allem Banks Erzählstil, der sowohl poetisch als auch nüchtern, sanft und doch eindringlich, nachdenklich und sehr persönlich wirkt. Das Ende selbst mag diskussionswürdig / Geschmackssache sein, ich persönlich halte es für gut, wenn ich auch einen bestimmten Aspekt nicht gebraucht hätte.
Ob Hannahs Suche erfolgreich sein wird, wird hier nicht verraten, nur soviel sei gesagt: Es hat sich auf jeden Fall gelohnt, sie in diesem spannenden, nachhaltig beeindruckenden und sprachlich überzeugenden Roman dabei zu begleiten.
9 Punkte von mir