Buch der 1000 Bücher
Copyright: Aus Das Buch der 1000 Bücher (Harenberg Verlag)
Okonkwo oder Das Alte stürzt
OT Things Fall ApartOA 1958 DE 1959 Form Roman Epoche Moderne
Chinua Achebes Roman schildert den Zusammenprall zweier unvereinbar scheinender Kulturen: der Igbos im Südosten Nigerias mit ihren religiösen Riten und ihrem eigenen Sozialsystem sowie des militärischen Pomps englischer Kolonialherren und christlicher Missionare.
Inhalt: Der Roman spielt in der Zeit von 1850 bis 1900 und zeigt den Wandel der Lebensweise in zwei Dörfern. Der Held Okonkwo, der sich in seiner Jugend als Ringkämpfer große Anerkennung verschafft hat, ist einer der geachtetsten, reichsten und mächtigsten Männer eines der Dörfer. Getrieben von der Furcht, wie sein musischer Vater als Schwächling und Versager zu gelten, hat er es bis zum höchsten Titel der Igbo-Gemeinschaft geschafft. Doch verkörpert er nicht Toleranz als höchstes Ideal der Igbo-Gesellschaft, sondern hat sich durch Jähzorn und rücksichtslosen Ehrgeiz Respekt verschafft. Dreimal verstößt er gegen Grundregeln der Igbo-Religionsauffassung, und als er aus Versehen ein Sippenmitglied tötet, muss er für sieben Jahre ins Exil. Nach der Rückkehr erkennt Okonkwo, wie sehr sich sein Dorf unter dem Einfluss von Christentum und Kolonialismus verändert hat. Seiner Revolte gegen die Kolonialbeamten schließt sich niemand an. Unfähig, sich den neuen Lebensbedingungen anzupassen, erhängt er sich.
Aufbau: Achebe zeigt den Werdegang seines Helden in der Retrospektive. Die gemächliche Handlung lässt Raum für die Darstellung des vorkolonialen Lebens im Igbo-Dorf. Das Buch ist in 25 Kapitel eingeteilt, wovon die ersten zehn jeweils ein rituelles Ereignis im Verlauf eines Igbo-Jahres zeigen: u. a. Friedenswoche, Masken- und Erntefest. In Achebes Sprache finden sich Sprichwörter und Bilder aus der Igbo-Kultur; seine Sätze sind zwar schmucklos kurz, aber kraftvoll. Die Kritik an Kolonialverwaltung und Christentum als Wegbereiter der Kolonisation entbehrt jegliches Pathos und agitatorische Rhetorik, sondern ist um Sachlichkeit und Objektivität bemüht. Zugleich vermeidet Achebe eine Idealisierung des traditionellen afrikanischen, »authentischen« Lebens.
Wirkung: Okonkwo oder Das Alte stürzt widerlegte beeindruckend die in der westlichen Welt bis kurz vor der Unabhängigkeit der afrikanischen Staaten weit verbreitete Meinung, dass es in Afrika vor der Ankunft der Europäer keine eigenständigen Kulturen gegeben habe und der Schwarze Kontinent erst durch die Europäer zivilisiert werden musste. Achebe gilt als einer der ersten Schriftsteller, die Afrikas Selbstbewusstsein durch Verwendung afrikanischer Sprachmuster, Metaphern und Rhythmen zum Ausdruck brachten; gerade der Roman Okonkwo oder Das Alte stürzt gibt ein Beispiel dafür, wie die englische Sprache kunstvoll und verständlich zugleich afrikanisiert werden kann. Das Buch wird seither als Klassiker der afrikanischen Gegenwartsliteratur gehandelt, wurde in mehr als vier Dutzend Sprachen übersetzt und begründete Achebes Ruf als »Vater der modernen afrikanischen Literatur«. M. L.
Kurzbeschreibung
"Das existentiell Bedrohendste für ein Volk ist der Verlust von Selbstachtung und Würde" sagt der nigerianische Autor Chinua Achebe, und so verteidigt Okonkwo, die Hauptperson dieses Romans, bis zum Schluss unbeirrt die moralische Integrität und die Würde der traditionsreichen Ibo-Kultur gegen die militärische und physische Machtausübung der eindringenden englischen Kolonialherren. Vor unseren Augen entfaltet sich der Reichtum der Lebensweise der Ibo zu Beginn des 20. Jahrhunderts, ihre Feste, ihre religiösen Riten, ein vielfältiges System sozialer und geistiger Beziehungen mit seinen eigenen Gesetzen: Führerschaft erwirbt, wer sich durch körperliche und geistige Überlegenheit auszeichnet. Privilegien durch Zugehörigkeit zu einflussreichen Personengruppen oder Familien sind unbekannt. Die englische Kolonialmach t brachte als "Kulturgüter" militärisches Machtgebaren und die christiliche Mission ins Land, die der mehr diesseitigen Lebensphilosophie der Ibo nur das Versprechen auf ein besseres Leben im Jenseits entgegenzusetzen wusste. Mit dieser Schilderung des Zusammenpralls zweier unvereinbarer Kulturen widerlegt Achebe die These, dass Afrika vor Ankunft der Europäer keine eigenständige Kultur besaß, sondern erst mit Hilfe Europas zivilisiert wurde.
Autorenporträt
Copyright: Aus Das Buch der 1000 Bücher (Harenberg Verlag) Achebe, Chinua nigerian. englischsprachiger Schriftsteller *15.11.1930 Ogidi (Ostnigeria) Okonkwo oder Das Alte stürzt, 1958 Chinua Achebe liefert mit seinen Romanen eine Chronik von der ersten Begegnung zwischen Europäern und Afrikanern über den Kolonialismus bis zur Unabhängigkeit (1960) und dem Zerfall der Zivilgesellschaft in Anarchie. Achebe stammt aus einer christlich geprägten Lehrerfamilie und arbeitete nach dem Studium der Medizin, Literatur, Geschichte und Religion in Ibadan zuerst als Lehrer, dann als Rundfunkredakteur. Während des nigerianischen Bürgerkriegs 1967-70 versuchte er auf Auslandsreisen die internationale Staatengemeinschaft für die Position der um ihre Unabhängigkeit kämpfenden Provinz Biafra zu gewinnen. Nach Kriegsende unterrichtete Achebe an der Universität Nsukka, war als Lektor der renommierten African Writers Series des Londoner Heinemann Verlags tätig, übernahm Gastprofessuren vor allem in den USA und gründete die legendäre Literaturzeitschrift Okike sowie den Vorläuferverlag des engagierten Fourth Dimension Publishing House in Enugu, Nigeria. Achebe, dessen Werk mit Literaturpreisen und Ehrendoktorwürden bedacht wurde, zeigt anhand von meist tragischen Figuren die individuelle Komponente gesellschaftlicher Veränderungen. Er malt die psychischen Deformationen aus und vermeidet plakative Ideologisierung. Biografie: K. Turkington, Chinua Achebe (engl.), 1977.