Wildernacht 1 - Joachim Masannek (ab ca. 12 J.)

  • Ein geheimnisvolles Tagebuch, ein junger Schriftsteller und eine Menge rätselhafter Begebenheiten sind Zutaten, aus denen der Autor nichts weniger schaffen will als ein gewaltiges modernes Fantasy-Epos.


    Michael Klondeik, der Schriftsteller, hat auf einmal Visionen. Er hört Stimmen, eine darunter ganz besonders deutlich, sieht Regenbogenfarben in der Luft und seltsame Gestalten in den Straßen Berlins. Worte geistern durch seinen Kopf, vom Atem des Drachens und von Winterwindgras, von einer verlorenen Welt. Ohne daß er es erklären kann, läßt er sich einen Drachen, der ein Herz umschlingt, auf die Brust tätowieren. Und er sammelt besessen Müll, auch ohne zu wissen, warum genau. Die seltsamen Zeichen und Ereignisse machen eines deutlich. Etwas ist in schrecklicher Gefahr und muß gerettet werden.


    Trotz seiner wachsenden Furcht packt Klondeik schließlich seine Sachen und zieht los, nach Westen, wie die Stimme es befiehlt. Es ist eine weibliche Stimme, was den Anreiz aufzubrechen um einiges verstärkt. Die Reise wird abenteuerlich, dazu begleiten ihn Träume, aus denen er im Lauf der Tage zu verstehen beginnt, worum es geht.
    Vor 1500 Jahren hatte ein Retter der Welt Pech bei der Weltrettung. Der Drache, der eine Art Schöpfergeist ist, aber vertraute den Menschen die Welt ein zweites Mal an, weil er ihre Liebesfähigkeit hoch einschätzt. Da irren aber offenbar nicht nur menschlich, sondern auch drachen-lich ist, wurde die Welt in den folgenden 1500 Jahren nur schlimmer, statt besser. Zugleich sammeln sich die Feinde. Der Untergang, nichts geringeres als der Weltenbrand, steht kurz bevor.


    Weggefährten und Traumgestalten, Vergangenes und Gegenwärtiges vermischen sich unablässig, Klondeik, unser Held, befindet sich einem wilden Wirbel von Eindrücken, in die man auch als Leserin hilflos rudernd hineingezogen wird.
    Die Zutaten zu seiner Geschichte fand Masannek im Arthus-Mythos und bei Tolkien. Bei beiden bedient er sich reichlich. Die Ritter der Tafelrunde tauchen auf - wenig schön ‚Tafelmänner’ genannt, - , dazu Genevra, Lancelot, Merlin und vor allem Galahad, den der Autor via Klondeik kurzerhand zu seinem Lieblingshelden erklärt. Dazu gesellen sich einige Figuren erfundener Spezies, die durchaus eine gewisse Originalität aufweisen, die Kurzen z.B., die man auf keinen Fall ‚Zwerge’ nennen darf, Freaks, das Schlawinermädchen oder die letzte der drei Wilden Frauen und die Wüstenbewohner.


    Es ist nicht leicht, den Geschehnissen zu folgen, die Geschichte ist wirr und leider auch wirr erzählt. Ärgerlich ist die Verfahrensweise des Autors, sich stark vor allem auf Tolkiens Romane zu stützen. Vergleiche wie ‚dies oder jenes ist wie bei Frodo’ oder ‚diese Figuren sind wie die Ringgeister’ sind mehr als häufig. Das ist schon Ausbeutung eines bestehenden Mythos’, hier bedient sich einer schamlos der Arbeit anderer.
    Vergleiche werden überhaupt häufig benutzt, statt selbst zu erzählen, appelliert Masannek einfach an die in den Köpfen der LeserInnen bereits vorhandenen Klischees. Diese Arbeitsweise ist charakteristisch für Trivialromane einfachster Natur.
    Unterdrückt wird dabei vor allem die Fähigkeit der Leserinnen und Leser, ihre eigene Fantasie arbeiten zu lassen, der Autor läßt keinen Raum dafür. Er zwingt sein Lesepublikum auf die bereits bestehenden Bahnen. Das ist bei einem Buch, daß sich an ein jugendliches Publikum richtet, besonders verwerflich.


    Die verwendete Sprache ist trotz aller Versuche, manche Beschreibungen poetisch zu überhöhen, auf dem Niveau eines wenig begabten Zwölfjährigen. Wendungen wie folgende: ‚Laß das, regte sich das Mädchen auf’ oder ‚Nein’, verzweifelte sie’ oder ‚Ja’; hob sie den Arm’ sind zu finden, ebenso wie starke Schwankungen durch die Sprachebenen hindurch. Je mehr der Autor ins Erzählen kommt, desto schlimmer wird es. Die Rechtschreibung ist immer wieder einmal kraus. Es wird viel Dunkel-Rätselhaftes eingestreut, mit Superlativen gearbeitet.


    Durchdacht ist wenig, nicht in der Darstellung, nicht bei dem, was gedanklich dahinterstehen soll. Die vage Sprache trifft auf vage und vor allem hochkonservative Vorstellungen von politisch Korrektem, dem Menschen als Krone der Schöpfung, Rittermythen, Frauen als bösem und zugleich gutem Prinzip, ausgelutschten Kampfszenarien, der Weisheit fremder Völker und alter Zauberer sowie der klebrigen Romantik, die einer länger zurückliegenden Vergangenheit offenbar unausrottbar anhaftet. Darüber geschüttet sind zeittypisch oberflächliche Appelle vulgär-humanistischer Art. Das alles vermengt sich zu einem Cocktail, der sich zuletzt als unverdaulich erweist.


    Das Faszinierende an dem Buch ist seine Aufmachung. Es ist ausgestattet wie ein altes Tagebuch, eine Kladde. Die Seiten sind liniert, die Type der der Schreibmaschine nachgeahmt - das Ganze spielt in den frühen 1990er Jahren. Auf den Seiten finden sich handschriftliche Zusätze und Anmerkungen in Blockbuchstaben, Streichungen und rot Unterstrichenes. Die Seiten sind mit ahndgeschriebenen Seitenzahlen versehen. Was gerade passiert, ist schwarz, was Klondeik träumt, vermeintlich mit rotem Farbband geschrieben. Vor allem gibt es Illustrationen, ganz wunderbare Illustrationen in Bleistifttechnik. Man sieht nicht nur die auftretenden Personen, sondern auch Schmierer und Flecken, Reste von Getilgtem. Hinter allem aber sieht man immer wieder den Atem des Drachen, Wirbel und kleine Blasen, Ströme und Wölkchen. Der Hauch des Drachens durchweht die Geschichte. Eine ganz großartige Idee, großartig umgesetzt von Susann Bieling.


    Das Buch, das im übrigen nur das erste von insgesamt sechs ist, kann es nicht retten. Im Gegenteil, es erschwert die ohnehin durch die Sprache und die entsetzlich vielen Klischees unruhig-holprige Lektüre. Für jugendliche Leserinnen und vor allem Leser, denn die Geschichte zielt deutlich auf Jungen, ist es sicher ein toller Spaß, für einmal eines jener geheimnisvollen Tagebücher, das die Helden in Abenteuergeschichten in Schubladen, Truhen und alten Schränken, gemeinhin zu finden pflegen, damit das Abenteuer losgehen kann, sozusagen ‚in echt’ in Händen zu halten. Zugleich erschwert es die Lektüre beträchtlich. Man möchte wissen, wie es weitergeht, muß sich aber durch schwer entzifferbare Stellen ackern. Geübtere LeserInnen werden dadurch auf die Ungeschicklichkeiten in Ausdruck wie Handlungsablauf aufmerksam, ungeübtere wird es zum noch flüchtigeren Lesen verführen.
    Für diejenigen, die jeden Handlungsfaden verloren haben oder auch für die, die eventuell auf Abwege geraten sind und trotz der Sauerstoffknappheit in Masanneks Welt eigene Ideen entwickelt haben, gibt es eine Website, auf der man sich genau informieren kann, wie alles zusammenhängt, bis hin zum noch nicht erschienenen Band sechs. Dort wird auch jeder Zweifel ausgeräumt, wer gut und wer böse ist. Selbständig denkende LeserInnen sind deutlich nicht erwünscht.


    ‚Kümmert euch umeinander, sorgt euch um eure Welt!’ ist der (verkaufsfördernde?) Slogan des Buchs. Mit einer solchen Geschichte?
    Das ist viel eher ein Beitrag zur geistigen Verwahrlosung.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • magali, danke für deine Rezi. :knuddel1


    Zitat

    Original von magali


    Das Faszinierende an dem Buch ist seine Aufmachung. Es ist ausgestattet wie ein altes Tagebuch, eine Kladde. Die Seiten sind liniert, die Type der der Schreibmaschine nachgeahmt - das Ganze spielt in den frühen 1990er Jahren. Auf den Seiten finden sich handschriftliche Zusätze und Anmerkungen in Blockbuchstaben, Streichungen und rot Unterstrichenes. Die Seiten sind mit ahndgeschriebenen Seitenzahlen versehen. Was gerade passiert, ist schwarz, was Klondeik träumt, vermeintlich mit rotem Farbband geschrieben. Vor allem gibt es Illustrationen, ganz wunderbare Illustrationen in Bleistifttechnik. Man sieht nicht nur die auftretenden Personen, sondern auch Schmierer und Flecken, Reste von Getilgtem. Hinter allem aber sieht man immer wieder den Atem des Drachen, Wirbel und kleine Blasen, Ströme und Wölkchen. Der Hauch des Drachens durchweht die Geschichte. Eine ganz großartige Idee, großartig umgesetzt von Susann Bieling.


    Die Aufmachung des Buches ist wirklich interessant. Bei manchen Seiten hatte ich sogar den Eindruck, als ob es nach Klauenspuren aussehen sollte.
    Zum angucken einfach toll, zum lesen fand ich die Passagen mit roter Tinte eher unangenehm. Nette Idee, wirklich schade, dass der Inhalt mit dem Äußeren nicht mithalten kann. :-(

    "Das Schicksal macht Fehler. Eigentlich sogar ziemlich oft. Es kommt nur selten vor, dass jemand in der Lage ist, es auch zu bemerken."
    aus Eine Hexe mit Geschmack von A. Lee Martinez