Wir sind alle Isländer - Halldór Gudmundsson

  • Lange musste ich überlegen, in welche Rubrik ich dieses Buch einordnen sollte, da Islands Bankrott aber sicherlich in die Geschichte eingehen wird, und die dortige Krise sehr viel mit Politik zu tun, ist es hier gelandet


    "Gott segne Island", mit diesen Worten beendete Islands Premier im Oktober 2008 seine Fernsehansprache, in der er seinem Volk den Staatsbankrott gebeichtet hatte. "Wo warst du am 6. Oktober 2008?" ist deshalb heute eine Frage, die wohl jeder Isländer beantworten kann.


    Alle drei großen Banken wurden vom Staat übernommen, dessen Verschuldung dadurch von nahezu 0 auf 100% des BIP nach oben schnellte. Die Arbeitslosenquote explodierte, ganze Branchen sind komplett zum Stillstand gekommen, etwa die Bauindustrie und der Autohandel, die Inflation erreicht bald 20%.


    Halldor Gudmundsson versucht nun in diesem Buch zu erklären, wie es dazu kommen konnte, erzählt den sagenhaften Aufstieg Islands vom Armenhaus zur fünfreichsten Nation und den dann folgenden, umso dramatischeren Fall.
    Da Halldor von Haus aus Verleger und kein Wirtschaftsexperte ist, sind seine Erklärungen auch für Laien gut verständlich, auch wenn mir streckenweise der Tiefgang gefehlt hat: ich hätte es gerne genauer gewusst.


    Eines jedenfallls wird klar: Island ist keinesfalls ein bedauernswertes Opfer der Finanzkrise, das mehr oder weniger unverschuldet in den Abgrund mitgerissen wurde. Vielmehr sind politische Fehlentscheidungen, Vetternwirtschaft mir korrupten Ausmaßen, Blauäugigkeit, Größenwahn und auch eine gewaltige Portion krimineller Energie ursächlich und im Rückblick wird deutlich: eigentlich musste es so enden. Und deshalb sind wir auch alle Isländer: Am kleinen Island lässt sich durchdeklinieren, was in den letzten Jahren schief gelaufen ist. Lediglich unsere stärkere Wirtschaftskraft und Währung bewahrt uns vor einem ähnlichen Disaster. Wenn wir Glück haben.


    Auch einige Isländer kommen zu Wort. Dabei umso erstaunlicher der Tenor dieser Portraits: trotz der dramatischen Situation herrscht auch eine gewisse Erleichterung darüber, dass die Zeiten des Turbokapitalismus vorbei sind, die Nation erwacht aus einem kollektiven (Kauf-)Rausch, besinnt sich auf ihre Qualitäten und will ein besseres Island aufbauen.
    So betrachtet ist auch der Untertitel des Buches zu verstehen: Von Lust und Frust, in der Krise zu sein.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)