Zwischen den Attentaten - Aravind Adiga

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  • Kurzbeschreibung
    Als würde man an einer siebentägigen Erkundung der Stadt Kittur und ihrer Besonderheiten teilnehmen, so führt Aravind Adiga in seinem neuen Buch, einem Zyklus von Geschichten, den Leser durch diese brodelnde fiktive Stadt, die deutlich erkennbare Züge Bangalores trägt. Wie in Adigas preisgekröntem Debüt „Der weiße Tiger“ werden mit Witz und Furor, Mitgefühl und Humor, Mut und Leidenschaft Geschichten erzählt, in denen die unbarmherzigen Gegensätze und der unbeugsame Überlebenswille im heutigen Indien plastisch werden.
    Da ist der zwölfjährige Ziauddin, der in einem Teehaus in der Nähe des Bahnhofs aushilft und, weil er einem hellhäutigen Fremden vertraut, einen großen Fehler macht. Da ist ein privilegierter Schuljunge, der aus Protest gegen das Kastenwesen an seiner Schule Spreng-stoff zündet. Und da ist George D’Souza, der Moskitomann, der sich bei der reizenden, jungen Mrs Gomes zum Gärtner und dann zum Chauffeur hocharbeitet und alles verliert, als er die strengen Grenzen zu überschreiten versucht.
    Aravind Adiga, dessen „Weißer Tiger“ den bedeutenden Booker-Prize gewann und zum Weltbestseller wurde, ist ein begnadeter Erzähler und Menschenkenner, und in dem reichen Panaroma von Figuren und Geschichten aus Kittur, die kunstvoll miteinander verwoben sind, erkennen wir fasziniert eine fremde Welt, die doch auch unsere ist, blicken in Abgründe menschlicher Kämpfe und lesen von Hoffnungen und Wünschen, die uns vertraut sind.


    Über den Autor
    Aravind Adiga wurde 1974 in Madras geboren, wuchs zeitweise in Sydney, Australien, auf, studierte Englische Literatur an der Columbia University und am Magdalen College in Oxford. Er arbeitete als Korrespondent für die Zeitschrift Time und für die Financial Times. Er lebt in Mumbai, Indien. Sein erster Roman „Der weiße Tiger“ (C.H.Beck 2008) gewann den Booker Prize und erschien in fast 40 Ländern.


    Übersetzer
    Klaus Modick, geb. 1951, wurde für sein umfangreiches literarisches Werk u. a. mit dem Bettina-von-Arnim-Preis und dem Nicolas-Born-Preis ausgezeichnet. Zuletzt erschien von ihm der Roman „Die Schatten der Ideen“. Er ist auch als Übersetzer von William Gaddis, Charles Simmons (C.H. Beck) und John O’Hara (C.H.Beck) hervorgetreten.



    Originaltitel
    Between the Assassinations, erschienen bei Free Press New York, 2009



    Meine Meinung:
    Wie auch schon in seinem Buch "Der weiße Tiger" erzählt Adiga in Abschnitten über die verschiedenen Gesellschaftsschichten einer Stadt in Indien. Auch hier geht er mit einem schonungslosen Blick auf die unschönen Seiten seines Landes ein und einmal mehr hat man den Eindruck dass Indien im allgemeinen und die Einwohner im besonderen kein nettes und freundliches Volk sind. Jeder ist sich hier selbst der Nächste.


    "In drei Disziplinen, er zählt sie auf, Schwarzmarkt, Produktfälschungen und Korruption sind wir Weltmeister. Wenn die zu den Olympischen Spielen zugelassen wären, würde Indien in allen drei Gold, Silber und Bronze gewinnen"


    Ein jeder verflucht die Korruption, aber keiner findet einen Weg auf seinen eigenen Anteil an den korrupten Geschäften zu verzichten.
    Es sind keine übergreifenden Geschichten die hier erzählt werden und doch gibt es schlußendlich ein Ganzes. Die Erzählungen sind geprägt vom "Kastendenken" und den Verschiedenheiten der religiösen Gruppierungen, die wiederum in Untergruppen aufgeteilt sind. Das war für mich manchmal etwas rätselhaft und verwirrend.


    "Er ist aus einer höheren Kaste als ich, dachte Shankara, aber er ist arm. Was bedeutet das überhaupt - Kaste?"


    Adiga zeigt uns eine Welt neben all dem Bollywood-Glamour. Ein Indien ohne koloniale Romatik und wehenden Saris. Er läßt uns einen ungeschönten Blick auf die Bettler und Leprakranken werfen. Auf Kinder die ihr Leben auf der Straße verbringen. Auf Männer die nur durch Korruption ihr Geschäft betreiben können.
    Ist man bereit sich auf diese Geschichten einzulassen, spürt man nach kurzer Zeit die Ungeheuerlichkeit derselben. Und das wirkt noch lange nach.
    Hat man das Buch "Der weiße Tiger" gelesen, kommt einem das eine oder andere schon bekannt vor, deswegen bekommt das Buch von mir 8 Punkte.

    Herzlichst, FrauWilli
    ___________________________________________________
    Ich habe mich entschieden glücklich zu sein, das ist besser für die Gesundheit. - Voltaire

  • Danke für die Rezi :wave - Hätte ich sonst gar nicht mitbekommen, dass von Aravind Adiga schon wieder ein neues Buch erschienen ist. Aber ich glaube, ich warte doch lieber auf das Taschenbuch :gruebel


    Weißt du zufällig, ob das Buch vor "Der weiße Tiger" geschrieben wurde oder ob es nur nachträglich "rausgekramt" wurde, weil sich "Der weiße Tiger" so gut verkauft hat?

    "Es gibt einen Fluch, der lautet: Mögest du in interessanten Zeiten leben!" [Echt zauberhaft - Terry Pratchett]

  • saz


    Lt. den Angaben im Buch erschien das Original 2009. Also ist wohl davon auszugehen, dass es nicht irgendwo in der Schublade lag und wegen des Erfolgs von "Der weiße Tiger" jetzt hervorgezaubert wurde. :wave

    Herzlichst, FrauWilli
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    Ich habe mich entschieden glücklich zu sein, das ist besser für die Gesundheit. - Voltaire

  • Der Aufbau dieses Buches gefällt mir sehr gut! Ich kann einfach mal ein, zwei Kapitel lesen und es dann aber auch problemlos wieder beiseite legen, ein bisschen über das Gelesene nachdenken und später weitermachen. Die Enden der einzelnen Geschichten treffen es für mich immer genau auf den Punkt!


    Aber so fesselnd wie der Tiger ist es nicht, den habe ich damals so gut wie in einem Rutsch gelesen und herrlich viel gelacht. Das fehlt mir hier.

  • Zitat

    Original von FrauWilli
    Ist man bereit sich auf diese Geschichten einzulassen, spürt man nach kurzer Zeit die Ungeheuerlichkeit derselben. Und das wirkt noch lange nach.
    Hat man das Buch "Der weiße Tiger" gelesen, kommt einem das eine oder andere schon bekannt vor, deswegen bekommt das Buch von mir 8 Punkte.


    :write


    Ich habe etwas gebraucht, bis ich in das Buch hereingekommen bin - aber nach fast 50 Seiten habe ich es dann endlich geschafft, mich auf die Geschichten einzulassen und habe das Buch in der Folgezeit sehr genossen.
    Jede Geschichte steht für sich selbst und kann als eigenständig betrachtet werden, auch wenn es immer mal wieder Verknüpfungen zwischen den einzelnen Abschnitten gibt. Man lernt ganz unterschiedliche Einwohner Kitturs kennen und gewinnt beim Lesen einen Eindruck von dem Schicksal, das einige von ihnen getroffen hat.


    "Wer in diesem Land arm geboren wird, ist dazu verdammt, arm zu sterben. Für uns gibt es keine Hoffnung und keinen Grund für Mitleid. Und schon gar nicht von einem wie Ihnen, der noch nie auch nur einen Finger gerührt hat, um uns zu helfen. Ich spucke auf Sie. Ich spucke auf Ihre Zeitung. Es ändert sich nie etwas. Es wird sich nie etwas ändern. Sehen Sie mich an. Ich bin neunundzwanzig Jahre alt. Ich bin jetzt schon gebeugt und ausgelaugt. Falls ich vierzig werden sollte, was erwartet mich dann? Dann bin ich ein verbrauchten schwarzes Strichmännchen."


    Adiga konzentriert sich erneut auf die Kluft zwischen den unterschiedlichen Gesellschaftsschichten in Indien und auch wenn dieses Thema schon aus "Der weiße Tiger" bekannt ist, habe ich dennoch auch dieses Buch mit viel Interesse, Erstaunen und zum Teil auch Bestürzung gelesen.


    Ich vergebe gute 8 Punkte :-)

  • Meine Meinung:
    Aravind Adiga nimmt den Leser in diesem Buch mit auf einen siebentägigen Rundgang durch Kittur. Er erzählt in seinen Geschichten von dieser imaginären Stadt, besonders aber von seinen sehr unterschiedlichen Menschen.


    Man lernt Bewohner unterschiedlicher Herkunft, Konfession, Überzeugung und Kastenzugehörigkeit kennen. Eines haben diese Menschen gemeinsam: sie werden angetrieben von der Hoffnung, Erreichtes zu erhalten, mehr Wohlstand und Ansehen zu gewinnen. Dabei wird aber deutlich, dass allein aufgrund des Kastensystems und auch der Konfession so manches Schicksal unausweichlich vorherbestimmt scheint.


    Da sind die Reichen, wie Mrs. Gomes, die in einer Villa lebt, Angestellte hat und zweimal am Tag badet, auch bei Wasserrationierung. Da sind die Armen, wie der Fahrradkurier Chenayya, der der niedrigsten Kaste der Hoyka angehört, für jede Rupie hart arbeiten muss und unter freien Himmel schläft.


    Der Autor macht auch deutlich, dass die Inder ein ganz besonderes Volk sind. Korruption, Vetternwirtschaft und Ungerechtigkeit spielen eine große Rolle, aber die Inder sind zäh. Die Rückschläge, die die Protagonisten in den Geschichten einstecken müssen, lassen sie nicht aufgeben.
    Durch seine Erzählweise entführt Aravind Adiga den Leser schnell in die für uns fremde Welt. Er zeichnet die Charaktere so, dass man auch hinter die Fassaden schauen kann. Vor allem aber schreibt er schonungslos offen von dieser eher unschönen Seite Indiens. Glimmer, Glitter und „Touristen-Indien“ such man in diesem Buch vergebens.
    Obwohl die einzelnen Geschichten in sich abgeschlossen sind, greifen sie doch ineinander und liefern so ein Gesamtbild.


    Aravind Adiga zeigt sich wieder als starker Erzähler wie in seinem preisgekrönten Roman „Der weiße Tiger“.


    Ich würde auch 8 Punkte vergeben :-).

    Liebe Grüße, Sigrid

    Keiner weiß wo und wo lang

    alles zurück - Anfang

    Wir sind es nur nicht mehr gewohnt

    Dass Zeit sich lohnt

  • Was mir gut an dem Roman gefällt ist, dass jedes Kapitel in einen anderen Stadtteil Kitturs führt, eine andere Geschichte erzählt und dabei nichts beschönigt.


    :wave

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • Mir hatte "Der weiße Tiger" sehr gut gefallen und dementsprechend war ich eigentlich guter Dinge, dass auch dieses Buch lesenswert und amüsant sein würde. Aber so richtig konnte es nun doch nicht punkten. Wie FrauWilli auch schon in ihrer Rezi schrieb, fand ich es teilweise verwirrend mit den Religions-/Kastenbesonderheiten konfrontiert zu werden, die leider nicht näher (z.B. in einem Anhang) erklärt werden. Somit haben mich einige der "Kurzgeschichten" doch ziemlich ratlos zurückgelassen. (Ich muss allerdings dazu sagen, dass ich generell kein Freund von Kurzgeschichten bin.) Von mir gibt's nur 6 Punkte.


    Das Buch erscheint im Oktober übrigens als Taschenbuch.

    "Es gibt einen Fluch, der lautet: Mögest du in interessanten Zeiten leben!" [Echt zauberhaft - Terry Pratchett]

  • Zitat

    Original von buzzaldrin
    Auch wenn mir das Buch ja ganz gut gefallen hat, hatte ich auch eher das Gefühl, dass der Verlag es quasi noch mal nachgeschmissen hat, da "Der weiße Tiger" so ein Erfolg war ... ich würde gerne noch etwas neues von Adiga lesen, bis jetzt ist aber leider noch nichts angekündigt.


    Ja, das fand ich eben auch. Offenbar ist aber auf Englisch für September ein neues Buch von Adiga angekündigt:


    Zitat

    Real estate developer Dharmen Shah’s offer to buy out the residents of Vishram Society—a formerly respectable, now crumbling apartment complex that abuts the infamous Dharavi slums—is more than generous. But one man stands in the way of Shah’s luxury high- rise: Masterji, a retired schoolteacher who will not leave his home in Vishram’s Tower A. Shah is a dangerous man to refuse, but as the demolition deadline looms, Masterji’s neighbors—friends who have become enemies, acquaintances turned co- conspirators—may stop at nothing to score their payday.


    An electrifying, suspense-filled story of money and power, luxury and deprivation, peopled by brilliantly drawn, unforgettable characters, Last Man in Tower exposes the hearts and minds of the everymen and women of a great, booming city—ordinary people pushed to their limits in a place that knows none.


    Ob das Buch allerdings nach "Der weiße Tiger" geschrieben wurde, weiß man dann natürlich trotzdem noch nicht.

    "Es gibt einen Fluch, der lautet: Mögest du in interessanten Zeiten leben!" [Echt zauberhaft - Terry Pratchett]

  • Jetzt hatte ich bereits eine ganze Rezension im Geiste formuliert - nur um festzustellen, dass meine Vorredner bereits alles gesagt haben. Also will ich nicht noch mal alles wiederholen, von wegen "Einblicken in indische Realität" und "abseits von Bollywood-Romantik".


    Ich fand das Buch überaus gelungen. Durch den "Reiseführer-Teil" konnte man sich ein gutes, eindringliches Bild vom Handlungsort, der (fiktiven?) Stadt Kittur machen.


    Die Kurzgeschichten waren in sich abgeschlossen, bildeten aber ein gelungenes Gesamtbild und waren gerade richtig lang genug, um sich wirklcih in die Geschichte und das Schicksal des jeweiligen Protas einzufinden.


    Nur zwei PUnkte halten mich davon ab, dem Buch die volle Punktezahl zu verleihen:
    1. Dass der Großteil der Protagonisten männlich sind. Vielleicht führen Männer in Indien tatsächlich das interessantere Leben, aber ich hätte einfach gern auch mehr über die Frauen in dieser Situation gelesen.
    2. Die Trostlosigkeit des Buches. Man sollte es nicht lesen, wenn man grade in schlechter Stimmung ist, denn diese wird dadurch keineswegs besser. Klar - gerade dieser Realismus macht den Reiz dieses Buches aus, aber trotzdem... man leidet, man bangt, man hofft mit den Protagonisten mit... nur, um immer wieder festzustellen, wie all ihre Hoffnungen enttäuscht werden. Das schlägt sich aufs Leser-Gemüt.


    Daher verleihe ich 8 Punkte und empfehle das Buch definitiv weiter.


    lg, A.

  • Zitat

    Original von Antigone33
    1. Dass der Großteil der Protagonisten männlich sind. Vielleicht führen Männer in Indien tatsächlich das interessantere Leben, aber ich hätte einfach gern auch mehr über die Frauen in dieser Situation gelesen.


    Es ist schon eine Weile her, dass ich das Buch gelesen habe, aber dass ist mir nicht unbedingt negativ aufgefallen. Es hätte mich nicht gestört, wenn mehr Frauen aufgetaucht wären ... ;-) sie haben mir aber auch nicht gefehlt.


    Im nächsten Monat erscheint übrigens ein neues Buch von Adiga auf Deutsch: