Onitsha - Jean-Marie Gustave Le Clézio

  • Kiepenheuer&Witsch, 285 Seiten
    Aus dem Französischem von Uli Wittmann


    Kurzbeschreibung:
    LeClezio hat seine Kindheit in Afrika verbracht und dort läßt er auch seinen Roman spielen. Im Alter von 12 Jahren kommt Fintan Allen mit seiner Mutter von Frankreich nach Onitsha in Nigeria. Die Mutter tut sich schwer in der engstirnigen Kolonialgesellschaft der fünfziger Jahre. Fintan aber findet Freunde unter den Schwarzen. Er erlebt wilde Abenteuer und erhält Zugang zu einer ihm fremden, geheimnisvollen archaischen Welt.


    Über den Autor:
    J.M.G. Le Clézio, 1940 in Nizza geboren, studierte in Frankreich und England Literatur. Er veröffentlichte über dreißig Bücher - Romane, Erzählungen, Essays - und erhielt zahlreiche Literaturpreise. LeClézio lebt abwechselnd in Frankreich und Neumexiko.


    Meine Meinung:
    Fintan Allen ist 12 Jahre alt, als er mit seiner italienischstämmigen Mutter 1948 nach Nigeria in Afrika reist, wo er zum ersten Mal seinen britischen Vater trifft.
    Ort der Ankunft ist Onitsha. Die Gegend steht zu dieser Zeit noch unter britische Kolonialherrschaft (Britisch-Westafrika).


    Le Clezios zeigt, wie intensiv Afrika auf alle Sinne auf die Europäer einwirkt. Diese Passagen haben mich wirklich überzeugt.
    Den Roman Onitsha schrieb Le Clezio 1993. Manche Szenen kommen einem sehr bekannt vor, da sie so ähnlich auch in Le Clezios autobiographischen Text „Der Afrikaner“ vorkommen. Auch das kennenlernen des Vaters ist ähnlich. Fintan ist praktisch der Autor in dieser Zeit.
    Von vielen Personen in Onitsha ist Fintan augenblicklich fasziniert, z.B. die junge taubstumme Frau Oya oder der etwas seltsame Engländer Sabine Rhodes.


    Mein Problem mit dem Roman beginnt in der Mitte, als Fintan als Hauptperson in den Hintergrund tritt, und der ihm fremde Vater in den Vordergrund. Auch dem Leser wird der distanzierte Geoffroy nicht so leicht vertraut. Die antikoloniale Einstellung der kleinen Familie erschließt sich mir nicht vollständig, man muss sie als gegeben hinnehmen.
    Hinzu schafft Le Clezio keinen Aufbau eines entsprechenden Spannungsbogens, obwohl die Aufteilung des Romans in Reise nach Afrika und Ankunft, Aufenthalt und Abreise logisch erfolgt ist.


    Sprachlich erreicht der Autor den Ausgleich zwischen nüchterner Beschreibung und überwältigenden Sinnesüberflutungen. An dem kristallklaren, bezaubernden Ton von seinem Meisterwerk „Der Afrikaner“ kommt er noch nicht ganz ran. Dafür ist „Onitsha“ sprachlich weicher als das sachlich gehaltene „Der Afrikaner“. Es gibt zahlreiche beeindruckende Sätze, z.B. wenn der Autor den großen Strom, die Hitze und Schwüle, den Regen, den Harmattan (ein heißer Landwind) oder die Fahrt auf einer Piroge beschreibt. Etwas Geduld sollte man für den Roman mitbringen damit er seinen ganzen Zauber entfaltet.

  • Herr Palomar, vielen Dank für die ausführliche Rezension.


    Ich habe "Der Afrikaner" mit ganz großer Begeisterung gelesen und dieses Buch liegt auf meinem SuB. Der "überwältigenden Sinnesüberflutungen" wegen freue ich mich jetzt schon darauf :wave

    Herzlichst, FrauWilli
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    Ich habe mich entschieden glücklich zu sein, das ist besser für die Gesundheit. - Voltaire

  • Ich kann mich mit meiner Meinung größtenteils Herrn Palomar anschließen...


    Meine Rezension:
    In "Onitsha" nimmt Nobelpreisträger J. M. G. Le Clézio seine Leser mit in die gleichnamige Stadt in Nigeria, in die der 12jährige Fintan in den 50er Jahren zusammen mit seiner Mutter reist, um dort mit seinem Vater, an den er sich nicht erinnern kann, zu leben. Nicht nur für den Jungen ist Onitsha eine völlig fremde Welt, auch seine Mutter hat - ganz anders als sein Vater, der dort seine Bestimmung wähnt - mit dem Klima, der Kultur und dem Verhalten der übriggebliebenen arroganten Kolonialherren. Le Clézio gelingt es ohne Frage, die Strapazen der Seereise und die zauberhafte Schönheit und Eigenwilligkeit Afrikas einzufangen, den Leser mit allen Sinnen zu berühren und all das Fremde aus der Sicht Fintans mit kindlicher Neugier und Unbedarftheit kennenzulernen. Fintans Vater ist ein Fremder und bleibt es allerdings auch: ein fast schon fanatisch Suchender, der unbedingt die geheimnisvolle Stadt Meroe finden will. Wie sehr er sich getrieben fühlt, welche Visionen und Träume ihn plagen, erfährt er Leser in einer Art Zwischenspiel, doch mir persönlich ist er dadurch nicht näher gekommen, vielmehr wurde der ruhige Lesefluss der Haupthandlung durch die vielen mir unbekannten Namen und ungeklärten Zusammenhänge eher gestört, das Weiterlesen wurde mühsamer. Zurück bleibt ein zwiespältiger Eindruck, so dass ich weder eine eindeutige Leseempfehlung noch ein entschiedenes Abraten zu geben vermag.