Alles eine Frage vom Stil ...

  • Da die sprachliche Ausgestaltung des Eingangspostings dem Titel des Threads durchaus entspricht, gestehe ich, beträchtliche Schwierigkeiten zu haben, die behauptete Ironie des Thread-Titels zu erfassen.


    Das Wichtigste: im Deutschen 'fällt' einer/einem nichts 'unter die Augen', das Ganze geschieht weniger dramatisch. Es kommt.
    Unter die Augen kommen, lautet der Ausdruck.
    Das Fallen tritt dann ein, wenn die Augen zum Subjekt werden.
    'Meine Augen fielen auf...'.


    Hier fand eine Verschmelzung zweier Ausdrücke statt, wie sie typisch ist für die sich heutzutage ausbreitende Sprachunsicherheit nicht nur bei JournalistInnen.


    Über die breite Verwendung von Sprechsprache in einem schriftlichen Text, die sich bei obigem Eingansposting deutlich feststellen läßt, äußere ich mich nicht, das ist tatsächlich eine Frage des Stils.


    Ich subsumiere diesen Thread unter dem Betreff: 'den Splitter im Auge der Schwester sehen ...'


    Tatsächlich ist der verlinkte Artikel sprachlich nicht tragbar, die Art und Weise, ihn zu diskutieren, aber genauso wenig.



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Liebe magali, danke für deinen Kommentar und dafür, dass du nicht erkannt hast, dass ich anhand des von mir im bemängelten Eingangsposting verwendeten Ausdrucks lediglich zum Ausdruck bringen wollte, wie schockiert ich war und nach wie vor bin über das, was dem geneigten Zeitungsleser in diesen unseren Zeiten so manches Mal aufgetischt wird.


    Dass das kein "klassisches" Deutsch ist, ist mir ebenso klar wie dir. Genau so wenig, wie eine Zunge stolpern kann, wie ein Herz preschen kann und sich ein Magen zur Faust ballen kann, kann einem etwas vor die Augen fallen. Oder vielleicht doch? Etwas, das aus heiterem Himmel (den gibt es tatsächlich, auch wenn wir ihn lange nicht mehr sahen) direkt vor meinen Augen niedergeht. Das fällt mir vor die Augen genau so, wie es mir vor die Füße fällt. Und eben so kam dieser Artikel aus heiterem Himmel auf mich zu und "knockte" mich "out".


    Nichts für ungut. Nicht jedermanns Sache. Ist es nicht schön, dass Sprache sooooooo vielseitig ist?

  • Aha. Danke für die Erklärung.
    'Fällt vor die Augen' also als neuartige Ableitung von 'vor die Füße fallen'.


    Okay. Kreatives Deutsch.
    Aber warum darfst Du das, also sprachschöpferisch tätig sein, die beklagte Journalistin aber nicht?
    Hat sie kein Recht, sich sprachlich vielseitig zu betätigen?


    Bei einem preschenden Herzen (wohin nur, wohin?) und dem Magen in Faustform empfehle ich dringend, medizinischen Rat einzuholen. Das klingt sehr ungesund. Solcherart befallen tun mir sogar papierne ProtagonistInnen leid.


    Sprach-Verständige dagegen werden sich daran gesund lachen.



    :wave


    magali (die-aus-heiterem-Himmel-fällt)

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Sagen wir mal so, magali, hätte sie diese seltsame Art der Dialogsatzbildung nur einmal angewendet, statt gleich vier oder fünfmal in einem nicht mal besonders langen Artikel, hätte ich wohl drüberweggelesen. Vielleicht grinsend drüberweggelesen, weil wie gesagt die sogenannten "action tags" hinter dem Dialogteil meistenteils nicht zum Gesagten passen (á la "Das hast du aber fein gemacht", strickte Martina fleißig weiter), aber dennoch keinen Ton gesagt. Problem ist aber, dass diese Satzmonster hier zum Markenzeichen einer Journalistin werden und ich das einfach nicht gut finde. Ein sehr schlechtes Beispiel für schreibwütige Schulkinder, zum Beispiel, die der dichterische Nachwuchs sein könnten, sich dann aber vielleicht sowas abgucken ... oh je ...


    Mir ist schon klar, dass es Leute gibt, die sowas als kreativ und "frisch" empfinden. Die Leute muss es geben, denn offensichtlich gehört die Journalistin selbst ja auch dazu. Ich persönlich aber empfinde es als Sprachvergewaltigung, wenn sowas bis zum Exzess getrieben wird.


    Wer sich mit kreativem Schreiben befasst, wird vielleicht schon gemerkt haben, dass im Dialog heute fast ausschließlich die Wörter "sagen" und "fragen" in ihren grammatischen Abwandlungen zur Verwendung kommen und jede Art der einstmals so hochgelobten Variationen der Dialogtags (murmeln, hinzufügen, erwidern, versetzen, bemerken, anmerken, unterbrechen etc etc) schon recht unbeliebt werden und an der Schwelle zum "schlechten Stil" stehen. Das kann man auch sehen, wie man will - hier bin ich wieder der Ansicht, dass es sehr schnell langweilig wird, immer nur zu "sagen" und zu "fragen".


    So muss eben jeder das Seine finden ... Alles eine Frage vom Stil ...

  • Ah, die Sorge um den, öhm, dichterischen Nachwuchs!
    Das ist natürlich eine ehrenwerte Sache.


    Ich kann mich nur auf Erfahrungen mit jungen Schreibenden hier im Forum berufen. Außerhalb habe ich wenig mit sehr jungen Menschen zu tun, die Texte verfassen.
    Hier jedoch habe ich festgestellt, daß die wirklich begabten wunderbarerweise nicht zu falscher Sprach-Gymnastik neigen, jedenfalls nicht in irreparablem Ausmaß. Und das, obwohl sie Tag für Tag von vielen Dutzend böser Verstöße gegen ihre Sprache umgeben sind, von allen Seiten.
    Vielleicht doch eine Talentfrage?


    Was den Journalismus angeht:
    der von Dir verlinkte Artikel ist kein Einzelfall und auch kein besonders auffälliger. Allein die Titelseite einer beliebigen Tageszeitung enthält heutzutage in der Regel mindestens einen Verstoß gegen Grammatik oder Ausdruck/Stil, gleich, ob im Leitartikel, im Kommentar, in Schlagzeilen, Überschriften oder, eine wahre Hölle!, in Bildunterschriften.


    Von Rechts wegen müßte man gut 90% aller in diesem Beruf tätigen umgehend mit absolutem Schreibverbot belegen. Das ist keine neue Forderung, das Problem ist bekannt und wird sogar unter JournalistInnen diskutiert.


    Falls Du eine Initiative in dieser Richtung in Gang setzen möchtest, kannst Du auf mich zählen.
    :grin


    Falls Dich das Problem über die erste Aufregung hinaus interessiert, kann ich Dir die Lektüre von Texten von Karl Kraus empfehlen. Hundert Jahre alt und frisch wie am ersten Tag.



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von CorinnaV
    Mich stört am meisten die zwanghafte Umgehung des simplen Verbs "sagen". Ist dir das aufgefallen? *schüttel*


    das ist aber eigentlich ziemlich häufig und üblich im Zeitungsstil, das Wort "sagen" wird im allgemeinen durch alles mögliche ersetzt, meinen, erzählen, schmunzeln, berichten, befinden, ich glaube es wird nirgendwo soviel geschmunzelt wie in Zeitungstexten, und ich kann mich nicht erinnern, dass ich das Wort Sagen überhaupt schon mal bei uns in der Zeitung gelesen hätte.


    Und was den Journalismus und Zeitungen angeht, es gibt halt oft keine Korrekturleser mehr, die was bemängeln, häufig werden Agenturtexte benutzt und gekürzt, wodurch manchmal die Grammatik aus den Fugen gerät, das passiert dann halt auch mal bei den Überschriften, es muss zudem auch hier alles schnell gehen, weil das Personal ja auch gekürzt wird, und wenn Praktikanten oder Volontäre Artikel schreiben, haperts halt auch mal mit der Rechtschreibung, so wie in der allgemeinen Bevölkerung nach der vergurkten Reform eben auch.
    Und da es in der Leserschaft auch immer genügend Leute gibt, die nix besseres zu tun haben, als jeden Fehler zu zählen, kann man sicher sein, dass auch jede Zeitung regelmäßig darauf aufmerksam gemacht wird, dass es zu viele Fehler in ihren Ausgaben gibt. Aber das abzustellen ist halt ein anderes Problem.

  • Ushuaia, deshalb lasse ich bewusst so wenig - gar nicht - schmunzeln in meinen Artikeln. ;-) Es gibt auch kein "Das bekamen wir geschenkt", lachte XY. Das geht einfach gar nicht.





    Die Meldung allerdings, das ist nicht (nur) schlechter Stil, das ist Unvermögen, keine Ahnung haben. Vom Geschehenen vielleicht, aber nicht vom Schreiben.
    Vielleicht hiess es an der letzten Redaktionssitzung, die Journis sollen bitte aktiver schreiben, die Befragten direkt zu Wort kommen lassen. Direkte Rede ist aktiv, aber in diesem Fall ist die Journalistin weit darüber hinaus geschossen.



    Das hier: "... Ich habe gar nichts Ungewöhnliches gemerkt", ist sie fassungslos." ist passender mit: "... gemerkt". Sie ist/wirkt fasungslos". Wobei auch das eine heikle Aussage ist. Journalisten sind keine Hellseher, sollten also keine gefühlsmässigen Zuordnungen machen. Es sei denn, das Gegenüber sagt, dass es fassunglos sei, oder erschüttert, erfreut etc.
    Oder hier: "Später sind wir von der Froser Seite aus rangefahren", gibt die Nachterstedterin zu, neugierig gewesen zu sein.
    Wieso soll oder muss sie etwas zugeben?
    Schachtelsätze liebt besagte Journalistin auch. Nachzulesen in einem anderen Artikel, sie schafft es dort unter anderem auf einen Satz mit 44 Worten - und behält ihren "Stil" bei.



    Es gibt zwar Korrekturleser, oft sind es aber nicht mehr die ausgebildeten Lektoren, sondern jemand im Team übernimmt die Aufgabe. Und da sind leider nicht immer alle sattelfest und mit der Sprache vertraut.
    Klar, es wird immer Lesende geben, die nach Fehlern Ausschau halten. Es gibt aber auch Fehler, die einem förmlich ins Auge springen.
    Dass es mit der Rechtschreibung hapert, ist leider eine bedauerliche Entwicklung. Nur, dafür gibt es Korrekturprogramme, jeder Praktikant und Volontär und sonstwer könnte diese nutzen.

  • Ich habe hier ein Jugendbuch von einem der größten Verlage. Möchte nichts näheres dazu nennen. Mal kurz einige Passagen:


    "Was ist denn", fahre ich gereizt herum.


    "Selbstverständlich", zögert er keine Sekunde.


    "Ich bin sprachlos!", höre ich sie da auch schon nach Luft japsen.


    "Komm, los!", packe ich sie am Arm.


    Nein, es ist nicht dieselbe Autorin wie beim Zeitungsartikel. :rolleyes


    Grüßle,
    Judith

    Toni und Schnuffel / Tricks von Tante Trix / Papino und der Taschendieb / Das Dreierpack und der böse Wolf
    Tanz mit Spannung / ... und jetzt sehen mich alle! / Voll drauf / Die Kellerschnüffler u.a.