Die Züchtigung - Anna Mitgutsch

  • Klappentext:


    Eine Mutter, die als Kind geschlagen und ausgebeutet wurde, kann ihre eigene Tochter nur durch Schläge zu dem erziehen, was sie für ein »besseres Leben« hält.



    Autorin:
    Anna Mitgutsch wurde 1948 in Oberösterreich geboren, studierte Germanistik und Anglistik, war einige Zeit Assistentin am Institut für Amerikanistik in Innsbruck. Längere Aufenthalte in Israel, England und Korea. Von 1979 bis 1985 unterrichtete sie in Boston deutsche Sprache und Literatur. Heute lebt sie in Linz.



    Meine Meinung:


    Hier habe ich ein Buch erwischt, dass sich abgrenzt von allem, was ich in der letzten Zeit gelesen habe. Anna Mitgutsch schreibt in einer erschreckenden und brutalen, aber auf der anderen Seite ergreifenden und sensiblen Weise mit gewaltigen, treffenden und doch so wunderschönen Sätzen , die durch die Haut in das Gehirn von da direkt ins Herz gehen um dort für immer zu bleiben.



    Ohne direkte Rede erzählt Vera ihr Leben und das Leben ihrer Mutter Marie, die im oberösterreischischen Land in der Nähe von Bayern als eine Bauerstochter aufwächst.


    Mutter Marie wird als Kleinkind vernachlässigt, geschlagen und als billige
    Magd mißbraucht. Sie steht ewig im Schatten der netteren, lieberen und hübscheren Schwestern, was diese schamlos ausnutzen. Keiner, weder Mutter noch Vater hat Achtung, sie haben nur ständig Prügel übrig für das Kind,es ist egal wie gut sie ihre Arbeit macht, egal, dass sie Klassenbeste ist, egal, dass sie brav, keusch und gläubig ist.


    Marie flieht nach dem 2. Weltkrieg in die Ehe mit einem "Häusler", welcher gesellschaftlich noch tiefer steht, denn die Familie von Friedl kam ursprünglich aus Ungarn, hat weder Landbesitz noch Geld und alle Männer der Familie müssen als Holzfäller im Wald ihr Auskommen finden. Sinds gar Zigeuner, wie der Dorfpöbel es vermutet und sie auch als solche schimpft?


    Marie setzt sich über Mutter und Vaters Einwände hinweg und heiratet - zögerlich, denn da ist von ihrer Seite keine Liebe, keine Zuneigung, kein Verstehen und Verstandenwerden, kein Geld und keine Verbesserung der Lebensumstände vorhanden, aber es gibt auch keinen anderen Verehrer, der dies alles versprechen könnte. Dass es sie von vornherein ekelt, vom Mann berührt oder gar geküsst zu werden, dass nimmt sie in Kauf. Alles ist besser, als der Fußabtreter zu bleiben, die Ungeliebte. Friedl wenigstens liebt sie.


    Sie ziehen weg vom Ort, Friedl arbeitet als Straßenbahnschaffner in der Stadt und bald kommt auch das Kind. Sie finden außerhalb der Stadt billige Zimmer bei einer Bauersfamilie, feucht und kalt. Ohne Sonne, ohne Wärme und ohne Anschluß an die Leute.


    Marie will dort weg. Sie hat Heimweh, ständig Hunger, aber auch bei "Hamsterfahrten" heim zu der Familie geht sie leer aus. Man hat nichts übrig für sie und den "Häusler". Auch die Schwangerschaft ändert daran nichts.


    Als die Tochter Vera drei Jahre alt wird, findet man ein Häuschen - fünfundzwanzig Quadratmeter groß - endlich mit Toilette, mit Waschküche und einem Garten. Dort angekommen, versucht Marie alles, um das Elend innerhalb ihrer vier Wände zu lassen. Sie spart, kleidet sich und das Kind aufs Feinste, sie bietet dem Kind mehr, als die Frau Doktor von der Villensiedlung es vermag. Sie ist wer.


    Das Kind. Trübsinnig ists, traurig ständig, antriebslos und ohne Lachen. Aber wo soll es herkommen, denn das Kind wird geschlagen. Mit einem Prügel oder mit dem Teppichklopfer. Beim kleinsten Vergehen setzt es Prügel. Ein Kind muss gehorchen, still sein und keine Schande bereiten. Ein Kind braucht weder Liebe noch Freunde. Und wenn das Kind das nicht einsieht, dann brauchts halt Schläge. Die Mutter gibt sie gerne und fast täglich.


    Vera leidet. Sie wird fett. Sie wird Klassenbeste. Aber nichts ändert das Verhalten der Mutter. Jeden abend um 7 Uhr schläft sie mit Mutter in einem Bett. Vom Vater, der hilflos, gleichgültig und schwach dem allen zusieht, kann sie weder Beachtung oder gar Hilfe erwarten. Vater lebt im Kammerl, arbeitet, ißt, schläft auf dem Sofa ein und arbeitet wieder. Er ist zum Geldverdienen da, mehr Rechte hat er nicht und wird sie auch nicht bekommen.


    Vera wird die erste der Familie sein, die aus der Not heraus, die Matura (Abitur) macht, die studiert. Andere Freuden hat sie nicht. Braucht sie auch nicht mehr. Sie ist ungeliebt. Sie leidet ohne das Ende des Leidens abzusehen.


    Als die Mutter früh stirbt, ohne das jemand wußte, wie es um sie stand, da bricht Veras bisherige Welt zusammen. Sie heiratet, bekommt eine Tochter, die sie ohne Schläge erzieht, die alles von Vera früher Entbehrte von ihr erhält. Und doch schließt sich der Kreis, denn die Tochter ist genauso unglücklich wie sie es immer war. Marie bestimmt immer noch ihr beider Leben. Es gibt kein Entkommen.


    Dieses Buch gibt es als Taschenbuch bei DTV. Ich kann es nur empfehlen. Es ist keine leichte Kost, preisgekröntes Erstlingswerk von einer großartigen Schriftstellerin.



    EDIT meint, es ist unmöglich hier das TB hineinzustellen - die ISBN geht nicht. Die gebundene Ausgabe will aber auch nicht... Sorry

  • Zitat

    Original von Eskalina
    :gruebel Ohje, das klingt nach nach einem deprimierenden Buch...Gibt es denn darin so gar keine Lichtblicke?


    Lichtblicke gibt es schon, doch die sind völlig umschattet ;-)


    Wer zu Depressionen neigt und nah am Wasser gebaut hat, sollte dieses Buch vermeiden.

  • Wie eine krachende Ohrfeige und ein heftiger Tritt in den Magen ist es, dieses Buch zu lesen.
    Ich fand die Geschichte so heftig, dass ich nachts davon alp-geträumt habe!


    In den Lebensgeschichten von Mutter und Tochter gibt es anscheinend nicht einen einzigen schönen Augenblick.


    Kann es wirklich Menschen geben, die so sind?
    Das Problem an der Frage ist: Die Antwort lautet Ja.


    Ein Magenschmerzen-Gruß vom killerbinchen

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“