Stuart Neville - The Twelve / Die Schatten von Belfast

  • Nach Jahrzehnten des bewaffneten Kampfes im Nordirlandkonflikt ist mit dem Karfreitagsabkommen von 1998 offiziell Frieden eingekehrt.


    Gerry Fegan gehörte zur IRA. Nachdem er zwölf Jahre wegen eines Bombenanschlags im Maze Gefängnis gesessen hatte, ist er im Jahr 2000 vorzeitig begnadigt worden. Als "verdienter Kämpfer für die Sache" genießt er bei vielen Leuten Respekt, aber er selbst kann seine Tage und vor allem seine Nächte nur ertragen, indem er sich bis zur Besinnungslosigkeit betrinkt, um überhaupt schlafen zu können. Im Auftrag der IRA hat er zwölf Menschen getötet, die ihm nun erscheinen und keine Ruhe lassen, am schlimmsten ist es für ihn, wenn nachts das Baby schreit. Einige Leute halten ihn allmählich schon für merkwürdig, weil er Gespräche in die Luft hinein führt, aber für ihn sind "die Zwölf" real.


    Als Gerry Fegan an einem Sonntag das Grab seiner Mutter besucht, fragt eine Frau ihn zum wiederholten Male, wo ihr Sohn begraben ist. Sie weiß, dass dieser seit zwanzig Jahren tot ist, sie kann mit seinem Tod aber nicht abschließen, da es kein Grab auf dem Friedhof gibt. Gerry Fegan sagt ihr schließlich, wo er begraben wurde. In dieser Nacht verlangt der getötete Junge, der ihm als einer der Zwölf folgt, dass Fegan Michael McKenna töten soll. Dieser hatte den Jungen damals gefoltert und dann Fegan den Befehl für den Todesschuss gegeben. Gerry Fegan erschießt McKenna - danach sind es nur noch Elf, die ihm folgen, und - nachdem er die nächsten beiden Opfer "gerächt" hat noch Neun.


    Der Tod von Michael McKenna, der inzwischen in die Politik gegangen war, führt zu neuen Ausschreitungen in Belfast. Ein anderer Politiker, der auch aus der IRA hervorgegangen ist, ahnt bald, dass Gerry Fegan für die Morde verantwortlich ist, er benutzt die toten ehemaligen Kameraden aber für Propagandazwecke gegen die Briten. Gerry Fegan wird zu einer Gefahr für den Friedensprozess und sowohl die nordirische als auch die britische Politik möchte ihn so schnell wie möglich loswerden, außerdem gibt es aus seiner Vergangenheit noch jemanden, dem Fegans Tod oder Verschwinden gelegen kommen würde.


    "The Twelve" ist ein sehr spannender und realistischer Thriller im heutigen Nordirland. Es wird deutlich, dass der Friedensprozess dort immer noch eine sehr sensible Situation ist, und dass bei einem ausgelösten Funken Gewalt jederzeit wieder aufflammen kann, einige sogar auf diesen Funken als Rechtfertigung warten. Es gibt weiterhin gewaltbereite Splittergruppen der IRA.

    Gerry Fegan, der unter seiner Vergangenheit leidet, ist ein glaubwürdiger und sehr interessanter Charakter. In Rückblenden wird ein Teil seiner Vergangenheit gezeigt, die auch Teil der nordirischen Geschichte der letzten dreißig Jahre ist.


    Für Gerry sind "die Zwölf" real, einige Leute halten ihn für verrückt, der Gefängnispsychologe diagnostiziert "die Zwölf", die Gerry sieht, als Manifestation von Schuld, aber Irland ist ja auch den Sagen nach das Land der Feen und Geister …


    Zehn Punkte




    Der Autor
    Stuart Neville lebt in Nordirland und "The Twelve" ist sein erster Roman. Er war Musiker, Lehrer, Bäcker und ist jetzt Partner einer Multimedia-Design Firma. Seine Website finde ich auch optisch sehr ansprechend. Interessant: The Story So Far: How I Got Published




    Edit: Ich habe gerade gesehen, dass "The Twelve" im Februar unter dem Titel "Die Schatten von Belfast" auf Deutsch erscheint.



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  • Ich bin ein Fan der Vintage Ausgaben, die oft sehr schöne und "stylishe" Cover haben. Dieses neue Cover gefällt mir auch sehr gut.


    Edit: Nein, DIESES Cover gefällt mir nicht, das ursprüngliche Cover für die Vintage-Ausgabe wurde gegen dieses ausgetauscht. Da ist nix "stylishes" mehr dran, das ist ein 08/15 Cover. :rolleyes



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  • Da ich davon ausgehe, dass "The Twelve" von Stuart Neville im Laufe des nächsten Jahres auch in einer deutschen Ausgabe erscheinen wird, verlinke ich schon mal prophylaktisch die Ausgabe, die ich gelesen habe (dieses Cover gefällt mir nämlich auch gut), damit dann irgendwann im ersten Beitrag die deutsche Ausgabe erscheinen kann.


    ... und es schadet ja auch nicht, das Buch mal wieder "nach oben" zu holen.



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  • Gerry Fegan ist ein alter Kämpfer im immer noch schwelenden Nordirland-Konflikt. Nach Jahren der Haft ist er nun ein freier Mann und bezieht ein Gehalt von der Regierung für einen Phantasiejob. Seid einiger Zeit wird er von 12 Geistern verfolgt. Menschen, die er getötet hat. Diese lassen ihm keine Ruhe, er hört ihre Schreie und kann dadurch nicht schlafen. Selbst Alkohol hilft ihm nicht mehr. Unmissverständlich machen sie ihm klar, was sie von ihm wollen: den Tod der Verantwortlichen. Und so beginnt Gerry, Morde zu begehen an alten Bekannten und Auftraggebern, die es selber nicht nötig haben, zu töten sondern es immer von Leuten wie Gerry erledigen ließen. Aber die Geister erkennen ihre Schuld trotzdem.


    "Die Schatten von Belfast" ist kein herkömmlicher Krimi. Man verfolgt Gerry auf seinem Weg der Abrechnung bzw der eigenen Erlösung. Er ist ein zerissener Mann, müde vom Kampf und vom Töten. Durch die Begegnung mit einer Frau und ihrer Tochter hofft er, wieder in ein normales Leben eintreten zu können. Doch die Geister wollen erst ihre Rache. Jemand muss für ihren Tod bezahlen. Und Gerry muss das für sie erledigen, damit er endlich seine Ruhe vor ihnen findet.


    Der Autor wirft einen ungeschönten Blick auf den Nordirlandkonflikt und auf die Protagonisten. Politiker wollen im Grunde gar keinen Frieden. Im Krieg kann man sich viel besser profilieren. Und Männer, die ihr Leben in den Dienst ihres Landes gestellt haben, wissen gar nicht, was sie tun sollten, wenn niemand mehr ihrer Dienste bedürfte. "Die Schatten von Belfast" ist ein dunkles, schmutziges Buch, die Sprache ist rauh und unprätentiös, aber nicht vulgär und es wird nicht unnötig in blutigen Details verharrt. Der Autor zeigt schlicht, aber deutlich wie zweckgebunden in Irland gemordet wurde und z.T. wohl noch wird.


    "Die Schatten von Belfast" ist kein schönes Buch, das sich leicht konsumieren lässt. Gerry Fegan und sein Gegenspieler Campbell sind eindrucksvolle Figuren, nicht unbedingt sympathisch, aber sehr real. Ihnen folgt man mit morbider Fasination durch ein dunkles Nordirland, das seine jüngste Geschichte noch nicht überwunden hat.

  • Ganz einfach hat es mir dieses Buch nicht gemacht.


    Unbestritten ist es ein ziemlich packender Thriller, der ungeschönt (für mich Mimöschen teilweise zu hart) die Zustände in einem Land schildert, das 30 Jahre brutalen Bürgerkriegs hinter sich hat und auch nach zehn Jahren brüchigen Friedens noch lange nicht in der Normalität angekommen.
    Oder vielleicht doch, was so manchen der ehemaligen Kämpfer, die nichts kannten außer Krieg, zu frustrierten Verlierern macht.


    Fegan jedenfalls ist so einer, der, nach vielen Jahren aus dem Knast entlassen, mit dem neuen Irland nicht zurechtkommt. Die einstmals mörderischen Konfliktparteien sind in den Untergrund abgewandert und zu ganz ordinären kriminellen Vereinigungen geworden. Die Prediger der Gewalt sind zu geachteten, aber korrupten Politikern mutiert, und die ganz normalen Iren sind eher an grenzenlosem Konsum und Vergnügen, denn an politischer Auseinandersetzung interessiert. Fegans eigentliches Problem jedoch sind die zwölf Geister, die ihn verfolgen, die Geister der Menschen, die er einst getötet hat. Denn die befehlen ihm nun, die Menschen töten, die diese Morde ursprünglich veranlasst hatten, war Fegan doch eigentlich nur ein Handlanger, ein Killer, der für Ruhm und Geld die Drecksarbeit erledigt hat. Erledigt er diesen Job zunächst einigermaßen im Verborgenen, entwickelt sich diese Aufgabe zunehmend zu einem Parforceritt gegen die Zeit, um seinen Auftrag zu erledigen, bevor ihm diverse Verfolger das Handwerk legen können.


    Wie gesagt, dieses Buch ist eine überaus spannende Hetzjagd durch Nordirland, hart, schnell und durchaus auch spannend. Aber trotz aller Originalität ist dieses Buch ein klassischer Rache-Thriller, und da fangen meine Probleme damit an. Denn nur oberflächlich geläutert, schwingt sich der Held erneut zum Herr über Leben und Tod auf, delegiert quasi die Schuld, die er auf sich geladen hat, an Auftraggeber oder gar Menschen, die ihn damals nicht aktiv am Morden gehindert hatten. Seine Opfer waren keineswegs unschuldige Opfer, sondern teilweise ebenfalls Mörder und Schläger, an deren moralischer Befähigung, Rache für ihren eigenen Tod zu fordern, ernsthafte Zweifel bestehen. Und so ist dieser Thriller kein politischer, sondern ein ganz persönlicher, was angesichts des hochpolitischen Themas viel an Potential verspielt und der für mich eine höchst zweifelhafte Botschaft vermittelt.
    Obwohl der Plot, der Spannungsbogen und die Einbindung in die nordirische Realität rein handwerklich durchaus gelungen sind, waren doch einzelne Szenen und Figuren in ihrer schlichten Ausarbeitung fast schon peinlich, das klang an manchen Stellen wie Schulaufsatz.
    Schade sind auch die vielen Fehler in diesem Buch. Da wird oftmals links und rechts und Osten und Westen verwechselt, was für jemanden wie mich, der die Wege des Helden im Kopf verfolgt, sehr irritierend war. Eine Figur verändert mehrmals ihren Namen, und dann wird der Held auch noch aufgefordert, seine Windschutzscheibe runterzukurbeln. Hinzu kommen haufenweise weitere Rechtschreib- und Grammatikfehler, was um so bedauerlicher ist, als ich die Taschenbuchausgabe gelesen habe, also die Chance verpasst wurde, die schon im Hardcover vielfach bemängelten Fehler zu beheben.


    Trotzdem, insgesamt war das ein spannender Roman, der realistisch und glaubwürdig die Zustände im heutigen Nordirland zum Thema macht.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)