Karlijn Stoffels - 1:0 für die Idioten

  • OT: Een-null voor de autisten


    Über den Autor
    Karlijn Stoffels, geb. 1947, studierte Romanistik und Niederländisch. Sie lebt in Amsterdam und schreibt Hörspiele, Theaterstücke und Kinderbücher.


    Kurzbeschreibung
    Luisa kommt für ein Jahr in die »Villa Strandlust« der Jugendpsychatrie. Sie ist eine scharfe, unerbittliche Beobachterin ihrer selbst. Ein Roman von großer Dichte, in dem es Stoffels meisterhaft versteht, die tiefgreifenden Veränderungen, die in Luisa stattfinden, unverstellt und authentisch - und mit viel Sinn für Humor und Ironie aufzuzeigen.


    »Die Welt und ich haben schon immer im Streit miteinander gelegen«, erinnert sich Luisa an ihrem 15. Geburtstag. »Freundschaft« bedeutet für sie nur, dass man gemeinsam dieselben Leute nicht ausstehen kann. Sie weiß nicht, wem sie trauen kann und wohin sie mit ihren Aggressionen soll, und weshalb man nicht immer zurückgeliebt wird, wenn man verliebt ist. Luisa rastet aus und zwar richtig. Sie ist ins Meer gegangen. Aber ein Hund hat sie wieder rausgefischt.


    In der Klinik soll sie sich und ihr Leben wiederfinden. Sie vertraut sich dem Therapeuten Hans an, sie beobachtet die anderen Patienten mit all ihren Zwangsneurosen. Als sie nach vielen Auf und Abs stark genug ist, die Villa zu verlassen, weiß Luisa, dass sie noch einen weiten Weg vor sich hat. Aber eines hat sie gewonnen: Vertrauen in die Menschen und in sich selbst.


    Meine Rezension
    Was ist nur mit Luisa los? Mit kaum 16 hat sie Tabletten und Alkohol eingeworfen und ist ins Meer gegangen, wurde aber wieder rausgefischt.


    Nun ist sie für ein Jahr in der „Strandlust“, einer jugendpsychiatrischen Anstalt. Dort ist sie zuerst in der geschlossenen Abteilung, nach einer Weile dann in der offenen Therapiestation und Schritt für Schritt begleitet der Leser ihre Therapie-Erfolge und ihre Rückschritte: So hat sie besonders zu Beginn schlimme Alpträume, schlägt mit dem Kopf an die Wand und muß immer in Bewegung sein. Sie erscheint zutiefst traumatisiert, doch was hat nur zu diesem Verhalten geführt, was ist passiert?


    Zu meinem großen Bedauern wird diese Frage weder für Luisa, noch für die anderen Insassen der Anstalt beantwortet, die sie im Laufe der Therapie kennen lernt. Das Buch ist verstörend und lässt einen trotz auch lustiger Szenen ratlos zurück. Warum sind diese jungen Menschen so, wie sie sind? Was ist ihnen zugestoßen, das ihnen dermaßen den Weg in ein normales, selbst bestimmtes Leben blockiert?


    Im Laufe der Therapie finden auch Familiengespräche mit den Angehörigen statt und es erscheint so, als ob Louisa aufgrund postnataler Depressionen der Mutter eine sehr lieblose Kindheit gehabt zu haben. Doch auch das erklärt mir ihr Verhalten nicht. Selbst der Originaltitel des Buches hat mich nicht erhellt, denn wie Autisten wirken die meisten der Protags nicht auf mich, dazu erscheinen sie trotz sicher vorhandener Zwangshandlungen zu kommunikativ.


    Ich weiß nicht, wie dieses Buch auf die Zielgruppe wirkt, aber das würde mich wirklich sehr interessieren. Obwohl mich das Buch gut unterhalten hat es und es sich gut weglesen lässt, hat es mir im Gesamturteil nicht besonders gut gefallen, da es mir weder eine Erklärung gibt, noch meine Fragen beantwortet – und das empfand ich als sehr unbefriedigend.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Mir hat 1:0 für die Idioten sehr gefallen. Da ich es vor knapp 2 Jahren gelesen habe, kann ich momentan keine detaillierte Beschreibung der Einzelheiten abgeben, aber ein Gesamteindruck ist geblieben. Und dieser ist sehr positiv.


    Louisa und die Mitbewohner in der Villa Strandlust werden mit klarem, aber auch liebevollem Blick gezeichnet, der Menschen mit ihren Problemen nicht auf unangenehme Art bloßstellt.
    Ich erinnere mich an viele Szenen, die sehr sensibel beobachtet waren, und mir gefiel die Art, wie Karlijn Stoffels diese Geschichte erzählt, sehr sehr gut. Sie entwickelt einen feinsinnigen Humor, wobei die ernsten Dinge aber nicht an Bedeutung verlieren. Da sie hier und da ein wenig poetisch schreibt, in sehr wohlgesetztem Maße, so dass es niemals zu gefühlig wird, erzielen die Bilder und Szenen eine große Intensität. Es tut oft weh, mitzuempfinden, was Louisa durchmacht. Vieles erscheint zunächst sehr seltsam und unverständlich. Was die Mitbewohner dort so treiben wird erst nach und nach ein wenig verständlicher, aber manches bleibt rätselhaft. Und genau wie es auch im wirklichen Leben ist, erfahren wir als Leser nicht mehr als das, was Louisa als Mitpatientin der anderen Bewohner erfährt - wir erhalten keine Akteneinsicht und keine detaillierten Krankheitsberichte, sondern erleben alles genauso chaotisch, wie es eben ist, wenn man in so einer Einrichtung eingeliefert wird, allein. Das, was Louisa dort an Kontaktversuchen und an Konflikten durchsteht, das Mitgefühl, das sie entwickelt, die Abschiede von denen, die ihr ans herz gewachsen sind, das alles war für mich sehr berührend. Es fühlte sich echt an, nicht romantisiert und glattgeschliffen. Der unverkrampfte Erzählstil und der feine Humor hilft, all das Schwere, Seltsame und Traurige ein wenig leichter verarbeiten zu können. Nach meinem Empfinden ist dieser Ton genau richtig für einen Jugendroman und ebenso für Erwachsene, die sich darauf einlassen können, das manches offenbleibt, nicht alles bis ins Letzte erklärt wird.
    Einige Einblicke in das Leben in einer psychiatrischen Jugendeinrichtung in den Niederlanden erhält man auf jeden Fall.
    Nur angedeutet sind die therapeutischen Möglichkeiten, die es in den Niederlanden gibt. Darüber hätte ich gern mehr gewusst, denn soweit ich weiß, sind uns die Niederlande im pädagogischen und schulpädagogischen Bereich oft ein, zwei Nasenlängen voraus. Integration und Inklusion, die bisher nur in kleinen Modellprojekten erprobt wurden und gerade erst zögernd eingeführt werden, sind dort schon lange verankert. Mit all den Problemen, die das mit sich bringt und auch den Rückschlägen, die dazugehören, haben die Niederländer schon viel mehr Erfahrung.
    Somit vermute ich, dass dies auch für den Umgang mit Kindern und Jugendlichen in der Psychiatrie gelten könnte. Soweit ich mich erinnere, ist diese sehr menschliche Art des Umgangs (Humor inbegriffen) in 1:0 für die Idioten die ganze Zeit spürbar. Um das sicher behaupten zu können, müsste ich das Buch noch einmal lesen, was ich mit Vergnügen auch bald tun werde.


    Von mir bekommt dieser Jugendroman 9 Eulenpunkte.