12 Dinge, die ich noch erledigen muss, bevor die Welt untergeht - Bjørn Sortland (ab 13 J.)

  • OT: 12 ting som må gjerast rett før verda går under 2001



    In den Augen der dreizehnjährigen Therese ist der Weltuntergang gar nicht mehr weit entfernt. Nicht nur, daß der Sommer völlig verregnet ist - Noah läßt grüßen - , ihre Eltern haben sich auch genau diese trübe Zeit ausgesucht, um sich zu trennen. Wie soll man damit fertigwerden? Gott, an den sie sich wendet, schweigt. Der Großvater, sozusagen der nächste in der Hierarchie, wirkt schrecklich altmodisch und streng. Die ältere Schwester, Randi-Irene, ist Autistin und spricht lieber mit den Fischen in ihrem Aquarium.
    Einen gibt es aber, der Bescheid wissen könnte in puncto Katastrophen, das ist Jan, der Neue in der Klasse. Als Sohn des Pastors ist er geradezu prädestiniert für Fragen über den Weltuntergang. Er ist zwar ein wenig steif, aber wenn Therese sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, gibt es kein Halten mehr. Und so findet sich Jan nicht nur unversehens in eine Diskussion über Katastrophen-Szenarien à la Velikovsky verwickelt, sondern landet sogar in Rom. Das hat seinen Grund in einer Liste, die Therese angelegt hat. Auf ihr ist alles notiert, was Therese noch erledigen möchte, ehe der Erdball in Flammen aufgeht. Arme Menschen in Rußland mit Spenden unterstützen, z.B. oder Gott bitten, einen Beweis seiner Existenz zu geben. Vor allem aber, einen Liebsten suchen und ihn küssen.


    Dieser Jugendroman bietet äußerst interessante Lektüre. Er beginnt in medias res. Zehn Tage, nachdem ich Gott gefragt habe, ob er mich sieht, bekam ich eine Antwort. So selbstbewußt klingt Therese und sie hat allen Grund dazu. Tatsächlich leidet sie unter den Trennungsabsichten ihrer Eltern, aber sie läßt sich dadurch nicht den Spaß am Leben verderben. Ebensowenig von ihrer Angst vor dem Weltuntergang.


    Auf den ersten Blick ist die kurze Geschichte sehr witzig. Therese ist forsch und scheint in ihrer Schüchternheit und Tolpatschigkeit liebenswert. Die Handlung ist fast aberwitzig, der Autor legt ein rasantes Tempo vor. Dazu ist es ausgezeichnet formuliert, frisch, modern, ohne sich an Jugendliche und eine vermeintliche Teenagersprache anzubiedern. Das Lesen macht solchen Spaß, daß man das Denken nahezu vergißt. Das soll man aber nicht tun, und vor allem nicht, wenn es um ‚Gott’ geht.


    Tatsächlich soll diese Geschichte eine christlich-religiöse sein. Schließlich sind alle Christen, jedenfalls in Norwegen. Das antworten Thereses Eltern auf die Frage ihrer Tochter, ob sie gläubig seien. Therese hat auch gar nichts dagegen einzuwenden. Offenbar ist sie das so gewöhnt. Sie weist auch umgehend darauf hin, daß es nicht fromm ist, sich scheiden zu lassen. Das mag Papa aber nicht hören.


    Aus dieser Glaubensüberzeugung heraus allerdings bezieht dieses junge Mädchen eine Menge ernstzunehmender Ängste. Die Weltuntergangsszenarien beschäftigen sie wirklich. Die Aussagen so fragwürdiger Propheten des Katastrophismus wie eben Velikovsky werden in diesem Jugendroman völlig unkommentiert genannt. Ein Zitat von Stephen Skinner ist das Motto des Buchs und sein ‚Werk’ über Nostradamus hat auch seine Bedeutung in der Handlung des Romans, ohne daß darauf hingewiesen wird, worum genau es bei Skinner geht. Das alles verschmilzt unter der geschickten Hand des Autors mit der christlich-religiös geprägten Vorstellung vom Weltende.


    Nicht nur Therese hat Angst vor dem Ende, auch Pastorensohn Jan wird es mulmig, wenn es stark regnet. Die Geschichte von Noah, am herbstlichen Strand von Ostia gelesen (Jan hat immer eine Bibel bei sich) bringt aber auch Trost. Schließlich hat Gott damals versprochen, die Finger von einer weiteren Sintflut zu lassen.
    Da das modernen christlichen Jugendlichen aber offenbar nicht mehr reicht, was man ja verstehen kann, schließlich ist es ein paar Jährchen her, daß der Alte den Deal gemacht hat, folgt umgehend ein aktueller Gottesbeweis.
    Jan kann es naturwissenschaftlich erklären, aber was sagt das schon? Therese jedenfalls ist glücklich, wieder ein Punkt auf der Liste abgehakt. Der wichtigste folgt auf dem Fuß. Angestoßen von Großvater, der gar nicht so streng ist, wie er tut, findet sein Enkeltöchterchen heraus, daß Pastorensöhne auch küssen können. Sogar schon mit dreizehn. Ein echtes Früchtchen. Er riecht ja auch so lecker nach Apfel-Shampoo.


    Das eigentliche Früchtchen aber ist Therese. Im Namen Gottes läßt der Autor seine Protagonistin eine Menge Gebote brechen, die im übrigen auch völlig säkular eingestellte Menschen achten. Tatsächlich gibt es nicht eine einzige Person in diesem Buch, die Therese bei der Verfolgung ihrer Pläne nicht anlügt, zum Teil gewaltig. Das Geld für den Flug nach Rom ‚leiht’ sie sich per geklauter Kreditkarte vom ahnungslosen Papa. Ob das die Strafe für die geplante Scheidung ist?


    Was Therese treibt, ist nur zum Teil die Angst (die ihr ihr Glaube an Gott einbrockt, nota bene), eigentlich ist sie ausschließlich dabei, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Auf ihrer Liste befinden sich so hehre Vorhaben wie: meinen Freunden und Verwandten sagen, wie sehr ich sie mag oder: freundlicher zu Randi-Irene sein. Diese Punkte werden großzügig verschoben, es geht nämlich darum, sich Jan zu angeln. Und sich Gott zu Füßen zu zwingen.
    Mit dem Beweis der Existenz eines Gottes, den der Autor auch liefert, legitimiert er Thereses Verhalten vollständig. Prompt eilt auch Großvater an ihre Seite. Unser Früchtchen ist eine Heldin. Mit einer göttlichen Botschaft in der Tasche und einem Pastorensohn im Arm.


    Und wie lautet nun die frohe Botschaft für die jugendlichen Leserinnen und Leser? Es gibt Gott, weil alle Norweger Christen sind? Die Welt wird untergehen, weil uns jeder Regenguß an Noah erinnert? Weil wir sterblich sind, sollten wir möglichst jung anfangen, auf Kosten anderer unsere Ziele durchzusetzen? Absurd.
    Das Absurdeste allerdings, was ich in diesem Buch gefunden habe, waren die auf der Liste aufgeführte Ziele: ein berühmtes Kunstwerk ansehen und ein klassisches Konzert hören. Die Ansprüche des Bildungsbürgertums waren nie so billig wie heute.


    Die zeitgenössische christliche Bekenntnisliteratur geht wahrhaftig seltsame Wege.
    Diesen hier sollte man Jugendlichen unbedingt ersparen.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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  • Wo man Propaganda-Literatur so ausgräbt, im untersten Regal der Kinderbuchabteilung eines Ein-Euro-Buchladens, an dem ich heute früh zufällig vorbeikam.
    ;-)



    Das Argument mit all den Christen in Norwegen kommt so dicke und so scheinbar kritisch, daß ich davon überzeugt bin, daß der Autor die Statistiken sehr wohl kennt.
    :grin





    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus