Hörbuch, 3 CDs, 2006
Gesamtspielzeit: 03:05:17
Gesprochen von Barbara Nüsse
Kurzbeschreibung:
Die Erzählung "Karma" handelt von unvollendeten Biografien und dem frühzeitigen Sterben von acht ganz verschiedenen Menschen. In ihnen lebt eine Seele, deren Existenz wesentlich von einem scheinbar äußerlichen Merkmal bestimmt ist: der Farbe ihrer Haut. Die Zuhörer blicken durch die Augen eines Jungen, dessen Familie aus dem Township aufsteigt und durch die einer korrupten Menschenrechtsaktivistin. Sie erleben mit einem weißen Findelkind, das von Schwarzen aufgezogen wird, die Absurdität der Zuordnung von Menschen nach Hautfarbe.
Über die Autorin:
Nadine Gordimer wurde 1923 in Springs, Südafrika, geboren und gilt als bedeutendste Schriftstellerin ihres Landes. 1953 erschien ihr erster Roman "Entzauberung". Nadine Gordimer engagiert sich öffentlich und literarisch gegen Apartheid und formuliert in ihrem Werk den Glauben an eine freie gemischtrassige Gesellschaft in Südafrika. Ihre Bücher sind in mehr als 20 Sprachen übersetzt und wurden mehrfach ausgezeichnet. Für ihr episches Gesamtwerk erhielt die Autorin 1991 als bisher einzige Frau Afrikas den Nobelpreis für Literatur.
Über die Sprecherin:
Barbara Nüsse, geboren 1943 in Essen, spielt an namhaften Bühnen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Sie studierte Schauspiel an der Otto Falckenberg Schule in München, arbeitete am Schauspielhaus Bochum unter der Regie von Claus Peymann und gehörte fünf Jahre zum Ensemble des Deutschen Schauspielhauses Hamburg. Neben weiteren Engagements am Residenztheater in München, dem Maxim Gorki Theater Berlin, dem Schauspielhaus Zürich, dem Volkstheater Wien und anderen spielt sie auch in Kino- und Fernsehfilmen wie "Der Schuss" und "Juls Freundin". Barbara Nüsse lebt in Hamburg.
Meine Meinung:
Das Hörbuch enthält die Novelle Karma aus dem Erzählungsband Beute und besteht wiederum selbst aus mehreren Kurzgeschichten, die stilistisch und inhaltlich unterschiedlich sind, doch thematisch zusammengehalten werden.
Mit ihren Romanen und dem umfangreichen Kurzgeschichtenwerk erweist sich Nadine Gordimer wieder einmal als Chronistin ihres Landes, Südafrika vor und nach der Apartheid, und diesmal insbesondere mit dem Übergang und den damit verbundenen gesellschaftlichen Veränderungen. Es beginnt mit der Geschichte eines Ehepaars: Sie war schon früher politisch aktiv gegen das Apartheidsregime und nach Beendigung der Apartheid in einer politischen Position. Er ist eher zurückhaltend und war stolz auf seine Frau, da sie einen Widerstand wagte, zu dem er sich nicht traute. Doch neue Positionen können auch zu charakterlichen Veränderungen führen, sie gerät in Korruptionsverdacht und für ihn bricht damit eine Welt zusammen.
Die Geschichte ist packend, ohne Dialog erzählt. Nadine Gordimer hat noch Biss und mancher ironische Satz ist enthalten, z.B. Die Rassisten und die Faschisten waren schon immer die besseren Bürokraten.
Die nächste Geschichte ist in einem Monolog eines Kindes gehalten, dass die politischen Umwälzungen miterlebt, in dem es mit den Eltern und Schwestern vom Township in einen vornehmeren Vorort zieht. Sehr anrührend geschrieben!
Dann folgt die Geschichte eines schwarzen Paares, die ein ausgesetztes Baby adoptiert. Dann stellt sich heraus, dass das Kind weiß ist. Und es ist noch die Zeit der Apartheid. Wie das Mädchen aufwächst und erwachsen wird, schildert Gordimer ausführlich. Erstaunlich wie viel sie mit wenig Text abdecken kann, das traf auch schon in den vorherigen Geschichten zu.
Etwas kurios ist der kurze Abschnitt „Ich war stets Teil davon…“, in dem eine Totgeburt erzählt. Der körperlose Zustand hindert nicht daran, sich philosophischen Gedanken hinzugeben.
Es folgt „Es stellt sich heraus …“ um ein lesbisches Paar mit Kinderwunsch. Homosexualität war im Südafrika der Apartheid ein Tabu.
Eine kurze Geschichte vom Krieg und den Deutschen ist „So wie alles …“. Erzählt von einem 14jährigen russischen Jungen, der zusammen mit seinem Vater verhaftet wird. Erschreckend die Gewissheit des Jungen, dass sein Vater hingerichtet worden ist und das ihm dasselbe Schicksal droht.
Der Stößel des Mondes ist der längste Teil von Karma. Es geht um ein russisches Zimmermädchen und ihre Beziehung zu einem italienischen Gast, mit dem sie aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Situation des Landes nach Italien geht, doch dort wird sie nicht glücklich.
Es schließt mit dem essayistischen „Was den künftigen …“
Das Niveau der Kurzgeschichten ist hoch. Es ist fast unmöglich, eine Lieblingsstory auszuwählen, da jede neue wiederum viele Überraschungen enthält.
Barbara Nüsse spricht die Geschichten mit absolut passender Stimme, unaufgeregt, unpathetisch und doch mit spürbarer Anteilnahme trifft sie den Gordimer-Ton.