'Der Name der Rose' - Vierter Tag

Die tiefgreifenden System-Arbeiten sind soweit abgeschlossen. Weitere Arbeiten können - wie bisher - am laufenden System erfolgen und werden bis auf weiteres zu keinen Einschränkungen im Forenbetrieb führen.
  • Zitat

    Original von Demosthenes
    Kann man nicht sagen. Aber immerhin, die Spannung steigt weiterhin.



    ja?
    bekomm ich was nicht mit?


    ich bin froh wenn ich das buch endlich fertig hab.



    obwohl ich heute benahe vergessen hätte auszusteigen.
    aber normal fahr ich eine längere strecke in die arbeit. zur schule ist sie ja nur halb so lang. dann kann das schon mal passiren.
    aber ich hab es noch bemerkt :) .

  • Bisher hat Eco uns einen hübschen Streifzug durch die Kirchengeschichte gezeigt. Außerdem bringt er die politischen Verhältnisse jener Zeit ebenso zur Geltung wie die aus unserer heutigen Sicht oftmals verschrobenen Ansichten. Ich finde das hochinteressant und spannend.

    Demosthenes :write
    Aus dem Klang eines Gefäßes kann man entnehmen, ob es einen Riß hat oder nicht. Genauso erweist sich aus den Reden der Menschen, ob sie weise oder dumm sind.

  • Halihallo


    Ich bin nun auch in den 4.Tag gehüpft. Rückblickend eine schöne Stelle zitiert:


    Zitat

    "Aber sagt mir, wie kommt es, dass Ihr das Rätsel der Bibliothek durch Betrachtung von aussen habt lösen können, während es Euch verschlossen blieb, als Ihr drinnen wart?"
    "Das ist wie mit dem Gesetz der Welt. Gott kennt es, weil er die Welt, bevor er sie schuf, in seinem Geist konzipierte, also gleichsam von aussen ersann. Wir Menschen dagegen erkennen es nicht, weil wir in der Welt leben und sie bereits fertig vorfinden."
    Umberto Eco/Der Name der Rose dtv Seite 291


    Das Labyrinth geht ja bis in alte Mythen zurück (Minotaurus etc) und ist Archetyp der Träume. Schon das Kleinkind spielt Labyrinth, es ist Teil des magischen Denkens (nach dem bekannten Kinderpsychologen Piaget).


    Ich denke dabei unwillkürlich an einige berühmte Labyrinth-Gemälde, wo eine unsichtbare Metaebene aufschimmert. Auch Kafka (Das Schloss, Der Prozess und deren labyrinthischen Gerichtsgebäude) strahlt diese symbolische Meta-Ebene aus. Was dort in die intuitiv erfühlbare existenzielle Meta-Ebene ausgeweitet wird, amplifiziert Eco auf die Fläche.


    Bei Eco wird nichts in der Schwebe gelassen, sondern analytisch fixiert (fast wie in Essay oder Sekundärliteratur). Sogar die Liebesszene wird danach konkretes Gesprächsthema. Die Liebesszenen sind wieder mal auf hohem Niveau abgekupfert aus dem biblischen Hohelied, das in seiner poetischen Schönheit zur grossen (religiösen) Weltliteratur zählt.


    Eco ist ein unterhaltsamer intellektueller Erzähler, sein Wissensrepertoire reichert den zugrundeliegenden Krimi an und hebt diesen eindeutig. Trotzdem fehlt mir das echt Poetische, das nicht zerredet, sondern sich atmosphärisch bildet im intuitiv erfahrbaren Geschehen.


    Eco spricht zwar über Intuition, aber eben nur darüber, es bleibt jedoch alles in der zweidimensionalen Rationalität haften, also eigentlich eher ein essayistischer Roman. Das Labyrinth-Zitat spricht mich sehr an, doch mehr auf erkenntnistheoretischer Ebene. Erst durch meine Assoziationen mit Kafka (Das Schloss, Der Bau, auch ein Labyrinth) oder Kasack (Die Stadt hinter dem Strom, ein Riesenlabyrinth im Untergrund) und meinem Leben entsteht die poetische Meta-Ebene.


    Bye, Ivy

  • Zitat

    Original von Demosthenes
    Bisher hat Eco uns einen hübschen Streifzug durch die Kirchengeschichte gezeigt. Außerdem bringt er die politischen Verhältnisse jener Zeit ebenso zur Geltung wie die aus unserer heutigen Sicht oftmals verschrobenen Ansichten. Ich finde das hochinteressant und spannend.


    Hier kann ich mich nur anschliessen, wieder einmal. Aber ehrlich, ich bin froh, dass ich jetzt lebe und nicht vor bald sechshundert Jahren. Dass man die Menschen nur bei der Stange hält in dem man ihnen Angst macht und mit der Hölle droht, ist überhaupt nicht im Sinne der Bibel.

    Mit lieben Grüssen aus der Schweiz
    Nachteule mit drei Pseudo-Stubentigern namens Müsli, Nero und Sandy


  • Zitat

    Original von Evelyne Marti
    Eco ist ein unterhaltsamer intellektueller Erzähler, sein Wissensrepertoire reichert den zugrundeliegenden Krimi an und hebt diesen eindeutig. Trotzdem fehlt mir das echt Poetische, das nicht zerredet, sondern sich atmosphärisch bildet im intuitiv erfahrbaren Geschehen.


    Und weil ich persönlich sowas für ausgemachten modernen und pseudo-akademischen Quark halte, liebe ich Ecos Erzählweise.


    So gehen halt die Geschmäcker auseinander.

  • Zitat

    Original von Nachteule
    Aber ehrlich, ich bin froh, dass ich jetzt lebe und nicht vor bald sechshundert Jahren. Dass man die Menschen nur bei der Stange hält in dem man ihnen Angst macht und mit der Hölle droht, ist überhaupt nicht im Sinne der Bibel.


    Vielleicht nicht im Sinne der Bibel, aber immer im Sinne des Machterhalts.
    Angst ist das Mittel der Wahl, mit dem vor allem außerparlamentarisch Politik gemacht wird. Sieht man doch gerade wieder am Gebaren des Managements von GM, wenn es um Opel geht.
    Geändert haben sich die Mittel -- die Hand der tatsächlichen Herrscher reicht zumindest in weiten Teilen Eropas nicht mehr bis an die Gurgel der Beherrschten. Aber wie eh und je beherrschen sie die Regierungen, indem sie die Menschen durch Angst beherrschen.

  • Zitat

    Original von Iris


    Und weil ich persönlich sowas für ausgemachten modernen und pseudo-akademischen Quark halte, liebe ich Ecos Erzählweise.


    So gehen halt die Geschmäcker auseinander.


    Na, na, Iris, steck den Finger schön wieder weg! :grin


    99% aller Sekundärliteratur ist Quark. Da darf ich mich wohl ungeschoren dazuplazieren, ohne von Dir das Däumchen gezeigt zu bekommen! :lache


    Geschmackssache JA, Quark NEIN (obwohl Quark gesund sein soll). :-]


    Bye, Ivy

  • Zitat

    Original von Evelyne Marti
    Na, na, Iris, steck den Finger schön wieder weg! :grin


    Von wegen! Das war schließlich kein mahnender Zeigefinder, sondern ein Daumen pro Eco. Also bleibt er:


    Zitat

    Geschmackssache JA, Quark NEIN


    Ich sagte nur, daß ich (also: ich für meinen Teil und subjektiv, nicht als irgendein Sprachrohr einer gedachten Allgemeinheit oder "höheren Wahrheit") diese Theorie für kompletten Quark halte: Erkenntnis wird hier aufgespalten in eine vorrationale "ungeteilte" intuitio cognitiva sensitiva und den danach automatisch tätig werdenden kalt analysierenden Verstand, der eben die Einheit der vorrationalen ganzen und damit vollkommenen Wahrnehmung zerstört; letztendlich stünde also das eigentliche Erkenntnisvermögen zwischen dem Subjekt und der Erkenntnis.


    Ob diese Theorie nun objektiv kompletter Quark ist, sei allerdings dahingestellt.


    Deine Wortwahl, wo immer du sie her hast, stammt nun mal aus Dichtungstheorien wie Fr. Schlegel (in seinen Schriften und Vorlesungen zur griechischen Poesie), Hegel (Vorlesungen zur Ästhetik), Dilthey (Das Erlebnis und die Dichtung), Staiger (Grundbegriffe der Poetik), Kayser (Das sprachliche Kunstwerk), Hamburger (Die Logik der Dichtung) u.v.m. Letztendlich wird hier überall davon ausgegangen, daß das eigentliche "Poetische" etwas Vorrationales (s.o.) bzw. sogar "Irrationales" ist, also etwas "rational nicht Faßbares", das bestenfalls einem (nicht näher bestimmten, vollkommen individuellen) Geschmacksurteil unterliegt.
    Damit wird die "Bewertung" von Dichtung (Prosa oder Lyrik, also fiktionalen literarischen Texten allgemein) völlig dem Leser anheim gegeben und infolgedessen beliebig. Was das Ganze wiederum ad absurdum führt. Denn "worüber man nicht sprechen kann, darüber sollte man schweigen" (sprach 's und verschwand für Jahre in einer österreichischen Dorfschule ).


    Hermeneutik, d.h. die Interpretation von Literatur, war und ist mein Steckenpferd. (Deshalb lösen solche Äußerungen bei mir quasi einen Pawlow'schen Reflex der Lust an der Disputation aus )
    Grundsätzlich bin ich ohnehin der Ansicht, daß eine Interpretation -- auch meine! -- mehr über den Interpreten aussagt als über den Text und so gut wie nichts über den Autor des Textes. Obwohl wir normalerweise davon ausgehen, daß es vollkommen umgekehrt ist.


    Zitat

    (obwohl Quark gesund sein soll). :-]


    Das ist doch immerhin etwas! (s.o.) :wave

  • Hi Iris


    Wenn Du das mit Quark meinst, bin ich liebend gern Quark, am besten mit frischen Erdbeeren! :lache


    Tatsächlich glaube ich, dass wahre Poesie etwas irrational Intuitives hat, der "göttliche Funke", etwas Unerreichbares und Tiefes, wie es z.B. unsere Träume ausdrücken, oder auch die Volkssagen und Volksmärchen, das Symbolische, wo Unbewusstes und Unbekanntes miteingeschlossen sind.


    Je mehr es vom Verstand definiert, beschriftet und schubladisiert wird, desto mehr wird es zur eingefrorenen Allegorie, für mich schon weniger poetisch, wenn das Quark ist, bitte. Ich gehe da mehr mit Goethe und den alten Romantikern.


    Bye, Ivy

  • Die Vorstellung von Hellsichtigkeit als "vorrational" ist systemimmanent. Lehne ich das Grunddogma dieser Erkenntnistheorie ab, fällt auch diese Auffassung und Erklärung von Hellsichtigkeit weg (allerdings ohne die Möglichkeit der Hellsichtigkeit an sich zu leugnen!).
    Im Übrigen halte ich es -- trotz grundsätzlich unterschiedlicher Grundhaltung -- in dieser Frage mit Kant (Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik): Bei der Beschäftigung mit "Übersinnlichem" ist die Vernunft völlig überfordert; es ist daher ratsam, auf das Schattenboxen zu verzichten.


    Das Wittgenstein'sche Gebot gilt nämlich für alles Vor-, Über- und Irrationale, also auch für die Literatur! :wow


    Aber wie gesagt, für mich als Peripatetikerin stellt sich dieser Widerspruch erst gar nicht und damit brauche ich auch nicht die Flucht ins "Geschmacksurteil".

  • Halihallo


    Iris, ich habe schon klare poetologische Vorstellungen und finde ebenfalls, dass der Geschmack kein Kriterium sein kann.


    Vielleicht sollte ich es anders formulieren. Wie wäre es mit: Ich weiss, dass ich nichts weiss, deshalb erwarte ich diese realistische Selbsteinschätzung auch von Eco.


    Ich misstraue jedem allzu schlüssig durchdachten System, auch wenn es köstlich präsentiert wird wie bei Eco, dem ich übrigens ansonsten viel abgewinnen kann, nur nicht das Poetische.


    William gesteht zwar seine Unwissenheit und Tendenz zur Intuition, nicht jedoch Eco in seinem Schreibstil, wo nun rein gar nichts offen gelassen wird. Dem Leser bzw. mir wird kaum Raum gewährt für eigene Gedanken. Wenn das Buch geschlossen ist, wird mich nichts mehr weiterbeschäftigen, alles ist gelöst.


    Nicht einmal die Bibliothek wird ein Rätsel bleiben, kein Schatten, alles erhellt und geklärt. Das ist nicht realistisch. Da kommt das Schattenboxen der Realität viel näher.


    Bye, Ivy

  • Zitat

    Original von Evelyne Marti
    William gesteht zwar seine Unwissenheit und Tendenz zur Intuition, nicht jedoch Eco in seinem Schreibstil, wo nun rein gar nichts offen gelassen wird. Dem Leser bzw. mir wird kaum Raum gewährt für eigene Gedanken. Wenn das Buch geschlossen ist, wird mich nichts mehr weiterbeschäftigen, alles ist gelöst.


    Nicht einmal die Bibliothek wird ein Rätsel bleiben, kein Schatten, alles erhellt und geklärt. Das ist nicht realistisch. Da kommt das Schattenboxen der Realität viel näher.


    Da bist du ihm aber gründlich auf den Leim gegangen ...


    Und was die Lücken angeht, sage ich nur: Wolfgang Iser, Immanente Ästhetik -- Ästhetische Reflexion -- aber letztendlich ist er auch nix anderes als ein modernisierter Emil Staiger ...


    Verwechsle viele Worte und dezidierte Schilderungen nicht mit einem geschlossenen System -- am Ende ist der Fall an der Oberfläche gelöst, aber die wirklichen Rätsel liegen doch woanders!


    Gerade du müßtest doch mit Metaebenen vertraut sein. Wenn du also die Rätsel der Metaebenen gelöst hast, dann tu mir die Liebe und nenne mir die Lösungen. :anbet

  • Halli Hallo


    Iris, wenn Du historisch mehr Bewanderte die von mir nicht gross erkannte Metaebene auch nicht siehst, kann sie schlichtweg nicht vorhanden sein! :lache


    Natürlich liefert Eco nicht wirklich ein geschlossenes System, aber er bemüht sich (krampfhaft minituös) darum, d. h. er füllt alle erkennbaren Lücken. Falls es wirklich eine Metaebene geben sollte, ist es höchstens das, was in alles hineingelegt werden kann. Doch eine direkte Intension dazu kann ich nicht eruieren oder dann wird sie zuwenig angedeutet.


    Die Handlungslinien finde ich ja ganz interessant, gute Idee, durch das Treffen von Papst- und Kaiser-Gesandten das Kloster zu einer internationalen Bühne auszuweiten. Doch diese lokal-internationale Verknüpfung findet sich auch in jedem Hollywoodstreifen, hält stofflich mehr her.


    Auch die Krimihandlung ist nicht speziell intuitiv vertieft. Ich hatte bei keiner Leiche das Gefühl, auf eine symbolhaft-unbewusste Bedeutungsschwere zu stossen. Sherlock-Holmes-mässig gut durchdacht, aber sicherlich nicht in einem spürbaren Symbolzusammenhang, wie es z.B. in Kafkas Schloss deutlich fühlbar wird.


    Obwohl an dem Ort mehr Leute sterben als etwa in Thomas Manns Tod in Venedig, empfinde ich nichts Todhaftes an dem Kloster, alles bleibt im analytischen Rahmen eines guten Krimis (wie etwa bei Agatha Christie), mehr jedoch nicht.


    Eco hat den Krimi durch das historische Material gehoben, aber nicht poetisiert, denn Poetisierung geschieht nicht mittels Stoffanreicherung, sondern durch intuitive Stoffvertiefung.


    Die Bibliothek ist das Kernstück der Handlung. Die Idee, das Innere der Bibliothek durch Betrachten von aussen zu erschliessen, gefällt mir sehr. Schon dafür hat sich das Lesen gelohnt. Gottes Blick auf uns und unser Universum, assoziiert Eco bzw. William, wäre tatsächlich schön, wenn wir die Welt samt Universum von aussen sehen könnten.


    Doch diese auktoriale strukturalistische Wahrnehmung geht von einer analytisch erfassbaren Wahrnehmung aus. Was wäre gewesen, wenn es keinen Innenhof und keine Fenster gehabt hätte, oder wenn das Labyrinth unendlich wäre wie der Weltraum, mit dem es verglichen wurde? Auch hier tendiert Eco zu einer erfassbaren Legowelt, einer schönen, wie bei Harry Potter, den ich ebenso mag. Als poetisches Gegenstück die Beamtenräume in Kafkas Prozess. Oder die vielen Volksmärchen um verbotene Räume und Türen, in der Kunst des Weglassens liegt die Poesie!


    Was auch immer in der Bibliothek noch unerwähnt sein mag, Eco hat alles schön eingeteilt, der Weltkarte zugeordnet und im Wesentlichen benannt. Sogar das Wispern der Pergamentrollen kann ich hören, ein lustiges Bild, würde gut zu Harry Potters lebendige Karten passen, welche ich so faszinierend finde.


    Man kann es drehen und wenden, wie man will: Umberto Eco ist belesen, intellektuell, witzig, köstlich, unterhaltsam, lesenswert, aber m.M.n. nicht nennenswert poetisch, zumindest nicht nach meiner Poetik-Definition. Im hermeneutisch-didaktischen Sinne vielleicht schon, aber ich gehe eben mehr von der mehrdimensional-intuitiven Poetik-Definition aus.


    Bye, Ivy

  • Zitat

    Original von Evelyne Marti
    Iris, wenn Du historisch mehr Bewanderte die von mir nicht gross erkannte Metaebene auch nicht siehst, kann sie schlichtweg nicht vorhanden sein!


    Wie gesagt: Verdreh nicht, was ich schreibe. Ich kenne die Metaebenen -- zumindest einige davon, sehr genau. Mir sind auch ihre "offenen Stellen" sehr bewußt. Ich sehe hier allerdings -- wie auch in der eigentlichen Handlungsebene -- keine "krampfhaft minutiös[en]" Bemühungen, ein geschlossenes System zu schaffen.
    Aber sicherlich nur weil ich zu dumm dafür bin oder eben nur historisch bewandert, das möchte ich nicht ausschließen. Möge dieser Punkt also an dich gehen.


    Zitat

    Natürlich liefert Eco nicht wirklich ein geschlossenes System, aber er bemüht sich (krampfhaft minituös) darum, d. h. er füllt alle erkennbaren Lücken.


    Ach so, du meinst, daß er bewußt von vornherein bemüht gewesen sei, ein geschlossenes System zu schaffen, was sowieso literarisch-poetisch falsch sei, gingen die verbliebenen Lücken auf sein Unvermögen zurück. Interessante Schlußfolgerung.
    Woher hast du die zweite Prämisse? D.h. woher kennst du Ecos Erzählintention so genau?


    Zitat

    Falls es wirklich eine Metaebene geben sollte, ist es höchstens das, was in alles hineingelegt werden kann. Doch eine direkte Intension dazu kann ich nicht eruieren oder dann wird sie zuwenig angedeutet.


    Ach so, daraus, daß du keine Intention (Intension ist was Physikalisches, obwohl man nach Neuer RS natürlich nie wissen kann ...) für eine Metaebene erkennen kannst (einen Mangel an Andeutungen), schließt du darauf, daß es keine gibt. Wieder ist dein Erkenntnisvermögen alleiniger Maßstab für Qualität und Intention des Autors und seines Textes. Rein rezeptionstheoretisch betrachtet natürlich unüberlegbar: Mißverständnisse liegen immer am Sender, nie am Empfänger. Allerdings ein Standpunkt der allein empirisch Unfug ist, und ethisch gesehen nachgeradezu solipsisitische Züge trägt.


    Zitat

    Auch die Krimihandlung ist nicht speziell intuitiv vertieft. Ich hatte bei keiner Leiche das Gefühl, auf eine symbolhaft-unbewusste Bedeutungsschwere zu stossen. Sherlock-Holmes-mässig gut durchdacht, aber sicherlich nicht in einem spürbaren Symbolzusammenhang, wie es z.B. in Kafkas Schloss deutlich fühlbar wird.


    Kafkas Schloß ist kein Krimi, sondern ein beeindruckendes Romanfragment, das sich aus rezeptionsästhetischen und anderen stark psychologisierenden Deutungstraditionen eher interpretieren läßt als Ecos Romane -- denn auch Interpretamente sind zeitbedingte Phänomene.
    Besteht nicht zumindest die rudimentäre Möglichkeit, daß deine Deutungsinstrumente und -methoden für diesen Text ungeeignet sind?


    Zitat

    Eco hat den Krimi durch das historische Material gehoben, aber nicht poetisiert, denn Poetisierung geschieht nicht mittels Stoffanreicherung, sondern durch intuitive Stoffvertiefung.


    Was wäre denn für dich das "Todhafte" gewesen? Umherfliegende Krähen, Nebel und Halbdunkel, oder eine groteske Darstellung der Figuren wie in der Verfilmung?


    Zitat

    Die Bibliothek ist das Kernstück der Handlung. Die Idee, das Innere der Bibliothek durch Betrachten von aussen zu erschliessen, gefällt mir sehr. Schon dafür hat sich das Lesen gelohnt.


    Na wenigstens etwas.


    Zitat

    Gottes Blick auf uns und unser Universum, assoziiert Eco bzw. William, wäre tatsächlich schön, wenn wir die Welt samt Universum von aussen sehen könnten.


    Ja, die wunderbare Sicherheit des modernen Menschen -- insbesondere des Naturwissenschaftlers oder gar Ermittlers --, der das unentwegt zu können glaubt.


    Zitat

    Doch diese auktoriale strukturalistische Wahrnehmung geht von einer analytisch erfassbaren Wahrnehmung aus.


    Ivy, du pfropfst dem Text und seinem Inhalt permanent deine Vorstellungen auf. Das ist zwar eine verbreitete germanistische Tradition (selbst wenn du keine Germanistin bist, hast du Instrumentatrium und Methodik der Rezeptionsästhetik hervorragend internalisiert), aber es wird der Sache nicht gerecht.
    Wie kann Eco für William -- ein Mann des 14.Jhs.! -- eine "strukturalistische Wahrnehmung" ansetzen. :wow Hast du mal einen Blick in Aristoteles de anima geworfen? Oder in den Kommentar des Thomas von Aquin? Oder in Texte von William von Ockham? Duns Scotus? Francis Bacon? -- Also Texte derjenigen Autoren, die im Text untentwegt zitiert und diskutiert werden?
    (Zum Glück muß man das als Normalleser vorher nicht groß studieren, denn Eco behandelt sie dezidiert)
    Du hast die falsche Brille aufgesetzt: Die Strukturalisten und andere Theoretiker des 19. und 20. Jhs. gehören wirklich nicht hierher.


    Zitat

    in der Kunst des Weglassens liegt die Poesie!


    Jaja, ich weiß, Wolfgang Iser und die von ihm ausgehende Deutungstradition. Doch auch diese Schüssel hat einen gewaltigen Sprung: Woher wißt ihr klugen Menschen, die ihr euch an den Lücken delektiert, die ihr mit eurer Phantasie füllt, ob die Lücke im Text tatsächlich im Text (oder gar vom Autor gewollt oder von poetischer Kraft unbewußt geschaffen - und schon ist Gott wieder mit im Spiel! :grin) -- oder ob es einfach eine Lücke in euren Kenntnissen ist.
    Mir kommt diese Theorie eigentlich immer wie eine eloquente Verherrlichung eigener Bildungslücken vor.


    Zitat

    Im hermeneutisch-didaktischen Sinne vielleicht schon, aber ich gehe eben mehr von der mehrdimensional-intuitiven Poetik-Definition aus.


    Vielleicht bin ich als Hermeneutikerin einfach nur zu dumm für diese großartige Befreiung der Phantasie aus den Ketten der Vernunft -- jedenfalls halte ich "Lücken" nicht für etwas poetologisch Wertvolles, weil ich "offene Stellen" nicht unbedingt auf die Erzählintenstion des Autors zurückführe, sondern auf meine begrenzten, stets verbesserungswürdigen Kenntnisse. Ich definiere Rätsel (um auf Kafka zu sprechen zu kommen) auch nicht als "Lücken", sondern lasse sie Rätsel sein. Ein Autor hat das Recht, nicht alles bis ins letzte zu erklären -- und manch ein Leser, der glaubt, ein Text habe sich ihm bis ins letzte erschlossen und sei deshalb unpoetisch (iow: langweilig), hat eigentlich nur gerade mal das rezipiert, was in seine poetologische Schematik paßt.


    Dein Vergleich zwischen Eco und Rowling bringt mich allerdings auf ganz was anderes: Die Schilderungen von Hogwarts sind gespickt mit Andeutungen an Der Name der Rose; das geht soweit, daß sogar die HP-Verfilmungen im Labyrinth der (in Hogwarts beweglichen) Treppen ikonographisch die Verfilmung von Der Name der Rose zitiert!


    Ach ja, noch was: Wenn du schon intellektuell argumentierst, dann drehe deinen Gesprächspartnern nicht die Worte im Mund herum, anstelle eigene Argumente vorzubringen. So was kann nämlich nur 3 Gründe haben: Entweder man weiß oder versteht nicht, wovon der andere redet, oder man es interessiert einen nicht, oder man weiß keine Antwort auf die Fragen des Gegenübers ...