Birgit Erwin - Lichtscheu

  • Klappentext:
    Ein geheimer Auftrag der Kurie führt den jungen Priester Matteo in das winterliche London. Es scheint ein einfacher Auftrag zu sein: "Taufe den Wissenschaftler Victor Westcamp", hatte man ihm gesagt. Doch spätestens als das geweihte Wasser Victors bleiche Haut verbrennt, begreift er, dass die Kirchenfürsten im Vatikan ihm wichtige Fakten verschwiegen haben. In den Kellergewölben des Towers verspricht Matteo dem Sterbenden, der fest daran glaubt, ein Vampir zu sein, seinen letzten Wunsch zu erfüllen. Er macht sich auf die Suche nach Victors Tochter und gerät in einen Strudel aus Intrigen, Verrat und Leidenschaft ...


    Meine Meinung:
    Obwohl Vergleiche mit anderen Werken immer hinken, denke ich, die grobe Einordnung kann man am besten treffen, wenn man in Richtung "Der Historiker" von Elizabeth Kostova denkt. "Lichtscheu" handelt von der Suche eines Priesters nach der Wahrheit und auch nach dem Guten in sich selbst, jenseits von festen Regeln, die nicht gemacht wurden für die neue, geheimnisvolle Welt, in die er sich immer weiter begibt. Die merkwürdige Clique, bei der es sich vielleicht, vielleicht auch nicht um Vampire handelt, wird dabei ebenso dicht geschildert wie die klerikale Gesellschaft an der Spitze der römisch-katholischen Kirche, wobei die Balance zwischen der Verwendung von Klischees und ihrer krampfhaften Vermeidung ebenso gehalten wird wie die Spannung, die Ungewissheit darüber, worum es sich denn jetzt bei Victor, Silver und ihrer "Gang" handelt.
    Schauplätze sind London und der Vatikan. Ich weiß nicht, ob die konkreten Locations wirklich existieren, aber das ist mir eigentlich auch egal: Die Schilderungen fühlen sich an wie London und der Vatikan, ich kann die Grenze zwischen Fiktion und realistätsgetreuer Wiedergabe nicht ausmachen. Einen Club wie das "CrissCross" würde ich der englischen Metropole ebenso zutrauen wie das Café im Vatikan wirklich existieren könnte, in dem Matteo seine Stärkung zu sich nimmt. Ich habe mich wirklich hineinversetzt gefühlt in diese Schauplätze, habe das Londoner Schmuddelwetter ebenso gefühlt wie die Sonne auf dem Petersplatz.
    Die Geschichte wird vollständig aus der Sicht von Pater Matteo geschildert, der in ihrem Verlauf sowohl körperlich als auch intellektuell und emotional an seine Grenzen kommt, sie auch überschreitet und dabei dennoch als Figur glaubwürdig bleibt. An keiner Stelle habe ich mich gefragt: "Würde er das wirklich tun?" Nein, hier haben wir einen Akteur, der so plastisch ist, dass man sich nicht wundern würde, wenn man ihm in der U-Bahn begegnete. Als einzigen, kleinen Makel möchte ich anbringen, dass man aus dem Spannungsfeld Zölibat/ (vampirische?) Verführungskünste mehr hätte herausholen können.
    Die Autorin arbeitet meisterhaft mit der deutschen Sprache. Ihre Schreibe ist klar verständlich und doch ist ihr Niveau weit über dem, was man ansonsten geboten bekommt (und dabei schließe ich den gesamten deutschen Buchmarkt ein), gleiches gilt für die Leistung von Lektorat und Korrektorat. Die handwerkliche Gestaltung - Umschlag, Bindung, Satz, Titelbild - halte ich ebenfalls für überdurchschnittlich - auch in dieser Hinsicht ein schönes Buch. Von der geringen Seitenzahl (184) sollte man sich nicht täuschen lassen, das Buch erscheint im DIN-A5-Format, dementsprechend fasst eine Seite mehr Text als bei einem gewöhnlichen Taschenbuch.
    "Lichtscheu" ist als erster Band einer Trilogie angekündigt, aber das merkt man dem Ende nicht an. Die Geschichte scheint mir in sich gut abgeschlossen, alle Fragen werden zufriedenstellend geklärt. Was für mich noch wichtiger ist: Das Ende ist nicht vorhersehbar, und da bin ich der Autorin auf den Leim gegangen, denn sie hat mich noch fünf Seiten vor Schluss auf der falschen Fährte gehalten.


    Fazit:
    Ich verneige mich vor Autorin und Verlag - dieses Buch ist eine Großtat. Obwohl ich es ehrlich erworben (also bezahlt) habe, fühle ich mich beschenkt, weil ich es lesen durfte.

  • Ich bedanke mich für diese tolle Rezensin.
    Gerade der Vergleich mit Kostovas Historiker haben das Buch ganz flux an die Spitze meiner Wunschliste befördert, obowhl es ja leider nur sehr dünn ist ;-)

    "Show me a girl with her feet planted firmly on the ground and I'll show you a girl who can't put her pants on." (Annik Marchand)

  • Das ist ja mal eine tolle Rezi. Vielen Dank dafür.
    Habe gleich mal die Leseprobe gelesen und die hat mir auch gut gefallen. Dann ab auf meine Wunschliste.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Heumahd - Susanne Betz


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Auch ich bedanke mich für die interessante Rezi. Ich denke, dass es eher etwas für mich, nachdem mir der Historiker sehr gut gefallen und ich von Die Kinder des Judas leider von Marcus Heitz leider enttäuscht war.

    Wenn du ein Gärtchen hast und eine Bibliothek, so wird dir nichts fehlen. "
    Marcus Tullius Cicero

  • Ich habe mittlerweile auch mit dem Buch begonnen und muss sagen: Zu Beginn war ich begeistert, mittlerweile bin ich zwiegespalten.


    Ich mochte den Beginn sehr. Birgit Erwin schreibt angenehm und versucht wenig gebrauchte deutsche Wörter und Fremdwörter einzubringen, um das Niveau der Sprache zu heben. Daneben bringen mich geistreiche Stellen wie ... Gehen Sie jetzt, meine Zeit läuft ab. Ich höre die Lerche." Matteo antwortete, ohne nachzudenken: "Es war die Nachtigall und nicht die Lerche." Victor schenkte ihm ein überraschtes Lächeln. Dann schloss er die Augen. "Das, mein Freund, ist wahre Unsterblichkeit", flüsterte er. "Ich war einfach nur langlebig. ...." wirklich zum Lachen, aber mit dem Fortschreiten der Geschichte haben mich ihre blumige Sprache, die mit sehr vielen Füllwörtern und Füllsätzen gespickt ist, nur um besonders schöne Wörter einbauen zu können, doch fast dazu gebracht, Sätze zu überspringen, um mich nicht zu langweilen. Damit kann ich aber leben, da die Sprache an sich wirklich schön ist und kein niedriges Niveau hat; is ist halt sehr blumig.


    Momentan (ich befinde mich auf Seite 56) nervt mich jedoch, dass mittlerweile auch Matteo, die Figur, an der die Geschichte aufgerollt wird, zumindest schemenhaft weiß, was vor sich geht, da er einen Bericht über Victor, seine "Tochter" (oder auch nicht?) und die Forschung gelesen hat, dem/der LeserIn aber nichts mitgeteilt wird. Für mich erhöht das nicht die Spannung, sondern bringt mich mittlerweile neben der blumigen Sprache und sehr genauen Ortsbeschreibungen an meine Frustrationsgrenze bezüglich meiner Unwissenheit gegenüber des Plots.


    Lektorat und Korrektorat kann ich auch nicht loben, da ich mich Zeitenfehler, fehlende Buchstaben in Worten, fehlende Worte in Sätzen, falsche Satzstellung und zusätzliche Silben in Worten ("Sie ja sind ein heller Bursche." "Wissenschaftlicher", "unorhergesehen" etc.) ständig aus dem Lesefluss bringen.


    Ich hoffe noch auf eine Besserung, momentan weiß ich nicht, ob ich weiterlesen soll, doch ich möchte endlich zumindest auf Matteos Wissensstand gehoben werden ;)