Dunkelkammergeschichten.
Steidl Verlag, 2008, 216 Seiten
Kurzbeschreibung:
Knips mal Mariechen" ruft der Schriftsteller, wann immer seine treue Freundin ein Foto für ihn machen soll. Maries Schnappschüsse haben es in sich, denn ihre alte Agfa-Box ist anders als andere Kameras: Seit sie den Krieg überstanden hat, zeigt sie mehr als die Wirklichkeit - sie kann in die Vergangenheit und die Zukunft schauen, Wünsche und Ängste in Szene setzen.
Viel später sitzen die acht Kinder des berühmten Schriftstellers beisammen, längst erwachsen geworden. Im lebhaften Dialog lassen sie das Leben ihrer komplizierten Familie Revue passieren, und jeder erinnert sich auf seine Weise an den Vater, die Kindheit, an Maries Wunder-Box und ihre verblüffenden Bilder.
Günter Grass schreibt in diesem Buch seine Autobiographie fort. Zugleich hat er mit der "Box" der Fotografin und Freundin Maria Rama, die ihn und seine Familie ab Mitte der fünfziger Jahre bis zu ihrem Tod 1997 begleitete, ein heiteres Denkmal gesetzt.
Zum Autor:
Günter Grass wurde am 16. Oktober 1927 in Danzig geboren, absolvierte nach der Entlassung aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft eine Steinmetzlehre, studierte dann Grafik und Bildhauerei in Düsseldorf und Berlin. 1956 erschien der erste Gedichtband mit Zeichnungen, 1959 der erste Roman "Die Blechtrommel". 1965 erhielt der Autor den Georg-Büchner-Preis. 1994 erhält er den Karel-Capek-Preis. 1999 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen. Grass lebt in der Nähe von Lübeck.
Meine Meinung:
Günter Grass hat für den zweiten Teil seiner Autobiographie nach „Beim Häuten der Zwiebel“ eine neue Form gefunden, indem er seine vielen Kinder erzählen lässt. Diese Gespräche sind aber imaginär. Eigene Stimmen und Identitäten erhalten seine Erzähler nicht, alle haben sie die Ausdrucksform von Günter Grass. Der Vater führt hier Regie, wie er schon im zweiten Kapitel klarstellt, obwohl er eigentlich anfangs den Kindern das Wort geben wollte. Mal lässt er auch nur die vier Ältesten erzählen, um Ordnung in die Vielstimmigkeit zu bekommen.
Ausgangspunkte der Erinnerungen, über die gesprochen wird, sind die Fotos, die Mariechen geschossen hat. Sie ist lange mit Grass befreundet und hat so nahezu lebenslang Grass Leben, seine Umgebung, seine Frauen und Kinder geknipst. Viele Fotos sind auch verloren gegangen, dann entstehen Erinnerungen wie Vermutungen. Die Erinnerungen wirken wie eine Zeitreise!
Von Marie und ihrer Box hat Grass einige schwarzweiß-Illustrationen in Varianten zwischen die Kapitel eingefügt. Hier wäre ein wenig Abwechslung des Motivs wünschenswert gewesen.
Die gängige Rezeption des Romans wirft Grass vor, das in der Box viel geredet, aber wenig erzählt wird. Dem kann ich nur eingeschränkt zustimmen. Es wird schon viel Interessantes aus Grass´ Leben berichtet, ab und zu wird auch sein Werk gestreift, aber viel Privates hält Grass außen vor, hält sich selbst und den Leser auf Distanz. Trotzdem enthält die Box Passagen, die eine Biographie aus fremder Feder nicht leisten könnte.
Stil und Erzählform erinnern an Ein weites Feld. Wenn man diesen Ton mag und sich auf die Box einlässt, kann man das Buch genießen. Ein Meisterwerk darf man nicht erwarten, nicht einmal ein wichtiges Buch, aber angenehm zu lesen ist es schon.
Fazit: Die Schwäche des Buches ist, dass der Autor zu viel, eigentlich alles unter Kontrolle halten will.
Die Stärke der Box liegt in dem Wieder begegnen des typischen Grass-Ton in seiner Sprache. Ein Ton, den man entweder mag oder nicht!