'Rot ist mein Name' - Kapitel 13 - 26

  • Zitat

    Original von SteffiB
    Die Maler bei Pamuk bezeichnen sich selbst als Illustratoren, niemals als Künstler – allerdings scheint diese Selbstverständlichkeit durch den Einfluss der Venezianer ins Wanken gekommen zu sein. Haben sie bisher all ihren Stolz daraus gezogen, eine perfekte Ergänzung zu den bereits bestehenden Geschichten (nach einem schon bestehenden formalen Kanon!) zu schaffen, also im Grunde die perfekten Replikatoren zu sein, so ist nun Unruhe in die ohnehin intrigenverseuchten Malerwerkstätten gekommen. Und sie sind eitel genug, das Potenzial zu sehen: Ihre Signatur unter einem neuen, von ihnen geschaffenem Werk, das ohne flankierende Geschichte auskäme, würde ihnen die Unsterblichkeit bringen. Eine unerhörte Vorstellung zu jener Zeit in jenem Land.


    Danke für deine Anmerkungen Steffi, jetzt ist es mir zumindest ein wenig klarer. Nur eines nicht: Gab es denn derzeit sowieso nur Illustratoren und gar keine Maler im Sinne wie ich sie verstehe? Also sind die Maler als kreative Künstler erst durch diesen Bilderstreit und diese Entwicklung "entstanden"?


    Zitat

    Original von SteffiB
    Muss doch wissen, ob Seküre ihren Kara mit dem Riesending doch noch erhört ;-)


    :lache :lache :lache

  • Liebe Milla,
    ich muss gestehen, dass ich das im Detail auch nicht weiß. Ich habe vieles in meinem Posting aus dem Buch direkt hergeleitet und kann es nicht mit Jahreszahlen untermauern – tatsächlich habe ich wesentlich mehr Wissen über die westliche Kunstgeschichte parat als über die östliche. Im Westen gab es die individuellen Künstler auf jeden Fall in der griechischen und römischen Antike – hier sind Namen bekannt. Später veränderte sich dies. Über lange Zeit war Kunst hauptsächlich sakral, sie konzentrierte sich auf die Ausschmückung von Kirchen (Wandmalereien, um die biblischen Geschichten zu illustrieren – die Menschen konnten sonst ja nichts verstehen, weder konnten sie Latein noch lesen, wunderbar geschnitztes Chorgestühl und Altäre etc.). Wir alle kennen die Vor-Renaissance-Darstellungen, die ohne Perspektive auskamen, in denen die Größe der Personen sich rein nach der Wichtigkeit richtete. Bei vielen dieser Fresken ist nicht bekannt, wer sie geschaffen hat. Vom Stil her waren sie sich recht ähnlich. Ich persönlich tendiere dazu, diese Bilder mehr als Illustrationen der bestehenden Geschichten zu begreifen.
    Auch später, in der Renaissance, hatten die Bilder meistens biblische Themen, aber es entwickelte sich schon die Portraitmalerei, dann kamen antike Themen hinzu. Individuen traten auf den Plan, Maler mit einer eigenen Handschrift, die gerade in technisch-handwerklicher Hinsicht Bahnbrechendes ausprobierten (und dafür nicht selten angefeindet wurden, nicht zuletzt von der Kirche), sei es Perspektive, Schattenwurf etc. Richtig revolutionär waren noch später die Darstellungen alltäglicher Szenen.


    Im Orient (und hier meine ich hauptsächlich die islamische Welt) hat sich meines Wissens nach der Künstler als Individuum mit individuellem Stil nie so richtig durchsetzen können (heutzutage gibt es natürlich viele, aber wir sprechen im Moment ja nicht über die Neuzeit). Die Kultur ist eine andere, und das Bildnisverbot des Islam hatte den Künstlern noch viel höhere Hürden in den Weg gestellt, als jene, mit denen die westlichen Künstler zu kämpfen hatten. So gilt auch heute noch die Kalligraphie als hohe Kunst – und wenn man sich die wundervollen Kalligraphien der islamischen Künstler ansieht, kann man tatsächlich nur eine tiefe Verbeugung vor ihrer Kunstfertigkeit machen. Ich habe gerade im Schnelldurchlauf den Band meiner Propyläen Kunstgeschichte durchgeblättert, der sich mit der Kunst des Islam verfasst. Hier finde ich tatsächlich fast ausschließlich Abbildungen von architektonischen Meisterwerken, von aufs Reichste verzierte architektonische Details, Wände, Bücher und Alltagsgegenstände wie Karaffen etc. Die legendäre Pracht des vorderen Orients, über die im mittelalterlichen Europa geflüstert wurde, manifestierte sich in Kunstwerken von außerordentlicher Schönheit – aber nicht in eigenständigen Bildern, die nach unserem heutigen Verständnis Kunst sind.
    (Und noch mehr geblättert: Ich habe gerade einen Teller aus dem Iran des 16. Jahrhunderts entdeckt – mit einem waschechten chinesischen Drachen im Zentrum! Eine Seite weiter Darstellungen von Dienerinnen – mit chinesischen Augen, und noch ein paar Seiten weiter das Einzelblatt eines sitzenden Jünglings von 1590, eine meisterliche Tuschezeichnung mit chinesischen Kräuselwolken. Ich glaube, ich werde mich mal etwas stärker in dieses Buch vertiefen müssen!)
    Übrigens gilt auch in Fernost die Kalligraphie nach wie vor mindestens genauso viel wie die Malerei und Zeichnung. Moderne Malerei nach unserem westliche Verständnis ist auch hier erst eine Entwicklung der Neuzeit. Viele Maler und Zeichner in China beschäftigen sich nach wie vor damit, den Schwung der Tuschezwichnungen der alten Meister nachzuahmen, und auch die Motive haben sich nicht sonderlich verändert: Pferde, Kiefernwälder, der Weise auf dem Weg zu einem heiligen Berg, Chrysanthemen etc.


    Ganz liebe Grüße von
    SteffiB, die, wenn die Zeit es erlaubt, nochmal genauer in Ihrem Kunstgeschichtsschinken nachlesen wird ...)

  • Zitat

    Original von milla
    Hmmm. Ich kann diese ganze Debatte nicht so recht nachvollziehen, denn ist nicht jedes Bild die Darstellung einer Geschichte? Also bei Illustrationen in Büchern ist es eindeutig, klar. Aber auch bei einzelnen Bildern - sind sie nicht die Darstellung einer Geschichte, die der Maler im Kopf hat? Selbst bei Bildern von Personen, erzählt nicht ihre Darstellung, ihre Mimik, Gestik, vielleicht auch nur ihr Blick oder ihre Falten eine Geschichte? Kein Mensch ist ein unbeschriebenes Blatt und handelt und wirkt und kreiert doch aus seiner persönlichen Erfahrung heraus. Und wenn z.B. ein Maler ganz einfach eine Frau malen soll, dann wird er doch mit dem Bild dieser Frau etwas bestimmtes ausdrücken wollen, ihr im echten wie im übertragenen Sinn ein Gesicht geben und sich automatisch vorstellen, wen (mit welcher Geschichte) er malt. Es muss keine historische Persönlichkeit oder eine Märchen- oder Sagengestalt sein, sondern auch eine fiktive Person, deren Vorstellung in seinem Kopf beim Malen entsteht.


    Wisst ihr, was ich meine?


    Eigentlich schon. Erinnert mich an die Frage, was zuerst da war - das Huhn oder das Ei.


    In der Islamischen Welt ist offenbar die Geschichte zuerst da und wird dann mit Bildern ausgeschmückt. Es muss also zuerst eine Geschichte geben, dann werden nach dieser Geschichte die Bilder gemalt.


    In der Westlichen Welt der damaligen Zeit gibt es hingegen erst oder nur das Bild, mit dem der Maler vielleicht eine Szene darstellt, die er im Kopf hat. Ohne dazu gehörige schon vorhandene Geschichte.


    Ich muss gestehen, dass mich im Moment eher die Geschichte zwischen Seküre und Kara bei der Stange hält. Die Feinheiten oder Besonderheiten und der Widerstreit zwischen Tradtion und Veränderung würden sich mir ohne Steffis Beiträge in dem Fred hier nicht erschlossen haben.

  • Nichts zu danken – im Gegenteil. Deine Fragen und Anmerkungen haben mich regelrecht beflügelt, mich mit der Sache auch schriftlich auseinanderzusetzen. Wer weiß, ob ich nicht sonst auch dazu geneigt hätte, die Passagen zu überlesen. Andererseits muss ich gestehen, dass ich tatsächlich eher von den Buchmalern als vonSeküre und Kara bei der Stange gehalten werde :grin


    Ich hatte übrigens von vornherein vermutet, dass Pamuk hier mehr will, als nur eine Geschichte erzählen (ich kannte sein Werk "Schnee"), und bin schon mit ausgefahrenen Antennen eingestiegen.

  • Zitat

    Original von SteffiB
    Ich hatte übrigens von vornherein vermutet, dass Pamuk hier mehr will, als nur eine Geschichte erzählen ....


    Ja das glaube ich auch, aber ohne diese Geschichte hätte er sicherlich weniger Leser erreicht. Und für mich als Laie auf dem Gebiet Malerei, Kunstgeschichte,... war das MEHR einfach zu ausführlich, aber schön, dass dich eher die Buchmaler bei der Stange halten können. :wave

  • Wenn ich in dem Tempo weiterlese, bin ich Weihnachten noch nicht fertig :rolleyes.


    Der zweite Abschnitt fiel mir recht schwer, zumal ich immer lange Pausen zwischendrin mache, irgendwie habe ich Probleme, den roten Faden immer wieder aufzunehmen.
    Seküre und Kara haben mich zum Schluss doch etwas erstaunt, da ging ja fast was.

  • Zitat

    Original von Akascha
    Wenn ich in dem Tempo weiterlese, bin ich Weihnachten noch nicht fertig :rolleyes.


    :knuddel1


    Auch wenn ich schon fertig bin, lese ich trotzdem alle Bemerkungen zu dem Buch, und ich glaube, dass das andere auch so machen, also du bist nicht allein :grin