'Rot ist mein Name' - Kapitel 36 - 47

  • Bemerkenswert ist das Kapitel 37, in dem der tote Oheim von seiner Reise in eine andere Welt berichtet. Dass der Oheim immer wieder betont, dass es tatsächlich so ist, wie in den Büchern steht, drängt mich zu der Frage, ob Pamuk diese Szene aus dramaturgischen oder politisch-religiösen Gründen so beschreibt. :gruebel


    In diesem Teil nimmt die Krimihandlung eindeutig an Fahrt auf, was mir sehr gut gefallen hat, insbesondere die Idee der verräterischen Pferdenüstern geben der Geschichte kriminalistischen Schwung. Das Ultimatum des Padischahs an Osman und Kara, innerhalb von drei Tagen anhand der eingesammelten Buchseiten den Mörder des Oheims zu bestimmen, erhöht die Spannung, auch wenn sie von den Figuren selbst irgendwie nicht so intensiv ausgedrückt wird.


    Wie Osman die drei Buchmaler charakterisiert, fand ich dagegen höchst interessant und aufschlussreich - wenn auch nicht im Sinne des Mörders, so doch im Sinne ihrer Persönlichkeiten, ihrer Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie ihrer Beziehung zu Osman. Wie unterschiedlich die drei tatsächlich sind, zeigt sich auch bei dem Wettstreit, bei dem sie das schönste Pferd, pardon, natürlich das schönste Pferdebild (!) der Welt zeichnen sollten. Auch wenn ihnen eines gemeinsam ist, nämlich, dass ihre Hand wie automatisch beginnt, den Pinsel zu führen und sie alle die gleiche Technik beherrschen (das Pferd in einem Zug zu malen), unterscheiden sie sich doch in ihrer Vorgehensweise, ihrer Vorstellung von dem schönsten Pferdebild der Welt und in dem, was sie während des Malens empfinden. Sehr schön!


    Mein Lieblingskapitel aus diesem Teil ist aber eindeutig Kapitel 47, von Satan erzählt, bei dem ich mich herrlich amüsiert habe :grin


    Etwas befremdlich finde ich übrigens die ständig und offen geäußerte sexuell orientierte Bewunderung der "hübschen Knaben" mit ihren "kirschroten Lippen", etc. Aus den intimen Wünschen der älteren Buchmaler wird hier ja kein Hehl gemacht, da will ich lieber gar nicht weiter drüber nachdenken :uebel

  • Wie Pamuk vom Dahinscheiden, vom Begräbnis, ... unseres Oheims berichtet, fand ich ziemlich ergreifend. Pamuk schafft es so zu erzählen, als ob er es fast selbst erlebt hatte. Er schildert den Tod auch nicht als etwas Schlimmes, sondern eher als etwas Schönes, Weiches, Friedliches.


    Die Kapitel, die dann folgen haben für mich irgendwie an Reiz verloren. Mir war es einfach zu ausführlich beschrieben, was Bilder aussagen können und dürfen und, und, und… Teilweise bin ich dabei ausgestiegen. Vielleicht habe ich den Kern der Aussagen einfach nicht erkannt.


    Dennoch konnte ich mich über das Kapitel 37 „Ich, Satan“ dann wieder etwas erfreuen…


    Zitat

    Original von milla
    Etwas befremdlich finde ich übrigens die ständig und offen geäußerte sexuell orientierte Bewunderung der "hübschen Knaben" mit ihren "kirschroten Lippen", etc. Aus den intimen Wünschen der älteren Buchmaler wird hier ja kein Hehl gemacht, da will ich lieber gar nicht weiter drüber nachdenken :uebel


    Wegen solcher Textpassagen bin ich auch immer wieder geschockt, das würde ich so von einem türkischen Schriftsteller nicht unbedingt erwarten.

  • Zitat

    Original von Patricia_k34
    Die Kapitel, die dann folgen haben für mich irgendwie an Reiz verloren. Mir war es einfach zu ausführlich beschrieben, was Bilder aussagen können und dürfen und, und, und… Teilweise bin ich dabei ausgestiegen.


    Das ging mir ähnlich, in diesem Teil noch nicht so stark, aber im nächsten :rolleyes

  • Oh ja, die "pretty boys" (ich les die englische Uebersetzung) sind mir auch wiederholt aufgefallen und ich bin mir nicht sicher was ich damit machen soll ....


    Das Kapitel aus der Sicht des Onkels hab ich auch mit grosser Erwartung begonnen. Irgendwie hatte ich auch erhofft, dass er dem jungen Ehepaar seinen Segen geben wird. Aber das wird ueberhaupt nicht angesprochen. Statt dessen bekommen wir eine ausfuehrliche Aufklaerung der islamischen Vorstellungen des Lebens nach dem Tod. Ich bekam dadurch auch das Gefuehl, dass diese totale Distanz vom Leben auf der Erde zeigt, dass dies wirklich nur eine kurze und schmerzvolle Durchgangsstation ist auf den Weg in die Ewigkeit. Das Leben ist eben eine "Zwangsjacke".


    Die Beschreibung der drei Maler durch Osman fand ich auch sehr interessant. Fuer mich ist im Moment Storch der Hauptverdaechtige fuer die Morde. Olive eigentlich gar nicht, weil er anscheinend ueberhaupt keine extra geldeinbringende Auftraege annimmt. Wenn ich mich richtig erinnere, macht der Moerder das schon.


    Und ja, ich seh es wie ihr auch: mir werden diese Diskussionen um Bilder-Bebilderungen und deren Sinn langsam auch zuviel. Ich habe Muehe, da noch irgendwas neues drin zu sehen und les oefter quer.


    Ich hab etwas gegooglet um Hintergrund fuer den Autor zu finden. Dabei auch gelernt, dass Pamuk sein Architekturstudium abbrach um Maler zu werden bevor er sich dem Schreiben zuwandte. Ich glaub diese Leidenschaft lebt er nun hier aus.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

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  • Zitat

    Original von Beatrix
    Ich hab etwas gegooglet um Hintergrund fuer den Autor zu finden. Dabei auch gelernt, dass Pamuk sein Architekturstudium abbrach um Maler zu werden bevor er sich dem Schreiben zuwandte. Ich glaub diese Leidenschaft lebt er nun hier aus.


    Gut möglich, im deutschen Wikipedia-Artikel wird als Begründung für seinen Wechsel von der Malerei zum Schreiben mit diesem Satz zitiert, den ich sehr interessant finde:


    „Der einzige Grund für diesen Wandel lag wohl darin, dass ich damals überzeugt war, Schreiben sei die Möglichkeit, mit Worten die Stimme zu erheben, Malerei hingegen bedeute Stummheit, und ich war geistig nicht so weit, diese Stummheit in Würde auszuhalten.“ [Quelle: Wikipedia]


    Ich denke gerade darüber nach, ob das was er über Schreiben und Malerei sagt, tatsächlich stimmt und wenn ja, warum... :gruebel Was denkt ihr?

  • Wirklich interessant Milla!


    Ich denke schon, dass er in gewisser Weise Recht hat. Denk auch mal dran, dass man in der Regel ja nur EIN Bild malt und die Verbreitung dessen arg schwierig ist. Da reicht die Stimme dessen, was man mit dem Bild ausdruecken will, nicht sehr weit. Buecher werden ja aus Prinzip vervielfaeltigt. Man kann also sofort wesentlich mehr Menschen erreichen.


    Es gibt natuerlich auch einige Bilder, die durchaus nicht stumm sind und Millionen erreicht haben. Aber das sind wohl eher die Ausnahmen.


    Pamuk hat es ja selbst erfahren: wegen seiner Schreiberei wurde er politisch verfolgt. Und genau das hat ja auch dem angesprochenen Problem (Kurden, Armenier) wieder zu mehr Oeffentlichkeit verholfen. Mit Malerei ist sowas schon sehr viel schwieriger zu erreichen.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • Ja das ist wahr. Und mutig.


    Ich muss allerdings zugeben, dass ich angesichts solch kreativer Menschen, die sich sogar aussuchen können, ob sie etwas durch Malerei oder Schreiben ausdrücken und erreichen wollen, neidisch werde, aber das ist ein anderes Thema... :grin


  • widerspricht das nicht dem, was er in seinem Buch immer und immer wieder zum Ausdruck bringt? Dass Bilder Geschichten erzählen? Da er Maler geworden ist und kein Illustrator, müsst er ja eigentlich den fränkischen Weg gewählt haben. Damit muss es ihm doch eigentlich möglich gewesen sein, seine Bilder erzählen zu lassen, seinen Gedanken durch seine Bilder eine Stimme zu geben. Eben nicht stumm zu bleiben.


    Zitat

    Original von Beatrix
    Das Kapitel aus der Sicht des Onkels hab ich auch mit grosser Erwartung begonnen. Irgendwie hatte ich auch erhofft, dass er dem jungen Ehepaar seinen Segen geben wird. Aber das wird ueberhaupt nicht angesprochen. Statt dessen bekommen wir eine ausfuehrliche Aufklaerung der islamischen Vorstellungen des Lebens nach dem Tod. Ich bekam dadurch auch das Gefuehl, dass diese totale Distanz vom Leben auf der Erde zeigt, dass dies wirklich nur eine kurze und schmerzvolle Durchgangsstation ist auf den Weg in die Ewigkeit. Das Leben ist eben eine "Zwangsjacke".


    ich muss zugeben, dass mir nicht bewusst war, dass der Islam ebenso die Vorstellung hat, dass das Leben nur eine Durchgangsstation ist und die wahre Glückseligkeit in der Ewigkeit liegt. Ich dachte, das wäre eine rein christliche Denkweise. Sind sich beide Religionen doch nicht so unähnlich...


    Diese ausschweifenden Passagen über Bilder überfliege ich mittlerweile auch nur noch. Auch die über die Suche nach dem Maler des Pferdebildes. Da kommt er wirklich vom Hölzchen aufs Stöckchen.

  • Zitat

    Original von Bouquineur
    widerspricht das nicht dem, was er in seinem Buch immer und immer wieder zum Ausdruck bringt? Dass Bilder Geschichten erzählen? Da er Maler geworden ist und kein Illustrator, müsst er ja eigentlich den fränkischen Weg gewählt haben. Damit muss es ihm doch eigentlich möglich gewesen sein, seine Bilder erzählen zu lassen, seinen Gedanken durch seine Bilder eine Stimme zu geben. Eben nicht stumm zu bleiben.


    Bei deiner Anmerkung fällt mir gerade noch etwas ein, was auch in die Richtung von Beatrix' Argument geht: Vielleicht meint er das ja sogar ganz wörtlich, nämlich eine Stimme im Sinne von Worten. Beim Schreiben kann er seine Meinung (oder Kritik oder was auch immer) anderen, nämlich fiktiven Figuren in den Mund legen. So drückt er explizit etwas aus, ohne selbst direkt angreifbar zu sein. Das ist beim Malen nicht oder nur schwer so explizit möglich.

  • So hier habe ich dann aufgegeben, Buch zu und ins Regal, irgendwie gings gar nicht mehr, dieses im Kreis gedrehe und wieder auf den Anfang zurück, das ging mir alles zu langsam, zu langatmig, interessierte mich auch nicht wirklich... Schade.. :cry

  • Zitat

    Original von Akascha
    Ich tappe immer noch im Dunkeln, wer der Mörder ist


    Ich glaub so geht es allen. Wir kennen den Moerder ja in erster Linie von seinen eigenen Aeusserungen. Und die sind natuerlich mit Absicht so gewaehlt, dass er sich nicht verraet. Er bleibt bis fast zum Schluss unerkannt.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich