Susan Sontags Essay von 1975 war einer, der zur Pflichtlektüre der ersten Aids-Generation gehörte, obwohl in "Krankheit als Metapher" Aids gar nicht thematisiert wird, da es zu dieser Zeit noch nicht bekannt war. Vielmehr hat sich Sontag mit diesem Thema anlässlich ihrer Krebserkrankung auseinandergesetzt. Tragischerweise hält sie diese Erkrankung für überwunden, als sie "Aids und seine Metaphern" schreibt, stirbt aber 2004 an Leukämie.
Sontags Anliegen ist es, die Verwendung von Krankheiten in einem metaphorischen Sinn bzw. von ihrer metaphorischen Aufladung aus anderen semantischen Feldern, vor allem aus dem militärischen.
"Krankheit als Metapher" beschäftigt sich vor allem mit Tuberkulose und Krebs. Beide Krankheiten betrachtet Susan Sontag als individuelle Krankheiten, was sie von den Seuchen unterscheidet, die eher als gesellschaftliche, kollektive Krankheiten angesehen werden (Pest, Cholera).
Krebs ist nun metaphorisch eine Krankheit der Verdrängung, nicht ausgelebter Triebe und Energien, die sich nach innen wenden und den Menschen zerstören. Tuberkulose ist hingegen eine Krankheit der geistigen Verfeinerung, die sogar im 19. Jahrhundert eine Phase erlebte, in der sie oder wenigstens das ausgezehrte Erscheinungsbild, das mit ihr einherging, als chic galt.
Sontag gibt eine ganze Reihe von Beispielen aus Literatur und politischer Diskussion für ihre Darlegungen, die häufig den Charakter des etwas zu Offensichtlichen haben. Erstaunlich erscheint es eigentlich nur, dass es tatsächlich eine Krankheit (die Tuberkulose) gibt, die zu einem gewissen historischen zeitpunkt positiv besetzt war. Eine negative Besetzung von Krankheiten und auch ihre dahingehende Verwendung ist hingegen wenig überraschend, wobei die Geeignetheit z.B. der Krebsmetapher im Einzelnen natürlich fragwürdig ist.
Interessant ist auch, dass Sontag eine Psychologisierung von Krankheiten allein im Zusammenhang mit ihrer Metaphorisierung sieht. Psychologisierung ist für Sontag in etwa gleichbedeutend mit Individualisierung, und also damit, die Schuld auf den/die Kranke/n zu verschieben. Selbst kein großer Anhänger jeglicher Psychologisierung, scheint es mir im Zusammenhang mit Krankheiten jedoch inzwischen ein medizinischer Gemeinplatz zu sein, dass sich die Psyche auf den Krankheitsverlauf auswirkt. ich sehe darin zunächst auch erst einmal noch keinen Zusammenhang mit einer wie auch immer gearteten Beschuldigung. Dem Buch fehlt ganz klar eine wenigstens grobe Darstellung des medizinischen Forschungsstand. An Stellen wie dieser bemerkt man dieses Fehlen immer wieder deutlich.
Der Zwölf Jahre später als "Krankheit als Metapher" erschienene Aufsatz zu Aids, kümmert sich im Grunde schwerpunktmäßig gar nicht um Aids. Er widmet noch einmal einigen Raum dem Problem der Seuchen und ihrem kollektiven, metaphorischen Charakter, wirft auch noch eine Blick auf die sexuelle Induziertheit mancher Seuchen (in diesem Zusammenhang wird die Syphillis als naheliegender Vergleich herangezogen) und skizziert die - auch wieder recht offensichtliche - Eignung dieser für eine moralische Aufladung.
Interessant erscheint mir an diesem Aufsatz vor allem, dass Sontag genau die Stimmen, die Aids zu sexistischen ("Schwulenpest") oder rassistischen (angeblicher Ursprung der Krankheit in Afrika) Invektiven instrumentalisieren, eigentlich gar nicht recht ernst nimmt, sondern eher auf den veränderten Umgang mit Seuchen in diachroner Sicht eingeht. Aids ist ein Rückschlag für die moderne Gesellschaft, die sich gegen virale und bakterielle Krankheiten eigentlich ganz und gar gefeit sah. Die Verheerungen, die Aids anrichtet, haben diese Sicht auf die Welt verändert und werden mit anderen Bedrohungsszenarien enggeführt.
Sontags Texte sind voller interessanter Details (ich wusste bisher z.B. nicht, dass es ein in vielen nicht-westlichen Ländern außerordentlich verbreitetes Gerücht gab (gibt?), dass Aids eine außer Kontrolle geratene B-Waffe der Amerikaner ist, die aus einem Labor in Maryland stammt (dieses Detail ist wohl eine Beglaubigungsstrategie). Alles in allem sind die Texte (der ältere mehr als der jüngere) für den heutigen kulturwissenschaftlichen Geschmack zu wenig interdisziplinär gehalten, um als Diskussionsgrundlage allzu viel herzugeben. Ein Anstoß zur Reflexion über Krankheiten und ihre metaphorische Verwendung sind sie aber nichtsdestoweniger immer noch.