Schreibwettbewerb Juli 2009 - Thema: "Medien"

  • Thema Juli 2009:


    "Medien"


    Vom 01. bis 20. Juli 2009 könnt Ihr uns Eure Beiträge für den Schreibwettbewerb Juli 2009 zu o.g. Thema per Email an webmistress@buechereule.de zukommen lassen. Euer Beitrag wird von uns dann anonym eingestellt.


    Den Ablauf und die Regeln könnt Ihr hier noch einmal nachlesen.


    Bitte achtet darauf, nicht mehr als 500 Wörter zu verwenden. Jeder Beitrag mit mehr als 500 Wörtern wird nicht zum Wettbewerb zugelassen!

  • von LeseRatteKevin



    „Sie müssen nun die Butter in einer Pfanne zum Schmelzen bringen und…“
    „… dem Baby auf den Po reiben. Dies kann dazu führen, dass es vielleicht anfängt zu weinen, da es doch ein sehr unangenehmes Gefühl ist und…“
    „… zu Schürfwunden führen kann.“
    „Haben sie dies getan, buddeln sie es in die Erde ein und begießen es mit gedüngtem Wasser. Sie werden merken, dass es schnell Wächst und schon bald die ersten Früchte tragen wird.“
    „ Die Vollendung dieser Tat war nicht in ihrem Sinne, oder?“
    „Nein!“
    „Das habe ich mir schon gedacht, deswegen habe ich für sie dieses Spray, es dient…“
    „… zum Unsichtbar werden.“
    „Wenn sie dieses Spray kaufen, bekommen sie…“
    „… Pusteln am ganzen Körper und diese können zu Reizen auf der Haut führen.“
    „Jetzt können sie es wieder ausbuddeln und sehen, dass es um mehr als die Hälfte gewachsen ist.“
    „Wiegen sie es in ihrem Arm und hoffen, dass es aufhört zu schreiben, damit…“
    „… wir es in Streifen schneiden können.“
    „Das kann ich nicht zulassen.“
    „Vollenden sie, was sie begonnen haben, sonst…“
    „… werden sie das Puder benutzen müssen.“
    „Ich hoffe, dass sie das nicht so gemeint haben.“
    „Ich bin mir nicht sicher“
    „Hat es nun endlich aufgehört, können wir es ins Bettchen legen und darauf warten, dass es einschläft.“
    „Schärfen sie nun das Messer beginnen sie mit dem Zerhacken der Leber, ist dies geschehen, können sie…“
    „… sich aus dem Staub machen und alles so aussehen lassen, als wären sie es nicht gewesen.“
    „Beginnt es wieder zu schreien, haben sie wohl etwas falsch gemacht und müssen…“
    „… es nun für fünfundzwanzig Minuten in den Ofen schieben und…“
    „… mit einer Hake haken, bis…“
    „… es besser wird.“
    „Ich bedanke mich, dass sie KochTV geschaut haben und zusammen mit mir Leber im Schlafrock gekocht haben.“
    „BabyTV ist nun zu Ende, ich hoffe, ich konnte ihnen helfen, und ihnen wichtige Tipps für den Alltag geben.“
    „Das war GartenTV mit mir und meiner Kollegin, die ihnen nächste Woche zeigen wird, wie man sich ein schönes Beet anlegt.“
    „Das war der Krimi am Sonntag, bis nächste Woche.“
    „Der Blockbuster am Sonntag ist nun zu Ende, es folgt: „Der mit Wolf tanzt“
    „Und das war das Insektenspray, kommen wir nun zu einer Bettwäsche aus Samt. Wollen sie eine bestellen müssen sie nur unter der unten eingeblendeten Nummer anrufen.“
    „Dies war eine Sendung von Dr. Mersihan, der ihnen alles über Hautkrankheiten erzählt hat.“

  • von BunteWelt



    Irgendwann in der Zukunft...


    Enter sitzt wie immer vor dem Computer.
    Neben ihm sitzt seine Schwester Esc.
    Hinter den Geschwistern stehen die Eltern Roger und Mary,
    in der Mitte der Eltern steht Oma Rose.


    Die ganze Familie glotzt in den Computer.
    Wie jeden Tag, jede Stunde, jede Minute und jede Sekunde.
    Die Familie isst sozusagenes ‘Dosenfutter’, das dutzendweise neben ihnen steht.
    Wenn es aus ist, muss sich Oma Rose von dem Bildschirm trennen und in die Küche gehen.
    Aufs Klo gehen sie auch nicht - da gibt es einen Eimer, den Oma Rose (zu ihrem Leidwesen) immer nach draußen kippen muss.
    Oma Rose ist die Einzige, die sich nach draußen begibt.
    Auf Rogers Anweisung.


    Es ist wahrscheinlich mittags, als es passiert...
    Plötzlich wird der Bildschirm schwarz und der Computer lässt sich nicht mehr anschalten.
    Die Familie rastet aus.
    Enter und Esc machen Piepsgeräusche, wie wenn der Computer durchdreht.
    Oma stampft laut auf und die Eltern versuchen alles wieder ins Lot zu bringen.
    Fehlanzeige.
    Ein erster Satz, noch nicht ganz grammatikalisches richtig, aber es ist ein Satz, von Enter:
    ,,Was wir jetzt machen?”
    Jeder weiß die Antwort.
    Niemand braucht sie zu erwähnen.
    Sie brauchen einen Mechaniker.
    In dieser abgeschotteten Gegend wohnt in einem Umkreis von zweihundert Kilometern niemand.
    Ohne Auto.
    Ohne nichts.
    Endlich bricht Oma das wieder eingetroffene Schweigen:,,Wir gehen werden müssen. Bis dahin, wir werden nichts über die Welt erfahren. Unsere einzige Quelle der war PC und der ist kaputt. Es wird schwere Zeit werden...”
    Enter und Esc fangen an zu weinen.
    Verzweifelt schreit die Mutter Mary:,,Was, wenn die Welt untergeht? Was, wenn der dritte Weltkrieg eintrifft? Was, wenn...”
    ,,Wir werden nichts mehr erfahren, bis der Computer gerichtet wieder ist. Bis dahin heißt es stark sein. Wir werden es schaffen..”, sagt der Vater.
    Nun hat sich die ‘normale’ Sprache besser eingebürgert.
    ,,Nein... Roger.. Noch niemand schaffte es ohne Computer, dass haben wir doch selbst im Internet gesehen! Jeder braucht ihn, um Neuigkeiten zu erfahren.. Lebenswichtig ist er sogar!”
    ,,Es stimmt, Mary.. Ich wollte es nur noch nicht eingestehen...” Zusammen gehen sie auf den Balkon, steigen auf das Geländer und springen gemeinsam hinunter.
    Weil leben brächte nichts mehr.
    Denn sie hätten keine ‘News’ mehr...
    Und keinen Computer.

  • von Voltaire



    Der Vortrag faszinierte mich.


    „Meine Damen und Herren, Sie haben es sicher schon einmal, vielleicht auch schon mehrmals erlebt. Sie liegen in ihrem Bett, schlafen und träumen einen wunderbaren Traum. Und dann passiert es, natürlich an der schönsten Stelle Ihres Traumes, wie sollte es auch anders sein – Sie erwachen! Und Sie merken wie das Traumfragment, welches neben Ihnen auf dem Kissen liegt – mehr und mehr verblasst. Und schon nach kurzer Zeit ist nichts mehr da von diesem sehr schönen Traumgefühl. Und egal was Sie auch anstellen, wie Sie schnell Sie auch wieder einschlafen; der Traum lässt sich nicht mehr zurückholen. Ihr wunderbares Traumgefühl mutiert langsam aber sicher zu einem echten Frustgefühl.


    Meine Damen und Herren! Damit ist nun Schluss! Mittels dieses kleinen Gerätes, welches Sie hier vor mir liegen sehen, haben Sie jetzt die Möglichkeit Träume weiter zu träumen. Die Bedienung ist denkbar einfach. Bevor Sie sich zur Ruhe begeben, drücken Sie einfach diesen roten Knopf auf der Bedienungsleiste des Gerätes. Damit wird eine drahtlose Verbindung zu Ihrem Traumzentrum hergestellt. Und sollten Sie dann während eines Traumes erwachen, dann drücken Sie einfach den grünen Knopf und schon sind Sie wieder in Ihrem unterbrochenen Traum. Und Sie träumen weiter, so als wäre nichts geschehen.“


    „Und diese Traumübertragungen werden dann irgendwohin gesendet, gespeichert und irgendwann gegen den Träumer verwendet“, flüsterte ein kleiner Mann neben mir kaum hörbar. „Das ist der Einstieg in die Totalüberwachung.“


    Das es immer wieder Menschen geben muss die alles mies reden.


    Seine geflüsterten Bemerkungen nervten nicht nur mich, sondern offenbar auch die anderen um ihn Herumsitzenden. Aber er ließ sich von unseren Missfallensäußerungen nicht aus der Ruhe bringen – und stänkerte munter weiter. Wahrscheinlich ein Berufsnörgler.


    Natürlich kaufte ich sofort dieses kleine Gerät. Seine Bedienung war wirklich lächerlich einfach und es stimmte – unterbrochene Träume konnten weitergeträumt werden, so als wären sie nie unterbrochen gewesen.


    Nach etwa vier Monaten bekam ich Post von einer „Dienststelle Traumanalyse“. Der dritte Absatz dieses Briefes rief mir schlagartig den kleinen Mann aus Vortragsveranstaltung ins Gedächtnis, diesen notorischen Miesmacher.


    Die „Dienststelle Traumanalyse“ erlaubte sich dem sehr geehrten Herrn B. mit diesem dritten Absatz auf folgendes aufmerksam machen zu dürfen:


    „So sehen wir mit einer gewissen Besorgnis, dass sich Ihr Traumverhalten in den letzten zwei Monaten deutlich verändert hat. Wo anfangs die Familie und das Familienglück Inhalt Ihrer Träume war, so haben sich diese Inhalte leider jetzt in zunehmendem Maße in den Erotikbereich verschoben. Natürlich ist es ganz allein Ihre Sache welcher Natur Ihre Träume sind, allerdings müssen wir Sie darauf aufmerksam machen, dass geträumte Erotikerlebnisse gebührenpflichtig sind. Zukünftig werden Träume dieser Art mit einer Gebühr von 1,50 EUR je Traumminute belegt. Diese Gebühr auf Träume mit erotischem Inhalt dient dem Schutz der heilen Traumwelt. Aus Vereinfachungsgründen wären wir Ihnen dankbar, wenn Sie uns die anliegende Einzugsermächtigung bitte binnen der nächsten zehn Tag zurücksenden. Als kleines Dankeschön erhalten sie 15 Erotiktraumfreiminuten. In diesem Zusammenhang erlauben wir uns, Sie auf unsere Kampagne „Rettet die heile Traumwelt“ hinzuweisen.“

  • von toRRid



    Schon wieder eine Nachricht im schuelervz. Hoffentlich nicht aus meiner Klasse.
    Ich klicke auf „Neue Nachricht anzeigen“.
    Ein neues Fenster öffnet sich. Ich schließe meine Augen und atme tief durch.
    Die Angst kriecht durch meinen Körper. Langsam öffne ich die Augen; erblicke den Absender.
    Mein Magen verkrampft sich.
    Mir wird schlecht.
    Meine Augen weiten sich. Alles verschwimmt.
    Ich starre ins Nichts.
    Mein Kopf ist leer.
    Dann legt sich Taubheit über mich.
    Apathisch wippe ich vor und zurück.
    Vor und zurück.
    Vor und zurück.
    Ein undeutliches Geräusch von unten lässt mich wieder zu mir kommen.
    Ich schüttele mich kurz und höre genauer hin.
    Meine Eltern schauen fern. Wie jeden Tag.
    Auf der Schreibtischuhr steht „13.43“.
    Wahrscheinlich steht das erste Bier schon vor meinem Vater, währrend Mama lethargisch in ihrem Sessel sitzt und ihr Leben erträgt.
    Seit mein Vater seinen Arbeitsplatz bei Opel vor knapp fünf Monaten verloren hat, ist es Tag ein Tag aus dasselbe.
    Ich fange langsam an zu zittern.
    Reiß dich verdammt nochmal zusammen!
    Ich puste durch und schaue auf den Bildschirm: „Lange machst du es nichtmehr! Das verspreche ich dir!“
    Wieder verkrampft sich mein Magen und mir wird schlecht.
    Wieder falle ich in die Taubheit zurück. Fange an ins Nichts zu starren.
    Sie werden wohl nie aufgeben. Was habe ich denn getan? Ich kann es mir wirklich nicht erklären.
    „Liebling, komm mal schnell runter!“
    Ich schrecke auf.
    Was will Mama von mir?
    Ist mein Vater jetzt schon so betrunken, dass sie meine Hilfe braucht? Wäre ja nicht das erste Mal.
    Ich gehe langsam die Treppe hinunter.
    Als ich auf der letzten Stufe stehe, lenkt Mama meinen Blick auf den Fernseher.
    Die Bilder erkenne ich sofort.
    „Der Jugendliche befindet sich im 2. Stockwerk des Schulgebäudes. Berichten zufolge haben sich 21 Personen in einem Raum in seiner Nähe verschanzt.“, tönt es aus dem Fernseher.
    Meine Augen funkeln.
    Ich schaue meinen Vater an und blicke danach traurig zu Mama.
    Es tut mir Leid Mama, aber ich werde mein Leben nicht nur ertragen.
    Ich drehe mich langsam um und gehe zurück nach oben.
    Auch ich werde mich wehren.

  • von churchill



    21. Juli 2009, Büro des Intendanten


    „Bist du verrückt geworden? Wie kommst du zu diesen Zahlen? Und was um alles in der Welt hat dich geritten, die Umfrage zu veröffentlichen?“


    Tom schweigt. Betreten. Was hätte er auch sagen sollen. Dr. Stefan Spieker lässt nicht locker. Tom war bislang ein absolut zuverlässiger Chefredakteur gewesen. Er hatte den rasanten Aufstieg von C77 praktisch allein zu verantworten. Ein Nachrichtensender war normalerweise eine Totgeburt. Tom aber hat es verstanden, einen genialen Mix von Information und Unterhaltung zu kreieren. Spieker hatte die Kontakte zu Politik und Wirtschaft, Tom war der Macher. Ein optimales Team. Und jetzt das.


    „Tom, raus mit der Sprache: Wie kommen diese Werte zustande? Die SPD 36% ! Die Grünen 14. CDU 31, FDP 10, Linke nur 7. Steinmeier persönlich weit vor Merkel. Das kann doch hinten und vorne nicht stimmen! Wir machen uns doch lächerlich!“


    Tom stammelt. „Das war eigentlich ein Jux. Wir haben gelost. Aus Spaß. Und ein bisschen gewürfelt. Zufallsgenerator. Ich habe den Rechner angelassen. Martina hat es versehentlich an die Agenturen geschickt. Doof gelaufen …“


    „Doof? Das kann unser Untergang sein. Wer soll uns denn jetzt noch ernst nehmen?“


    Dr. Stefan Spieker versteht die Welt und seinen besten Freund nicht mehr. Gewürfelte Meinungsumfragen. Geloste Zustimmungswerte. Wenn sie wenigstens ein bisschen realistisch gewesen wären … Diese Art von Schlagzeilen kann Spieker nicht brauchen.



    27. September 2009, 18.05 Uhr


    Das Ergebnis der Bundestagswahlen kommt einer Sensation gleich. Nach der Prognose von 18.00 Uhr ist die SPD mit ihrem Spitzenkandidaten Frank Walter Steinmeier der eindeutige Gewinner der Wahl. Eine Koalition mit den Grünen gilt als sicher. Überraschend schwach schnitten Union und Linke ab, auch das Ergebnis der FDP ist deutlich niedriger als erwartet. Alle bekannten Meinungsforschungsinstitute hatten einen schwarz – gelben Wahlsieg vorausgesagt. Lediglich der Nachrichtensender C77 prognostizierte bereits im Juli nahezu exakt das heutige Ergebnis.



    30. September 2009, 11.30 Uhr, Willy Brandt Haus, Berlin


    „Sie werden verstehen, dass ich mich besonders freue, Sie heute hier empfangen zu dürfen.“


    Der zukünftige Bundeskanzler bietet Stefan Spieker ein Glas Wasser und einen Sitzplatz an.


    „Verraten Sie mir ihr Geheimnis? Wie um alles in der Welt konnten Sie das im Juli schon wissen? Als die Umfrage damals bekannt wurde, habe ich - zugegeben - nie geglaubt, dass das stimmt. Aber Sie hatten Recht. Und unsere Leute waren plötzlich extrem motiviert. Was sind Ihre Methoden? Was machen Sie anders?“


    Spieker schweigt einen Augenblick. Bedeutungsvoll.


    „Sie werden verstehen, dass ich jetzt nicht ins Detail gehen kann. Wir haben einen anderen Ansatz gewählt. Unkonventionell. Unverkrampft. Das Ergebnis hat uns Recht gegeben.“


    „Das kann man wirklich sagen! Spieker, ich mache nicht viele Worte. Ich möchte Sie fragen, ob Sie sich vorstellen könnten, das Bundespresseamt zu leiten. Ich bin überzeugt, dass Sie der richtige Mann dafür sind.“


    Spieker zögert pflichtgemäß, bevor er mit staatstragender Miene zusagt. Dem Glas Wasser folgt ein Cognac zur Feier des Tages. Und ein Telefonat mit Tom, dem Redakteur mit den besonderen Methoden, der zukünftig in der Chefetage des Bundespresseamtes wirken wird.

  • von Idgie



    Morgens um 4 weckt mich der dumpfe Donner einer Detonation. Mein Hirn registriert routiniert, einen Einschlag in mindestens 5 km Entfernung. Kein Grund zur Panik. Ich bin schließlich Profi auf diesem Gebiet.


    Im Hotel bleibt alles ruhig. Das ist auch kein Wunder, denn außer einer Handvoll Journalisten ist das Hotel menschenleer. In zwei Stunden werde ich zusammen mit meinem Kameramann eine möglichst spektakulär zerschossene Gebäudefront als Hintergrund auswählen, und vor der Kamera über die Auseinandersetzungen der letzten Nacht, die Opfer auf beiden Seiten und die festgefahrenen diplomatischen Bemühungen zur Beendigung des Konfliktes berichten.
    Im frühen Morgenlicht sieht die Kulisse noch etwas dramatischer aus, als üblich. Das muss auch so sein, denn wenn wir nicht ein wenig nachhelfen, zappt das Fernsehvolk gelangweilt weiter. Brot und Spiele des Korrespondentenalltags. Wer nicht den Nerv der Zuschauer zwischen ausreichend blutiger Berichterstattung und gerade noch verträglichen Bildern zum Abendessen trifft, hat den Pressekrieg schon verloren.


    War es das, was ich wollte? Angefangen hat es damals mit einem Volontariat beim Stadtanzeiger direkt nach dem Abitur. Schreiben hat mir schon immer Spaß gemacht und ich wollte herausfinden, ob es für ein Journalistikstudium reicht. Gelernt habe ich vor allem, dass die Arbeit eines Lokalredakteurs zwischen Schützenfest- und Karnevalssaison nicht wirklich aufregend ist. Das war mir zu wenig. Ich wollte über wirklich interessante Themen berichten, die über den regionalen Tellerrand hinaus die Welt bewegen. Welch hehre Ziele ich doch damals hatte und das Ideal, unter Einsatz des eigenen Lebens über kriegerische Auseinandersetzungen zu berichten!


    Eins habe ich geschafft: Mein Alltag ist alles andere, als eintönig. Seit Jahren gleicht er einem Pulverfass. Ich bin ein Vagabund, immer auf der Suche nach Krieg und Tod. Ich kämpfe an vorderster Front. Zu meinen Waffen gehört die Fähigkeit, die richtige Kombination aus Bild und Ton zu finden und die, die Nachrichten über Gewalt und Zerstörung aus den Krisengebieten der Welt bestmöglich zu verpacken.
    Aber das reicht nicht aus. Ein guter Kriegsberichterstatter muss vor allem eins können: er muss überleben.
    Ich muss wissen, was ich mir und meinem Team zumuten kann, ohne uns alle zu gefährden. Ich muss Wege und Mittel finden, um an die richtigen Informationen heranzukommen, muss sie auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen und ein Gespür dafür haben, wem ich glauben darf, und wer mich gezielt als Sprachrohr für eigene Zwecke missbraucht.


    Ich bin ein Kriegsspezialist, routiniert im Geschäft mit dem Tod und berichte mit professioneller Distanz zu den manchmal kaum zu ertragenden Bildern. Ich trage die Gewalt über den Gartenzaun bis in die Wohnzimmer der Menschen und weiß doch, dass die Bilder und Botschaften oft schon Minuten später wieder vergessen sind.
    Meine Aufgabe ist, nicht die Welt zu verändern, sondern sie zu zeigen, wie sie ist. Manchmal denke ich darüber nach, wie es sein wird, irgendwann selbst den Weg über den Gartenzaun zurück in mein Wohnzimmer zu finden. Wann immer das auch sein wird.

  • von Sinela



    Mit betretenen Gesichtern schauten die Menschen dem Zinnsarg, der von zwei kräftigen Männern die Stufen hinunter getragen wurde, hinterher. Leises Getuschel wehte einer sanften Brise gleich durch das Treppenhaus, schlängelte sich zwischen den Stangen des Geländers hindurch, bevor es immer schwächer werdend durch die Tür im 2. Stock des Mehrfamilienhauses entschwand.


    „Wieso muss ein Leben nur so enden?“
    Seine Worte unterstrich der Polizeibeamte mit einer Geste seiner Hände, welche die gesamte Wohnung umfasste. Die geöffneten Fenster halfen nicht gegen den penetranten Leichengeruch, Myraden von Fliegen umsurrten das Chaos, das in der Wohnung herrschte. Essensreste standen überall herum, Zeitungen waren achtlos auf den Boden geworfen worden, dreckige Kleidungsstücke und Verpackungen von Chips, Flips und Co. leisteten ihnen Gesellschaft.
    „Ich begreife es einfach nicht.“
    „Das ist die Gleichgültigkeit der Menschen, als ob du das nicht wüsstest. Ist schließlich nicht der erste Fall dieser Art, zu dem wir gerufen wurden.“
    „Ich weiß, aber ….“
    „Lass es gut sein. Wir müssen die Nachbarn befragen, vielleicht bringt das etwas Licht in dieses Drama.“


    „Frau Maier, sie wohnen nun seit ...“
    „3 Jahren, Herr Wachtmeister.“
    „Seit 3 Jahren also. Und sie wissen rein gar nichts über ihre direkte Nachbarin?“
    „Sie brauchen gar nicht so entsetzt zu schauen. Als mein Mann und ich hier eingezogen sind, habe ich ein paar Mal bei Frau Nagel geklingelt, habe sie zum Kaffee und Kuchen eingeladen, aber sie hatte nie Zeit. Immer kam irgendeine Serie im TV, die sie unbedingt anschauen musste oder eine Talkschau, die sie auf keinen Fall verpassen durfte. Irgendwann habe ich es dann aufgegeben.“ „Aha... Und wann haben sie Frau Nagel das letzte Mal gesehen?“
    „Ach herrje, das ist bestimmt schon über ein Jahr her. Sie ging ja kaum aus dem Haus, die Lebensmittel ließ sie sich meistens liefern.“
    „Haben sie sich keine Gedanken gemacht als es anfing aus der Wohnung zu müffeln?“
    „Na ja, am Anfang nicht. Es war heiß, ich dachte, Frau Nagel hätte irgendwo Essen stehen lassen und vergessen und das würde jetzt vergammeln. Der Fernseher lief Tag und Nacht, wie immer halt. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätte ich bestimmt früher etwas unternommen, das können sie mir glauben!“
    Der Polizist schaute die Frau zweifelnd an, gab aber keinen Kommentar zu dem gerade gesagten ab. „Vielen Dank für ihre Auskünfte. Auf Wiedersehen.“
    „Auf Wiedersehen.“


    Langsam senkte sich der Sarg in das Grab hinab. Außer einer älteren in schwarz gekleideten Frau verfolgte niemand diesen Vorgang.
    „Nun hast du deinen Frieden, Traudl. Warum nur hast du dir nicht helfen lassen? Dieses Scheiß-Fernsehen war dir wichtiger als deine Familie geworden. Du bist nicht mehr ans Telefon gegangen, hast alle Einladungen abgelehnt, hast jedweden Kontakt zu den Menschen abgebrochen. Hast dich völlig eingeigelt, das Leben fand ohne dich statt. Aber es war deine Entscheidung......“
    Mit einem tiefen Seufzen wandte die Frau sich ab und ging davon. Traudl Nagel war im Tod genauso allein wie sie es im Leben gewesen war.

  • von Voland



    Als er frühmorgens am Redaktionsraum vorbeigeht, schnappt er nur Wortfetzen auf. „Was soll das heißen, es gibt nichts?“, wütet der Redakteur mit donnernder Stimme, ungehalten wie ein Sturm. „...schicke ich sie selbst los...bringen wen um...zünden was an...“ K. hört nicht weiter hin. Entgegen den meisten seiner Mitmenschen interessiert ihn nicht, was nicht auch für seine Ohren bestimmt ist.


    In der Mittagspause schlendert er, Kuchen und Kaffee durch schmale Gänge jonglierend, zurück zu seinem Tisch. Vor ihm ausgebreitet liegen die täglichen Ausgaben konkurrierender Blätter. Rasch, mit geübtem Blick überfliegt er die Nachrichten. Atombombentests. Selbstmordanschläge. Großflächige Waldbrände. Schiff von Piraten gekapert. Erdbeben legt mehre Straßenzüge in Schutt und Asche. Blutiges Ende einer Geiselnahme. Junges Geschwisterpaar seit zwei Tagen vermisst. Berühmte Schauspielerin L. gestorben. Mädchen vom eigenen Vater vergewaltigt.
    Nichts, was seine Aufmerksamkeit auf sich zieht.


    Später am Nachmittag, etwa Viertel vor Vier, verlässt er das Gebäude für seinen üblichen Botengang. Ohne Eile spaziert er durch die Altstadt, überquert den Park und erreicht schließlich den M.-Platz. An dessen Ende, aufgehängt an einem monströsen Stahlkonstrukt, thront die gewaltige Leinwand. K. nähert sich ihr wie immer, es ist Zeit für die Nachrichten. Stattdessen aber rauschen bunte Bilder über sie hinweg. Als hätten sie hypnotische Kräfte, hat sich zu Füßen der Leinwand eine größere Menschenmenge versammelt, und starrt entseelt hinauf. Werbung, stellt er fest.


    K. wundert sich, wirft einen Blick auf die Uhr. Er hat sich nicht verspätet.
    Nur warum all die Menschen, was hatten sie erblickt, das sie derart fesseln konnte?
    Hatte sich ein verheerendes Unglück ereignet, wurde eine Sondersendung angesetzt? Würde ein Sender es wagen und Werbung dazwischenschalten? Oder war es vielleicht doch nur die Werbung an sich? Erschrocken schaut K. sich um, studiert die Gesichter, die offenstehenden Münder. Beides scheint ihm möglich. Menschen, sinniert er und wendet sich angewidert ab.


    Am Horizont entzieht sich die Sonne bereits seinem Blick, als K. kurz nach Sechs das Haus betritt. Er streift den Mantel ab, lässt die Aktentasche zu Boden sinken, hält einen Augenblick inne. Er erblickt Sophie, an der Wohnzimmertür gelehnt, den Kopf zum Fernseher gewandt. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht, noch immer, nach all den Jahren. Er nähert sich ihr, will sie küssen. Abwesend hält sie ihm die Wange hin, öffnet den Mund, als wolle sie etwas loswerden, schweigt jedoch. Er folgt ihrem Blick. Sonne und angenehme Temperaturen werden prophezeit.
    Im Bad spritzt er sich Wasser ins Gesicht. Währenddessen dämmert ihm etwas, nicht greifbare Gedanken zucken in seinem Unterbewusstsein auf. War das nicht der Wetterbericht? Unruhig kehrt er zu seiner Frau zurück.


    „Es scheint, als lägen keine weiteren Nachrichten vor“, verkündet der Sprecher stockend und verabschiedet sich vom Fernsehpublikum mit betroffener Stimme und einer Miene, als hätte er soeben nackt vor den Augen aller einen Stepptanz aufgeführt und ringe nun nach passenden Worten, um sein Gebaren zu erklären. „Nur Aktienkurse, Sport und Wetter“, bricht Sophie ihr Schweigen.


    Sekunden verrinnen, Minuten verstreichen. Schweigend und seltsam berührt verfolgen K. und seine Frau, wie der digitale Uhrzeiger geduldig seine Runden abschreitet.

  • von Quetzalcoatlus



    „Mir hat schon wieder jemand die Zeitung von der Türschwelle geklaut.“
    „Und?“
    „Jetzt habe ich keine Zeitung.“
    „Du beschwerst dich doch sowieso immer, dass die Zeitungsberichte immer schwachsinniger werden.“
    „Und zwar zu Recht. Jeder weiß, dass in der Zeitung nur Lügen stehen. Aber das gibt Fremden noch lange nicht die Erlaubnis, meine Zeitung zu stehlen.“
    „Bekannten aber schon?“
    „Nein, auch nicht.“
    „Aber die magst die Zeitung doch gar nicht. Also bist du durch ihr Verschwinden nicht ärmer geworden.“
    „Doch. Ich habe die Zeitung bezahlt.“
    „Wenn sie dir nicht gefällt und dir gestohlen wird, solltest du sie abbestellen.“
    „Damit würde ich ja vor dem Dieb kapitulieren.“
    „Betrachte es doch mal so: Wenn die Zeitung dir zur Verfügung gestanden hätte und du sie gelesen hättest, hättest du dich vermutlich über den Inhalt geärgert. Der Dieb hat dir also einen Gefallen getan, indem er dir Ärger erspart hat.“
    „Stattdessen muss ich mich nun darüber ärgern, dass meine Zeitung gestohlen wurde.“
    „Nein, das musst du jetzt nicht mehr, weil ich dich darauf hingewiesen habe, dass der Diebstahl nur zu deinem Besten war.“
    „Aber wenn nun der Dieb die Zeitung liest, ärgert er sich an meiner Stelle über den Inhalt. Ich will nicht für den Ärger einer anderen Person verantwortlich sein.“
    „Vielleicht hat er eine andere Weltsicht als du und freut sich über den Inhalt.“
    „Ich will auch nicht für die Freude einer anderen Person verantwortlich sein.“
    „Wieso nicht?“
    „Aus Prinzip. Ich bin grundsätzlich nur für meine eigenen Gefühlsregungen verantwortlich. Und auch das nur manchmal.“
    „Ich sage ja nur, dass es sinnlos ist, den Verlust von etwas zu bedauern, das man eigentlich gar nicht haben wollte.“
    „Ich wollte die Zeitung haben.“
    „Aber nur aus Gewohnheit. Der Dieb hat vielleicht einen viel sinnvolleren Grund.“
    „Das kann nicht sein.“
    „Warum nicht?“
    „Weil ich damit Mücken erschlagen hätte. Etwas Sinnvolleres gibt es gar nicht.“
    „Vielleicht erschlägt der Dieb damit noch mehr Mücken als du.“
    „Aber er erschlägt bestimmt nur Mücken, die ihn selbst stechen wollen. Diebe dürfen von Mücken getrost gestochen werden.“
    „Wirklich?“
    „Ja. Wenn die Mücken ganz viele Diebe stechen würden, hätten sie keinen Bedarf mehr an Nicht-Dieben.“
    „Aber wenn die Mücken ganz viele Diebe stechen, vermehren sie sich stark und dann können sie ihr Stechbedürfnis nicht mehr allein an Dieben befriedigen.“
    „Da hast du natürlich Recht.“
    „Danke.“
    „Diese Dieberei muss einfach aufhören. Ich werde dem Täter eine Lektion erteilen.“
    „Wie denn das?“
    „Ich werde eine täuschend echte Titelseite nachdrucken, auf der geschrieben steht: Bundestag beschließt härtere Strafen für Zeitungsdiebe. Dann stehe ich sehr früh auf, warte auf das Eintreffen der Zeitung und tausche die Titelseiten aus.“
    „Wenn du ohnehin so früh aufstehst, könntest du auch gleich die Zeitung sicherstellen, damit sie niemand mehr klauen kann.“
    „Damit würde ich dem Dieb aber keine Lektion erteilen. Mit Hilfe meines Plans beende ich die Diebstähle ein für alle Mal.“
    „Hm. Dein Plan hat nur eine Schwachstelle.“
    „Ach ja? Welche denn?“
    „Jeder weiß, dass in der Zeitung nur Lügen stehen.“

  • von Bildersturm



    Die Kugel schrammte hart an seiner Stirn vorbei und riss beim Einschlag kleine Bröckchen aus der Wand hinter ihm. Kramer warf sich in Deckung. Scheiße, er hat mich gesehen. Ein zweiter Schuss ging irgendwo ins Leere. Kramer überlegte fieberhaft. Wenn der Schütze (es musste Hartmann sein) den Gang herunterkam, lag sein Arsch hier denkbar ungünstig auf dem Präsentierteller. Er zögerte. Wieder ein Schuss. Jetzt! Er sprang auf und hetzte über die freie Fläche. Beinahe hätte er sich verkalkuliert, aber er erreichte die Tür, bevor Hartmann erneut reagieren konnte. Zusammen mit einer Zierpalme stürzte Kramer ächzend in die Sicherheit des angrenzenden Zimmers. Die Teeküche! Von draußen erklang der enttäuschte Wutschrei des Abteilungsleiters.
    Kramer rappelte sich auf. Vor ihm stand der alte Matuschek aus der Buchhaltung, die Augen schreckgeweitet hinter der großen Brille im kalkweißen Gesicht. Seine Hände zitterten, als er den Lauf des großkalibrigen Jagdgewehrs senkte, aber er machte einen Schritt vorwärts.
    „B-b-bleib stehen!“
    Kramer sah zwei Füße unterm Küchentisch hervorragen. Die weißen Pumps kamen ihm bekannt vor. Claudia Brock, Chefsekretärin. Bewegungslos. Auf ihren Schuhspitzen kontrastierte ein feines Netz rostroter Blutflecken mit der kalbsledernen Eleganz der sündteuren Manolos. Er blickte überrascht zu Matuschek. Der wurde noch bleicher.
    „S-s-sie hat zuerst geschossen.“
    Kramer kehrte die Handflächen nach außen.
    „Ich bin unbewaffnet.“
    „T-t-tut mir leid, a-a-aber ...“
    Matuschek umfasste das Gewehr fester und sah jetzt irgendwie entschlossener aus.
    „...das sind die Regeln.“
    Instinktiv hatte Kramer den Schuss vorausgeahnt. Er ließ sich zur Seite fallen, als der Buchhalter den Abzug betätigte. Krawumm! Ein absurd lauter Knall. Der Rückstoß warf Matuschek gegen die Spüle. Die Kugel traf den Türrahmen und sirrte als Querschläger in die Kaffeemaschine. Kramer sprang auf und riss dem Alten die Waffe aus der Hand. Es war beinahe zu leicht. Hinter der Brille füllten sich Matuscheks Augen mit Tränen. Kramer schüttelte den Kopf.
    „Mensch, Matuschek, du bist so ein verdammter Idiot.“
    „I-i-ich w-w-wollte ...“
    Matuscheks bebrilltes Gesicht explodierte in einer Wolke aus Blut und Gewebe. Kramer fuhr herum. Hartmann stand in der Tür, aus dem Lauf seiner Pumpgun kräuselte sich ein dünner Rauchfaden. Er grinste wie ein Kind im Spielzeugladen.
    „Game over, Kramer.“
    Ich hätte im November kündigen sollen. Kramer musste beinahe lachen, als ihm der Gedanke durch den Kopf schoss. Egal. Das Unvermeidliche war ohnehin nicht mehr aufzuhalten.
    Klack.
    Kramer brauchte ein paar Sekunden, bis er registrierte, dass Hartmanns Waffe blockierte. Er dachte nicht einmal nach. Reflexartig hob er Matuscheks Gewehr und drückte ab. Wieder das laute Krawumm, aber diesmal war Kramer auf den Knall gefasst. Hartmanns Blick erstarrte in grenzenlosem Erstaunen. Ein Blutfleck erschien auf seinem blütenweißen Hemd, als er an der Wand entlang nach unten rutschte. Dann lag er still.
    Kramer keuchte vor Anspannung.
    „Wow,“ sagte der Kameramann aus seiner Ecke neben dem Kühlschrank. „Drei Millionen Euro.“
    Kramer streckte den Mittelfinger in Richtung des Objektivs.


    Im Sendezentrum spielten sie in diesem Moment schon das triumphierende Sieger-Jingle ein. Am nächsten Tag verkündeten die Zeitungen einen Einschaltquoten-Rekord. Das Live-Finale der dritten Staffel von Büroduell hatte alle Erwartungen übertroffen.