Frag nicht nach meinem Namen - Stefan Casta

  • Frag nicht nach meinem Namen - Stefan Casta


    März / 09



    Victor lebt mit seinem Hund Picco bei Gustavo und Brigitte der singenden Nachtigall in auf einem idyllischen Bauernhof in Södra Visunda in Schweden.
    Der ländliche Alltag bestimmt Victors Leben: die Schafe müssen versorgt, das Haus in Schuss gehalten und Vorräte erwirtschaftet werden. Ab und zu geht Victor mit Picco auf die Jagd. Mit seiner Schrotflinte schießt er Hasen, Rehböcke und manchmal auch einen Auerhahn. Doch als eines Tages ein Mädchen direkt vor Victors Flinte aus dem Nichts auftaucht und Victor nur in letzter Sekunde das Gewehr wegreißen kann, gerät der ach so spießige Alltag aus den Fugen.


    Victor nimmt sich dem Mädchen an, da dieses unter Schock zu stehen scheint, und trägt es auf den Bauernhof. Nach und nach erholt sich das Mädchen, spricht aber nur selten und antwortet recht einsilbig. Sie wirkt fahrig, unruhig und zerstreut. So, als ob sie manchmal einfach ihren Körper verlassen und durch die Welt fliegen würde. Nur die Vögel in den Obstbäumen können sie mit ihrer Anwesenheit beruhigen. Dann lächelt sie.
    Doch die Nachricht über ein fremdes Mädchen, das bei Gustavo und Brigitte auf dem Hof wohnt, spricht sich in einer solch kleinen Gemeinde schnell herum. Zudem stellt sich heraus, dass das Kind ursprünglich bei Bertilson, einem angrenzenden Nachbarn, untergebracht werden sollte. Also taucht nach nicht allzu langer Zeit Bertilson auf, der das Mädchen mitnehmen will. Doch der hat anscheinend die Rechnung ohne das Mädchen gemacht, die einfach kurzerhand zur Flinte greift und den unliebsamen Nachbarn in seinem roten Mercedes vom Hof schießt. Es ist also nicht mehr die Frage ob, sondern wann die Polizei auf dem Hof vorbeischauen wird.


    Es ist ja nicht nur dass auf einmal ein wildfremdes und zugleich anscheinend verwirrtes Mädchen auf dem Bauerhof eingezogen ist, das allerhand Probleme mitgebracht hat und das sonst so abgeschmackte Leben auf den Kopf stellt, nein, hinzu kommt noch, dass auch Victor eigene Pläne hat. Er will dieses Kaff, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, hinter sich lassen. Er weiß nur noch nicht in welche Richtung er gehen soll. Ein Philosophiekurs reizt ihn sehr, aber der Kontrast zu dem bäuerlichen Leben, bei dem auch mal fest zugepackt weden muss, macht Victor zu schaffen. Braucht Södra Visunda einen Philosophen? Auch Brigitte scheint von Victors Plänen nicht angetan zu sein. Ihr "Aha" kann alles mögliche heißen, aber die beiden Männer auf dem Hof wissen ganz genau, wie jedes einzelne "Aha" gedeutet werden muss. Jede Facette wird eruiert und mit dem momentanen Stimmung Brigittes abgeglichen. Es reicht ein einzelnes "Aha" und man weiß ganz genau woran man bei der singenden Nachtigall ist.


    Trotz Brigittes Stimmung macht sich Victor auf nach Stockholm, um an der Prüfung teilzunehmen, die der Schlüssel für eine akademische Zukunft darstellt.
    Dort lernt er Kenny kennen, mit dem er sich sogleich gut versteht. Doch bald holt der Alltag Victor wieder ein. Das Mädchen schleicht sich unterdessen immer weiter in die Herzen der Bauernhofbewohner und auch Victor nähert sich ihr immer weiter an. Es kommt zu kleinen Zärtlichkeiten, bei denen es aber auch bleibt.
    Das namenlose Mädchen verzaubert mit ihrer teilweise recht unbeschwerten Art Brigitte, Gustavo und Victor, auch wenn sie dennoch ihren Stimmungsschwankungen erliegt.


    Soweit so gut, dieses durchschnittlich dicke Büchlein beschreibt im wesentlichen die Abnabelung Victors von und die Eingliederung des namenlosen Mädchens in Brigrittes und Gustavos Leben. Der Ich-Erzähler Victor schreibt die Geschcihte, die sich da ereignet tagebuchartig auf und lässt teilweise seine eigenen Gedanken mit einfließen. Gerade deshalb wirkt diese Geschichte sehr kurzlebig, eben eine kleine Szene aus den tatsächlichen Leben. Und auch gerade deshalb wirkt die Geschichte ab und zu aufgebläht und aufgedunsen.
    Interessant sind allerdings die kleinen philosophischen Ansätze, über die Victor schreibt und nachdenkt. Große Philosophen werden erwähnt und einige Thesen kurz, wirklich kurz, angerissen.


    Einfache sprachliche Gestaltung runden das Bild eines jugendlichen Erzählers ab. Aber Casta lässt manchmal recht derbe Umgangssprache einfließen, was die Unschuld der Geschichte bröckeln lässt. An dieser Stelle bin ich beim Lesen über solche Ausdrücke gestolpert und habe mich geärgert, dass Casta das idyllische Bild mit einem Wort zu einem pubertären Matsch gemacht hat. Meiner Meinung nach wollte der Autor die jugendliche Sprache mit einfließen lassen, was aber eindeutig mißlungen ist.
    Casta erhielt 2002 den Astrid-Lindgren Preis für sein bisheriges Gesamtwerk.


    Zudem wird angeschnitten, dass dem Mädchen etwas Schlimmes passiert sein muss, was sich aber im weiteren Zuge der Handlung verläuft. Hinzu kommt außerdem, dass das Mädchen eine unglaubliche Abneigung gegen Bertilson hegt, und keiner weiß warum. Casta hält es nicht für nötig diesen Punkt aufzugreifen und lässt ihn bedrohlich wie ein Damoklesschwert über der Geschichte baumeln. Ich hätte hier bevorzugt, wäre diese Abneigung wenigstens ansatzweise erklärt oder entkräftet worden. Ich verstehe, dass ein Interpretationsraum bleiben muss, aber der ist meiner Ansicht nach in diesem Punkt einfach zu groß. So bleibt ein schaler Nachgeschmack, der immer wieder beim Lesen aufgegriffen wird. Sicher ist die Phantasie des Lesers ein starkes literarisches Mittel des Autors, aber für meine Begriffe in diesem Fall einfach kein glücklich gewähltes Mittel.


    Insgesamt eine eher durchschnittliche Geschichte, durchschnittlich erzählt. Bis auf ein paar kleine erzählerische Lichtblicke dümpeln die Tagebucheinträge so vor sich hin. Die Figuren erscheinen facettenlos, unentschlossen und dadurch langweilig. Die Entwicklung der einzelnen Protagonisten stagniert, um irgendwann in einem klischeehaften Ausbruch voranzuschnellen.