In Afrika war er nie - Marjaleena Lembcke (ab 13 J.)

  • Die Geschichte spielt in Finnland, ca. 1960. Juhani ist dreizehn und eben dabei, sich in Milja zu verlieben, das Mädchen mit den besonders blauen Augen und der schönen Stimme. Es gibt aber noch etwas, das ihn stark beschäftigt und zwar das Warten auf die Rückkehr seines Vaters. Dieser war Musiker und Tangosänger, die Menschen in der kleinen Stadt erinnern sich immer noch an seine wunderbaren Lieder. Auch Juhani hat sie nicht vergessen, noch deutlicher in seinem Gedächtnis aber ist die Harley-Davidson geblieben, die sein Vater kaufte, als Juhani sieben war, und mit der er einfach davonfuhr. Das letzte, das Juhani von seinem hörte, waren ein paar Worte auf einer Postkarte mit dem Bild eines Löwen. Seither malt sich Juhani aus, daß sein Vater nach Afrika gefahren sei.
    Als in der Nachbarschaft plötzlich eine Harley-Davidson auftaucht, ist Juhani überzeugt, daß es das Motorrad seines Vaters ist. Es stell sich heraus, daß sie jemand anderem gehört, aber das hält ihn nicht ab, nachzuforschen. Tatsächlich findet er die Spur seines Vaters. Was er jedoch erfährt, hat nichts mit Juhanis fantastischen Abenteuergeschichten über ihn zu tun. In Afrika war er nie. Trotzdem helfen ihm die Informationen, mit dem Verschwinden fertig zu werden. Doch am Ende gibt es noch eine überraschende Wendung.


    Unaufdringlich, fast nebenbei, und so knapp, daß es schon geizig zu nennen ist, erzählt Lembcke von einem Jahr im Leben ihres Protagonisten. Auf den ersten Blick ist sich Juhanis Umfeld nahezu idyllisch. Seine Mutter führt voller Energie das Familienunternehmen, sein bester Freund Pentti ist für jeden Unsinn zu haben, die Großeltern bereiten ihm ungetrübte Sommerwochen in der Hütte am See. Der Umgangston ist liebevoll, verständnisvoll. Die erste Verliebtheit überhaucht alles zusätzlich mit einem rosafarbenen Ton.


    Dahinter verbergen sich aber Risse, nicht wenige davon sind tief. Seine Mutter leidet an Diabetes und ist unglücklich verliebt in einen verheirateten Mann, das Unternehmen ist ein Beerdigungsinstitut, der Tod ist häufiger Gesprächsgegenstand. Die Großeltern haben den Weggang des Sohns nie verwunden, die Großmutter kommt in fast jedem Gespräch darauf zurück, der Großvater macht sich insgeheim Vorwürfe. Im Lauf der Wochen verändert sich auch die Beziehung zu Pentti, er wird die Schule verlassen, die gemeinsame Kindheit ist zuende. Penttis Eltern streiten ständig, Miljas Vater stirbt, an den Folgen einer Kriegsverletzung heißt es, tatsächlich aber sind es die Folgen seines Alkoholismus. Miljas Vater ist nicht der einzige, der damit zu kämpfen hat. Daß auch junge Verliebtheit ihre Gefahren hat, zeigt sich an einem anderen Pärchen. Da wird eine Sechzehnjährige ungewollt schwanger, eine rasche Eheschließung mit ihrem 18jährigen Freund ist die einzige Lösung.


    Tatsächlich werden in dieser Geschichte Muster von Männlichkeit diskutiert, Rollen, alte und neue Verhaltensweisen, Träume. Den Kern bildet Juhanis Suche nach einer Rolle, die er ausfüllen kann. Was macht einen Mann aus, wird hier gefragt. Wie aktiv, wie passiv, darf er sein, soll er sein. Wie ist das mit der Vaterrolle, der Rolle als Sohn, als Ehemann, als Freund. Und als Künstler. Was bedeutet Verantwortung, wer hat sie und wofür? Was ist Freiheit, was Freiraum? Eigentlich wird das alles nur angerissen, und doch gelingt es der Autorin, beträchtlich viele Facetten aufzuzeigen und zu überzeugen.


    Am Ende hat Juhani mit manchem abgeschlossen, vor allem mit so manchen Kinderträumen über seinen Vater. Der Schluß ist verblüffend, bietet aber einen Ausblick in eine Zukunft, über die man eben aufgrund der Lehren, die dieses Buch so unaufdringlich erteilt, gerne noch nachsinnt.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Inzwischen gibt es das Buch auch als TB. Ich für mein Teil muß aber zugeben, daß ich die gebundenen Ausgaben von Nagel&Kimche so schön finde, daß ich mir immer nur diese Ausgaben herauspicke, auch wenn sie zuweilen nicht unbedingt preiswert sind.



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus