OT: A Time to Keep Silence 1957
Lange vor dem, was man heutzutage nicht selten abwertend ‚Klostertourismus’ nennt - den Verkauf von Stille, innerer Einkehr und gesunder leiblicher Kost gegen harte Währung - suchte ein Engländer von Anfang vierzig einen Ort, an dem er in aller Ruhe ein Buch zuende schreiben konnte. Der Ort, den er fand, war das alt-ehrwürdige Benediktiner-Kloster St. Wandrille de Fontenelle in der Normandie. Der Engländer war der Reisejournalist Patrick Leigh Fermor (geb. 1915), damals in Paris lebend. Nach St. Wandrille trieb ihn einerseits die Neugier, mehr über das Leben von Mönchen zu erfahren. Auf der anderen Seite suchte er, erschöpft vom Wanderleben und in einem Zustand, den man am ehesten zivilisationsmüde nennen kann, einen Ruhepunkt.
Beides muß man beachten, um zu verstehen, welcher Art diese Reiseberichte sind. ‚Die Reise in die Stille’ ist nicht die Beschreibung einer gewöhnlichen Reise, obwohl sie alle Elemente enthält, das Unterwegssein, das Ankommen, die Entdeckung einer neuen Welt, ihre Schönheiten, ihre Kuriositäten, ihre Fremdheit und ihre Feindseligkeiten. Es ist auch nicht unbedingt die Beschreibung einer neuartigen spirituellen Erfahrung, obwohl der Autor eben diese erlebt und die LeserInnen daran auch ausführlich teilhaben läßt. Was dieser Reisebereicht tatsächlich ist, ist die Beschreibung einer Liebesgeschichte, ihr Beginn, ihr Aufblühen und ihre Fortdauer für alle Zeiten. Es ist Geschichte der Liebe von Fermor zum Orden des heiligen Benedikt.
Diese Liebesgeschichte findet sich in aller Ausführlichkeit im ersten der drei Reiseberichte, die das Buch enthält. Fermors Beschreibungen von St. Wandrille sind beeindruckend. Es gelingt ihm, Architektur, Klostergeschichte, Ordensgeschichte und den Alltag der Mönche zu einer erzählerischen Einheit zu verschmelzen. Die Anliegen des Ordengründers, die historische und kulturelle Bedeutung der Benediktiner und die Glaubensüberzeugungen seiner Anhänger haben wohl selten einen Kommentator von solch ehrlicher Innigkeit gefunden. Fermors Darstellungskunst ist bestechend, seine wachsende Begeisterung teilen sich der Leserin auf jeder Seite mit. Der Ton, in dem er berichtet, aber entspricht der Atmosphäre, die im Kloster herrscht, der Atmosphäre der Stille. Wenn so etwas möglich ist, wie mit innerem Feuer von sich langsam ausbreitender innerer Ruhe zu berichten, dann ist es Fermor hier gelungen.
Wovon er sich faszinieren läßt, ist allerdings ein rein mitteleuropäisch geprägtes, zivilisationshistorisches Moment, nämlich das Fortbestehen des Ordens über die Jahrhunderte, allen geschichtlichen Widrigkeiten zum Trotz, als wahrer und einziger Hort der europäischen Kultur. Das ist einseitig, zu kurz gegriffen und hält keiner Kritik stand, aber es geht hier eben um Liebe und die liegt bekanntlich im Auge der Betrachterin. Eben diese Subjektivität der Berichterstattung, die für Fermor Objektivität ist, gibt dem Ganzen eine Wahrhaftigkeit, wie sie nur echte Unschuld hervorrufen kann. Diese Unschuld verleiht dem Text einen Charme, dem man sich beim Lesen nur schwer entziehen kann. Während man den Text liest, kann man leicht selbst zur Gläubigen werden, die das Licht der von Benediktinern gehütetem Kultur unbeeinträchtigt selbst in dunkelsten Zeiten leuchten sieht.
Angeregt von dem Wunder St. Wandrille sucht Fermor in der Folgezeit noch andere Klöster auf. Zunächst eine weitere Benediktinerabtei, Solesmes. Sie kann aber nicht bestehen vor der Konkurrentin St. Wandrille, so bedeutend sie innerhalb des Ordens auch ist. Nirgendwo klingt der gregorianische Gesang schöner, gleich, was Fachleute behaupten. Der Platz in Fermors Herzen ist besetzt.
Erschrecken beim Autor löst der Besuch von La Grande Trappe bei Soligny aus. Diese Form der Frömmigkeit, die Ablehnung einer zivilisatorischen Rolle gehen Fermor deutlich zu weit. Er bemüht sich in seiner Beschreibung um Fairness, man spürt aber sein Kopfschütteln in jeder Zeile. Tatsächlich ist sein Bericht sehr farbig, Fermor läßt kein gruseliges Detail vor allem bezüglich des Reformators des Ordens im 17. Jh., Armand Jean Le Bouthillier de Rancé, aus. Das bietet hinreißende Lektüre, man sollte dabei aber beachten, daß es sich vielfach um Anekdoten handelt.
Der dritte Reisebericht ist der kürzeste. Das hat seinen Grund darin, daß wir Fermor hier in eine Welt begleiten, die ihm, trotz seiner Neigung zum Christentum, völlig verschlossen bleibt. Es geht zu den Felsenklöstern in Kappadokien. Die Gegend ist karg, heiß, steinig. Geisterhaft. Für Fermor ist es mehr als eine Steinwüste, es ist regelrecht ein fremder Planet. Die Fremdheit, das Abweisende in Verbindung mit einer vagen Vorstellung davon, daß hier ein Mysterium verborgen liegt, beschreibt er aber so eindringlich, daß einer die Bilder, die er schafft, noch lange nach der Lektüre im Gedächtnis bleiben.
Abgeschlossen werden die drei Reiseberichte mit einem Nachwort, in dem er seine Erfahrungen noch einmal zusammenfaßt und die Gelegenheit nützt, ein weiteres Loblied auf den Benediktiner anzustimmen. Da es sich um ein Liebeslied handelt, nehmen wir auch das hin.
Dieses kleine Buch bietet faszinierende Lektüre. Christlich gläubige LeserInnen werden je nachdem, wie ernst sie den Glauben nehmen, mit leichtem Stirnrunzeln auf so manchen schwärmerischen Kommentar zum Mönchsleben reagieren. Fermor selbst berichtet in seiner Einleitung zur Neu-Herausgabe des Buchs 1982, daß er kurz nach Erscheinen der Auflage von 1957 einem kritischen und ablehnenden Brief eines Benediktiners erhielt, der ihn sehr mitnahm und beschämte.
Andere Gläubige können sich eben wegen des Schwärmens im Fermors Beschreibungen leicht wiederfinden. SkeptikerInnen können staunen, in ihren Zweifeln bestätigt, denn die äußeren Gründe für Fermors Liebeserlebnis sind deutlich genug, und zugleich ein wenig neidisch wegen seiner überwältigenden Erfahrung. Menschen, die Glaube an sich vor ein Rätsel stellt, werden ihre Freude haben an den wunderbar formulierten Beschreibungen und an der Möglichkeit, die Befindlichkeiten des Autors (wenn sie aggressiv gestimmt sind, werden sie ‚des Opfers’ sagen) zu studieren und zu analysieren. Er ist so bereit, sich einnehmen zu lassen. Fermor setzt der christlich-lateinischen Kultur Mitteleuropas ein schönes, bürgerliches Denkmal, als gäbe es nichts anderes auf dieser Welt.
Das Buch ist eine echte Entdeckung.
Ein Hinweis noch: Fermor ist klassisch gebildet und sehr belesen (zu einem Gutteil durch Eigenstudium), die Nennung weltlicher und kirchlicher Fürsten, Autoren, Heiliger, historischer oder kulturgeschichtlicher Ereignisse und kirchengeschichtlicher Entwicklungen vom 9. bis ins 19. Jh., sowie lateinische und französische Zitate sind für ihn normal und werden auch nicht erläutert. Wer das so nicht hinnehmen kann, sollte bei der Lektüre ein Lexikon parat haben.
ASIN/ISBN: 3446199322 |