Rosenstolz und Charlie: Vielen Dank für das Lob - guter Humor, der nicht einfach nur platt ist und zudem noch beim Leser ankommt wie er ankommen soll, ist m. E. eine der schwierigsten Disziplinen beim Schreiben. Tragik ist relativ einfach, aber die richtigen Töne bzw. Nuancen beim Humor zu finden braucht Fingerspitzengefühl. Wenn mir das also gelungen sein sollte, bin ich mehr als glücklich!!!
'Amazonentochter' - Seiten 582 - Ende
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Liebe Birgit,
dies ist das erste Mal, dass ich in der Büchereule poste, und ich hoffe, ich schmeiße hier nicht alle Regeln über den Haufen, zumal ich für diese Runde ja reichlich spät bin.
Ich freue mich sehr auf diese Weise mehr von Dir und Deinen Überlegungen zur „Amazonentochter“ zu erfahren. Ich war zwar schon im Februar auf Deiner Lesung zur in Duisburg, aber irgendwie konnte ich da nicht meine Fragen bzw. Kommentare loswerden.
Zunächst einmal hat mir das Buch sehr gut gefallen. Flotter Stil, schneller Schlagabtausch und immer wieder überraschende Wendung. Das Thema „Amazonen“ interessiert mich sehr und ich habe auch einige Sachbücher darüber gelesen – u.a. den Pöllauer, auf den Du Dich in der Leserrunde manchmal beziehst.
Ich habe aber eine zentrale Frage zu Geschichte, die für mich bis zum Schluss nicht klar wurde (deswegen stelle ich sie am Schluss): warum ist es wichtig, dass Selina keine gebürtige Amazone ist sondern gekidnappt wurde? Ihre griechische Herkunft scheint im ganzen Buch keine Rolle zu spielen, zumal sie sich an nichts aus ihrer „Vor-Amazonen“-Zeit erinnert. Ihre Adoption hat für mich vielmehr für Verwirrung gesorgt. Auf der einen Seite nehmen es die Amazonen wohl sehr genau mit dem Geburtsrecht. Selina wird zur Königin ausgebildet, weil sie Penthesileas Tochter ist und nicht etwa weil sie sich unter allen jungen Mädchen als besonders geeignet hervor getan hätte. Gleichzeitig aber zeigt sie sich ziemlich wenig erschüttert, als sie erfährt, dass sie ja gar nicht Penthesileas leibliche Tochter ist. Dabei müsste doch diese Enthüllung Selinas ganze Zukunft als Amazonenkönigin in Frage stellen, oder? Zumindest hätte ich mehr Verwirrung, Selbstzweifel etc. bei dieser einschneidenden Nachricht erwartet. Später verstehe ich nicht, warum die Amazonen es hinnehmen, dass Selinas Kind, das ja alle für ein Mädchen und also eine Nachfolge-Königin halten, einem Mann mitgegeben wird. Die kostbare Nachfolge-Königin in den Händen eines Mannes!
Warum also hast du dich dafür entschieden, dass Selina keine geborene Amazone ist?
Mit besten Grüßen
Silsi -
Liebe Silsi,
ich finde es sogar ganz klasse, dass du dich hier meldest, um nochmal deine Fragen loszuwerden. Denn das ist ja auch das praktische an Foren und Forendiskussionen mit Autoren. Es geht ja nicht nur darum, dass der Autor sein Buch vorstellt, sondern den Lesern soll auch die Möglichkeit geboten werden, ihre Fragen zu stellen und beantwortet zu bekommen. In diesem Sinne - herzlich Willkommen, wenn auch verspätet.
Ja, im Februar (du warst dann wahrscheinlich auf der Lesung in der "Säule") hat ein älterer Herr den größten Teil der Fragestellung an sich gerissen - ich erinnere mich.
Erstmal finde ich es natürlich klasse, dass dir die "Amazonentochter" gut gefallen hat. Ich freue mich immer wieder, wenn mir Leser das sagen oder schreiben.
Und jetzt zu deinen Fragen:
Dass Selina keine gebürtige Amazone ist, hat schreibtechnische dramaturgische Gründe für mich gehabt:
1. Ich wollte noch vor der Darstellung der Amazonenkultur im Buch einen Blick auf die gegensätzliche Kultur des Patriarchats und der Einstellung Frauen gegenüber ermöglichen, was mit den Anfangsszenen und den Unterhaltung von Selinas Vater mit ihrer Mutter bzw. mit dem Truppführer geschah.
Dadurch wird noch einmal direkt deutlicher, wie ungewöhnlich die Amazonenkultur auch in dieser Zeit war.2. Selina ist eigentlich während des gesamten Buches irgendwie immer auf der Suche nach einer Heimat und fühlt sich entwurzelt. Dadurch, dass sie keine gebürtige Amazone ist, verstärkt sich auch hier nochmal der Eindruck ihrer Entwurzelung und die Prophezeihung der Seherin am Anfang, die ihr sagt, sie müsse ihren eigenen Weg finden bekommt mehr Gewicht.
Ihre griechische Herkunft spielt in diesem Sinne tatsächlich keine hervorgehobene Rolle, eher eine unterschwellige, die ich aber für die Handlung der Geschichte und ihren emotionalen Aufbau wichtig empfand.
Bzgl. Selinas Erschütterung, oder besser gesagt, nicht zu starken Erschütterung, als sie davon erfährt, dass Penthesilea nicht ihre leibliche Mutter ist (ich glaube, das hat sogar schon einmal jemand während der Leserunde angesprochen).
Ich persönlich hatte ihr Verhalten eigentlich schon von der Art der Kultur als normal empfunden, aber es scheint wohl doch einigen Lesern nicht so selbstverständlich zu sein.
Erstmal wird ja schon im Buch klar, dass viel eher Kleite die mütterliche Bezugsperson für Selina ist, Selina bewundert Penthesilea zwar - aber diese Bewunderung kommt eher der einer großen Schwester gleich. (Das hätte ich vielleicht etwas deutlicher hervorheben können.)
Dann die matriarchale Kultur, in der typische Familienbande, wie wir sie kennen, ohnehin nicht so existieren. Auch wird auf Seite 34 erwähnt, dass die Kinder relativ frei aufwachsen, und dass sich die ganze Frauengemeinschaft um die Kinder kümmert. Mutter-Kind-Bindungen sind in einer matriarchalen Gesellschaftsform u. U. nicht immer so extrem ausgeprägt, wie wir es kennen, da die Gemeinschaft an sich schon eine starke emotionale Bindung untereinander mitbringt und die Fixierung nicht unbedingt so stark auf Einzelpersonen gerichtet ist wie einer Gesellschaft mit festen Grenzen in Kleinfamilien.Bzgl. der Infragestellung von Selinas Nachfolge als Königin, als sie erfährt, dass Penthesilea nicht ihre leibliche Mutter ist.
Penthesilea hat ja Selina als Tochter angenommen, weil sie keine eigenen Kinder haben möche (bzw. keinen Sex) - auch die unbedingte Nachfolge durch Blutverwandschaft ist tatsächlich eher eine patriarchale Struktur.
Im Grunde genommen ist Selina ja so ziemlich die einzige, die nicht weiß, dass sie adoptiert ist - die Frauen wissen ja, dass Penthesilea sie als Baby angenommen hat.Später dann nimmt Penthesilea es hin, dass Selina ihre vermeintliche Tochter dem Vater mitgibt, da sie ansonsten Angst haben müsste, Selina würde auch gehen.
Bei der Frage, ob man ein Baby (das erst in vielen Jahren überhaupt regierungsfähig wäre) gegen eine Nachfolgerin im besten Alter (was Selina ja ist) tauscht, entscheidet man sich dann wahrscheinlich doch eher für das kleinere Übel. Außerdem ist Selina ja jung - sie kann weitere Töchter haben.
Wichtig ist erstmal die Gefahr abzuwenden, dass Selina mit Pairy verschwindet, denn das ist es ja, wovor Penthesilea am meisten Angst hat und was sie fürchtet - dass Selina ihr Volk für einen Mann verlässt bzw. verrät.Ich hoffe, ich konnte deine Fragen beantworten und ein paar Erklärungen zu meinen Überlegungen und Hintergründen geben.
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Zitat
Bzgl. Selinas Erschütterung, oder besser gesagt, nicht zu starken Erschütterung, als sie davon erfährt, dass Penthesilea nicht ihre leibliche Mutter ist (ich glaube, das hat sogar schon einmal jemand während der Leserunde angesprochen).
*hihi*
Das war ich. Da hatten wir diskutiert -
Nightflower : Ja, mir war doch so ... ... im zweiten Teil gibts dafür auf jeden Fall Entschädigung für alle, denen die Mutter/Tochter-Bindung zwischen Penthesilea und Selina nicht stark genug rüber kam.
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*hihi*
Dann freu ich mich schon umso mehr auf den 2. Teil Ende September!! -
Vielen Dank, Birgit, für die wunderbar ausführliche Antwort! Die Leserunde ab 20.09. habe ich mir schon notiert und freu mich drauf.
Liebe Grüße
Stefanie