Als ich endlich sechzehn war - Susie Morgenstern (ab ca. 14 J.)

  • OT: La première fois que j’ai eu seize ans 1989


    In vierzehn Kapiteln widmet sich die Autorin auf die ihr eigene grotesk-skurrile Darstellungsweise den Schwierigkeiten des Teenager-Lebens. Die Ich-Erzählerin der stark autobiographisch geprägten Episoden fühlt sich häßlich, dumm, ungeliebt, einsam, als Versagerin. Als jüngste Tochter in einer chaotischen, aber liebevollen Familie in New Jersey hat sie aber genügend Widerstandkraft entwickelt, um mit all ihren Ängsten umzugehen und das noch dazu auf eine herzerwärmend souveräne Weise. Egal, wie sehr ihr Herz pocht und die Knie zittern, bewirbt sie sich für die Jazzband der Schule, als ein Kontrabassist gesucht wird. Ein Beinahe-Skandal, denn traditionell spielen nur Jungen in der Jazzband.


    Egal, wie dick sie sich fühlt und wie häßlich, geht sie trotzig mit Jungen aus. Hauptsache, man wird aufgefordert, wenn schert es, wenn er einen Kopf kleiner ist. Irgendwann muß man das ja mal erleben, wie es ist, abgeknutscht werden, auch wenn man es insgeheim als eine seltsame Mischung aus doof und eklig empfindet. In der Schule kann man dafür für Lehrer schwärmen. Aber es gibt auch dort Ekel, den Spanisch-Lehrer etwa, der seine Schülerinnen antatscht. Man gerät in die verrücktesten Situationen, wenn man z.B. als einzige Frau einer Jazz-Band im Umkleideraum vor dem Konzert plötzlich ca. zwanzig nackten Jung-Musikern gegenübersteht. Oder aber aus einem unerklärlichen Impuls heraus einen Bikini klaut, der einer nicht einmal paßt. Klar, daß man erwischt wird.


    Hat man damit keinen Ärger, nerven die Tanten mit abartigen Vorstellungen von mädchenhaftem Verhalten und zum Erbrechen neckischen Anspielungen auf Heiraten und zukünftige Kinder. Und als ob das nicht genügte für eine geplagte Sechzehnjährige, hat man auch noch zwei ältere Schwestern, die blaue Augen haben, Haare, die sich für jede Frisur eignen und eine schlanke Figur. dafür haben sie aber jede Menge Diätvorschläge parat und wer könnte eine besser vor einem wütenden Kaufhausdetektiv retten als die große Schwester?


    Auch daß die Familie eine jüdische Familie ist, bringt nicht unerhebliche Probleme mit sich. Darf man als jüdisches Mädchen Weihnachten schön finden, auch wenn man nicht an Jesus glaubt? Mutter bereiten Weihnachtslieder keine Sorgen. ‚Sing einfach la, ihr lala ist geboren’, sagt sie. ‚Keiner wird den Unterschied merken’. Trotzdem ist man ein jüdisches Kind, Anne Frank schaut einer stets über die Schulter. ‚Nur ein Gott und soviele Feinde’, seufzt Großmutter. Aber es ist wirklich Antisemitismus, wenn der Klassenkamerad mit den schlechten Noten wissen will, warum Juden immer so intelligent sind? Gut, daß eine Kontrabaß spielt, hinter einem solchen Instrument kann man sich prima verstecken.


    Morgenstern gelingt es in diesem Episodenroman, die Vielschichtigkeit und die Widersprüche einzufangen, die das Leben mit sechzehn bringen kann. Die eigenen Meinungen über die Menschen und Welt reiben sich an einer neu entdeckten Realität oder zerschellen sogar daran. Ständig ändert sich etwas, man weiß nicht mehr, worauf man setzen kann. Heute ist man genial, morgen ein kleiner Wurm.
    Die Ich-Erzählerin, die laut der Autorin zu weiten Teilen sie selbst ist, hat nicht nur Mut, sondern verfügt auch über eine Menge trockenen Humors, mit dem sie ihre Erlebnisse kommentiert. Ihre Sicht auf alles, was ihr begegnet, ist eigen, schräg, zuweilen ein bißchen verrückt. Hoch amüsant ist sie obendrein. Manchmal vielleicht ein bißchen zu sehr, ein Dauer-Feuerwerk an Pointen kann auch ermüden.


    Das, was die Erzählerin fühlt, steht vielfach im Gegensatz zu dem, was sie tut, ihr Bericht springt vom Innen zum Außen von einem Satz zum nächsten. Das Hin und Her verleiht dem ganzen Lebendigkeit, macht die Lektüre aber auch streckenweise zu einer Herausforderung, da man Aussagen zusammenfügen muß, die auf den ersten Blick nicht zusammenpassen. Die Verwirrung, die in der Ich-Erzählerin herrscht, teilt sich der Leserin zuweilen fast zu gut mit.
    Die Geschichte kommt zeitlos daher, einige Hinweise im Text und vor allem das weitgehende Fehlen der heutigen Unterhaltungselektronik zeigen, daß sich das Ganze im New Jersey der frühen sechziger Jahre abspielt. Damit wird das Buch unversehens zu einem ziemlich faszinierenden kulturgeschichtlichen Dokument über eine jüdisch-amerikanische Familie.


    Ungewöhnliche Geschichte, für die man sich Zeit nehmen muß, mit so manchem Stolperstein, der der Leserin außer einer hinreißenden Heldin auch einige eigene wertvolle Erkenntnisse darüber liefern kann, was das Leben so ausmacht.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus