Ravensburger, gebundene Ausgabe, 128 Seiten, 1996
Mit Illustrationen von Wolfgang Slawski
Originaltitel: Guests
Aus dem Amerikanischen von Uwe-Michael Gutzschhahn
Handlung laut Rückseite:
Sie tragen seltsame Kleidung und sprechen eine unverständliche Sprache. Moos versteht nicht, warum sein Vater diese Freundin zum Erntedankfest eingeladen hat. Mit ihnen wird das schönste und wichtigste Fest des Jahres nicht sein, wie es sein soll und wie es immer war. Doch niemand außer Moos scheint sich darüber sorgen zu machen. Und auf seine Fragen hört er immer: „Eines Tages wirst du verstehen…“ Da will Moos auch nicht am fest teilnehmen. Er läuft in den Wald, um schon jetzt, im Herbst, sein „Zeit des Fortseins“ zu erleben, die ihm Antwort geben soll, wer er ist und wer er als Erwachsener sein wird. Doch auch der Wald ist ihm fremd, und Moos ist nicht, wie er es erwartet hat, allein dort – er trifft ein Mädchen, das wie ein Junge gekleidet ist
Über den Autor:
Michael Dorris, geboren 1945, war ein bekannter US-Amerikanischer Schriftsteller. Seine Bücher für Kinder, Jugendliche und Erwachsene wurden mit zahlreichen Preisen gewürdigt. Seine Kinderbücher widmen sich indianischen Themen. Michael Dorris starb 1997.
Meine Meinung:
Es ist auf den ersten Blick schwer, diese optimistische, positive Geschichte "Fremde“ in Verbindung mit Michael Dorris tragischem Ende und seinen Selbstmord zu bringen. Dorris Adoptivsohn starb, seine Ehefrau, die Schriftstellerin Louise Erdrich und er wollten sich scheiden lassen, er beging Selbstmord.
Diesem Buch, nur wenige Jahre vor Dorris Tod erschienen, ist nichts von einer depressiven Stimmung anzumerken. Optimistisch und humorvoll wie die Hauptfigur, der Indianerjunge Moos. Er ist neugierig aufs Leben, aber auch in einer Phase der Selbstfindung und noch orientierungslos. Seine Eltern und sein Großvater bilden positive Einflüsse in seinem Leben, aber wer er ist, weiß er noch nicht. Deshalb läuft er weg, in den Wald, um sich in fremder Umgebung selbst zu bewiesen und zu finden. Schon nach kurzer Zeit verläuft er sich, findet aber ein Stachelschwein, mit dem er sich in einem inneren Monolog unterhält. Eine amüsante Szene und nicht ohne Selbstironie.
Er kommt zu der Selbsterkenntnis, dass er nicht gastfreundlich, nicht bereit zu helfen und stur war.
Dann trifft er das Mädchen „Kummer“, die sich wie ein Junge gekleidet, auch in den Wald begeben hat. Sie hat Schwierigkeiten mit ihrer Rolle als Mädchen, da sie sich von den Erwartungen der Erwachsenen eingeschränkt fühlt. Im Gegensatz zu Moos hat sie in ihren Eltern kein Verständnis zu erwarten, wird sogar geschlagen.
Auch Moos hat seine Identitätsfindung noch lange nicht abgeschlossen, hat aber doch schon einige Erkenntnisse gefunden und befindet sich auf dem Weg.
Michael Dorris gibt kein Rezept für den richtigen Weg und hat keine einfachen Lösungen. Er hat nur die Gewissheit, dass es nicht notwendig ist wegzugehen, sondern dass die Antworten in sich selbst zu suchen sind.
Drei Geschichten indianischer Herkunft sind in die Handlung des Romans integriert:
Rennende Frau
Wie die Menschen einander verloren
Der Biber und das Bisamrattenweibchen
Verständnisprobleme beim Fest zwischen Indianern und Weißen bleiben bestehen. Groß sind kulturelle und kommunikative Unterschiede.
Wären nicht die Beschränkungen der Jugendliteratur, hätte Michael Dorris hier noch viel mehr aufzeigen können.
Auch Kummers Situation der Rollenfindung und angedeuteter Kindesmisshandlung bleibt letztlich unaufgelöst. Etwas zu abrupt schließt hier das Buch.
„Fremde“ liest sich nicht wie ein Jugendbuch der 90ziger Jahre, es fühlt sich eher wie ein Buch der 70ziger an.
Für die heutigen Kids ist vermutlich viel zu wenig Action enthalten. In den USA war es aber immerhin beliebte Schullektüre.