Innerer Horror
Erst muss ein völliger Stillstand kommen, ein absolutes Vergessen.
Nelson Dyar ist nahe dran, der völlige Stillstand scheint gegeben. In Tanger, Ende des zweiten Weltkriegs lässt es sich zwar nicht gut…, aber doch leben. Als Aushilfe eines Bekannten in dessen “Reisebüro“ gibt es auch nicht viel zu tun, aber Sorgen zu machen, dazu hat man später noch Zeit.
Und so macht sich der “Held“, dem so ziemlich alles egal zu sein scheint – Freundschaften und Liebe werden abgetan – auf zu einem großen Trip durch eine verregnete, grausam schöne Stadt. Und kommt in Berührung mit Frauen, echten und scheinbaren Freunden und grübelt nach und stellt sich dem SEIN an sich.
Wenn man das Dasein doch nur auf den jeweiligen Punkt des Hier und Jetzt begrenzen könnte, ohne Echos, die aus der Vergangenheit herüberzitterten, ohne das Prickeln der Erwartungen aus einer Zeit, die noch nicht gekommen war!
Alles wird gesehen, alles ausgekostet, alles auch abgetan, ein sonniger Tag in einem dauernden Albtraum kann alles bedeuten, bei erster Gelegenheit lässt man alles hinter sich, am Ende bleibt Nelson nur noch Thami, sein marokkanischer Freund, dem er allerdings nicht vertraut.
Er hatte keine Ahnung, er wusste nichts von diesem Land, außer dass all seine Einwohner sich wie Wahnsinnige aufführten.
Und Paul Bowles lässt seine Figur weiterwandeln, wanken, schillern, alle Grenzen übertreten im Strudel aus Wahn und Vorstellungen des Wahnsinns, Augenblicken der Klarheit folgen Momente des Rausches, Misstrauen und Zweifel machen sich breit. Dyar, der eigentliche Verbrecher traut dem Ehrlichen alles zu…, ja, schließlich geht er vom Menschen aus, der ihm selbst der nächste ist und Nelson Dyar kommt sich selbst auf seinem Höllentrip viel zu nahe.
Warum nicht, fragte er sich. Glauben und Zweifeln ist nur eine Frage des Glauben- oder Zweifeln wollens…
Und so trifft – wie soll man es anders sagen – Paul Bowles mit seiner Reise durch das Menschliche den Nagel auf den Kopf und seinem Helden in seinem Wahn und Rausch gelingt ähnliches.
Der Autor schreibt im Jahrzehnte später verfassten “Nachwort“ sinngemäß, dass “extreme Unbequemlichkeit“ dem kreativen Prozess oft hilfreich sei. Wenn das stimmt (und man zweifelt hier keineswegs) so muss es Paul Bowles beim Verfassen dieses Werkes extrem “unbequem“ gehabt haben, anders ist ein Kunstwerk dieser Präzision kaum zu erklären. Persönlich dachte man nach Beendigung der Lektüre und einer schlaflosen Nacht: Wie hat er das gemacht?
Große Verbeugung.