Zum Inhalt:
Francines Vater Gerard ist besessen von dem Traum, eine Jacht zu kaufen und gemeinsam mit seiner Tochter um die Welt zu segeln. Für Francine jedoch wird Gerards Traum im Laufe der Jahre zum Albtraum, denn trotz aller Bemühungen bekommen sie nicht genug Geld zusammen, um das Vorhaben in die Tat umzusetzen. Ohne Wissen ihres Vaters lässt sich Francine schließlich auf illegale Jobs ein. Sie überführt für ihren Freund Jimmy gestohlene Autos nach Osteuropa, bis er einen noch lukrativeren Coup vorschlägt - ganz leicht und völlig risikolos. Statt der nötigen Barschaft für die ersehnte Weltumsegelung beschert die Aktion Vater und Tochter allerdings ein ernsthaftes Problem: Jimmy hat einen Jungen entführt und Gerard wird bei der Leiche des Kindes gefunden ...
Der Roman "Finstere Wasser", der den Belgischen Krimipreis 2007 erhielt, erzählt eine eher ungewöhnliche Kriminalgeschichte, der weder als Wer-war's-Krimi gedacht ist (die Geschichte ist aus der Sicht der Heldin erzählt und präsentiert keinerlei Geheimnisse) noch auf äußeren Thrill oder Action setzt. Stattdessen geht es um eine sehr ambivalente Vater-Tochter-Beziehung, die durch ebensoviel Liebe wie Schuldgefühle bestimmt ist. Die Kriminalhandlung ist eher ein äußerer Rahmen als der eigentliche und vorrangige Inhalt.
Der Vater hat sich für die Tochter aufgeopfert, glaubt jedenfalls die Tochter, und lebt nur von dem Traum, einmal mit Francine auf einem Segelboot die Welt zu umschiffen. Gleichzeitig hat er Schuldgefühle, weil die Mutter nach einem Streit um das Kind auf die Straße gelaufen ist und von einem Lkw überfahren wurde, als Francine noch ein Baby war.
Auch Francine liebt ihren Vater, bei dem sie noch wohnt, und leidet zugleich unter Schuldgefühlen. Sie träumt nach außen hin den Traum des Vaters mit, von dem sie jedoch weiß, dass er nie in Erfüllung gehen wird. Sie hat sich längst von ihm verabschiedet und entfernt, mimt aber die treue und loyale Tochter. Dieses Spannungsfeld trägt einen Großteil der Handlung, es begründet und motiviert sie und schafft emotionale Konflikte, die über den reinen Krimiplot hinausgehen.
Dieser Krimiplot wird mitunter so zweitrangig behandelt, dass der Spannungsbogen unnötigerweise zum Erliegen kommt. Nach einem starken und heftigen Auftakt, nimmt sich der Autor sehr viel Zeit und Raum für allerlei Rückblenden und Exkursionen. Das Problem bei dieser Erzählweise ist, dass man die Ergebnisse und Resultate längst kennt und sich keine Spannung aufbauen kann. Erst ab Seite 100 nimmt die Geschichte wieder Fahrt auf, doch auch im Folgenden fällt auf, dass der Autor nicht in erster Linie auf Spannung aus ist, sondern sich mit den inneren Befindlichkeiten und Konflikten seiner Heldin auseinandersetzt.
Diese Heldin hat mir als Figur sehr gut gefallen, sie ist eine starke, weil zerrissene und ambivalente Person. Sie kämpft nicht nur mit sich und ihrem Vater, sondern hat sich auch mit den Kommissaren und ihrem Freund Jimmy auseinanderzusetzen. Auch der Vater Gerard ist als Figur glaubwürdig, er hat etwas Tragisches. Sein Leben ist an ihm vorbeigezogen, er hat alles für die Tochter gegeben und bemerkt nicht, dass er ihr damit im Weg stand und nicht nur sein Leben, sondern auch ihres verpfuscht hat. Und beide sind sich dessen bewusst.
Trotz einiger Schwächen, die vom Autor vermutlich nicht als Schwächen gesehen werden, sondern Teil seines "Nicht-wirklich-Krimi-Konzepts" sind, fand ich den Roman über weite Strecken reizvoll. Immer wieder gibt es spannende oder bewegende Passagen, die sehr geschickt aufgebaut sind. Felix Thijssen ist ein Autor mit Gespür für Stimmungen und emotionale Momente, doch leider hat die Story, die er erzählt, zu wenig Überraschendes und Mitreißendes. Es wird keinerlei kriminalistisches Puzzle oder Geheimnis geliefert, es gibt nichts zu enträtseln. Das Finale findet zwischen Vater und Tochter statt. Der vordergründige Krimiplot ist zu diesem Zeitpunkt fast schon vergessen.