Pariser Tagebuch 1942-1944 – Hélène Berr

  • Hanser 2008, 319 Seiten
    Originaltitel: Journal 1942-1944
    Aus dem Französischen von Elisabeth Edl


    Kurzbeschreibung:
    Als Hélène Berr 1944 verhaftet und deportiert wurde, rettete eine Hausangestellte der Familie das Manuskript des Pariser Tagebuchs. Nach dem Krieg übergab sie es - dem Wunsch der Verfasserin gemäß - deren Verlobtem. Erst heute wurde es von der Familie zur Veröffentlichung freigegeben. Zu entecken ist eines der bedeutendsten Zeugnisse aus jener Zeit.


    Über die Autorin:
    Hélène Berr wurde 1921 als eines von fünf Kindern einer jüdischen Familie geboren und studierte Englische Literatur an der Sorbonne. Sie starb 1945 in Bergen-Belsen, kurz vor der Befreiung des Lagers. Ihr Tagebuch wurde 2008 in Frankreich veröffentlicht.


    Über die Übersetzerin:
    Elisabeth Edl, geboren 1956, Übersetzerin u.a.von Simone Weil, Julien Green, Philippe Jaccottet und Patrick Modiano, erhielt für ihre Neuübersetzung von Stendhals Rot und Schwarz den Johann-Heinrich Voss-Preis (2005) und den Österreichischen Staatspreis für literarische Übersetzung (2006).


    Meine Meinung:
    Dieses 2008 veröffentlichte Tagebuch hat nicht umsonst für so viel Aufsehen gesorgt. Es ist sprachlich so klar und präzise wie beeindruckend und inhaltlich ein wichtiges Dokument über die Entrechtung bis hin zur Deportation von Juden in Paris.


    In der Mitte des Buches befinden sich Fotos von Hélène Berr und ihrer Familie, Freunden und ihrem Verlobten, so dass man auch bildlich einen Einruck gewinnen kann.


    Dem Buch vorgestellt ist ein beeindruckendes Vorwort von Patrick Modiano, der ebenfalls ein sehr lesenswerter Autor ist. Nützlich sind auch die erläuternden Anmerkungen zu den jeweiligen Eintragungen im Anhang sowie das Nachwort „Ein geraubtes Leben“.


    Hélène ist eine junge Literaturstudentin an der Sorbonne, die anfänglichen Eintragungen sind optimistisch und voller Lebensfreude. Als dann die Repressionen gegen die Juden beginnen, z.B. mit Enteignungen und mit dem Zwang einen Stern auf der Kleidung zu tragen, verzeichnet sie das in ihren Eintragungen detailliert. Ihr Vater wird verhaftet, nur weil der Judenstern nicht korrekt aufgenäht war. Viele Deportationen sind zu vermerken.


    Hélène Berrs Persönlichkeit bestimmt dabei den Ton des Buches. Manche ihrer Eintragungen sind ausführlich und detailliert über Seiten hinweg, andere Eintragungen sind kurz, z.B. Montag 16 November: Bibliothek.
    Nicht selten nutzt sie einen philosophischen Ansatz, zitiert öfter aus der Weltliteratur z.B. Keats.


    Patrick Modiano schreibt im Vorwort: „Eine so künstlerisch veranlagtes, so feinfühliges junges Mädchen hätte aus Selbstschutz oder aus Entsetzen den Blick abwenden oder auch in die freie Zone fliehen können. Doch sie entzieht sich nicht, sondern fühlt sich in einer spontanen Regung solidarisch mit dem Leiden und dem Unglück.“ (Seite 9.)


    Nicht zuletzt sollten die Eintragungen ihr helfen sich zu erinnern, wenn sie später darüber schreiben oder berichten wollte.
    Das ist der Grund für die gute Lesbarkeit des Textes.


    Gegen Ende hin mehren sich das Grauen und die kontinuierliche Lebensgefahr, viele Passagen sind schmerzhaft zu lesen.


    In diesem Tagebuch findet der Leser vieles: Einerseits authentische Informationen über die Zustände und diese unmenschlichen Handlungen, andererseits auch eine lebendige Sprache, wie sie selten zu finden ist.

  • Vielen Dank für die schöne Rezension Herr Palomar!


    ich habe mir den Titel gleich notiert.
    Es ist nicht so leicht Zeitzeugenberichte zu finden, die authentisch mit schöner, lebhafter Sprache geschildert sind.



    notierende Grüße von Elbereth :wave

    “In my opinion, we don't devote nearly enough scientific research to finding a cure for jerks.”

    ― Bill Watterson