Der 7. Sonntag im August - Sabine Ludwig (ab 10 J.)

  • Es ist Sonntag und die elfjährige Freddy (Frederike, was sie affig findet) ist eigentlich ganz glücklich darüber. Sonntage sind gemütlich. Eigentlich. Früher mal, genau genommen. Als Mama noch Zeit für Freddy hatte, als die große Schwester Mia noch nicht die doofste, fieseste Schwester der Welt war, und als Papa noch nicht wild darauf war, beim großen Kochwettbewerb 100 000 Euro zu gewinnen. Als sie noch zu Oma in das Haus mit dem schönen Garten gefahren sind. Jetzt lebt Oma im Altersheim. Darüber will Freddy gar nicht nachdenken. Wenn sie aber nicht darüber nachdenkt, fällt ihr nur noch ein, daß am Folgetag Montag sein wird, der erste Schultag nach den Ferien. Grauenhaft!
    Dann doch lieber der Sonntag mit der schwierigen Familie. Der Tag wird auch nicht besonders schön, trotzdem wünscht sich Freddy heimlich, daß es nicht Montag wird. Aber was hilft’s, denkt sie, als sie einschläft.


    Offenbar hat es geholfen, denn als Freddy am nächsten Morgen aufwacht, ist es - Sonntag! Freddy ist verwirrt. Hat sie den gestrigen Tag nur geträumt? Sie beobachtet genau, was geschieht. Das ist alles schon einmal passiert, sie ist ganz sicher. Es gibt nur minimale Unterschiede, wenn sie bei ihren Unternehmungen ein wenig zu spät oder zu früh dran ist. Sonst ist alles, wie es gewesen ist. Sie muß es geträumt haben! Fast erleichtert geht sie am Abend zu Bett.
    Als sie am nächsten Morgen aufwacht, ist es - Sonntag! Freddy kann es nicht fassen. Das Zimmer ist unaufgeräumt, da liegt noch die unausgepackte Schultasche, wie sie sie vor den Ferien hingeworfen hat. Gleich wird Mama schimpfen. Und Papa erst, wenn er merkt, daß es ein sechs Wochen altes Schulbrot gibt! So geschieht es. Und wieder zetert Mia los wegen des Käses, muß Freddy den Hund ausführen, muß sich über einen Schulfreund ärgern, mit dem sie sich lieber vertragen hätte, muß Oma im Altersheim besuchen. Und am Abend verbrennen erneut Papas gefüllte Wachteln. Freddy hat sich schon fast an den Gestank gewöhnt.
    Noch zwei weitere Sonntage muß Freddy durchleben, bis Familienleben, Freundschaften und ihre heimliche Sehnsucht nach einem Garten so zusammengefunden haben, daß es Montag werden kann und das Leben endlich weitergehen.


    Mit einer sehr spannungsreichen Mischung aus Familienroman und Fantasy beschreibt Sabine Ludwig die Auseinandersetzung einer Elfjährigen mit ihrer Familie und ihren Freunden. Freddy ist eigentlich unglücklich. Mia, die große Schwester und Spielgefährtin, hat das Kinderzimmer verlassen und ist mit ihren ersten ungeschickten Stolperschritten in die Erwachsenenwelt beschäftigt. Die Eltern tragen einen stillen, aber verbissenen Konflikt aus wegen der Besessenheit, mit der der Vater sein Hobby plötzlich professionalisieren will. Alle leiden darunter, daß die Großmutter ins Alterseim mußte, aber sie drücken sich davor, sich auch dort um sie kümmern. Das bleibt an Freddy hängen, dem Kind, das nichts Besseres zu tun hat, insgeheim aber mit ebenso großen Ängsten kämpfen muß. Ebenso ist es Freddy, die sich um den Hund kümmert. Auf das Kind kann man sich eben verlassen.
    Freddy aber steht ihrerseits an der Schwelle der Pubertät. Ihre Beziehung zu einem Schulfreund wird auf einmal durch heftige Eifersuchtsgefühle gestört, weil dieser sich um ein anderes Mädchen zu bemühen scheint. Freddys bis dahin beste Freundin erweist sich als oberflächlich und unzuverlässig. Freddy muß sich ganz neu orientieren.


    An den unablässig aufeinanderfolgenden Sonntagen hat Freddy die Möglichkeit, unterschiedliche Verhaltensweisen auszuprobieren. Sie kann freundlich sein und chaotisch, frech und aufmüpfig, einmal wird sie sogar eine richtige Heldin. Vor allem aber lernt sie, sich durchzusetzen und ihre Interessen zu verteidigen. Sie erweist sich tatsächlich als der solide Felsen in der erdbebengeplagten Landschaft, die ihre Familie ist. Glücklich jede Familie, die eine Freddy in ihrer Mitte hat!
    Herausragend sind die Szenen von Freddy und ihrer Großmutter. Die Großmutter verwechselt sie immer mit ihrer eigenen kleinen Schwester, die schon als Kind gestorben ist, ein echtes Angstmoment für Freddy. In dem Maß jedoch, in dem jenes kleine Mädchen lebendiger wird, wird Freddy mehr und mehr zu einer eigenen Persönlichkeit, die sich am Ende auch durchsetzen kann. ganz abgesehen davon, daß die ‚Geschichten von früher’ so gut erzählt sind, daß man noch viele, viele Seiten mehr davon lesen möchte.


    Das Ende ist ziemlich rosig, der Altersgruppe angemessen. Warum die Zeit stillstand, ist nicht ganz geklärt. Ob es doch am Wunsch-Armband lag? Auf den Schuß Religionskitsch, der aus heiterem Himmel in den Schlußteil eingebaut wurde, hätte man getrost verzichten können.
    Ludwig ist aber ehrlich genug, die Schwierigkeiten nicht einfach aus der Welt verschwinden zu lassen. Ihre Figuren werden sich ihrer bewußt und sind entschlossen, sie anzupacken. Dafür haben sie auf jeden Fall die eine oder andere Belohnung verdient.


    Spannender und gescheiter Roman für Kinder, am Alltag orientiert und zugleich verrückt, mit vielen urkomischen Momenten und einer äußerst liebenswerten kleinen Protagonistin.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus