'Der Turm' - Seiten 371 - 512

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  • Ich fand, das war ein sehr, sehr interessanter Abschnitt.


    Das Wehrlager fand ich nun gar nicht so furchtbar oder besonders bedrückend. Wie alt sind die Jungs gerade? Da sie kurz vor dem Abitur stehen und das in der DDR schon nach 12 Jahren so weit war, müssten sie alle 18 sein. In der Bundesrepublik ging es mit 19 auch zur Bundeswehr und die Erfahrungen (und Schikanen) waren dort keine anderen. In dem Zusammenhang fand ich vor ca. 20 Jahren "Fassonschnitt" von Jürgen Fuchs sehr interessant. In dem Buch berichtet er von seinen ersten dreizehn Tagen bei der NVA Ende 1969. Erschreckend fand ich die riesig großen Parallelen zu meiner Bundeswehrzeit Ende 1989, also 20 Jahre später.


    Mich hat gewundert, dass Richard gegenüber seiner Familie so offenherzig vom Anwerbeversuch der Stasi berichtet, wo doch im ersten Abschnitt noch davor gewarnt wurde, dass der Schwager ja eventuell zu den anderen gehört und man sich doch angeblich oft auch in der Familie nicht so offen begegnet wird. Christian wird ja gegen Ende des Abschnitts auch vor der vermeintlich falschen Frau gewarnt.


    Aber es war ja nicht sehr intensiv mit der ersten Liebe. Ich dachte ja, dass Christian mit Verena zusammenkommt. Auf jeden Fall war die DDR-Jugend wesentlich freizügiger als Christian in diesem Roman. Der Staat förderte ja auch frühe Hochzeiten und Familienbildungen. Aber vieles entstand auch nur, um eine eigene Wohnung zugewiesen zu bekommen. Beklemmender als das Wehrlager fand ich die Vorschriften zum Wasser- und Heizenergieverbrauch. Da kommen Mangelwirtschaft und die fehlgeleiteten Verteilungspläne zum Vorscheinen. "Von der Sowjetunion lernen, heißt frieren zu lernen." :-)


    Über die Erfahrung, eine Kokosnuss zu knacken, konnte ich herzlich lachen. Mit dem Moskwitsch drüberfahren, hätte wohl eher das Auto demoliert. :-)


    Was für mich in dem Abschnitt aber auch sehr deutlich wird, ist der Zusammenhalt im Mikrokosmos der Familie und der Freunde. Auch wenn man ihnen allen nicht hundertprozentig vertrauen konnte, so war es irgendwie doch eine kleine Idylle. Den Garten von Meno stelle ich mir sehr schön und unkompliziert vor. Ohne Probleme und ohne schief angeguckt zu werden, läuft er dort im heißen Sommer nackt durch den Garten. Ebenso schön beschrieben war die Zeit von Christian und seinen Freunden in Bad Schandau.


    Perfide dagegen waren mal wieder die Tricks der Stasi, die Handschriften den Menschen zuzuordnen, um Kopisten von Büchern zu entlarven. Auch die extreme Strafe für Christian, da er das falsche Buch lies, ist erschreckend.

  • Zitat

    Original von xexos
    ...
    Das Wehrlager fand ich nun gar nicht so furchtbar oder besonders bedrückend. Wie alt sind die Jungs gerade? Da sie kurz vor dem Abitur stehen und das in der DDR schon nach 12 Jahren so weit war, müssten sie alle 18 sein. In der Bundesrepublik ging es mit 19 auch zur Bundeswehr und die Erfahrungen (und Schikanen) waren dort keine anderen. In dem Zusammenhang fand ich vor ca. 20 Jahren "Fassonschnitt" von Jürgen Fuchs sehr interessant. In dem Buch berichtet er von seinen ersten dreizehn Tagen bei der NVA Ende 1969. Erschreckend fand ich die riesig großen Parallelen zu meiner Bundeswehrzeit Ende 1989, also 20 Jahre später.
    ...


    Die Jungs mussten schon früher ins Wehrlager. Das erste Mal in der 9. Klasse, das heißt mit 15 Jahren.

  • Das 30. Kapitel hat es ganz schön in sich. Oberarzt Hoffmann: Manchmal frage ich mich, wo er seinen Halt im Leben hat. Wo ist seine Mitte, um die er kreist? Manchmal ganz schön mutig (im Beruf), dann wieder feige (privat), zerrissen kommt er mir vor, sich nicht selbst gehörend – aber Frau Schmücke gehört mein Mitgefühl. Den Kindern auch. Und Josta – es tut mir leid, aber ich muss bei diesem Namen immer an den Busch in meinem Garten denken, an die Beeren, dunkel, fast schwarz, wenn sie reif sind, prall und voller Saft, nicht gerade ein Genuss, wenn man sie roh verzehrt, aber mit einer Beimengung von Anderem als Marmelade oder so lecker.
    Dass Hoffmann von dem Gespräch mit dem Stasi-Mann seiner Familie berichtet, finde ich so überraschend nicht, auch nicht, dass er nicht alles berichtet. Aber so verteilt er den Druck auf mehreren Schultern – oder meint ihn verteilen zu können.


    Christian hat sein Lernpensum offensichtlich nicht so strikt einhalten können, er hat Freunde, aber aus seinem Elfenbeinturm heraus kommt er doch nicht ganz, was ja auch so einfach nicht ist. „Du wirst noch mal gewaltig auf die Fresse fliegen“ sagt Ina auf Seite 410 zu ihm – und das glaube ich auch, ein bisschen fürchte ich um ihn. Die Geschichte mit dem Buch (Seite 448) wirkt auf mich wie die Ouvertüre zu einem Drama.


    Erstaunlich finde ich ja doch, wie viel mir bekannt vorkommt, obwohl ich nie die DDR besuchen konnte. Die Art und Weise, wie man mit (einigen? vielen?) alten Menschen umgeht, habe ich schon angesprochen; Hoffmans Situation mit zwei Familien dürfte auch eher eine Situation sein, die man anderenorts kennt. Und das, was Seite 418 unten, 419 oben angesprochen wird, hat man in abgewandelter Form auch schon von Westverlagen gehört; als prominentes Beispiel sei Hilsenraths „Nacht“ genannt. Zu Autor Paul Schade und seine Meinungsäußerungen sage ich besser nichts; beides hat einigen Wiedererkennungswert.


    Schön ist dochSeite 472 f. über den „Großkritiker“. Wurde MRR, Verzeihung Wiktor Hart je treffender skizziert? Eines der vielen kleinen Kabinettstückchen, die sich in dem dicken Buch finden.


    Interludium: 1984 bietet und fordert von mir im Kleinen alles, was das Buch im Großen und Ganzen bietet und fordert: Staunen, Begeisterung, Fragen (was ist ein „Schlittschuhschritt“ – Seite 501), Trauer, hemmungsloses Grinsen, leises Schmunzeln, Fassungslosigkeit, Mitgefühl.


    Was für ein Abschnitt!

  • Zitat

    Original von Lipperin
    ...Zu Autor Paul Schade und seine Meinungsäußerungen sage ich besser nichts;...


    Schade


    Zitat

    Original von Lipperin
    ...was ist ein „Schlittschuhschritt“ – Seite 501)...


    Eine damals neue Art der Fortbewegung beim Langlauf. Normal war bis dahin der Parallelschritt. Der Schlittschuhschritt ist wesentlich ökonomischer und schneller aber halt nicht so schön und nicht so klassisch. Heutzutage gibt es im Langlauf Wettbewerbe mit beiden Bewegungsarten.

  • Ich wollte euch nur mal kurz rückmelden, dass ich eure LR gespannt verfolge und es sehr schade finde, dass ich das Buch schon alleine vor mich hingelesen habe.
    Ich dachte erst, ich könnte mehr zaungasten, aber dazu ist das Buch doch nicht geeignet und schon zu weit aus meinem Kopf.
    Ich wünsche euch weiter eine lebendige LR! :wave

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Lipperin
    Das 30. Kapitel hat es ganz schön in sich. Oberarzt Hoffmann: Manchmal frage ich mich, wo er seinen Halt im Leben hat. Wo ist seine Mitte, um die er kreist? Manchmal ganz schön mutig (im Beruf), dann wieder feige (privat), zerrissen kommt er mir vor, sich nicht selbst gehörend – aber Frau Schmücke gehört mein Mitgefühl.


    Genau so hätte ich ihn auch beschrieben: zerrissen! Ich bin mir nicht sicher, ob er so etwas wie eine Mitte, einen Punkt, an dem er sich fest macht, hat. Erst dachte ich, dass Anne, trotz seiner Untreue, so ein Haltegriff für ihn ist. Aber ich meine, dass auch sie, so hart wie das klingt, für ihn austauschbar wäre. Für mich ist er ein Mensch, dem die Mitte verloren gegangen ist, so er je eine hatte. Für den einen ist es der Glaube, für den Anderen eine Überzeugung (zum Beispiel die, dass der Kommunismus irgendwann siegen muss, weil er richtig ist... :yikes). Richard hat irgendwie nur sich und die Figuren in seinem Leben, die er meint auf dem Schachbrett setzen zu können, wie er es sich vorstellt. Vielleicht tue ich ihm da auch Unrecht, aber so sehe ich ihn.


    Zitat

    Schön ist dochSeite 472 f. über den „Großkritiker“. Wurde MRR, Verzeihung Wiktor Hart je treffender skizziert? Eines der vielen kleinen Kabinettstückchen, die sich in dem dicken Buch finden.


    Da kann ich dir nur zustimmen. Auch der Name des Kritikers ist gut gewählt, denn hart war der Genannte in seinen Kritiken ja wahrlich.

  • Zitat

    Original von xexos


    Eine damals neue Art der Fortbewegung beim Langlauf. Normal war bis dahin der Parallelschritt. Der Schlittschuhschritt ist wesentlich ökonomischer und schneller aber halt nicht so schön und nicht so klassisch. Heutzutage gibt es im Langlauf Wettbewerbe mit beiden Bewegungsarten.


    Danke!
    [SIZE=7]Wie peinlich für mich, ich hatte mich tatsächlich gefragt, wie solches wohl aussieht, mit Schlittschuhen ... [/SIZE]:-(

  • Zitat

    Original von Clare


    Genau so hätte ich ihn auch beschrieben: zerrissen! Ich bin mir nicht sicher, ob er so etwas wie eine Mitte, einen Punkt, an dem er sich fest macht, hat. Erst
    dachte ich, dass Anne, trotz seiner Untreue, so ein Haltegriff für ihn ist.


    An einen Menschen hätte ich nicht gedacht, aber an seinen Beruf. Aber selbst der scheint ihn nicht zu halten. Er laviert, ziemlich dicht am Abgrund, scheint mit weiterhin.


    Zitat

    Aber ich meine, dass auch sie, so hart wie das klingt, für ihn austauschbar wäre.


    Auf jeden Fall - und das macht Anne für mich zu der im Grunde tragischten Gestalt des Romans - bisher zumindest.

  • Christian und seine Gedanken rund um Reina haben mich in diesem Abschnitt mit am meisten berührt, auch wen Christian oft kalt und eingebildet wirkt, in ihn kan ich mich von allen Personen am besten hineinversetzen. Wen sich so langsam die erste Liebe entwickelt, sollte sich wirklich keiner Gedanken darüber machen müssen, ob der Schwarm ein Spitzel sein könnte.


    Wiktor Hart ist so treffend skizziert, den habe sogar ich erkannt. :-]


    Richard wirkt auf mich auch wie ein Mann, der die Menschen um sich herum wie Schachfiguren hin und her schiebt oder es zumindest versucht. Bei Josta ist das nun völlig schief gegangen, ich finde es gut, dass sie es geschafft hat, sich von ihm zu trennen, nur ihrer Tochter sollte sie doch weiterhin den Kontakt erlauben.

  • So, diesen Abschnitt habe ich nun auch geschafft.


    Die arme Josta, ihr Richard verhält sich so abweisend ihr gegenüber, er ist zwar verheiratet, aber dann hätte er doch besser wissen sollen, auf was er sich einlässt und sich und sich der Konsequenzen bewusst sein, andererseits befindet er sich ja auch in einer kniffligen Situation, da der Überwachungsapparat von seinen "Ausflügen" Wind bekommen hat.


    Fahrlässig fand ich Richards Handeln, als er das Kind, anstatt sich darum zu kümmern, bei der trinkenden Nachbarin abzugeben, wie kann man nur so bescheuert sein?


    Und sich mit einem Hitler-Buch erwischen zu lassen, war nicht gerade eine Glanzleistung, aber gut, ist halt passiert und Richard versucht seinem Sohn da unter die Arme zu greifen, "Vitamin B" scheint halt sehr oft zu funktionieren.


    Zwischen Christian und Reina scheint es auch nicht richtig zu funken, Christian stört sich an Reinas politischer Einstellung, eigengeltich an seinem Misstrauen, sie könnte vertrauliche Sachen an die Behörde weitergeben, gut ... da hätte ich auch so meine Bedenken, da würde ich mich sicher auch schwer tun, mich auf so eine Person einzulassen. Verwerflich ist es schon, Jugendliche derart zu missbrauchen, ihre Freunde auszuhorchen. Über die Kinder versuchte die Stasi auch an die Eltern dranzu kommen, denn Kinder sind da noch etwas auskunftsfreudiger.


    Amüsant fand ich, wie die Kokosnuss einfach nicht aufplatzen wollte, tja, wie es halt so ist, mit den Früchten, die einem nicht so geläufig sind.


    In diesem Abschnitt lernten wir auch Menos Arbeitswelt etwas genauer kennen, das war schon interessant, wie damals so die Arbeit in einem Verlag ausschaute.


    Zitat

    Original von Clare


    Die Jungs mussten schon früher ins Wehrlager. Das erste Mal in der 9. Klasse, das heißt mit 15 Jahren.


    So wie ich das gelegentlich mitbekomme, muss es in der DDR beim Militär härter zugegangen sein, als heute beim Bund, mittlerweile gibt es diese Pflicht ja nicht mehr.