'Der Turm' - Seiten 797 - 890

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    Original von Ruhrmaus
    Für mich steckt da System hinter. Die Fabriken hatten alle billige Arbeiter. Statt die Strafe im Gefängnis abzusitzen, haben sie für einen Hungerlohn dieselbe Arbeit verrichten müssen, wie die fest Angestellten.


    Auch aktuell müssen die Gefängnisinsassen arbeiten und etwas produzieren. Der Unterschied ist, dass man ihnen heute die Resozialisierung ermöglichen will und damals die Leute mit Schwerstarbeit ausgebeutet und vernichtet wurde.



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    Original von Ruhrmaus
    Also durfte man sich wirklich nicht die kleinste Kleinigkeit erlauben, geschweige denn, etwas Negatives über die Republik sagen. Sofort war man verurteilt und zur Zwangsarbeit gezwungen.


    Etwas Negatives über den Staat sagen war Hochverrat und keine Kleinigkeit.



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    Original von Ruhrmaus
    Und die Karriere war für den Rest des Lebens auch versaut.
    Echt gemein so was.


    Nein. Auch wenn es zynisch ist: Das Leben kam endlich in die richtige Spur und diente dem Volkswohl.



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    Original von Ruhrmaus
    Mir fehlen da etwas Christians Gefühle. In vielen Abschnitten hätte der Autor die noch besser ausarbeiten können. Für mich geht er zu schnell zur Tagesordnung über und fügt sich immer wieder seinen Schicksalen. Ihm bleibt nichts anderes übrig, richtig, aber wie geht es ihm dabei, innerlich?


    Ich finde Christians Gefühlswelt perfekt herausgearbeitet. Er wird von seiner Gefühlswelt abgespalten, er hat keine mehr.

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    Original von buzzaldrin


    Wahrscheinlich hat sie es wirklich für Christian getan, schockiert hat es mich dennoch. Die Ehe von Anne und Richard scheint auch nicht mehr wirklich das zu sein, wofür ich es zumindest am Anfang noch gehalten habe.


    Diese Stelle hatte mich auch ratlos gemacht. Waren die nun in der Kiste oder nicht? Aber: Kommt es darauf überhaupt an? Ich glaube aber nicht, dass Anne das für Christian gemacht hat. Dies ist ebenso ein Beispiel für die Abspaltung von Seele und Körper. Die Menschen wurden zerstört und zerstörten sich gegenseitig. Ich glaube nicht, dass Tellkamp damit nur die kleine Familie Hoffmann darstellen will. ;-)

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    Original von buzzaldrin
    (vor allem was mit sie "waren längst die Treppen zu ihren Interessen hinabgestiegen" gemeint ist).


    Richard verliert sich im wertlosen Sex (Anne ebenso) und baut ein altes Auto zusammen, Niklas musiziert. Sie ziehen sich auf sich selbst zurück und interessieren sich nicht mehr für die Politik, den Staat und etwas wertvolles aufzubauen. Interessant auch die Aussage in Müllers Abschiedsbrief. Sinngemäß: "Das ist nicht der Sozialismus, für den wir angetreten sind.



    In einen Fernsehbericht hatte ich vor kurzem die Aussage gehört, das mit der Ausbürgerung Biermanns der Untergang der DDR begann.


    Ich denke eher, der begann bereits am 17.06.1953 als die Regierung der DDR (und der UdSRR) ihren Bürgern zeigte: Ihr seid uns völlig egal. Entweder ihr macht mit, oder wir knallen euch ab. 1961 wurde mit der Mauer noch eine Einkesselung daraus und irgendwann wurde der innere Druck zu groß und die Chose flog in die Luft. Die Regierung hat vergessen, ihre Bürger auf ihre Reise mitzunehmen und vernünftig und ehrlich zu motivieren. Das Ergebnis des großen Projekts stand schon fest bevor es begann und alle, die etwas dagegen sagten wurden mundtot gemacht. So etwas kann nicht lange gutgehen.

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    Original von Clare
    Erleichterung schafft die Verlegung nach Halle/Leuna/Buna-Schkopau, wo er zur Arbeit in der Chemieindustrie herangezogen wird - billige, willige Arbeitskraft, die kaum aufmucken wird, weil ja bereits im Knast.


    War das wirklich eine Erleichterung? Ich denke, bei diesen Arbeitsbedingung war das eher noch schlimmer. Lebenserwartung durch die Arbeitsschäden: 50 Jahre. Christian sagt doch "Wir sind die Verdammten.".



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    Original von Clare
    Der "Orient" weckt erst recht Erinnerungen. Die Bezeichnung hatte ich zwar noch nie gehört, aber die Gegend kenne ich, weil ich von September 1989 bis Februar 1990 ein Semester Chemie in Merseburg studiert habe.


    Ich denke, "Orient" ist ein Fantasiename von Tellkamp.


    Als ich erstmals nachts am Chemiewerk in Leuna vorbeifuhr hab ich mich erschrocken. Lichter am ganzen Horizont. Ein riesiges Chemiewerk. Bitterfeld sieht auch heute noch an vielen Ecken grausam aus. In Halle ist zumindest die Innenstadt ganz nett. Ein Freund von mir hat dort studiert und fand die Stadt zum Studieren großartig.



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    Original von Clare
    Amüsant fand ich die Episode in der Badeanstalt. Ich bin auf dem Dorf aufgewachsen, und bei uns gab es das nicht, nur in der Stadt.


    Ja, es lag nicht an den Menschen, dass das Leben in der DDR oftmals grau war.

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    Original von xexos


    War das wirklich eine Erleichterung? Ich denke, bei diesen Arbeitsbedingung war das eher noch schlimmer. Lebenserwartung durch die Arbeitsschäden: 50 Jahre. Christian sagt doch "Wir sind die Verdammten.".


    Trotzdem: Bewegung, andere Menschen, nun vielleicht kein Himmel, aber ein wenig Anschein von der Normalität, vielleicht ein wenig mehr Bewegungsfreiheit als zwischen den Stacheldrähten in Schwedt...
    So habe ich es jedenfalls gesehen beim Lesen.

  • Kapitel 60: Armer Christian, jetzt kommt es knüppeldick – und er scheint es gar nicht richtig zu verstehen. Kapitel 57 wird ihm auch zur Kenntnis gebracht, eine Schwester, ja, da wird er staunen, und es ist nicht wichtig, folglich bestrafenswert, was er getan hat, sondern das, was er sagt.
    Und schon wieder der Hinweis, dass das Lächeln Gorbatschows nicht willkommen ist (Seite 803). Ab jetzt – wir sind zeitlich etwa Juni 1986 – kann ich es ja ein bisschen verstehen, dass man, wenn man als „sauertöpfisch“ und „grimmig“ deklariert wird, nicht in ein freundliches Gesicht blicken will.
    Der Eindruck, den ich von Christian habe, verstärkt sich immer mehr. „Klüger“ (Seite 833) sei er geworden, manches mehr wird Seite 840 gesagt. Was ist er jetzt? Biegsamer, sich dem Wind mehr anvertrauend, um nicht ge- bzw. zerbrochen zu werden? Und immer noch … wie viel … Christian?


    Die Grauschattierungen von Seite 853 beschreiben ziemlich genau meinen Eindruck von diesem Abschnitt. Grau, dem ich entfliehen möchte, aber ich kann nicht, ich habe das Gefühl, Tellkamp klammert sich mit seinen Sätzen an mir fest, lässt mich nicht in Ruhe


    Seite 850 sagt, Proust durfte nicht gedruckt werden, Seite 858 liest man die „Recherche“ … als Strafe (was es – für mich – nicht ist). Aber für Christian freut es mich doppelt: Einerseits hat er nicht so viel zu arbeiten, andererseits, was Traugott Pfeffer nicht wissen kann, ist es Spinnfädchen zu den Türmern, zum „alten“ Leben. Was hätte der Meister wohl dazu gesagt, wüsste er davon?


    Kapitel 65: Stellenweise eine Allegorie. Stellenweise … eine Bestrafungsaktion? Nach dem Motto „was du kannst ...“? Stellenweise … für mich ein Witz, aber ein ganz schlechter.


    Seite 890: „...aber dann auf einmal ...“ - Dichter müsste man sein, dann wüsste man, was man zu sagen hat... Mir gehen langsam die Worte aus.
    Es zieht sich also langsam zu; ich habe seit geraumer Zeit den Eindruck, mich in einer Spirale zu befinden, die Kreise werden immer enger, was werde ich, bis ich die Mitte erreicht habe, noch lesen müssen? Und wo wird die Mitte sein – erst auf der letzten Seite?

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    Original von xexos


    Diese Stelle hatte mich auch ratlos gemacht. Waren die nun in der Kiste oder nicht? Aber: Kommt es darauf überhaupt an? Ich glaube aber nicht, dass Anne das für Christian gemacht hat. Dies ist ebenso ein Beispiel für die Abspaltung von Seele und Körper. Die Menschen wurden zerstört und zerstörten sich gegenseitig. Ich glaube nicht, dass Tellkamp damit nur die kleine Familie Hoffmann darstellen will. ;-)


    Den letzten Satz unterschreibe ich!
    Doch, ich denke schon, dass die beiden "in der Kiste" waren, sonst macht die Szene - für mich - keinen Sinn: Es scheint mir - unter anderem - der Beginn einer Abnabelung Annes von Richard zu sein. Sie wird eigenständiger, trifft Entscheidungen, sie fragt nicht, bespricht vielleicht nicht (mehr).

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    Original von buzzaldrin


    Damit hast du sicherlich Recht. Vor allem als er im Verhör erfährt, dass Richard wohl eine Affaire mit Reina hat, reagiert er überhaupt nicht darauf (bisher). Weder sagt er etwas, noch erfährt man etwas über seine innere Lage.


    Mir scheint das System zu haben bei Tellkamp. Die innere Lage, das Fühlen, Spüren - sind sich die Leute, hier Christian, darüber wirklich selber im Klaren? Spiegelt es nicht auch ihre eigene Unsicherheit resp. Verunsicherung, ihr eigenes Nichtbeisichsein?
    Was bei mir auch ankommt: Tellkamp zwingt mich (so ich bereit bin, mich zwingen zu lassen), mich mehr in die Figuren hineinzuversetzen, mitzudenken, mitzufühlen, er fordert meine Stellungnahme. Auch wenn mir manche Person nicht wirklich nahe kommt, lässt mich keine einzige kalt. Ich kann nicht einfach außen vor bleiben, kann nicht so tun, als ginge mich das alles gar nichts an. Dazu ist es viel zu real (geschildert).

  • So, langsam nähert sich das Ende.


    Ich dachte auch, dass Christian länger verurteilt würde, aber da hatte er wohl noch mal Glück im Unglück, aber ich denke, Richard hat wohl ein Christian einen Mediziner gesehen und sein Sohn wäre es ihm zulebe auch wohl gewurden, dann wäre der Studienplatzverlust am Ende eine "Erlösung" für Christian?!


    Endlich ist Richards Affäre auch ans Licht gekommen, hoffentlich ist dieser Spuk bald vorbei.


    Und in so einem Karbid-Werk möchte ich nicht arbeiten, damals schienen die Arbeitsbedingungen nach nicht gerade die besten gewesen zu sein.