Maximilian Dorner - Mein Dämon ist ein Stubenhocker

  • Über den Autor
    Maximilian Dorner, geboren 1973 in München, studierte Dramaturgie an der Bayerischen Theaterakademie. Er drehte Filme, produzierte Hörspiele und arbeitete als Theaterkritiker und Literaturlektor. Für seinen Debüt-Roman »Der erste Sommer« über die Wirren der Münchner Nachkriegsmonate erhielt Dorner 2007 den Bayerischen Kunstförderpreis. Ein Jahr zuvor wurde bei ihm Multiple Sklerose diagnostiziert.


    Kurzbeschreibung
    Ich bin ein Mann von vierunddreißig Jahren, und bei einer Party möchte ich keine mitleidigen Blicke. Da ist mir die Reaktion der Frau neben mir an der Bar doch lieber, die mit verschleiertem Blick abwechselnd auf meinen Stock und auf mich starrt. Entschuldigend sage ich: »Ich habe eine schwere Nervenkrankheit und kann nicht mehr ohne Stock gehen.« Die Frau braucht ein paar Sekunden, um die Information zu verarbeiten. Man sieht ihr förmlich an, wie sie mit sich ringt, etwas Angemessenes zu erwidern. Schließlich entgegnet sie: »Ach, wie unpraktisch! Gerade auf einer Stehparty.«


    Maximilian Dorner ist jung und begabt und seit zwei Jahren ist er behindert. Das hat sein Leben von Grund auf verändert. In seinem Tagebuch schreibt er über die Fragen, die sein neuer Alltag ihm stellt: Schaffe ich den Weg bis zur nächsten Ampel? Wieso schäme ich mich vor mir selbst? Bin ich der Typ mit dem Stock oder der mit den sanften Augen? Warum ist mein Dämon ein Stubenhocker, der am liebsten im Tarnanzug schläft? Dorners Antworten sind mal mild und leise, mal traurig, oft sehr komisch und immer messerscharf beobachtet. Er hat ein besonderes Buch über einen zutiefst menschlichen Zustand geschrieben in einem bisher unbekannten Tonfall.


    Meine Rezension
    Dieses Buch ist das Tagebuch, das der Autor Maximilian Dorner nach Erhalt der verheerenden Diagnose Multiple Sklerose verfasst hat. Er lässt hier seine Gedanken und Gefühle rund um seine Krankheit Revue passieren: Was passiert mit ihm? Was bedeutet diese Krankheit für ihn, seine Umwelt und seine Familie? Wie kann man lernen, mit dieser Krankheit zu leben, die (S. 89) “sich überall aufdrängt und immer mit aufs Bild will“?


    Dieses Buch, eine Art Chronik seiner Befindlichkeiten, ist aus der Zeit nach der endgültigen Diagnose MS - als er noch versucht, sich in sein neues Leben hineinzufinden und sich der Tatsache zu stellen (bzw. sie zu akzeptieren), dass er von nun an behindert ist, ein Mensch mit Handicap. Das alte, unbeschwerte Leben hat nun ein Ende. Im neuen Leben, in dem selbst eine Gehsteigkante ein unüberwindliches Hindernis darstellen kann, ist er aber auch noch nicht angekommen. Er will sich beweisen, dass manche Dinge noch immer gehen und dann tun sie es doch nicht, was ihn zuweilen in Zynismus verfallen lässt.


    Die endgültige Diagnose MS scheint im Buch erst ca. ein Jahr her zu sein und Maximilian Dorner scheint auch die endgültige Wahrheit aus Angst vor der Unwiderruflichkeit noch hinausgezögert zu haben, so gut es eben ging. Doch nun muß er den Tatsachen und allem, was damit einhergeht, ins Auge blicken.
    Er setzt sich mit seiner Krankheit auseinander: betroffen, aber nicht jammernd. Man spürt, es ist noch frisch, er weiß selbst noch nicht, wie er mit seinem neuen, anderen Leben umgehen soll.


    Im Tagebuch dreht sich irgendwie alles um die Krankheit: wie sie sich äußert, wie die Außenwelt darauf reagiert, was mit dem Autor passiert, was er alles nicht wahrhaben will, wie er versucht, damit umzugehen. Den Schreibstil fand ich persönlich irritierend: die Krankheit und die daraus resultierene Behinderung wird nüchtern dargestellt, oft lapidar, manchmal zynisch, eher selten jammernd – aber das Gesamtbild wirkt auf mich durch dieses beinah alleine vorherrschende Thema verstörend depressiv.


    Dabei enthält dieses Buch auch durchaus witzige Szenen wie z.B. die Liste der persönlichen Handicap-Favoriten, oder die SMS-Umfrage unter Freunden zum Thema „ Für wie groß haltet ihr meine Behinderung im Vergleich mit einem Tier von Maus bis Elefant?“ (S. 47)


    Blöderweise hatte ich „Lahme Ente in New York“ vor diesem Buch gelesen, in dem er sich schon besser mit seiner Behinderung abgefunden hat und neue Lebenskraft entwickelt hat, dadurch wirkte dieses Buch auf mich mit Sicherheit viel negativer, als es gewirkt hätte, wenn ich die beiden Bücher in der chronologisch korrekten Reihenfolge gelesen hätte.


    Ein interessantes Buch, das einen unweigerlich aber auch zur Frage führt: Wie würde man wohl selbst mit einer derartig destruktiven Diagnose in jungen Jahren umgehen?

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Angenommen, du müßtest mir raten, ob das ein Buch für eine spezielle Person in meinem Umkreis ist, würdest du nicken oder den Kopf schütteln? :gruebel
    Auf den ersten Blick erscheint mir das recht passend und reizvoll.... :gruebel

  • Da würde ich eher zur "Lahmen Ente in New York" tendieren, das ist ermutigender und zeigt, daß man auch mit der Krankheit noch viel schaffen kann, wenn auch in kleineren Schritten als man es vielleicht selbst gerne möchte.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)