Ich, Molly Marx, kürzlich verstorben - Sally Koslow

  • Für Freunde der Minimal-Information habe ich alles, was näher auf den Inhalt eingeht, mittels der Spoilerfunktion versteckt. Wem das zuviel Gefummel ist, der kann den Text hier am Stück lesen.


    ***


    Sally Koslow: Ich, Molly Marx, kürzlich verstorben – Roman, OT: The Late, Lamented Molly Marx, Deutsch von Britta Mümmler, München 2009, dtv Deutscher Taschenbuchverlag, ISBN 978-3-423-24725-2, Softcover (dtv Premium), 363 Seiten, Format: 13,5 x 21 x 3 cm, Euro 14,90 [D], 15,40 [A], sFr 25,80.


    Keine Ahnung, warum sich Molly Divine Marx ihre eigene Beerdigung immer als ein Event in einer Steinkapelle am Meer vorgestellt hat, irgendwo in Schottland. Das wäre ein ziemlich ungewöhnlicher Abschied für eine New Yorker Jüdin.


    Mit dem tatsächlichen Verlauf der Veranstaltung ist sie denn auch denkbar unzufrieden. Zum einen, weil sie bereit mit 35 Jahren abtreten muss und ihre 4-jährige Tochter zurücklässt, zum anderen, weil ihr die stickige Synagoge, der schwadronierende Rabbi, der kitschige Gesang und die wildfremden aufgetakelten Weiber unter den Trauergästen nicht gefallen. Wer sind die überhaupt? Patientinnen und Freundinnen des plastischen Chirurgen Dr. Barry Marx, ihres Ehemanns?


    Dass Molly nicht weiß, wer oder was sie so frühzeitig ins Jenseits befördert hat, trägt auch nicht zu ihrem Wohlbefinden bei. Sie erinnert sich nur noch daran, dass sie nach einem Fahrradausflug tot am Ufer des Hudson lag. War es ein Unfall? Oder hat jemand nachgeholfen? Selbstmord, wie Barrys Verwandte annehmen, war es definitiv nicht, dafür gab es keinen Grund. Und ehe Molly das Rätsel ihres Ablebens nicht gelöst hat, kann und will sie nicht endgültig ins Jenseits verschwinden.



    Sie solle nur gut haushalten mit ihren besondern Kräften sagt Bob, der schon auf eine längere Erfahrung mit dem Totsein zurückblicken kann und ihr als Guide zugeteilt wurde. Denn diese speziellen Fähigkeiten wird sie nicht für immer haben. Also zügelt Molly ihre allgemeine Neugier und will nur zweierlei wissen: wie sie zu Tode gekommen ist und wie ihre Hinterbliebenen den Verlust verkraften.


    In einer unterhaltsamen Mischung aus Mollys Erinnerungen und aktuellen Beobachtungen erfahren wir das Wichtigste aus ihrem Leben. Zum Glück muss man im Jenseits nicht mehr politisch korrekt sein, und so nimmt Molly auch kein Blatt vor den Mund. So mancher Mitmensch bekommt ordentlich sein Fett weg:


    Mit Zuneigung betrachtet Molly ihre Eltern, deren liebevollen Umgang miteinander sie stets bewundert hat. Wie wird Tochter Annabel den Tod der Mutter verarbeiten? Und wird Freundin Brie, die Rechtsanwältin, mit ihrer Lebensgefährtin glücklich werden?


    Wäre alles anders gekommen, wenn Molly den Mut gehabt hätte, den Status der verwöhnten Arztgattin aufzugeben und sich zu ihrem Geliebten, dem Fotografen Luke, zu bekennen? Und was treibt eigentlich Detective Hicks, der Mann mit dem albernen Vornamen? Er soll bitteschön aufklären, wie Molly Marx zu Tode kam. Stattdessen flirtet er mit ihrer Freundin Brie!


    Auch mit sich selbst geht Molly gnadenlos ehrlich ins Gericht. Wenn sie ihre eigenen Fehler, Pleiten und Schwächen auflistet, möchte man sie am liebsten als Schwester im Geist ans Herz drücken. Man erkennt sich in so vielem wieder!


    Eigentlich hat man es als Leser gar nicht so eilig, den Grund von Mollys Tod herauszufinden. Soll sie ruhig noch eine Weile Detektiv spielen und uns unterdessen an ihren Betrachtungen des Lebens und der Menschen teilhaben lassen. Ob freundlich-humorvoll, kritisch und nachdenklich, berührend-melancholisch oder messerscharf biestig – Spaß macht es immer! Natürlich will man trotzdem wissen, ob auf Erden der Gerechtigkeit Genüge getan wird. Die Antwort muss in diesem Fall wohl lauten: Ja, nu, wie man’s nimmt ...


    Molly Marx’ flapsige Kommentare aus dem Jenseits könnten eventuell die religiösen Gefühle von Lesern verletzen, die vom Leben nach dem Tod eine andere Vorstellung haben als die Autorin. Nicht jeder kann sich mit Witzeleien über die Ewigkeit anfreunden. Wer diesbezüglich keine Berührungsängste hat, wird sich gut unterhalten und dürfte der Heldin zustimmen: „Mein altes Leben ist die beste Soap der Welt, auch wenn sie nur einen Zuschauer hat.“ (S. 330.)


    Für Leserinnen und Leser, die mit den Riten des jüdischen Glaubens nicht so vertraut sind, enthält das Buch freundlicherweise ein Glossar. Das erspart umständliche Erklärungen innerhalb der Geschichte und liefert genau die Menge an Informationen, die für das Verständnis der Abläufe notwendig ist. (Über die Etymologie des Wortes „Fagele“ wäre vielleicht noch zu reden, aber das kann auch eine Frage der Transkription sein.)


    Die Autorin:
    Sally Koslow wurde in North Dakota geboren, studierte Englisch an der University of Wisconsin und hat für verschiedene Zeitschriften und Magazine gearbeitet. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen in Manhattan.

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Vandam ()

  • das hört sich wirklich interessant an, aber ehrlich gesagt schreckt mich dieses furchtbare Freche-Frauen-Cover ziemlich ab :yikes
    Würdest du das Buch in diese Ecke stecken, Vandam?

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Ehrlich? Als ich das Buch auf den Tisch bekam, dachte ich, das wandert gleich in die Verschenke-Kiste, so einen freche-Frauen-Scheiß lese ich doch nicht.


    Ich hab mich erst anders besonnen, als ich mitbekam, in welchem ethnisch-kulturellen Umfeld es spielt. Durchgeknallte jüdische Verwandtschaft mit Neigung zu Hysterie und Drama? Gegebenenfalls eine respektlose Abrechnung mit der Mischpoche? Kenn ich mich aus mit, also ran an die koscheren Buletten!


    Schlimmstenfalls hätte es ein "Hera Lind meets Nanny Fine" werden können, aber so oberfächlich ist es gar nicht.


    Bei aller Flapsigkeit - in der Story ist ein Leben vorzeitig beendet worden, und die, die es verloren hat, fragt sich, wo die Sache eigentlich aus dem Ruder gelaufen ist.

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner

  • Tolle Rezi, Vandam! Deine Spoiler musste ich natürlich auch gleich lesen :-]
    Die Story fällt voll in mein Beuteschema und das Buch somit auf meine WL...


    FRAGE: Kann man es mit Safiers "Mieses Karma" vergleichen?

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    "Es hat alles seine Stunde und ein jedes seine Zeit, denn wir gehören dem Jetzt und nicht der Ewigkeit."

  • Zitat

    Original von Eskalina
    Schade, das ist ja noch gar nicht erschienen...dann muss ich also also warten...was lese ich nur in der Zeit? :grin


    Darf ich mal ein bisschen lachen solange, Eskalina :chen.

    Liebe Grüße, Sigrid

    Keiner weiß wo und wo lang

    alles zurück - Anfang

    Wir sind es nur nicht mehr gewohnt

    Dass Zeit sich lohnt

  • Naja, so wirklich gespoilert isses ja nicht. Da ist mancher Klappentext ausführlicher. Aber manche mögen es halt nicht, wenn man dem Inhalt nähers auf die Pelle rückt.


    Ich weiß gar nicht, wann offizielles Erscheinungsdatum ist. Rezensionen durften am 15. Mai veröffentlich werden, und das hab ich gemacht.

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner

  • Meine Rezension
    Molly Marx ist tot. Doch zu ihrem Erstaunen findet sie sich auf ihrer eigenen Beerdigung wieder, die sie sehr frech, frisch und zynisch kommentiert.


    Was ist bei ihrer letzten Fahrt mit dem Rad passiert? Warum musste sie sterben? Das interessiert nicht nur ihre eigenartige Familie, diese Frage beschäftigt vor allem auch sie selbst und so „geistert“ sie nach ihrem plötzlichen und unerwarteten Ableben noch eine Weile im Kreise ihrer Lieben herum und versucht ebenfalls, sich diese Frage zu beantworten.


    Leider hört sie dabei nicht nur Dinge, die sie zu Lebzeiten gehört hätte, natürlich bekommt sie auch Unangenehmes mit, denn ihr neuer „Wesenszustand“ erlaubt ihr auch, die echten Gedanken der Menschen zu lesen. Leider hat sie von dort, wo sie nun ist, von der „Ewigkeit“ aus, keinerlei Möglichkeiten, einzugreifen…


    Mollys Geschichte wird abwechselnd in Rückblicke und teilweise in der Gegenwart durch die Ermittlungen des Detective Hicks erzählt. War es Mord?


    Obwohl das Cover eher auf einen süßlichen Inhalt hindeutet, ist der Inhalt eher locker und frech erzählt. Die tote Molly ist die Ich-Erzählerin und plaudert in einem sehr süffisanten Ton mit den Lesern.


    Da die Familie Marx dem jüdischen Glauben angehört ist am Ende des Buches ein ganz kurzes Glossar mit der Erklärung einiger Begriffe.


    Die Geschichte ist nett zu lesen und auch recht unterhaltsam, wenn man etwas wirklich Leichtes für Zwischendurch sucht. Im Mittelpunkt steht eigentlich nicht so sehr die Aufklärung von Mollys Tod sondern eher Mollys Leben und ihr Eheleben.


    Ich habe mich gut unterhalten, lediglich mit dem Ende konnte mich nicht so anfreunden.


    Daß es keinen brutalen Mord gibt, störte mich noch nicht einmal so, aber nachdem vorher auch eher ausschweifend erzählt wurde, kam mir dieses Ende doch ein wenig zu abrupt.


    Dennoch: Leichte, lockere Lektüre für Zwischendurch. Ein Buch für Strand, Balkon und Garten.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)