'To Lie with Lions' - Teil 5

  • Du hast schon mit allem recht was Du so schreibst. Es gibt aber, glaube ich, zwei entscheidende Ebenen. Die eine ist die des Verlustes, also jene die Dich vor allem berührt. Die andere Seite ist die der Befreiung. Und die scheint mir, typisch für Niccolo, trotz allem im Vordergrund zu stehen - und mich persönlich mehr zu berühren.


    Den ganze Krempel, den er sich angeeignet hat durch seinen unermüdlichen Schaffensdrang, den ist er jetzt los. Eine Befreiung. Denn es wurde doch sehr deutlich, wie sehr ihn das alles belastet hat zu glauben, dass es ohne ihn nicht gehe. Ich glaube so einer wie er fühlt sich irgendwann gefangen und eingeengt von Haus, Firma, Freunden, Familie usw.. Eine Ausbruchsgelegenheit wird da gerne mal angenommen. Inclusive eines anschließenden überbordenden Ausbruchs aus allen Konventionen - mal so richtig Arschloch sein und sich nicht dafür rechtfertigen müssen. (Ein Capriccio ist in der Musik ja ein Stück, das keinen gängigen Regeln folgt - ob ich das jetzt überinterpretiere kann ich nicht ausschließen, da ich CR erst angefangen habe und der Handlungsablauf dies eigentlich noch nicht hergibt).
    Der normale Weg danach wäre dann, dass einer den Wert bestimmter Dinge durch ihren Verlust erst schätzen lernt. Ein Reifeprozess. Und den muss Niccolo in vollem Umfang durchlaufen. Gelis, wenn auch in geringerem Ausmass, allerdings auch.
    Da dies unausweichlich so sein muss wirkt das Ende von TLWL auf mich trotz der niederschmetternden Ereignisse eben in erster Linie (auf lange Sicht) hoffnungsfroh.

  • :chen


    Deutsche Sprache schwere Sprache. :lache


    Nee, ich hatte es so gemeint, dass Du jetzt zwar verstehst warum ich das TLWL-Ende auch positiv interpretiere, AAAABER, dass gleichzeitig meine sonstigen Schlussfolgerungen und Vermutungen, was die folgende Entwicklung der Geschichte betrifft möglicherweise trotzdem vollkommen daneben sind.


    Na ja, :lesend , dann :licht



    :suppeln


  • Einen Zusammenhang mit Gelis lese ich daraus, dass Nicolas in Gefangenschaft denkt, "...to be reduced".

    Don't live down to expectations. Go out there and do something remarkable.
    Wendy Wasserstein

  • Puh, ich bin auch fertig. Du meine Güte, was für ein Ende. :wow
    Hm, ok, Nico wusste von Gelis Verrat. Warum dann aber dieses (S. 599):
    The sense of loss deepened and spread, bringing with it a weariness which almost stopped him from speaking. Warum berührt es ihn denn so, Martin zu sehen, wenn er doch sowieso schon weiß oder ahnt, was vor sich geht?


    Hm, ehrlich gesagt, so richtig kann ich es nicht verstehen, wie zwei Menschen, die sich so sehr lieben (und das tun Gelis und Nico, das lässt uns DD wohl ganz unzweifelhaft annehmen), sich so weh tun können. Ja, die Person, die ich am meisten liebe, kann mich auch am meisten verletzen. Aber wie kann man so einen Kampf über viele viele Jahre führen? Wieso kann man nicht einfach darüber reden, den anderen entweder für immer verlassen oder eben sich zusammenraufen und einander vergeben? Denn das sollte so eine Liebe doch können, einander vergeben. Macht es ihnen Spass? Es ist so viel wertvolle Lebenszeit, die sie da verschwenden. Ach ja.


    Insgesamt nehme ich Nico übrigens gar nichts übel. Am Ende von diesem Band tut er (und Gelis) mir einfach nur leid. Er hat nicht erwartet, dass Gelis ihn verlässt, er hat erwartet, dass ihr "Spiel" jetzt endlich vorbei ist. Und er wollte dessen Ende ja unbedingt, endlich. Und jetzt muss er erkennen, dass er es (mal wieder) zu weit getrieben hat und (erstmal und scheinbar, wie ich hoffe) alles verloren ist.
    Dann wird einem auch noch einmal bewusst, wie schlimm es für ihn sein muss, seinen Sohn Henry so zu sehen.


    Ach ja, alles ist so traurig an diesem Ende. Ziemlich deprimierend. Eigentlich müsste man gleich weiterlesen, das hält man so ja kaum aus!
    Oder ist gerade deshalb eine kleine Pause umso nötiger? Naja, mal sehen.

  • Zu Nicco und Gelis, ich hatte das so verstanden, daß nur sie dieses Spiel brauchte bzw. glaubte zu brauchen, wegen ihrem Haß auf ihn, Eifersucht, Minderwertigkeitsgefühle, etc. Er hätte sie jederzeit mit Freuden aufgenommen, spielt aber mit, weil er denkt, daß sie es braucht und dann, wenn es vorbei ist, bereit für ihn ist. Nur dummerweise hat er die Gelegenheit des Spiels für seine privaten Rechnungen genutzt.

  • Zitat

    Zu Nicco und Gelis, ich hatte das so verstanden, daß nur sie dieses Spiel brauchte bzw. glaubte zu brauchen, wegen ihrem Haß auf ihn, Eifersucht, Minderwertigkeitsgefühle, etc.


    Also ich glaube ja, dass genau das Gegenteil der Fall ist!! Zumindest was das Thema Hass und Eifersucht betrifft. (aber vielleicht meinen wir ja doch dasselbe :gruebel:lache )


    Ich fasse noch einmal zusammen wie ich das bisher zusammenpsychologisiert habe:


    Vorbemerkung: Nicholas soll ja laut DD eine Art Yuppie der Renaissance sein. Nicht immer sehr sympathisch, sogar zynisch, aber dennoch smart, befähigt und erfolgreich.


    Daraus folgt für uns und Gelis:


    Gelis ist ebenfalls hoch talentiert. Genauso wie Nicco.


    Sie will sich mit jemandem messen.


    - Dafür hatte sie sich Claes schon lange ausgeguckt. Er sollte ihr als Counterpart für eine intellektuelle Herausforderung hohen Grades dienen, der ihr selbst Bestätigung und Genugtuung garantieren soll. Sie wollte sich beweisen, dass sie in der (Männer-)welt bestehen kann. Anders als ihre sentimentale Schwester, die sich ausschließlich in Dimensionen von Liebe und Hass bewegen konnte.


    Dafür hatte sie geplant Nicco zunächst an sich zu binden. Natürlich nicht durch Heirat, sondern durch Futter für sein Hirn. Durch gemeinsame Aktionen usw.


    Dann kam dummerweise der ganze Kladderadatsch mit Katelina dazwischen. Dies hat ihre Pläne mit Nicco nicht zerstört, sondern massiv beeinflusst. Die Elemente Strafe, Hass und Demütigung kamen hinzu und ließen sie sich Nicco auf dem Afrikatrip anschließen. Sie wollte jetzt beides: ihn fertig machen und dabei die intelektuelle Herausforderung.
    Dass sie sich mittlerweile zu einer reizvollen jungen Frau entwickelt hatte konnte dabei nicht schaden...


    Einigermaßen unerwartet hat sie sich dann in Afrika schwer in ihn verliebt! Und er sich in sie.


    Das führt sie in ein Dilemma: erstens sind da die Seiten an ihm, die sie unvermindert hasst: Maßlosigkeit, Unreife, Egozentrik, der ganze Yuppie-Mist eben. Das nervt sie tierisch und sie will ihm das irgendwie austreiben, denn auf der anderen Seite will sie ihn als reifen, verantwortungsvollen und liebevollen Mann an ihrer Seite. Und zwar auf Augenhöhe. Gleichberechtigt.


    So. Deshalb zieht sie ihren Plan mit dem "Spiel" auch gnadenlos durch. Sie will und muss ihn von seinem hohen Sockel stoßen. Denn nicht nur sie braucht dieses Spiel, sondern, wie sie glaubt, er noch viel mehr. Sollte das gelingen wäre ein Zusammenleben möglich. Und ihr Plan scheint zu funktionieren...er hat nur einen Haken: Nicco ist dämlich genug, den wahren Sinn des Spiels nicht zu erkennen!


    Als sie am Ende deshalb in aller Schonungslosigkeit erfährt, wie ihr schöner Plan aber sowas von in die Hose gegangen ist: er hat sich als Mega-Yuppie, der über Leichen geht und keine Gnade zu kennen scheint präsentiert. Seine sittliche Unreife hat quasi Purzelbäume geschlagen, bleibt ihr nur noch ein Weg ihre Liebe zu retten: die Trennung. Der Neuaufbau. Sie gesteht ihm ein letztes Mal ihre Liebe und verstößt ihn dann um seiner selbst willen. Damit ER endlich kapiert, dass er so wie bisher nicht weiter machen kann.


    Das ist ihre letzte Hoffnung. Und seine letzte Chance.


    Hierzu lesen wir die Bände 7 + 8. :grin


    Ende des Vortrags.:-)

  • Interessante Sichtweise. In dieser erscheint mir Gelis fast etwas selbstlos. Zumindest ab dem Afrikateil.


    Ich kann mich leider nicht mehr erinnern, inwieweit diese wechselseitige Besessenheit zurückreicht. (Ein Re-Read wäre schon dringend notwendig, aber da muss vorher auch Lymond zwischen gelesen werden. Also wohl erst um 2015.) Vielleicht sehe ich es dewegen stärker im Licht der jüngeren Ereignisse und sehe darin Gelis durchaus etwas aggressiver mit ihrem Plan. Aber darüber muss ich noch genauer nachdenken.


    @ zum Unrechtsgehalt von Niccolos Schottentour:


    Heute hab ich beim zappen den Presseclub von ZDF oder ARD (k.A. welcher) erwischt, wo am Rande von Karstadt auch wieder Managmentfehler/Finanzjoungleure etc diskutiert wurden. Eigentlich ist Niccolo ein Heuschreckenkapitalist der Renaissance. Find ich insofern auch witzig, da ich sein Handeln hier relativ wenig verwerflich finde, während ich die modernen Finanzhaie viel verwerflicher finde.

  • Zitat

    Original von Grisel
    Zu Nicco und Gelis, ich hatte das so verstanden, daß nur sie dieses Spiel brauchte bzw. glaubte zu brauchen, wegen ihrem Haß auf ihn, Eifersucht, Minderwertigkeitsgefühle, etc. Er hätte sie jederzeit mit Freuden aufgenommen, spielt aber mit, weil er denkt, daß sie es braucht und dann, wenn es vorbei ist, bereit für ihn ist. Nur dummerweise hat er die Gelegenheit des Spiels für seine privaten Rechnungen genutzt.


    Das verstehe ich genauso. Als es dann am Laufen war, wusste er nicht mehr wie er es beenden konnte, auch wenn Kathi ihn mehrmals darauf hinwies.
    Als es hieß, Kathi hat einen Ehevertrag geschlossen, war mir gleich klar, mit wem. Werden die von Berecrofts jetzt alle in Brügge leben :gruebel


    Buch 7 und 8 muss her - auch wenn ich zeitlich noch nicht anfangen kann :lache

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    Wendy Wasserstein

  • Zitat

    Original von taciturus
    Interessante Sichtweise. In dieser erscheint mir Gelis fast etwas selbstlos. Zumindest ab dem Afrikateil.


    Selbstlos nicht, aber sie weiß was sie will und warum! Sie ist Nicco was den "Sinn des Lebens" betrifft haushoch überlegen. Sie hat so etwas wie "HALTUNG". Nicco hat, gegenteilig, überhaupt keine Ahnung was er will, er folgt lediglich persönlichen Impulsen und seinen erlittenen Verletzungen. Er mißbraucht seine Intelligenz, um seinen Affekten zu folgen. Ohne Gelis würde er ewig so weiter machen. DAS WILL SIE ÄNDERN.


    Somit hat sie Umars Position als seine Lehrerin übernommen. Allerdings hat Nicco das noch nicht begriffen. Oder zumindest noch nicht akzeptiert!

  • Zitat

    Original von Kalotte
    Somit hat sie Umars Position als seine Lehrerin übernommen. Allerdings hat Nicco das noch nicht begriffen. Oder zumindest noch nicht akzeptiert!


    Das sehe ich auch nicht so. Habe noch mal den Anfang von Kapitel 48 nachgelesen, wo sie selbst über ihre Motive nachdenkt.
    "... one wanted that ... man, but wished to keep him, admiring, compliant for life ... " (S. 609)


    Sie will ihn nicht gleichbereichtigt auf Augenhöhe oder einen besseren, reiferen Menschen aus ihm machen, sie will ihn zu ihren Füßen, nach ihrer Pfeife tanzend, wie sie das geschafft hat, als sie ihm das Kind wie einem Esel die Karotte vor der Nase ständig vorgehalten und wieder entzogen hat.


    Und ich denke, das resultiert u.a. aus Katelinas traurigem Schicksal. Sie will nicht wie sie enden, ein Opfer und Spielball. Sie will die Fäden in der Hand halten.


    Und ich glaube auch nicht, daß sie ihn am Ende wegschickt mit der Absicht, ihn geläutert zurückzunehmen. Ich denke, sie schickt ihn am Ende weg. Einfach so.


    CR:

  • Wie immer hast Du recht. Allerdings betrifft der Abschnitt, genau wie von mir beschrieben, ihre ursprünglichen Pläne mit Nicco.


    Wenn die sich (wie ich derzeit glaube :grin ) nicht geändert hätten wäre doch diese Liebesgeschichte am Ende völlig witzlos.


    Ich beharre somit auf meiner Interpretation. Unless something of real evidence is going to happen.


    [sp] und wenn ich die ersten 100 Seiten CR so rekapituliere habe ich immer noch Grund vorsichtig zu beharren :chen [/sp]

  • CR ist bestellt - auch wenn ich noch nicht weiß, wann ich zum Lesen komme!


    Im Übrigen finde ich, dass die so oft gepriesene Ironie im Original besser rüberkommt.


    Gelis schickt ihn sicherlich am Ende weg, weil sie keinen anderen Weg sieht. Zurücknehmen wird sie ihn schon - hoffe ich spätestens am Ende von Band VII - aber geläutert?


    Er hat zwar viel verloren, aber auch gewonnen. Und wie das aussieht, darf der geneigte Leser im nächsten Band lesen. :lache

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    Wendy Wasserstein

  • Zitat

    Original von Kalotte
    Wie immer hast Du recht. Allerdings betrifft der Abschnitt, genau wie von mir beschrieben, ihre ursprünglichen Pläne mit Nicco.


    Ja eh! Ich habe von nichts anderem gesprochen, als den Motiven, die zum Ende von TLWL geführt haben. Über CR und die dortige Entwicklung kann ich auf Feinheitsbasis nichts sagen, ehe ich es gelesen habe.
    Daß es dort ein Umdenken geben muß, wenn wir von einem gemeinsamen Ende der beiden ausgehen - was nicht zwangsläufig der Fall sein muß, deswegen hier jetzt ohne Spoiler - ist klar.

  • Um das abzuschließen - was auch immer in CR und GEM passieren mag:


    mir ging es beim Lesen von TLWL mit zunehmender Dauer einfach so, dass ich das Gefühl hatte Gelis würde als eigentliche Konseqenz aus ihrem Zwist zwangsläufig in diese "Lehrer"-Rolle hineinwachsen. Ohne das selber schon zu wissen (weder ich noch Gelis :grin ).


    Und was Nicco merkt bleibt eh unklar.