Das Mädchen im Elfenbeinturm - Maria Nurowska (ab 14 Jahre)

  • Verlag neues Leben, Berlin 1985, 199 Seiten


    Titel der polnischen Originalausgabe von 1981: Reszta swinta
    In Deutsch übertragen von Birgitt Pitschmann
    Illustration von Jutta Maiziére


    Handlung:
    Dieses Jugendbuch zeigt das Leben eines herzkranken Mädchens in Polen Anfang der achtziger Jahre.


    Über die Autorin:
    Maria Nurowska wurde 1944 geboren, studierte Polonistik und Slawistik. Sie ist eine der bekanntesten und populärsten Schriftstellerinnen Polens und lebt in Warschau.


    Rezension:
    Die 16jährige Anka ist schwer herzkrank. Während ihr Vater versucht die Krankheit zu ignorieren, ist die Mutter überfürsorglich und will Anka in Watte packen. Ein Zustand, der für Anka unangenehm ist, sie ist von den Einschränkunegn durch ihre lebensbedrohlichen Krankheit gefrustet. Anka hat einen Freund, Marek, der ebenfalls sehr um sie besorgt ist. Deshalb spielt Anka ihm gegenüber ihre Krankheit herunter, sie möchte normal behandelt werden, doch die körperlichen Einschränkungen, die auch schon bei geringen Anstrengungen auftreten, kannn sie nicht verbergen.
    Darum will sie mit Marek Schluß machen, aber Marek läst sich nicht so einfach beiseite schieben.


    Marek ist ebenso wie Anka ein gut aufgestellter Charakter. Obwohl er die meiste Zeit sehr um Anka besorgt ist, hat er auch Witz und läst sich nicht alles gefallen. Sympathisch sind die Szenen, in denen ihn ein 9jähriges Mädchen aus dem Krankenhaus anruft, die sich verwählt hat. Doch da sie sich langweilt, kommt es tatsächlich zu witzigen Gesprächen zwischen den beiden.


    Dadurch, dass die Personen als intelligent und eigenwillig gezeigt werden, gewinnt das Jugendbuch an Niveau. Es zeigt die Realität und hat keinen aufgesetzten erzeiherischen Anspruch.


    Einen Reiz machen auch der Schauplatz und die Zeit des Buches aus.
    Das literarische Niveau unterscheidet sich nicht drastisch von anderen Romanen Nurowskas, nur dass die in vielen anderen Büchern meist gezückte Kralle der Autorin diesmal nicht sofort gnadenlos zuschlägt.
    Eine Wunderheilung Ankas gibt es alleridngs auch nicht und das Verhalten der Protagonisten bleibt durchgängig realistisch gehalten.


    Edit: ASIN nachgetragen

  • OT: Reszta swiata 1981, dt. 1985


    Das Mädchen im Elfenbeinturm heißt Anka. Sie ist sechzehn und leidet seit ihrer Kindheit an einem schweren Herzfehler. Das hat sie vom Aufwachsen mit Gleichaltrigen ausgeschlossen. Sie ist mißtrauisch ihnen gegenüber, heimlich hat sie Angst vor ihnen. Inzwischen geht sie auf die höhere Schule, hat aber nie gelernt, mit anderen Menschen umzugehen. Ihr Elfenbeinturm ist ihr Zimmer und ihre Familie.


    Ihre Krankheit hat auch das Leben ihrer Eltern beeinträchtigt. Ihre Mutter hat auf jede berufliche Entwicklung verzichtet, damit sie Anka nie länger als ein paar Stunden allein lassen muß. Ihr Vater kompensiert Ankas Herzfehler mit einer Flut teurer Geschenke. Im Warschau Mitte der 1970er Jahre sind das die neuesten Bücher, Schallplatten aus dem Ausland und eine Stereoanlage, kaum erreichbar für andere Leute, geschweige denn Sechzehnjährige.
    Die Großmutter, obwohl sie nicht bei ihnen lebt, herrscht über die Familie. Ungebrochen pflegt sie bürgerlichen Lebensstil inmitten schwerer Möbel, Silber und Teppichen, die ehemalige Haushälterin lebt immer noch bei ihr und kann sich kein anderes Leben als mit der ‚gnädigen Frau‘ vorstellen. Nicht nur sonntägliche Mittagessen, auch Ankas Geburtstage müssen bei der Großmutter begangen werden, im besten Sonntagsstaat und mit aller gebotenen Höflichkeit.


    In Anka aber regt sich Widerstand. Er verstärkt sich, als sie Marek kennenlernt und sich verliebt. Zunächst hält sie ihre Krankheit vor ihm geheim, lange kann sie ihn aber nicht beschwindeln.
    In der Folge wird Marek zu Ankas Entsetzen ebenso beschützend wie die Familie. Ihr wird klar, daß sie sich aus dem Gefängnis befreien muß.


    Nurowska schildert sehr genau Ankas Kampf um ihre Freiheit. Behütet, wie sie - zu recht – ist, tut sie sich schwer mit ihrer Umwelt. Sie ist verwöhnt, selbstsüchtig, hat wenig Ahnung von Leben anderer. Jedes Aufbegehren, jeder Versuche, allein spazieren zu gehen, etwas zu unternehmen, kann einen gefährlichen Herzanfall hervorrufen. Trotzdem probiert Anka es wieder und wieder. Ihr Kampf schärft aber auch ihren Blick für andere. Sie begreift, was ihre Eltern auf sich genommen haben, sie beginnt, die verzwickten Abhängigkeiten innerhalb der Familie, aber auch im Verhältnis von Männern und Frauen zu erkennen.
    Es geht dabei immer auch um den Reifungsprozeß eines Teenagers, nicht nur die Krankheit bestimmt Ankas Tun. Sie ist, so Nurowskas Sicht der Dinge, nur ein erschwerender Faktor in einem Menschenleben, das an sich schon schwer ist.
    Rettung, so erfährt Anka, kann eine Operation bringen. Ihre Eltern aber halten sie noch für zu jung dafür, selbst entscheiden kann sie darüber erst mit achtzehn. Erst als Anka lernt, Marek zu akzeptieren, wie er ist, findet sie einen Verbündeten für ihr Vorhaben.


    Erzählt wird langsam, im Vordergrund steht nicht nur die individuelle Befreiung eines Teenagers, sondern die Frage nach den Beziehungen innerhalb einer Gruppe von Menschen. Eltern, Großeltern, Geschwister, Freundinnen. Zufallsbekanntschaften. Immer wieder geht es um die Verantwortung für einander. Was nützt, was ist falsch, wie einengend können Mitgefühl und Liebe sein. Nurowska schildert die Krankheit nicht als einzigartige Ausnahmesituation, die der Betroffenen einen Freibrief für ihr Handeln ausstellt. Auch die Liebe ist kein Freibrief. Anka setzt schließlich die Operation durch, sie will nicht länger im Elfenbeinturm bleiben. Die Schonzeit ist vorbei, um zu leben, muß man Risiken eingehen.
    Das Ende dieser intensiven und anspruchsvollen Geschichte ist überraschend und bietet einmal mehr Stoff zum Nachdenken.


    Übersetzt wurde die Erzählung von Birgitt Pitschmann, die Illustrationen sind von Jutta de Maizière.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

    Dieser Beitrag wurde bereits 2 Mal editiert, zuletzt von magali ()

  • Das Buch hatte ich auch einmal besprochen, aber ich hatte keine vernünftige ISBN.
    Das Mädchen im Elfenbeinturm - Maria Nurowska (ab 14 Jahre)
    Schade auch, dass schon länger kein Buch mehr von der Autorin übersetzt wurde. Im Jahr 2000 habe ich Maria Nurowska mal bei einer Lesung gesehen, aber seit langem habe ich nichts mehr von einer Lesereise der Autorin in Deutschland gehört.

  • Ah, so. Dann war es nicht angezeigt.
    Häng es einfach zusammen, danke!


    Es war mein erstes Buch dieser Autorin, ihre Art zu fragen und ihre Fragen hinter der Geschichte haben mir sehr gefallen.




    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus