Lighthouse I: Flesh and Spirit
Carol Berg, 2007
Meine Rezension bezieht sich auf die Ausgabe
Roc, ISBN: 978-0451461568
Valen ist einer jener Helden, die keine Helden sein wollen. In einer Gesellschaft, in der die magisch talentierten purebloods(1) in ein Korsett aus Verpflichtungen gezwängt und vom pureblood registry(1) penibel überwacht werden, wurde er zum recondeur(2) und ist beständig auf der Flucht, kämpft für einen der drei Königssöhne, die das Königreich Navronne unter ihre Herrschaft bringen wollen. Die Welt retten zu wollen liegt ihm fern, er möchte sich lediglich selbst retten, frei sein. Er ist eher der sympathische schurkische Held, der auch Diebstahl und Täuschung nicht scheut, und gerade dadurch einem ans Herz wächst, dass er diese 'negativen' Eigenschaften ebenso in sich vereint.
Als er schwer verletzt in das Kloster Gillarine kommt, in dem sich große Teile der Handlung zutragen, hat er demnach auch keinesfalls, wie er als 'reuiger Sünder' behauptet, im Sinn tatsächlich dem Orden beizutreten, sondern möchte sich für die Zeit seines Novizendaseins in kriegsgeschüttelten Zeiten ein bequemes Winterlager beschaffen. Dass er vom Abt erstaunlicherweise sofort angenommen wird, liegt wohl nicht nur an reiner Nächstenliebe, wie sie der an monotheistische, christliche Vorstellungen angelehnte Glaube an Iero fordert, sondern eher an dem Buch, das er mit sich trägt, ein geerbtes Kartenwerk, das den Weg in die Reiche der Danae(3), mystischer Wesen, die eng mit der Natur verknüpft sind, zeigen soll.
Und so gleitet er immer mehr hinein in einen von Abt Ludviar geleitete Geheimkreis, der das Ende der Welt abwenden möchte. Denn das scheint wahrlich nahe. Nich nur, dass Perryn von Ardra, sein Bruder Bayard, "der Schmied", und der sich in Evanore befindliche und im Volksmund als dämonischer "Bastardprinz" verschrieene Osriel sich uneins über die Nachfolge ihres Vaters als Herrscher über Navronne sind, und vor allem erstere das Land mit Krieg überziehen, auch religiös sieht es in Navronne nicht überall friedlich aus. Denn neben den Anhängern Ieros und den Anhängern der polytheistischen Verehrung der Urgötter und ihrer lokalen Schutzgeister mit ihren aingerous (Wegschreinen), gibt es auch noch die Harrowers(4) unter der Führung ihrer demagogisch veranlagten Hohepriesterin Sila Diaglou, die es sich zum Ziel gesetzt haben, den Naturkräften der Gehoum zu huldigen, indem sie gewaltvoll und blutig das Land 'eggen' (bzw. in ihrem eigenen Vokabular "reinwaschen"), sämtliches Wissen und die Schutzräume der Danae vernichten wollen, um zu einem Dark Age(5), einem Urzustand ohne Bücher, falsche Gottesverehrung und Technik zurückzukehren.
Die Welt, die Carol Berg mit der Lighthouse-Dilogie geschaffen hat, ist eine recht komplexe, politische und religiöse Wirren, mit ihren Hintergründen und der starken Bedeutung, die ihnen zukommt, geben diesem Buch eine Tiefe, die es gegenüber anderen Fantasybücher hervorhebt.
Es ist nicht die Beschreibung der Kriege, die im Vordergrund steht wie in anderen Büchern, diese Szenen sind äußerst spärlich gesät. Die sozialen und gesellschaftlichen Konsequenzen stehen im Vordergrund, Kritik an religiösem Wahn, Machtkämpfen und der hierarchischen Gesellschaft. Auch wenn der Protagonist Valen nicht lesen kann und Büchern generell nicht sehr positiv gegenübersteht, hat er auf diesem Feld viel mehr verstanden als die Menschen um ihn herum.
Das macht ihn zu einem sehr interessanten Charakter, er ist gleichermaßen privilegiert durch seine magischen geographischen Kräfte, die er aus der Cartamandua-Linie seiner Verwandtschaft hat, und unterdrückt durch die gesellschaftlichen Verhältnisse, die ihn schließlich auch wieder einholen in diesem ersten Band. Er hat Sinn für Humor, ihm haftet ein wenig der Hauch des Spitzbübischen und Tragischen an, was ihn für die Rolle des sympathischen Helden, der sich nicht immer korrekt durchs Leben schlägt prädestiniert.
Und da wir im Gegensatz zu seiner Umgebung einen Einblick in ihn haben, da er der Ich-Erzähler ist, erkennen wir auch, dass er gar nicht so vertrauensunwürdig ist, wie es den Anschein hat...
Obwohl die Handlung kaum durch tatsächliche, kriegerische "Action" (nebenbei bemerkt: auch nicht durch romantische Verwicklungen) angereichert ist, ist sie so fesselnd, atmosphärisch und dicht, dass sie mich dazu zwang der Erzählung von Valen - oder um wenigstens einmal den kompletten Namen zu nennen: Magnus Valentia de Cartamandua-Celestine - zu folgen, bis mir in den frühen Morgenstunden die Augen endgültig zuklappten. Es ist zu interessant all den Verwicklungen und Verschwörungen zu folgen, in diese Welt einzutauchen (hier gibt es übrigens noch ein Glossar zu den Begriffen). Lange hat mich kein (Fantasy-)Buch wirklich so mehr gefesselt.
Da das Buch leider mit einer cliffhangerartigen Erkenntnis endet, die Vieles in neuem Licht erscheinen lässt, und ich, bis ich die Fortsetzung in den Händen hielt, grässlich mürrisch und hibbelig war - empfehle ich diese frühzeitig bei Gefallen des ersten Bandes zu ordern ...
Fazit
Carol Berg hat ein Buch geschrieben, das auf allen Gebieten überzeugt, eine komplexe Fantasywelt, die mehr als nur Kulisse ist, religiöse/mythische sowie magische Elemente, die eine zunehmend wichtigere Rolle spielen (auch im 2. Band: "Breath and Bone"), eine fesselnde Geschichte über Unterdrückung und Bürgerkrieg sowie ein Icherzähler, der einem ans Herz wächst. Ich bin begeistert.
Eine euphorische Empfehlung:
10/10
bartimaeus
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(1)engl. pureblood (registry): Reinblüter(-Registratur)
(2)lat. recondere: sich verstecken
(3)vgl. die Sichtweise der Danaë (Tochter des Akrisios) als Göttin, die an den Mondkreislauf gebunden ist
(4)engl. (to) harrow: eggen; peinigen / harrowing: qualvoll
(5)engl.: frühes Mittelalter, aber ich finde den Begriff passender, da es um das Wissen geht und die 'Lichtsymbolik' auch an anderen Stellen 'aufleuchtet'.