Haare auf Krawall – C. Remath und R. Schneider

  • Haare auf Krawall – C. Remath und R. Schneider
    Jugendsubkultur in Leipzig 1980 - 1991

    Jugend in der DDR, das lässt einen an Junge Pioniere denken, an fahnenschwenkende FDJler in blauen Hemden und allenfalls an Sommerferienlager in Morgenröte-Rautenkranz. Dass es daneben aber eine ganze Reihe unangepasster Jugendlicher gab, liegt zwar auf der Hand, wie diese aber wirklich lebten, wie sie sich selbst zu verwirklichen suchten und wie sie mit den Repressalien eines autoritären Staates umgingen, macht dieses Buch deutlich.
    Gegliedert in Jahresabschnitte, denen immer ein kurzer Überblick über das welt- und landespolitischen Geschehen und dessen konkrete Auswirkungen auf das Leben in der DDR vorangestellt ist , erzählen Menschen von ihrer Jugend in Leipzig.
    Punker, Skins, Fussballrowdys, die dem Mief entkommen wollten, Häuser besetzten, sich die Haare mit Malerfarbe bunt färbten und sich selber Buttons und Aufnäher bastelten. Mit unglaublich viel Fantasie setzten sie ihre Lebensentwürfe um, löteten sich selbst Verstärker zusammen, um in irgendwelchen Kirchenkellern ihre Version von Punk zu spielen, verschickten massenweise Postkarten, um die Szene mit Informationen über subversive Veranstaltungen zu versorgen und dachten sich Aktionen aus, um die Stasi zu foppen. Sie feierten wilde Partys, prügelten sich und schwänzten Schule bzw. Lehre.
    Ne, nette Kinder waren das nicht. Dennoch ist erschreckend, mit welcher Härte der Staat gegen diese Jugendlichen vorging, wegen Kleinigkeiten in Jugendwerkhöfe steckte, durch nächtlich Hausdurchsuchungen zermürbte oder durch absurde Auflagen schikanierte.
    Umso faszinierender ist die Hartnäckigkeit, mit der die Teenager die Repression ertrugen, die, anders als der bildungsbürgerliche Privatwiderstand, ihren Protest gegen die Umstände offen zeigten, die jenseits der schützenden Mauern des kirchlichen Widerstands ihre Meinung vertraten.
    Tenor der meisten, die in diesem Buch zu Wort kommen ist allerdings auch eine tiefe Verbundenheit mit der DDR; die wenigsten wollten in den Westen, die meisten verabscheuten die Gier der meisten Menschen nach Westklamotten und Hollywoodfilmen. Sie wollten die DDR verändern, menschlich machen, sie wollten einfach nur nach ihrer Facon selig werden.
    Und so überrascht es nicht, dass viele die Wende mit gemischten Gefühlen betrachteten, als sich plötzlich Leute auf die Straße wagten, die ihr Leben lang sich unauffällig mit der DDR arrangiert hatten, und ihre Vorstellungen von einem Staat durchsetzten: ein ordentliches Auto, Bananen und Bild-Zeitung. Menschen, die bockige Jugendliche in der neuen Zeit genauso liebend gerne in Besserungsanstalten stecken würden wie in der alten.


    Zugegeben, das Buch hat einen Linksdrall und die Berichte sind manchmal etwas holprig. Ab und zu musste ich das Buch zur Seite legen. Im Großen und Ganzen ist es aber sehr aufschlussreich, weil es einen Aspekt des Widerstandes sehr anschaulich erzählt, der bisher weitestgehend ignoriert wurde.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)