Ich hab 'nen Vogel, mehrere sogar, futterzahme Alpendohlen, die metallisch-dunkelblauen Viecher mit den gelben Schnäbeln und Haxen. Das kam so: vor 17 Jahren im Winter saß mitten im Winter bei Schneeregen auf dem Schuldach gegenüber zwei Alpendohlen, von denen eine ein besonderes Merkmal hatte, nämlich eine weisse Feder am linken Flügel. Mir haben die beiden platschnassen, dürren und offensichtlich frierenden Vögel erbarmt, und weil ich grad Schimmelkäse, dessen Rinden ich nicht mag, und ranzige Pignoli hatte, hab ich die Pignoli auf das Fensterbrett im vierten Stock rausgeschüttet, und die Camenbertrinden auf Pignoli-grösse kleingeschnitten, damit's nach Mehr aussieht.
Das Dohlenpaar konnte sein Glück nicht fassen, und kam scheu näher - zuerst die mit der weissen Feder, die zuerst zu fressen begann, dann die andere.
Damit begann ein 17-Jahre anhaltendes Fütterungsritual, das jeden Winter am Tag des ersten Schneefalls beginnt, und in der ersten Maiwoche endet, und inzwischen schon Zaungäste anlockt: Die Grosse Schulkaminkrähe, die Punkt 7h ihren Weckschrei ausstößt und zusammen mit ihrer Freundin die grösser ausgefallenen Käsebrocken für sich beansprucht, um 9 h kommen 'Die Beiden Fetten', ein Alpendohlenpaar, dass sich zuerst sattfrisst, bevor eine Stunde später, der Schwarm einfällt, der das frisst, was 'Die Beiden Fetten' übergelassen haben. Ist zu wenig da, klopfen sie mit ihren Schnäbeln ans Fenster und schreien. (Die Mitglieder des Schwarms hatten zu der Zeit, als sich die freche Weisse Feder zu ihnen geschart hatte, die den einen Trick drauf: Sie setzen sich auf das Schuldach: man sieht einen Vogel scharf an, er macht sich startklar, man wirft ein Käsestück über die Strasse, und er taucht im Tiefflug danach) das Protestgeschrei wiederholen sie bei ausbleibender Bedienung gegen 13 h und um 15h, bevor sie zurück in ihr Nachtquartier fliegen. Die Weisse Feder die als erste mir beim Kleinschneiden der eingeweichten Parmesanrinden aufs Brett sprang, und die Käsestücke vom Messer weg klaute, habe ich letzten Winter nicht mehr gesehen. Aber das Ritual ist festgefügt: Die andern kommen jedes Jahr pünktlich mit dem ersten Schneefall an mein Fenster und klopfen, um die eingeweichten und kleingeschnittenen Rinden zu bekommen, die ich den Sommer über für sie aufgehoben habe. Zu der Zeit (vor der ersten Vogelgrippenhysterie, als ich die Viecher noch jedesmal aus der Hand gefüttert hab, ist vorgekommen, dass ich auf der Strasse gegangen bin, und über mir Dohlenschreie gehört habe, und sofern keine anderen Menschen in der Nähe waren, in der nähe des Parks, tauchten die Viecher auf mich herunter, umkreisten mich einige Male, und verschwanden wieder. Wenn ich grade aufgehört hatte, sie zu füttern, oder grade keinen Käse hatte, waren die Schreie auch schon mal wütend, und gelegentlich platschte Vogelscheisse in meiner Nähe auf den Boden.
Wie auch immer, die Viecher sind eindeutig klug. Und weil die Viecher so gscheit sind, und sich auch übers Jahr hin merken, wo sie wann was bekommen, hab ich mir das Buch besorgt.
In dem Buch gehts um die grossen Verwandten meiner gefrässigen Kleinen: Raben, Krähen, Rabenkrähen - Nebelkrähen, Saatkrähen, und dazu gehören auch Tannenhäher und Eichelhäher.
Am Liebsten fressen sie ja fette Nüsse und fette Käsestücke. Dazu kommen Weizenkörner (mit anti-saatkrähen Bitterstoffen und anti-pilz-quecksilber-versetzter Monsanto-Mais hat sie erfolgreich vom Land in Richtung Städte ausgegraust) Insekten und als wichtigste Seuchenpolizei noch so allerlei Aas, was so tot herum liegt; mangels geeignetem Reißschnabel, der die Haut nicht so gut aufreissen kann wie ein Geier, muss schon wer anderer Vorarbeit geleistet und die Haut aufgebrochen haben, am Besten Autos an Autobahnen, da Autos ihnen nichts wegfressen. Im Frühjahr kann es sein, dass Krähen die Nester ihrer kleineren Futterfeinde und Mitsingvögel ausräumen, und in Feld und Flur angeblich auch dieses hoppelnde Ungeziefer dem Jäger vor der Flinte wegfressen (wohl erst nachdem es überfahren wurde) und deshalb mit reichlich Abschusserlaubnis zu Zehntausenden aus den ländlichen Himmeln geschossen werden. Was nichts fruchtet, denn in den Städten vermehren sich die blauschwarzen Viecher so prächtig, dass sie jedes Jahr - ahnungslos gegenüber der Bedrohung durch die bösartige, grüngerockte ländliche Variante des harmlosen Stadtmenschen - wieder in Richtung Land abwandern, wo sie vermeintlich freie Reviere vorfinden. Trotzdem werden sie dank Monokultur und funktionierender Müllabfuhr und dem Beenden der guten alten Tradition, Mitmenschen rund um die Städte dekorativ am Hals in die Landschaft zu hängen, immer weniger.
Die schwarzblauen Flügeltiere gehören trotz mangelnder Melodik zu den Singvögeln, und fallen damit unter perverse Schutzbestimmungen, dürfen also zwar in Massen abgeschossen, aber - zumindest in Deutschland - nicht gehalten werden, was den Autor, der immer zahme Vögel hatte, so stört, dass er es in jedem Kapitel einmal erwähnt. Wenn die Eltern abgeschossen wurden und man die Jungvögel per Hand aufzieht, kann man - von missliebigen Zeitgenossen - angezeigt, tatsächlich in Schwierigkeiten kommen. Man muss offensichtlich ein Deutscher sein, um das zu begreifen.
Nun, die Viecher sind glatter gestrickt, als die verworrenen Menschen, und deshalb viel klüger. Die frisch vom Land eingewanderten deutschen Krähen haben etwa zwischen den 1970ern und 80ern gelernt, Nüsse aus grosser Höhe gezielt in baum- und buschfreie Hinterhöfe fallen zu lassen, damit die Nuss aufbricht, und sie auch alle Teile erwischen, und nicht lange suchen müssen. Eine hat es vor gemacht und alle anderen haben nach und nach begonnen, es nachzumachen, bis es zur Kulturtaktik wurde.
Eine zweite Kulturtaktik der Krähen, die zugleich in Japan und in Deutschland entdeckt wurde, ist die, Nüsse bei Rot auf die Fahrbahn zu legen, und bei der nächsten Rotphase wieder im aufgeknackten Zustand abzuholen.
Wenn man so einer Krähe ein Drahtstück, und ein in einer Glasröhre verstecktes Fleischstück präsentiert, und einer anderen Krähe einen Drahthaken gibt, und die Krähe beobachtet, wie die andere mit ihrem Haken sich das Fleisch angelt, biegt sie ihren Draht in einen Haken, und holt sich auch ihr Fleisch. Andere, freilebende Krähen basteln sich aus Ästchen durch entrinden und zuspitzen Cocktailspiesser, um Maden aus Bäumen zu angeln, eine gezielte Werkzeugherstellung, die man bislang nur Affen zuschrieb. In Tokio, wo die Feuerwehr Krähennester ob der Ruhestörung und Pflasterbescheissung aus den Bäumen spült, sind sie - auch wegen Astmangel - draufgekommen, aus den von Balkonen geklauten Drahtkleiderbügeln so stabil verhakte Nester zu errichten, die auch ein harter Wasserstrahl nicht mehr aus dem Baum holen kann.
Der Autor, der keine Krähenvögel mehr halten darf, obwohl die jagende Nachbarschaft sie zu Tausenden aus den Bäumen schiesst, ist Josef H. Reichholf, Zoologe, Ornithologe, Ökologe, Evolutionsbiologe. Ausserdem hat er den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa der dt Akademie für Sprache und Dichtung erhalten, was man beim Lesen merkt, denn es liest sich so flüssig, was man obendrein versteht.
Was mich immer irritiert, ist jedoch: jeder sagt, die krächzenden Flugsaurier wären schwarz. Ist ja gar nicht wahr: ich kenn zwar nur den großen Schulkaminvogel und seinen Kumpel, die Beiden Fetten und den Schwarm aus Greifnähe, aber wascht's euch mit Chili die Tomaten aus den Augen, dann seht's schärfer: ihr Gefieder ist metallisch-dunkelblau, und das nicht bei allen an derselben Stelle. Die andern Leut, die sagen, die Vögel wären eintönig schwarz, sind alle farbenblind. Die Vögl selber sind es anscheinend nicht, denn sie sehen das UV-Licht besser als unsereins, und erkennen auch in grossen Schwärmen jeden Vogel persönlich an seiner Farbe, seiner Stimme und seinem Gesicht.