Die Gnade der Amish - Donald B. Kraybill / Steven M. Nolt / David L. Weaver-Zercher

  • Vergebung ist ein Konzept, das jeder versteht - bis er gebeten wird, es zu definieren. (Seite 158)


    Die Gnade der Amish. Wie Vergebung Tragödien überwindet
    256 Seiten, Softcover
    mit einem Anhang „Die Amish von Nordamerika“
    Originaltitel: Amish Grace. How Forgiveness Transcended Tragedy
    Aus dem Amerikanischen von Gislinde Müller
    Verlag: VCH Wiley Verlag, Weinheim, 2009
    ISBN-10: 3-527-50447-8
    ISBN-13: 978-3-527-50447-3



    Mit dem gleichen Ereignis beschäftigt sich das Buch "Think No Evil" von Jonas Beiler with Shawn Smucker (in englischer Sprache).




    Kurzinhalt / Klappentext


    Es beginnt mit einem schrecklichen Verbrechen. Ein Mann dringt in eine Schule ein und tötet fünf Mädchen zwischen sechs und dreizehn Jahren und schließlich sich selbst. Die Mädchen waren Amish.


    Die Autoren haben kein Buch geschrieben, das von der Bestrafung des Täter oder seinen Motiven handelt. Es geht darum, wie die Amish mit Tat und Täter umgingen. Sie vergeben dem Mann öffentlich, besuchen seine Beerdigung und laden seine Witwe zum Begräbnis ihrer Kinder. Außergewöhnlich? Nicht für die Amish. Die Autoren zeigen, wie wichtig Vergebung für die Amish ist, sie zeigen, daß die Reaktion auf das Massaker Regel und nicht Ausnahme war. So beschreibt das Buch eine Kultur uns nah und doch fremd, eine Kultur, die wir belächeln, obwohl sie und nicht wir, es schafft, mit Vergebung die Spirale der Gewalt zu durchbrechen.



    Über die Autoren


    Donald B. Kraybill lehrt am Elizabethtown College, Pennsylvania. Er schrieb zahlreiche Bücher über die Amish und gilt als einer der ausgewiesensten Kenner der Amish.
    - < Klick > - hier der Eintrag im englischen Wikipedia
    - < Klick > - hier seine Seite auf der Website der Universität (in englischer Sprache (mit Links zu seinen Büchern, curriculum vitae u. a. m.)
    Steven M. Nolt ist Dozent für Geschichte am Goshen College und Spezialist für die Geschichte der Amish.
    David L. Weaver-Zercher ist Dozent für Religionsgeschichte.
    - < Klick > - hier die Kurzinfo über ihn auf der Website des Messiah College, Grantham/PA



    Webseiten / Informationen über die Amish


    - < Klick > - hier der Eintrag zum Massaker im englischen Wikipedia
    - < Klick > - hier eine Information auf „Religious Tolerance“ über dieses Massaker (in englischer Sprache)
    - < Klick > - der deutsche Wikipedia-Artikel
    - < Klick > - der englische Wikipedia-Artikel
    - < Klick > - der deutsche Wikipedia-Artikel über die Mennoniten
    - < Klick > - in englischer Sprache ein Artikel über die Amish auf einer Website für religiöse Toleranz in Nordamerika.
    - < Klick > - die Seite der Zeitschrift Amish-Heartland (in englischer Sprache)
    - < Klick > - hier noch die Site Amish-Net, eine Informations- und Übersichtsseite. Gedacht als Information von den Amish über die Amish selbst sowie als Wegweiser zu Firmen, die Produkte der Amish vertreiben.




    Meine Meinung


    Natürlich sind die Amish nicht auf eine Katastrophe solchen Ausmaßes vorbereitet. Es sei denn, sie sind es.


    In diesem Paradox (formuliert nach Seite 28) läßt sich die Quintessenz des Buches zusammenfassen. Niemand ist darauf vorbereitet, sein Kind morgens zur Schule zu schicken und mittags im Leichenwagen abzuholen. Daß die Amish es dennoch waren, liegt tief in ihrer jahrhundertealten Tradition begründet.


    “Ich bin wütend auf Gott uns muss ein paar christliche Mädchen bestrafen, um mit ihm abzurechnen.“ (Seite 41). Dies hat der Attentäter Charles Carl Roberts IV über sein Motiv ausgesagt. Er war „wütend auf Gott“, weil vor neun Jahren sein Baby gestorben war.


    Eine Familie verlor zwei Töchter. Die achtjährige Mary Liz, die zum Christiana Hospital gebracht worden war, starb kurz vor Mitternacht in den Armen ihrer Mutter. Ihre Eltern wurden dann elf Kilometer nach Nordwesten zum Hershey Medical Center gefahren. Dort starb Lena, die Schwester von Mary Liz, ebenfalls in den Armen ihrer Mutter. (Seite 44).


    Bereits wenige Stunden nach den schrecklichen Ereignissen gewährten die Amish Vergebung - dem Mörder wie seiner Familie, die ganz in der Nähe wohnte. Kein Ruf nach Rache oder Vergeltung. Keine juristischen Spitzfindigkeiten, keine Prozesse nach Schadenersatz. Wie ist so etwas möglich? Ist so etwas überhaupt möglich?


    “Vergebung bedeutet, dein Recht auf Vergeltung aufzugeben.“ (Seite 146) So drückte es der Vater eines der ermordeten Mädchen aus.


    Nach der Beschreibung des Tatherganges widmen sich die Autoren diesen Fragen, und beantworten sie im Laufe des Buches. Ausgewiesene Kenner der Amish, die sie sind, hatten sie entsprechendes Vorwissen, was die Tradition und Verhaltensweisen der Amish betrifft. Für dieses Buch haben sie viele Interviews mit direkt Betroffenen geführt und sich mit der Thematik „Vergebung“ intensiv auseinandergesetzt. Natürlich gab es sehr bald die Meinungsäußerungen von „Experten“ und Psychologen, von einigen Medien ganz zu schweigen, die darauf hinweisen, daß durch zu schnelle Vergebung das erlittene Trauma nicht verarbeitet würde und seelischer Schaden entstünde. Aber haben die wirklich recht?


    Im Laufe des Buches legen die Autoren sehr überzeugend dar, daß diese „Experten“ so nicht recht haben. Seit dem Entstehen der Täufer (zu denen die Amish gehören), werden diese überall auf der Welt verfolgt. Von kirchlicher (protestantischer wie katholischer) wie auch staatlicher Seite. Mit unzähligen Todesopfern. So gibt es eine lange Tradition des Martyrertums, die bis in unsere Tage reicht. Die Amish wachsen mit den Geschichten ihrer Martyrer auf, und dem „Konzept“ der Vergebung als integralem Bestandteil ihres Lebens und ihrer Kultur. Denn sie sind der Überzeugung, daß nur dann, wenn sie selbst vergeben, auch ihnen (von Gott) vergeben wird. Im Laufe des Buches wird diese Grundüberzeugung sehr deutlich aus der Geschichte und dem Glauben der Amish herausgearbeitet und beschrieben.


    Dabei holen die Autoren ausreichend weit aus, um diese Verhaltensweise nachvollziehbar und verständlich zu machen (so man diese Menschen überhaupt verstehen will). Dabei entsteht ein durchaus differenziertes Bild dieser so ganz anderen Kultur, in der auch die Schattenseiten offen angesprochen werden - auch von Amish selbst.


    Was wir sowohl von den Geschehnissen in Nickel Mines als auch ganz allgemein von den Amish lernen können, ist, dass die Art und Weise, wie wir mit Katastrophen umgehen, kulturell bestimmt wird. (Seite 225). Die Kultur der Amish beinhaltet als integralen Bestandteil u. a. die Vergebung. Und unsere?


    Was bleibt, ist ein tief sitzender Stachel im Fleisch unserer Gesellschaft. Einer, der überdeutlich darauf hinweist, daß unsere Art zu Leben und zu Denken nicht die einzig mögliche, die einzig wahre ist. Daß es sehr wohl einen Gegenentwurf gibt, an dem wir uns messen müssen / können. Als Gesellschaft wie als einzelne Menschen. Einen Gegenentwurf, der zur Bestimmung der eigenen Position zwingt, indem er diese radikal infrage stellt. Es ist an jedem einzelnen, auf diese Frage eine Antwort zu finden.


    Doch die Entscheidung liegt bei uns, wie wir uns an etwas erinnern wollen, was wir nicht vergessen können. (Seite 226)



    Kurzfassung:


    Wie gehen Amish Familien, die Amish Gemeinschaft mit den Folgen eines Massakers an Schulkindern um? Am Fall der Morde vom 2. Oktober 2006 sowie der darauf folgenden Vergebung stellen die Autoren umfassend das Modell der Amish vor, mit dem sie diese Tragödie bewältigt und überwunden haben. Ein Gegenentwurf zu Rache und Vergeltung. Ich wünsche ihm möglichst viele Leser.



    Edit hat den ungültigen Verlagslink herausgenommen und einen Link zu "Think No Evil" ergänzt.
    .

    ASIN/ISBN: 3527504478

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

    Dieser Beitrag wurde bereits 3 Mal editiert, zuletzt von SiCollier ()

  • Si Collier
    Danke für die umfassende Rezi, eine Frage hätte ich jedoch noch.
    Wie genau muß man sich mit den Amish und ihrer Lebensweise auskennen, um dem Buch folgen zu können?
    Du sagst, daß sehr weit ausgeholt wird, gehe ich also recht in der Annahme, wenn man das Buch gelesen hat, ist man auch über die Zusammenhänge abseits des besonderen Falls über diese besondere Form des Glaubesn informiert?

  • @ Babyjane


    Ganz klare Antwort: Jein.


    Mit "weit ausholen" meine ich, daß die Autoren die Religion und Lebensweise der Amish vorstellen bzw. beschreiben, soweit das für das Verständnis dieses Buches bzw. der hier behandelten Thematik der Vergebung notwendig ist. Da ich in den letzten Wochen schon zwei Sachbücher und einen Roman, der bei Amish spielt, gelesen habe, hatte ich natürlich Vorwissen und vieles war mir geläufig. Ich denke jedoch, daß man ohne Vorkenntnisse gut mit dem Buch zurecht kommt, weil die zum Verständnis notwendigen Dinge im Buch erklärt werden.


    Im Anhang "Die Amish von Nordamerika" werden folgende Themen kurz behandelt:
    - Täufer - Amish und Mennoniten (= kurze Geschichte der Herkunft)
    - Familienbezirk, Siedlung und Verwandtschaft (= Gesellschaft heute)
    - Wachstum und Verschiedenartigkeit
    - Ordnung (= "Grundgesetz" der Amish)
    - Jugend und Rumspringa (Teenager, Jugendproblematik)
    - Wandel der Arbeit
    - Technik (= Verhältnis der Amish zu Technik)
    - Beziehungen zur Regierung (der USA)
    - Makel und Vorzüge (auch die Amish leben nicht im Paradies)


    Ganz ohne Vorkenntnisse empfiehlt es sich, diesen Anhang zuerst zu lesen, da er einen Kurzüberblick gibt.


    Das Attentat wird (genügend) ausführlich beschrieben, teilweise auf Grund von Augenzeugenberichten. Desgleichen das, was drumherum geschah (Polizei oder Feuerwehreinsatz etwa), bis hin zu Medienreaktionen. In den USA erregte das Ereignis landesweites Aufsehen.


    Der wesentliche Teil des Buches geht natürlich über das Thema "Vergebung". Was das im allgemeinen und in diesem speziellen Fall bedeutet. Und was es nicht bedeutet.


    Dabei muß man natürlich immer im Hinterkopf haben, daß die Amish eine tiefreligiös geprägte Gruppe sind, deren ganzes Denken und Handeln aus der Bibel begründet ist. Man muß versuchen, deren Sicht zu verstehen; das meinte ich mit "so man diese Menschen überhaupt verstehen will". Die Autoren unternehmen den Versuch, die Thematik aus Sicht der Amish darzustellen, und geben eine umfangreiche Begründung zur Vergebung (aus Sicht der Amish). Für meine Begriffe haben sie das erfolgreich getan.


    Für meine Begriffe ist das Buch auch - das schreibe ich jetzt wertfrei und ohne irgendwelche Vorwürfe o. ä. - für nichtreligiöse Menschen geeignet. Es will nicht missionieren, sondern ein Ereignis und dessen Verarbeitung durch die Betroffenen aus Sicht eben derer darstellen.


    Der Schlußstatz des Vorwortes zur deutschen Ausgabe von Dr. Dietrich Blaufuß lautet:
    Möge das vorliegende Buch falsche Vorstellungen über die Amish ausräuumen und Verständnis für eine Gegenkultur in unserer globalisierten Welt wecken. (Seite 8)


    Das bringt es recht gut auf den Punkt.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Danke für die ausführliche Antwort.
    Sowas hatte ich erhofft.
    Denn obwohl ich mich als nicht gläubig ansehe, heißt das ja nicht, daß ein gewisses Interesse nicht da wäre. ;-)


    Welche anderen Bücher hattest du zu der Thematik denn gelesen?

  • Zitat

    Original von Babyjane
    Denn obwohl ich mich als nicht gläubig ansehe, heißt das ja nicht, daß ein gewisses Interesse nicht da wäre. ;-)


    Welche anderen Bücher hattest du zu der Thematik denn gelesen?


    Das ist mir schon klar. Übrigens hat gerade der (aus Sicht der Amish) vorbildliche und umsichtige Einsatz der Staatspolizei (oder wie das in den USA heißt) zu einem besseren Miteinander Amish-Nichtamish beigetragen, und wirkt (positiv) fort.


    Gelesen habe ich bisher von Peter Ester "Die Amish-People: Überlebenskünstler in der modernen Gesellschaft": Rezi-Thread sowie "20 Most Asked Questions about the Amish and Mennonites" (in englischer Sprache): Rezi-Thread.


    Demnächst dran ist von Stephen M. Nolt (einem der Autoren dieses Buches hier) "A History of the Amish":
    Diese Neuausgabe bringt in einem Band die Geschichte der Amish. Von den Anfängen in Europa bis hin zu ihren Siedlungen in Nordamerika mußten die Amish für ihren Glauben und ihre Lebensweise kämpfen. Ihre Traditionen wurden (und werden) oftmals von der übrigen Gesellschaft angefeindet.
    Das Überqueren des Atlantiks, die Westwanderung, Wehrpflicht oder Schulgesetze waren (und sind) nur ein paar der Herausforderungen, denen sich die Amish gegenübersehen. Gefangen in den Entwicklungen und Konflikten der Nation, sind die Amish dennoch eine eigene Gruppe innerhalb der Gesellschaft geblieben.


    Zuvor vermutlich das Standardwerk über die Amish:
    John A. Hostetler: Amish Societey
    Die früheren Auflagen dieses Werkes - mit über 85.000 Exemplaren - wurden hoch gelobt. Jetzt wurde das Werk überarbeitet und erweitert sowie auf den aktuellen Stand gebracht. Es behandelt die Geschichte der Amish wie auch ihren heutigen Zustand überall in Amerika. Geschichte, Kultur, Traditionen, Religion, Rituale, Gemeinschaftsleben - alle Aspekte des Amish-Lebens und der Amish-Kultur werden behandelt. Das Standardwerk.
    .

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • SiCollier, das ist eine wunderbare Rezi, danke dafür.


    Ich finde die Ansichtsweise der Amish keinesfalls verkehrt. Verurteile oder beläche sie keinesfalls. Wie könnte man eine Gemeinschaft, die derart friedfertig lebt, auch verurteilen.


    A

    Zitat

    Bereits wenige Stunden nach den schrecklichen Ereignissen gewährten die Amish Vergebung - dem Mörder wie seiner Familie, die ganz in der Nähe wohnte. Kein Ruf nach Rache oder Vergeltung. Keine juristischen Spitzfindigkeiten, keine Prozesse nach Schadenersatz. Wie ist so etwas möglich? Ist so etwas überhaupt möglich?


    Natürlich ist so etwas möglich. Die christliche Religion, bzw. die, die daran glauben, sollten eigentlich alle so handeln. Jesus hat die Vergebung doch vorgelebt und sie ebenfalls als heilend angesehen.


    Zitat

    Was bleibt, ist ein tief sitzender Stachel im Fleisch unserer Gesellschaft. Einer, der überdeutlich darauf hinweist, daß unsere Art zu Leben und zu Denken nicht die einzig mögliche, die einzig wahre ist. Daß es sehr wohl einen Gegenentwurf gibt, an dem wir uns messen müssen / können. Als Gesellschaft wie als einzelne Menschen. Einen Gegenentwurf, der zur Bestimmung der eigenen Position zwingt, indem er diese radikal infrage stellt. Es ist an jedem einzelnen, auf diese Frage eine Antwort zu finden.


    Ich denke es wäre überheblich zu sagen, dass unsere Art zu leben und zu denken, die einzig Richtige ist. Auch entspringt aus dieser Denkweise, sehr viel Elend, Krieg, Not, weil man glaubt, sich über andere Völker und Lebensweisen hinwegsetzen zu können, bzw. und das ist sehr überheblich, ihnen eine bessere Art zu leben beizubringen.

  • Bitte, gerne. :wave


    Bei der Gelegenheit dann noch die Verlinkung zu dem Nolt-Titel "A History of the Amish". (Dieses und das von Hostetler habe ich schon hier liegen.)



    @ Findus


    Ich habe bewußt ein bißchen, hm, provokativ formuliert, um zum Nachdenken anzuregen. Und weil mich die Beschäftigung mit dieser so anderen Lebensweise zum Nachdenken gebracht hat, und immer wieder bringt. Ich empfinde es tatsächlich wie einen "Stachel im Fleisch", der ständig daran erinnert, daß auch eine andere Sichtweise möglich ist, eine Infragestellung der eigenen Perspektive.


    Etwas, was im Buch angesprochen wird (es wurde rund ein halbes Jahr nach den Ereignissen geschrieben), ist, daß sich beispielsweise auch die Bush-Regierung auf das Christentum beruft - und nicht vergibt, sondern Krieg führt. Es gibt offensichtlich verschiedene Arten, Christ zu sein. Aus Sicht der Amish jedoch nur eine, und das wird hier (am konkreten Beispiel) beschrieben.


    Aber um es nochmals zu wiederholen, nicht missionierend (wie Missionierung den Amish fremd ist), sondern als Sachverhaltsdarstellung sowie Erklärung des Standpunktes der Amish. Somit ist das Buch für meine Begriffe auch für nichtreligiöse Menschen geeignet, die das verstehen wollen (zumal es auch in einem sehr "weltlichen" Verlag erschienen ist).
    .

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Danke SiCollier für die Rezi!
    Ich lese ja momentan das Buch von Peter Ester über die Amish People, auf das ich durch Deine Rezi aufmerksam geworden bin.
    Diese Menschen und ihre Lebensform faszinieren mich enorm daher wandert dieses Buch sofort auf meine Wunschliste!

  • Zitat

    Etwas, was im Buch angesprochen wird (es wurde rund ein halbes Jahr nach den Ereignissen geschrieben), ist, daß sich beispielsweise auch die Bush-Regierung auf das Christentum beruft - und nicht vergibt, sondern Krieg führt. Es gibt offensichtlich verschiedene Arten, Christ zu sein. Aus Sicht der Amish jedoch nur eine, und das wird hier (am konkreten Beispiel) beschrieben.



    Es ist schon bedenklich, dass man die Bibel je nach Bedarf auslegt. Bush bezog sich bestimmt auf das alttestamentarische "Auge um Auge..." Zitat.
    Dasselbe passiert aber auch mit dem Koran.


    Es gibt offensichtlich verschiedene Arten, Christ zu sein.


    Eigentlich gibt es nur eine Art Christ zu sein, aber diese Diskussion würde hier zu weit führen.
    Da haben die Amish einfach Recht. Es voll so zu leben ist vielleicht nur im Schutz einer größeren Gemeinschaft möglich.




    edit: 2 Sätze angefügt.

    "Leute die Bücher lesen, sind einfach unberechenbar." Spruch aus "Wilsberg "
    smilie_winke_039.gif

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Findus ()

  • So, jetzt habe ich mich schlau gemacht und die Rezis gelesen.


    Ich denke ich werde dein Urteil über "A history of the Amish" abwarten, das scheint mir zumindest auf den ersten laienhaften Blick doch am umfassendsten zu informieren.


    Angenommen du solltest entscheiden, welches Buch den leichteren Einstieg in die Thematik bringt, welches würdest du empfehlen? (unabhängig von der Sprache)

  • Vor ein paar Wochen gab es auf BBC eine Sendung " Trouble in Amish Paradise" in der zwei Brüder vorgestellt wurde, der exkommuniziert wurde weil er einige Regeln nach denen seine Amish-Gemeinde lebt, in Frage gestellt hat.


    Im Grunde hatten sie nur irgendwann einmal eine englische Bibel gelesen und festgestellt, dass viele der Vorschriften (z.B. in welchem Grauton ein Buggy gestrichen sein darf) überhaupt nicht in der Bibel stehen (was ihnen vorher nicht klar war, da in ihrer Gemeinde nur eine antiquierte deutschsprachige Bibel benutzt werden durfte, die die meisten Gemeindemitglieder überhaupt nicht verstehen konnten.) Und sie haben diese Regeln dann hinterfragt und sind daraufhin exkommuniziert worden und der Rest der Gemeinde wurde aufgefordert, sie zu schneiden.


    Immerhin muss man den Gemeindemitgliedern zugute halten, dass sie später trotzdem Geld gesammelt hat, als Ephraim Stoltzfus' Tochter dann an Leukämie erkrankt ist. Aber trotzdem wurde ziemlich deutlich, wie mit jemandem umgegangen wird, der Dinge hinterfragt. Und ich möchte in einer Gemeinschaft nicht leben, in der ich ausgeschlossen werde, sobald ich etwas kritisch hinterfrage. Das klingt immer alles so superfriedlich, aber ich finde, jemanden zu schneiden ist grausam.


    Hier ist eine ganz gute Rezension der Sendung: klick
    Und noch eine: klick

  • Jetzt wird schwierig. Drum fange ich mit dem leichten an.



    Zitat

    Original von Findus
    Eigentlich gibt es nur eine Art Christ zu sein, aber diese Diskussion würde hier zu weit führen.


    Nun ja, wenn es nur eine Art gäbe, woher kommen dann die vielen Konfessionen und Richtungen? Aber Du hast recht, das läßt sich hier nicht ausdiskutieren (würde hier auch OT).


    Für die Amish gibt es nur eine Art, Christ zu sein - und das ist die ihre. Sie begründen ihre Lebensweise sehr stark bis ausschließlich auf Aussagen der Bibel (AT und vor allem NT) und entwickeln dabei eine durchaus folgerichtige Logik.




    @ Babyjane


    Ich habe für dieses Buch, auf das ich sehr gewartet habe, mein eigentliches Sachbuch über das Urchristentum unterbrochen; das lese ich jetzt erst mal fertig, so daß es bis zu meinen nächsten Amish-Rezis noch etwas dauern kann. Es gibt einen alten Thread, nämlich diesen hier, in dem Amish-Bücher gesucht wurden. Ich werde mir die beiden Bücher im Hinblick auf den Inhalt mal genauer ansehen und dann dort etwas dazu schreiben. Könnte aber morgen werden. Sobald der Thread hoch kommt, kannst Du es dort nachlesen. :wave


    Ansonsten, so ganz ohne Vorwissen, ist mit Sicherheit das kleine Büchlein 20 Most Asked Questions about the Amish and Mennonites als erste Einführung gut geeignet. Da werden kurz und prägnant die meisten Fragen, die man so hat, behandelt.


    Wie das im praktischen Leben aussieht, liest sich in Beverly Lewis Roman „Die Erlösung der Sarah Cain“. Es ist recht, ähm, evangelikal, doch das tägliche Leben der Amish wird (soweit ich das mit den bisher gelesenen Sachbüchern verglichen habe) sehr zutreffend geschildert. (Allerdings vermutlich eher nix für Dich, wenngleich Buch und Film zu meinen Lieblingen zählen).



    @ Delphin


    No offence meant; wie sage ich das auf Deutsch? Ohne Dir zu nahe treten zu wollen - also so meine ich es jedenfalls.


    Die Rezension der Sendung kann ich nun nicht gut finden. AS A sceptical opponent of all forms of organised religion (...), so beginnt sie. Damit ist klar, was des Schreibers Meinung ist und was er zum Ausdruck bringen will. Ein Meinungsbeitrag, dessen Meinung ich teilen kann oder nicht. Da ist selbst die BILD-Zeitung objektiver.


    Der zweite Bericht macht einen objektiveren Eindruck, wenngleich auch er aus der Sicht der Nicht-Amish und einseitig geschrieben ist.


    Der Frage der Meidung ist im Buch ein eigenes Kapitel mit 14 Seiten gewidmet, in welchem sowohl die Begründung dafür als auch das Procedere beschrieben sind. Diese stützt sich zum einen auf wörtliche Anweisungen aus dem NT sowie das Dordrechter Bekenntnis von 1632, das immer noch Gültigkeit hat. Die Behauptung, daß die heutigen Amish diese alte Sprache nicht verstehen, habe ich bisher nur in den beiden verlinkten Rezis gefunden. In diesem wie den früher erwähnten Sachbüchern (soweit ich sie gelesen habe), findet sich immer der Hinweis, daß die Amish untereinander in aller Regel Pennsylvania Deutsch sprechen, während mit Englischen (= Nicht-Amish) Englisch gesprochen wird. Hier scheint mir der Wunsch der Vater des Gedankens zu sein.


    Die Frage des Grautons des Buggy (oder schwarz) steht nicht in der Bibel, sondern wird von Distrikt zu Distrikt selbst geregelt. Fachleute können so an der Farbe erkennen, woher jemand kommt. Gleiches gilt beispielsweise für batteriebetriebene Schlußleuchten oder solche mit Karbid und was es dergleichen mehr gibt. Es gibt auch große Unterschiede unter den Gemeinden, inwieweit moderne Technik genutzt wird - oder nicht. Es gibt relativ moderne Gemeinden bis hin zu stockkonservativen. „Die Amish“ im Sinne von überall gleich gibt es nicht.


    Alle Kinder und Jugendlichen sind an viele Vorschriften nicht gebunden. Mit 16 beginnt das lang erwartete sogenannte Rumspringa. Sie dürfen Autos kaufen, kommen bisweilen in Kontakt mit Drogen und Alkohol und was dergleichen jugendliches Verhalten mehr ist. Zum Ende dieses Zeitraumes, i. d. R. wenn sie heiraten (meist zwischen dem 18. und 22. Lebensjahr) müssen sie sich entscheiden, ob sie der Gemeinde beitreten oder nicht. Um es ganz klar zu sagen: diese Jugendlichen haben eine Wahl, welche Lebensform sie wollen. Wenn sie sich entschließen, der Gemeinde beizutreten, werden sie getauft und vollwertiges Mitglied. Dabei müssen sie versprechen, sich an die (ihnen bekannte) Ordnung und Grundsätze der Amish zu halten. Etwa 90% der jungen Erwachsenen entscheiden sich für den Beitritt zur Amish-Gemeinde. Ein solcher Beitritt beinhaltet die bewußte volle Anerkennung der Autorität der Kirche (= örtliche Gemeinde). Den Indivudualismus, wie er in unserer Gesellschaft gepflegt und hochgehalten wird, gibt es bei den Amish nicht. Als Schlagwort ausgedrückt: Der Einzelne gilt nichts, die Gemeinschaft alles.


    Ein Verhalten von unserem individualistischen Standpunkt aus zu betrachten, greift daher zu kurz. Vor allem wenn man bedenkt, daß die Amish eine tiefreligiöse Gruppe sind. Sie glauben, daß der Mensch eine Seele hat, die nach dem Tode entweder in den Himmel oder die Hölle (die für sie beides absolute Realitäten sind) kommt. Deren Sichtweise beinhaltet immer auch die Ewigkeit, die Verantwortung für die Seele des anderen, und hört nicht bei der individuellen Glücksvorstellung unserer Couleur auf.


    Den Amish selbst ist übrigens sehr bewußt, daß es bei ihnen nicht „superfriedlich“ zugeht. „Wir sind sehr menschlich“, wird irgendwo im Buch eine Amish zitiert. Die täglichen Probleme untereinander werden im Buch durchaus thematisiert.



    Zitat

    Original von Delphin
    Immerhin muss man den Gemeindemitgliedern zugute halten, dass sie später trotzdem Geld gesammelt hat, als Ephraim Stoltzfus' Tochter dann an Leukämie erkrankt ist.


    Das ist typisches Verhalten der Amish und würde denen vermutlich gar nicht auffallen. Ein etwas ähnlicher Fall wurde auch im Buch angeführt.



    Zitat

    Original von Delphin
    Und ich möchte in einer Gemeinschaft nicht leben, in der ich ausgeschlossen werde, sobald ich etwas kritisch hinterfrage.


    Die Amish sind keine Demokratie in unserem Sinn (wenngleich die wesentlichen Entscheidungen in der „Mitgliederversammlung“ getroffen werden, die auch die Ordnung beschließt und weiterentwickelt), sondern eine streng hierarchisch aufgebaute Gemeinschaft. Jedes Mitglied weiß und akzeptiert das.



    Wie in der Rezi gesagt: verstehen wird man vieles nur, wenn man es aus der Sicht der Amish (und nicht aus der unsrigen) betrachtet. Oder wie es im Buch auf Seite 191 (Thema Meidung) heißt:
    Die Antwort der Amish auf diese Frage wird nie alle Kritiker befriedigen, aber zumindest ist ihre Antwort klar. Sie ist aus der Perspektive logisch, die davon ausgeht, dass das Leben kurz, die Ewigkeit lang und Himmel und Hölle eine Realität sind.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • @ Si
    Danke, den Thread hatte ich schon gefunden ich werde wohl in der Buchhandlung in die da vorhandenen Bücher mal reinlesen und sonst noch ein wenig warten.. :gruebel

  • Widerspricht das hier:


    Zitat

    Original von SiCollier
    Für die Amish gibt es nur eine Art, Christ zu sein - und das ist die ihre. Sie begründen ihre Lebensweise sehr stark bis ausschließlich auf Aussagen der Bibel (AT und vor allem NT) und entwickeln dabei eine durchaus folgerichtige Logik.


    diesem hier nicht?


    Zitat

    Es gibt relativ moderne Gemeinden bis hin zu stockkonservativen. „Die Amish“ im Sinne von überall gleich gibt es nicht.


    Gibt es nun eine Art, Christ zu sein, oder nicht. Ok, darin unterscheiden sich die Amish-Gemeinden nicht von x anderen (christlichen) Untergruppen, die alle einen Wahrheitsanspruch haben.


    Zitat

    Original von SiCollier
    Alle Kinder und Jugendlichen sind an viele Vorschriften nicht gebunden. Mit 16 beginnt das lang erwartete sogenannte Rumspringa. Sie dürfen Autos kaufen, kommen bisweilen in Kontakt mit Drogen und Alkohol und was dergleichen jugendliches Verhalten mehr ist. Zum Ende dieses Zeitraumes, i. d. R. wenn sie heiraten (meist zwischen dem 18. und 22. Lebensjahr) müssen sie sich entscheiden, ob sie der Gemeinde beitreten oder nicht. Um es ganz klar zu sagen: diese Jugendlichen haben eine Wahl, welche Lebensform sie wollen. Wenn sie sich entschließen, der Gemeinde beizutreten, werden sie getauft und vollwertiges Mitglied. Dabei müssen sie versprechen, sich an die (ihnen bekannte) Ordnung und Grundsätze der Amish zu halten. Etwa 90% der jungen Erwachsenen entscheiden sich für den Beitritt zur Amish-Gemeinde. Ein solcher Beitritt beinhaltet die bewußte volle Anerkennung der Autorität der Kirche (= örtliche Gemeinde). Den Indivudualismus, wie er in unserer Gesellschaft gepflegt und hochgehalten wird, gibt es bei den Amish nicht. Als Schlagwort ausgedrückt: Der Einzelne gilt nichts, die Gemeinschaft alles.


    Ich frag mich bloß, ob die Jugendlichen mit der Schulbildung, die er in seiner Gemeinde genossen hat, überhaupt in der Lage ist, sich "draußen" zurechtzufinden. Ich zitier hier mal den Wikipedia-Eintrag, den Du auch verlinkt hattest. klick


    Zitat

    Die eigenen Schulen erlauben die Kontrolle der Unterrichtsinhalte und konditionieren sowie sozialisieren die Kinder stärker in Richtung des späteren Beitritts zur eigenen Gruppe. In diesen Schulen werden die Basisfähigkeiten des Lesens, Schreibens und Rechnens gelehrt, nicht aber Biologie (besonders nicht Sexualkunde), keine wissenschaftlichen oder erdgeschichtlichen Lehren oder gar die Evolutionstheorie.


    1. Die Kinder werden also schon darauf sozialisiert. zu bleiben.
    2. Wird ein Kind, das so aufgewachsen ist, eine echte Chance haben, auf ein College und eine Universität zu gehen?


    Und was ist das überhaupt für eine Wahl, mit 18-22 entscheiden zu müssen, ob man bleibt, oder seine Familie und sein zuhause und alles was man kennt aufzugeben.


    Zitat

    Orginal von SiCollierEin Verhalten von unserem individualistischen Standpunkt aus zu betrachten, greift daher zu kurz. Vor allem wenn man bedenkt, daß die Amish eine tiefreligiöse Gruppe sind. Sie glauben, daß der Mensch eine Seele hat, die nach dem Tode entweder in den Himmel oder die Hölle (die für sie beides absolute Realitäten sind) kommt. Deren Sichtweise beinhaltet immer auch die Ewigkeit, die Verantwortung für die Seele des anderen, und hört nicht bei der individuellen Glücksvorstellung unserer Couleur auf.


    Zitat

    Original von SiCollier
    Wie in der Rezi gesagt: verstehen wird man vieles nur, wenn man es aus der Sicht der Amish (und nicht aus der unsrigen) betrachtet. Oder wie es im Buch auf Seite 191 (Thema Meidung) heißt:
    Die Antwort der Amish auf diese Frage wird nie alle Kritiker befriedigen, aber zumindest ist ihre Antwort klar. Sie ist aus der Perspektive logisch, die davon ausgeht, dass das Leben kurz, die Ewigkeit lang und Himmel und Hölle eine Realität sind.


    Ich wünschte, Eltern würden bewusster damit umgehen, ob sie ihren Kindern damit drohen, in die Hölle zu kommen.

  • Das ist sicher ein interessantes Buch.
    Ich frage mich allerdings, ob es außerhalb des politischen Kontexts der USA in seiner Entstehungszeit Wirkung entfalten kann.


    Ob ein hochkomplexes Gemeinwesen, wie es Staaten weltweit heutzutage darstellen, nach den einfachen Regeln einer fundamentalistischen Gruppe funktionieren kann, ist darüberhinaus mehr als fraglich. Nicht einmal ein modernes Jusitzsystem kann so funktionieren.
    Vorstellungen wie 'Gnade' und 'Vergebung' gehören doch eher in der Bereich der Individualpsychologie. Dort können sie durchaus positiv wirken.


    Es ist fraglos ein spanndendes denkerisches Problem für die, die sich mit solchen Fragen auseinandersetzen wollen.


    Zitat

    Original von SiCollier
    Was bleibt, ist ein tief sitzender Stachel im Fleisch unserer Gesellschaft. Einer, der überdeutlich darauf hinweist, daß unsere Art zu Leben und zu Denken nicht die einzig mögliche, die einzig wahre ist. Daß es sehr wohl einen Gegenentwurf gibt, an dem wir uns messen müssen / können. Als Gesellschaft wie als einzelne Menschen. Einen Gegenentwurf, der zur Bestimmung der eigenen Position zwingt, indem er diese radikal infrage stellt. Es ist an jedem einzelnen, auf diese Frage eine Antwort zu finden.



    Das ist bestimmt ein Schluß, den man aus der Beschäftigung mit den Amish ziehen kann.
    Allerdings gibt es sicher hunderte von Gegenentwürfenweltweit, von denen eine erkleckliche Anzahl bedenkenswert ist. Und bedacht wird. :grin


    Solche Forderungen werden seit vielen Generatiopnen immer wieder erhoben und nicht wenig davon aufgenommen.
    Ein gewisser Fortschritt ist immer zu verzeichnen, auch wenn es langsam geht. Man braucht eben Geduld.


    Ich bin froh, daß Du dann doch einschränkend geschrieben hast, daß man sich daran messen 'kann'.


    Als gebildeter Mensch und als Frau, geprägt durch die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, würde ich mich nämlich beleidigt fühlen, würde mir jemand ernsthaft andienen, mich an Werten einer denkerisch so eingeschränkten und bildungs - und kulturfeindlichen Gemeinschaft voller Zwänge zu orientieren.


    Aber, wie Du so richtig hinzufügst: man kann.



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von Delphin
    Widerspricht das hier:
    (...)
    diesem hier nicht?


    Nein, weil es nicht um Glaubensfragen, sondern um solche des täglichen Lebens geht. Beispielsweise inwieweit mechanische Maschinen erlaubt sind oder nicht. Beispiel: Batteriebetriebene Nähmaschinen oder nur solche mit Fußantrieb. Häuser mit fließendem Wasser und sanitären Einrichtungen, wie wir sie fast genauso kennen oder - als anderes Extrem - Plumpsklo im Hof.



    Zitat

    Original von Delphin
    Gibt es nun eine Art, Christ zu sein, oder nicht. Ok, darin unterscheiden sich die Amish-Gemeinden nicht von x anderen (christlichen) Untergruppen, die alle einen Wahrheitsanspruch haben.


    Eine monotheistische Religion muß einen Wahrheitsanspruch erheben, wenn sie sich nicht selbst widersprechen will. Die Unterschiede beziehen sich m. E. vor allem auf die konkrete Auslegung und Interpretation.



    Zitat

    Original von Delphin
    1. Die Kinder werden also schon darauf sozialisiert. zu bleiben.


    Gewiß. Auch in unserer Gesellschaft - wie in jeder anderen auch - werden die Kinder entsprechend sozialisiert. Weshalb ist bei uns etwas gut, was dort dann nicht gut sein soll?



    Zitat

    Original von Delphin
    2. Wird ein Kind, das so aufgewachsen ist, eine echte Chance haben, auf ein College und eine Universität zu gehen?


    Zumindest schlechte, weil die Amish höhere Bildung ablehnen und in ihren Schulen nicht darauf vorbereiten.



    Zitat

    Original von Delphin
    Und was ist das überhaupt für eine Wahl, mit 18-22 entscheiden zu müssen, ob man bleibt, oder seine Familie und sein zuhause und alles was man kennt aufzugeben.


    Bei uns ist man mit 18 volljährig. Viele treffen dann ähnliche Entscheidungen. Ohne, daß das prinzipiell infrage gestellt wird. Immerhin haben die jungen Amish eine Wahl der Gesellschaft, in der sie leben wollen.



    Zitat

    Original von Delphin
    Ich wünschte, Eltern würden bewusster damit umgehen, ob sie ihren Kindern damit drohen, in die Hölle zu kommen.


    Nochmals: für die Amish sind Himmel und Hölle, Gott und Satan absolut real und über jeden Zweifel erhaben. Sie gehen bewußt damit um, weil sie nach ihrer Überzeugung die Verantwortung für die Seelen und damit das ewige Leben ihrer Kinder haben. Würden sie anders handeln (etwas, wie Du es wünschst), würden sie nach ihrer Überzeugung verantwortungslos handeln. Als Schlagwort: Ewigkeit geht vor Endlichkeit. Etwas, was ich durchaus unterschreiben würde.




    Zitat

    Original von magali
    Ich frage mich allerdings, ob es außerhalb des politischen Kontexts der USA in seiner Entstehungszeit Wirkung entfalten kann.


    Nun, da wir ja so ziemlich alles von den Amerikanern mit Zeitverzögerung übernehmen, bin ich da recht guter Hoffnung. ;-)



    Zitat

    Original von magali
    Allerdings gibt es sicher hunderte von Gegenentwürfenweltweit, von denen eine erkleckliche Anzahl bedenkenswert ist.


    Mag sein, dieser ist aber aus unserer eigenen westlichen Tradition und Kultur entstanden, nicht wer weiß wo in der Welt. Genau genommen sogar hier bei uns in Europa. Ein Entwurf beispielsweise aus Afrika, aus einer ganz anderen Tradition heraus gewachsen, kann hier kein Stachel sein. Er bezieht sich nicht auf die gleichen Wurzeln wie wir.



    Zitat

    Original von magali
    Ich bin froh, daß Du dann doch einschränkend geschrieben hast, daß man sich daran messen 'kann'.


    Nun, das „können“ ist dem Bewußtsein geschuldet, daß es in unserer immer säkularer werdenden Gesellschaft schon fast einem Sakrileg gleich kommt, diese nicht als die beste und für alle Zeiten gültige zu betrachten. In der eine Wahlmöglichkeit überhaupt nicht besteht - außer der, sich zurückzuziehen.



    Vielleicht habe ich den „Impakt“ des Amish-Gedankengutes so stark erlebt, weil es mich an meine Jugend erinnert hat. Ohne das jetzt näher ausführen zu wollen, doch ich fühlte mich an die seinerzeitige Verhandlung wegen meiner Wehrdienstverweigerung erinnert. Ohne damals das Wort „Amish“ schon mal gehört zu haben, noch einer ganz anderen Richtung verhaftet, habe ich damals sehr ähnlich argumentiert. Und war bereits vor der Beschäftigung mit der Thematik jetzt in den letzten Jahren soweit gekommen, daß ich vermutlich auch so handeln würde. Immer noch.


    Im übrigen zeigt auch diese Diskussion (wie manche andere) sehr schön, daß sich unsere Gesellschaft zusehends spaltet. Die ist nicht mal in der Lage, eine Gruppe wie die Amish hier zu dulden. Der hiesige Staat ist nämlich so „tolerant“, daß die Amish hier nicht leben könnten (wie sie es in den USA tun) und auch heute noch wegen Verfolgung auswandern müßten. Sicher sind die Amish ein Extrembeispiel, das aber mir (wieder) bewußt gemacht hat, auf welcher Teilseite der Gesellschaft ich stehe - und auf welcher nicht. Wohin ich mich bewege - und wovon ich mich weg bewege. Insofern haben sie mir geholfen, meine Position bzw. Richtung zu bestimmen. (Ähnliches findet sich übrigens im Buch als Aussagen von Menschen, die durch das Verhalten der Amish selbst zum Nachdenken über eigene Positionen gekommen sind.) Auch solches meinte ich mit „Daß es sehr wohl einen Gegenentwurf gibt, an dem wir uns messen müssen / können.“


    Daß wir uns dabei auf absolut gegensätzlichen, sich voneinander entfernenden, Seiten wiederfinden, ist so klar, daß es eigentlich schon keiner Erwähnung mehr bedarf.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • SiCollier


    ich teile Deinen resignativen Standpunkt bezüglich 'dieser Gesellschaft' nun nicht so ganz, aber Du im Grund auch nicht, sonst würdest Du nicht so kontinuierlich Gegenentwürfe vorstellen, oder?
    :-)


    Zur Kriegsdienstverweigerung:


    Dazu braucht man nun wirklich keine Amish.
    Die christliche Bewegung war in ihrer Entstehungszeit gut zwei Jahrhunderte pazifistisch, was ja auch den Forderungen ihrer Grundsatztexte entspricht. Es war ein langes und schwieriges Umdenken, bist erklärt werden konnte, warum auch Christen töten dürfen.
    Im Mittelalter waren die Katharer unbedingte Pazifisten ebenso die Franziskaner (Kriegsdienstverweigerung ist in die Ordensregel aufgenommen), dann eben sämtliche Splittergruppen der Täufer, aber auch Waldenser, Quäker (die mir z.B. sehr sympathisch sind, weil sie nicht so ein Gedöns um sich machen (lassen) :grin) und sogar die Zeugen Jehovas.
    Orthodoxe Juden halten sich an das 'du sollst nicht töten'-Gebot, in Israel sind sie ja vom Militärdienst freigestellt.


    Möglichkeiten zur Identifikation also mehr als genug.


    Ob man eine Gruppe, wie die Amish hierzuilande 'dulden' soll, ist ein weites Feld. Ich betrachte Sekten, gleich welcher Couleur, mit höchster Skepsis. Ich finde es z.B. schrecklich, wenn Baptistenkinder, wie jüngst in Baden-Württemberg aufgedeckt, außerhalb staatlicher Schulen nach zum Teil sehr eigenwilligen Vorstellungen von Bildung erzogen werden. Für mich gibt es Grenzen in puncto Selbstbestimmungsrecht von Minderheiten.



    Was nun das Thema des Buchs angeht, so ist mir tatsächlich nicht ganz klar, welche Vorstellung sich denn nun hierzulande ausbreiten soll. Noch in den USA, ehrlich gesagt.


    Geht es ums Strafrecht? Das moderne Strafrecht geht eigentlich nicht mehr vom Racheprinzip aus. Was 'Sühne' betrifft, weiß ich leider nicht, wie genau der Stand der Diskussion dabei ist. Ich bin keine Juristin.
    Aber so etwas wird immer wieder diskutiert, z.B. wenn es um Strafvollzug geht, ein Bereich, in dem es immer wieder Reformen gibt. Auch das Justizsystem ist nicht fix, auch in diesem Bereich ist einiges beweglich und wird bewegt.


    Politisch gesehen ist der Gedanke nicht haltbar, weil die USA keine Kriege führen, um jemanden zu bestrafen, das sind vorgeschobene Argumente für ganz klar und eindeutig materialistisch zu definierende Interessen.


    Religiös bringt einen die Sache in die Bredouille, weil man ja das 'Auge um Auge'-Gebot haben und man immer im Sumpf landet, wenn erklärt werden soll, warum die eine Textstelle Gültigkeit haben soll, die andere aber nicht.


    Kulturell gesehen wäre der Gedanke so falsch nicht, man müßte den Menschen auf Dauer den kleinen schießwütigen Sheriff aus dem Kopf erziehen. Allerdings gibt es die sog. Friedenspädagogik und auch die schon länger. Sie mag sich auch aus christlichen Wurzeln speisen, aber sie ist längst im Diesseits angekommen.
    Eben das wäre der Weg für eine moderne Gesellschaft in meinen Augen. Solche Fragen in einem behaupteten Jenseits zu verankern, wodurch der Weg dann wiederum für die sehr viele nicht gangbar wäre, führt wieder nicht zum Ziel.


    Und dann sehe ich den Komplex 'Vergeben/Verzeihen' eben noch in der Individualpsychologie, wo er tatsächlich, das schrieb ich oben schon, positive Wirkung haben kann, eine Art 'Seelenhygiene' oder 'Gemütshygiene', wenn man das religiös konnotierte Wort 'Seele' vermeiden möchte.


    Mögen die Amish ein Anstoß sein, das kann sich nun wirklich jede und jeder aussuchen, ich allerdings verstehe die Bedeutung dieser Gruppe als Gegenentwurf nicht recht.


    Weil sie aus Europa stammen?
    In Europa entstand die Aufklärung, die Reformpädagogik, der moderne Strafvollzug, die Alphabetisierung, frühe demokratische Bewegungen, die Seuchenbekämpfung, der Anarchismus, die ökologische Bewegung, der Sozialismus, die Frauenbewegung.
    Reicht das nicht?
    Mir reicht das erst mal.


    Auch wenn ich einem US-Amerikaner für den Reißverschluß danken muß, was ich täglich aufs Neue und von Herzen tue. :grin



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus