Schreibwettbewerb Mai 2009 - Thema: "Zenit"

  • Thema Mai 2009:


    "Zenit"


    Vom 01. bis 20. Mai 2009 könnt Ihr uns Eure Beiträge für den Schreibwettbewerb Mai 2009 zu o.g. Thema per Email an webmistress@buechereule.de zukommen lassen. Euer Beitrag wird von uns dann anonym eingestellt.


    Den Ablauf und die Regeln könnt Ihr hier noch einmal nachlesen.


    Bitte achtet darauf, nicht mehr als 500 Wörter zu verwenden. Jeder Beitrag mit mehr als 500 Wörtern wird nicht zum Wettbewerb zugelassen!

  • von kamelin


    Was ist Wahrheit?
    Ist sie das, was ich zu sehen wünsche? Das Produkt meiner Gedanken. Meiner Gefühle.
    Bin ich der Urheber meiner Wahrheit oder schöpfe ich aus der Realität anderer,
    versenke meinen Eimer im Brunnen fremder Gewissheiten?


    Ist Wahrheit etwas persönliches oder ist sie allgemein?
    Entspringt sie aus mir, bin ich ihre Quelle?
    Ist Wahrheit das, woran ich glaube, oder glaube ich das, was ich für wahr halte?
    Ist Wahrheit gleich Glaube?
    Glaube ich an die Wahrheit oder bewahrheite ich meinen Glauben?
    Ist Glaube eine Frage der Wahrnehmung oder meiner Überzeugung?
    Oder muss ich erst überzeugt werden, dass ich glaube?


    Meine Wahrheit, deine Wahrheit – was ist richtig, was ist falsch?
    Wenn das was ich sage wahr ist, ist deine Wahrnehmung der Wahrheit dann eine Täuschung?
    Eine Illusion. Ein Irrglaube.
    Wann ist der Zenit überschritten, dass Wahrheit nicht mehr wahr ist?
    Grenzt meine Wahrheit deine aus?
    Vereint sie oder trennt sie uns voneinander?
    Ist Wahrheit polarisierend?


    “Der einzig wahre Glaube”
    Ist mein Glaube der einzig wahre?
    Kann man auch an etwas Falsches glauben?
    Sind alle Hindus Lügner oder sind es die Andersgläubigen in ihren Augen?
    Oder glauben wir gemeinsam an etwas, das grösser ist als wir selbst?


    Wahrheit als Band, etwas Verbindendes. Verbindliches.
    Folgen wir unserer Wahrheit? Wahrheit als Weg. Wegweisend.
    Suchen wir nach Wahrheit oder krallen wir uns an sie, wie an einen Rettungsring?
    Halten sie fest, rahmen sie ein und hängen sie uns an die Wand:
    “Nette Wahrheit hast du da!”
    “Gefällt sie dir?”
    “Hm, ja schon, aber ein bisschen mehr Aufrichtigkeit würde dem Ganzen mehr Ausdruck geben.”
    “Mir kam es mehr auf die Ausschmückung an, die Dramatik, verstehst du?”
    “Also ich lege mehr Wert auf Fakten.”
    “Das ist ja langweilig.”
    “Aber dafür wahrhaftig.”
    “Auch wieder wahr.”


    Was ist Wahheit?
    Was sollte sie sein?


    Die Suche nach der Wahrheit ist so alt wie Methusalems Bart.
    Worauf immer man sich schließlich einigt, am Ende erhält man eine subjektive Wirklichkeit.
    Oder, um es mit Friedrich Schlegels Worten zu sagen:
    ”Wahrheit wird nicht gefunden, sondern produziert. Sie ist relativ.“


    Wie es aussieht muss jeder für sich selbst entscheiden was wahr ist und was nicht.
    Nur eines ist sicher: Das Wahre vom Bequemen zu unterscheiden, erfordert Mut.

  • von Mittens


    Das kleine, dürre Mädchen saß einsam am Ufer des Flusses und schaute gebannt in das blaue Wasser. Unter dem zerzausten, schwarzen Haarschopf des Kindes ragten zwei fragende, wissbegierige Augen hervor. Eigentlich sollte sie ja nicht alleine zum Fluss hinunter gehen. Die Großmutter meinte, das wäre zu gefährlich. Aber das Wasser zog die Kleine in diesen Tagen magisch an. Im vergangenen Sommer war die große Nilschwemme ausgeblieben und das ganze Gebiet wurde von einer andauernden Dürre heimgesucht. Der fruchtbare Boden aus dem äthiopischen Hochland, der immer mit der Nilflut angeschwemmt wurde, blieb aus und die bestellten Felder lieferten nur sehr geringe Erträge. Hunger war die Folge dieser Misere und das kleine Mädchen konnte sich nur zu gut an das schmerzende Gefühl der vergangenen Monate erinnern. Hoffnungsvoll blickte sie auf das funkelnde Nass.


    >>Nefertari! Hier treibst du dich also schon wieder herum!<<
    Die Kleine schreckte aus ihren Gedanken hoch und blickte mit großen Augen zur Großmutter,
    die sie mit strengem Blick ansah. Das Mädchen grinste die Alte frech an und entblößte dabei ihre große Zahnlücke. Der Blick der alten Frau erweichte sich und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. >>Nichts als Dummheiten hast du in deinem Kopf, Nefertari! Eines Tages wird dich Sopdet noch in ihr nasses Reich ziehen!<< Das Mädchen lächelte. Wahrscheinlich wieder eine der alten Gruselgeschichten ihrer Großmutter. Dann wurde der Blick des Kindes ernst. Die vergangenen Tage hatte sie viel über Sopdet, die große Nilgöttin, nachgedacht. Warum nur behielt sie ihre Fluten zurück? >>Großmutter? Glaubst Du, dass die Fluten dieses Jahr wieder ausbleiben?<<, fragte Nefertari mit zitternder Stimme.


    >>Hmmm, hmmm!<< brummelte die Alte in sich hinein und ihre Augen zeigten Traurigkeit. Sie streichelte über das glänzende Haar des Kindes und seufzte. >>Vielleicht ist uns Sopdet dieses Jahr gnädiger gesinnt, Kleines! Wir alle haben Gebete an sie gerichtet in den letzten Monaten. Ich bin mir sicher, dass die große Flutbringerin uns diesen Sommer wieder beisteht!<<


    >>Die Fluten sollten bald kommen, oder?<<, fragte die Kleine erwartungsvoll.
    >>Ja, es ist Zeit! Warte noch ein paar Tage! Ich bin mir sicher, dass Sopdet uns dieses Mal nicht im Stich lässt!<<, sprach die Alte ermutigend. Auch sie fühlte die berechtigte Furcht vor einer weiteren Trockenphase. Die Zeit für die Schwemme war nahe.
    Der nächste Tag sollte zugleich Traurigkeit und Erleichterung in das Dorf bringen. Erleichterung für das Dorf brachte die gegen Nachmittag einsetzende Nilschwemme. Ra, der feurige Sonnengott, stand nun im Zenit seiner Feuerkraft, die Sommersonnenwende war da, mit der Sopdet, die große Nilgöttin, gewöhnlich ihre lebensspendenden Fluten schickte. Traurigkeit überkam die alte Tuja, die ihre kleine Nefertari tot am Flussufer auffand. Der dürre Körper des Kindes war gezeichnet von den Bissen einer hungrigen Wildhundmeute. Sopdet hatte sich für ihre nasse Gabe ein Opfer erwählt. Denn in dieser Nacht leuchtete die große Nilgöttin in ihrer Verkörperung Sirius, dem Hundsstern, hell am dunklen Himmel Ägyptens.

  • von churchill


    Er schaut auf die Massen, die sich da unten bewegen. Andere sagen, er lässt seinen Blick schweifen. Das passt normalerweise nicht zu seinem Blick, den sie in der Regel nicht als schweifend sondern vielmehr als fixierend erleben. Wie dem auch sei, heute lässt er ihn schweifen und genießt. Der optische Genuss verbindet sich mit dem akustischen. Es hat etwas Erotisches, dieses anschwellende Grollen, diese ekstatischen Schreie. Seinetwegen.


    Genau hingeschaut hat er immer schon. Deshalb kamen auch die hervorragenden Bilder zustande. Er ist von Anfang an ein Künstler gewesen. Mit all den Erfahrungen, die echte Künstler machen müssen. Er ist verkannt worden. Und ausgenutzt. Und betrogen. Von Kreaturen, die ihm in keiner Weise das Wasser reichen können. Minderwertigen Gestalten. Die Kunst kann sie nicht überzeugen. Intelligenz auch nicht. Er will sie auch nicht überzeugen. Nicht mehr. Er wird es ihnen jetzt zeigen. Anders.


    Dreiundvierzig Jahre und neun Monate dauert sein Leben schon. Er ist von unten gekommen. Von ganz unten. Und jetzt steht er hier oben am Fenster und sieht und hört und genießt. Heute abend wird er genießen, ab morgen wird keine Zeit mehr dafür sein. Neun Jahre und zwei Monate sind vorbei, seitdem er es zuerst versucht hat. Damals war die Zeit noch nicht reif. Die Zwischenzeit hat er genutzt. Der bildende Künstler hat sich literarisch betätigt. Die Bilder haben sie nicht verstanden. Das Buch werden sie lesen. Sie werden das Buch lesen wollen. Sie werden das Buch lesen müssen. Alle werden es lesen. Und dann werden sie alle verstehen.


    Der Alte hat es verhindern wollen, dass es zu diesem Tag kommt. Erst hat er ihn nicht ernst genommen. Der Alte hat es nicht verhindern können. Die Methoden haben sich geändert, die Mittel wurden variiert, Akzente verschoben. Und das alles ganz legal. Heute fressen sie ihm aus der Hand. Der Alte auch. Sollen sie doch glauben, dass sie die Kontrolle haben. Sollen sie doch glauben, dass sie ihn füttern. Dass sie ihn einrahmen. Dass sie ihn lenken. Er weiß es besser. Und sie werden es auch bald besser wissen.


    Das Licht der Fackeln fasziniert ihn. Ja, das ist der Tag, auf den er so lange hingearbeitet hat. Der ersehnte Tag ist da. Und dieser Tag wird keine kleine Episode sein sondern der Beginn einer neuen Zeitrechnung. Er ist verfolgt worden, die Bewegung aufgelöst und verboten. Heute sind sie, heute ist er stärker als je zuvor. Er ist bereit zum Kampf. Am Ende des Kampfes wird der Sieg stehen. Sein Sieg.


    Schaut genau hin, ich werde alles neu machen. Ich bin wie das Licht, das da flackert. Lebendiges Licht. Ich werde euch wärmen, euch den Weg zeigen. Aber wer mir zu nahe kommt, wird brennen. Ich bin das Ende und der Anfang.


    Er reißt sich vom Anblick der ihm zujubelnden Massen los und wendet sich in Richtung Zimmer. „Goebbels, Göring zu mir!“ Die Zukunft hat soeben begonnen.

  • von BunteWelt


    Sie bekam vor zwei Jahren eine neue Lunge implantiert und seitdem saß sie im Rollstuhl, da sie immer nur wenige Schritte gehen konnte.
    Denn es hatte nicht alles so geklappt, wie es klappen sollte.
    Die Operation war etwas ... ja - sie war verpatzt worden.


    Die Beiden hatten vor sieben Jahren geheiratet, obwohl beide noch relativ jung waren.
    Und sie war sehr ehrgeizig und wollte auch einmal einen Gipfel besteigen, wir er es oft tat.
    Ja, sie war schon oft auf Gipfeln gewesen.
    Mit der Seilbahn.
    Mit dem Auto.
    Oder er hatte sie hochgetragen, wie ein kleines Kind.
    Und alle hatten sie angestarrt.
    Es war ein schreckliches Gefühl gewesen und sie wollte endlich einmal einen Gipfel selbst und aus eigenen Kräften besteigen.
    Sie wollte das Gefühl haben, etwas allein geschafft zuhaben.


    Als er gerade aus seiner Nachtschicht kam, sagte sie zu ihm:
    ,,Ich will jetzt einen Gipfel besteigen. Mit dir..”
    Und er nickte.
    ,,Wohin? Und wie?”
    Sie zuckte ihre Schultern und sah ihn an.
    Wortlos nahm er seinen Rucksack und ging in die Küche.
    Als er wieder zurückkam, half er ihr aus dem Rollstuhl und sagte:
    ,,Wir zwei besteigen jetzt den kleinen Dorfberg, auf dem die Kapelle steht!”
    Jeder andere Mensch hätte zwei Minuten gebraucht, um auf den Gipfel zusteigen.
    Doch sie ließ sich jeden zweiten Schritt ins Gras plumpsen und keuchte.
    Dann stand sie wieder auf.
    Und ging weiter.
    Und weiter.
    Und fiel.
    Und ging weiter.
    Und...
    Nach einenhalb Stunden waren beide oben.
    Sie schmiß sich auf den Boden und lachte los und er stimmte in ihr Lachen mit ein.
    Sie fütterten sich gegenseitig mit den mitgebrachten Erdbeeren und lachten und küssten sich.
    Sie fühlte sich so gut.
    Und er sich auch.

  • von Sinala


    Flirrende Hitze lag über dem Land. Die Konturen der fernen Berge verschwammen in der heißen Luft. Eine Windhose schleuderte Sand hoch in die Luft, um ihn an anderer Stelle wieder abzuladen. Selbst die Klapperschlangen hatten sich in den Schatten verkrochen, um den gleißenden Strahlen der im Zenit stehenden Sonne zu entgehen. Kein lebendes Wesen weit und breit war zu sehen – bis auf zwei Geier, die lautlos am Himmel kreisten.


    Pete hatte kein Auge für die beiden Vögel als er mit seinem Mustang in die verlassene Westernstadt hineinfuhr. Er musste sich beeilen, war spät dran – und verdammt nervös, denn so etwas hatte er noch nie gemacht. Aber ihm blieb keine andere Wahl, das hatte ihm Mr. Big deutlich zu verstehen gegeben. Ein Versteck für den Mustang war schnell gefunden; die Reifenspuren würden durch den starken Wüstenwind zugeweht werden, deswegen musste er sich keine Sorgen machen. Dennoch schwitzte er stark, was nicht allein an der Hitze lag. Dicke Schweißperlen liefen ihm über die Stirn, sein Hemd war klatschnass. Was für eine Schnapsidee, sich an so einem Ort zur Mittagszeit zu treffen. Er lachte laut auf. Wie hieß doch gleich dieser Film mit Gary Cooper? Genau - „High Noon“, aber er würde seinem Gegner nicht offen entgegentreten, sondern sich in einen Hinterhalt legen.


    Mit dem Gewehr in der Hand ging Pete sich immer wieder umschauend die Hauptstraße des kleinen Städtchens entlang. Während er die Atmosphäre auf sich wirken ließ, vergaß er völlig warum er überhaupt hier war. In seiner Phantasie war er der Sheriff, der für Ordnung sorgte. Der die wilden Cowboys und Goldgräber in Schach hielt, die Bankräuber nach einer wilden Jagd durch den Staat Nevada einfing und mitsamt des gestohlenen Geldes zurückbrachte, hierher nach „Golden City“. Die schönsten Girls setzen sich im Saloon an seinen Tisch und leisteten im Gesellschaft. Die Männer hatten Respekt vor ihm und grüßten ihn ehrerbietig. Sein Pferd war das Schnellste und Ausdauerndste im ganzen Land, sein Sattel mit Silber beschlagen, niemand war ihm ebenbürtig. Doch ein scharfer Knall, verbunden mit einem brennenden Schmerz, der sich in seiner Brust ausbreitete, beendete seine ausschweifenden Gedankengänge. Ein merkwürdiges Gefühl der Schwäche breitete sich in Pete aus. Er fiel, landete unsanft im Staub. Dunkelheit hüllte ihn ein und nahm ihn mit zu einem Ort ohne Wiederkehr. Mr. Big hatte sich kurzentschlossen umentschieden und aus dem Täter ein Opfer gemacht.

  • von Quetzalcoatlus


    Jenes schwerwiegende Ereignis an einem Sommertag im Jahre 1896 wurde von einer Serie unterschiedlicher Klänge begleitet, die alle gleichsam von Bedeutung waren.


    Es begann mit dem verhaltenden Klackern der Telegrafen während der Morgendämmerung. Die übermittelte Nachricht sprach von der unmittelbar bevorstehenden Ankunft des letzten großen Wandertaubenschwarms.


    Für den Rest des Morgens folgte eiliges Fußgetrappel und hastiges Türgeknalle im gesamten Dorf.


    Die Geräuschkulisse des Vormittags dominierte das aufgeregte Bellen der Hunde, die man an den Randbezirken der Getreidefelder postiert hatte.


    Gegen Mittag, als die Sonne am höchsten stand, erklang der klatschende Ton schlagender Flügel. Zuerst nur gedämpft, dann schwoll er nach und nach an zu einem gewaltigen Brausen, als ein gigantischer Schwarm Wandertauben herbeizog. Die Masse der zierlichen Leiber verdunkelte den Himmel und verwandelte das Mittagslicht in einen diffusen Dämmerzustand.


    Den Rest des Tages beherrschte eine Welle von knallenden Geräuschkaskaden nach der anderen, als die Jäger die gefiederten Reisenden mit mehr oder minder präzise in die Luft gestreuten Gewehrkugeln auslöschten.
    Keine Vogelstimme erbrachte den ihrigen Beitrag zur akustischen Szenerie, die Tauben fielen stumm und hilflos gen Erde. Lediglich ein sanftes Rascheln war zu hören, verursacht durch die Zuckungen der zu Abertausenden im Gras verendenden Tiere.
    Das Spektakel wurde abgerundet durch das Knirschen von unter herabsausenden Knüppeln zerberstenden Schädeln.


    Sobald die Dunkelheit herannahte, waren alle Laute verklungen und eine Grabesstille legte sich über die Landschaft.
    Im Licht der untergehenden Sonne leuchteten die durch die abendliche Brise gen Himmel trudelnden Federn wie rostrote Schneeflocken. Es war ein wunderschöner Anblick.
    Man konnte es bedauerlich nennen, dass niemand zusah. Besonders, weil die Gelegenheit niemals wiederkehren würde.