Eine zufällige Begegnung - Charles Chadwick

  • Verlag: Luchterhand; ISBN: 978- 3630872902
    206 Seiten; April 2009;
    gebundene Ausgabe mit Schutzumschlag


    Mut zur Hässlichkeit


    Selten findet man ein Buch, das wirklich aus den Mainstream-Massen herausragt. "Eine zufällige Begegnung" ist ein solches Buch. Es ist so einzigartig wie seine Protagonistin. Elsie wird als unerträglich hässlich dargestellt, so hässlich, dass man ihren Anblick kaum erträgt. Diese Tatsache macht es nicht leicht, unbeschwert zu leben und akzeptiert zu werden. Andere Menschen treten ihr mit schier unabwendbaren Vorurteilen entgegen und schließen vom äußeren Erscheinungsbild auf ihren Charakter. Ist man ehrlich zu sich selbst, so muss man einsehen, dass unsere Gesellschaft nahezu versessen auf Aussehen und Status ist. Hat eine Frau wie Elsie dort eine wirkliche Chance glücklich zu sein?


    Selbst von ihrer Familie erfährt sie weder bedingungslose Liebe noch einen wirklichen Rückhalt. Elsie hat es schon lange aufgegeben, Schwächen, Trauer, Angst oder gar ihre Unzufriedenheit und Enttäuschung zu zeigen. Sie trägt eine unglaubliche Last mit sich herum, die von Tag zu Tag schwerer wiegt. Dafür blüht sie in ihrem Beruf als Putzfrau richtig auf. Sie liebt Sauberkeit und Reinheit, kann sich an schönen Dingen nicht satt sehen und umgibt sich deshalb gern mit ihnen. Nun mag man denken: Was für ein Kontrast!
    Doch halt! Wieso sollen Schönheit und Schönheit nicht aufeinander treffen?


    Eines Tages lernt Elsie im Bus einen Mann kennen. Er verhält sich ihr gegenüber so abweisend wie alle anderen auch. Um seine Ruhe zu haben, erzählt er Elsie davon, dass er jemandem ermordet hat. Elsie nimmt diese Information sehr gelassen auf. Und obwohl der Mann eigentlich möglichst viel Abstand zu Elsie wahren möchte, entsteht doch eine gewisse Anziehung zwischen den beiden. So treffen zwei Außenseiter der Gesellschaft aufeinander und es entwickelt sich ein Miteinandersein daraus.


    Charles Chadwick schreibt über wahre Schönheit - die innere nämlich! Es geht nicht um Diätenwahn oder darum irgendwelchen Trends hinterher zu rennen. Elsie ist ein ehrlicher, toleranter und verständnisvoller Mensch. Als Leser beginnt man sehr schnell sie zu mögen - sie richtig lieb zu gewinnen. Wieso wird sie meist nur nach ihrem Aussehen beurteilt? Sind wir wirklich so sehr von unserem ersten Eindruck gefesselt, dass eine Unterhaltung gar nicht erst zustande kommt? Im Unterschied zu ihren Mitmenschen tritt Elsie nämlich jedem mit Offenheit und Einfühlungsvermögen entgegen. Sie ist nicht geblendet von irgendwelchen Belanglosigkeiten. Die Ernsthaftigkeit, mit der sie andere bei Problemen unterstützt, zeigt wahre Größe und Schönheit.


    Dem Autor gelingt es mit zarten Strichen ein Bild zu zeichnen, das seinesgleichen sucht. Es ist das Bild einer einzigartigen Frau, das vor Sanftheit und Feingefühl strotzt. Chadwick porträtiert sie in ihrem Innersten. Wer hätte anfangs gedacht, dass Elsie ein so wunderschönes Motiv darstellt?



    Kurzbeschreibung
    »Ein seltenes Vergnügen, ein tiefsinniger Spaß, eine menschliche Komödie.«


    Was hat Schönheit mit Liebe zu tun? Für Elsie viel, denn sie ist so hässlich, dass die Leute erschrecken, wenn sie sie sehen. Ein Außenseiter der Gesellschaft ist auch Stan: Er saß wegen Mordes fünfzehn Jahre im Gefängnis. Wie die beiden sich zufällig begegnen, wie daraus eine ungewöhnliche Freundschaft erwächst, das erzählt der literarische Solitär Charles Chadwick so unsentimental, so zart und zugleich hart, wie es nur ein großer Menschenkenner vermag.


    Elsie liebt schöne Gärten und ihre kleine Wohnung. Sie arbeitet als Putzfrau in einem Krankenhaus, besucht einmal im Monat ihre Mutter und ist gern allein. Denn Elsie ist so hässlich, dass sie immer und überall auffällt. Vor allem, wenn sie lächelt oder aufgeregt ist, wenden sich die Leute angewidert von ihr ab. Auch der Mann, der eines Tages in einem Bus neben ihr sitzt, fühlt sich von ihren neugierigen Blicken belästigt. Um sie loszuwerden, sagt er ihr, er habe einen Mann umgebracht und dafür fünfzehn Jahre im Gefängnis gesessen und hätte jetzt gern seine Ruhe. Aus dieser zufälligen Begegnung entwickelt sich eine Freundschaft zwischen zwei Einzelgängern, die für die Menschen um sie herum zutiefst rätselhaft ist und die beide auf äußerst ungewöhnliche Pfade führt ...


    Über den Autor
    Charles Chadwick, geboren 1932, hat bis 1992 als Mitarbeiter des British Council in verschiedenen afrikanischen Staaten, in Brasilien, Kanada und Polen gelebt. Mit 72 Jahren veröffentlichte er seinen ersten Roman, "Ein unauffälliger Mann", an dem er knapp 30 Jahre lang schrieb und der in Großbritannien und den USA großes Aufsehen erregte. Charles Chadwick lebt in London.

  • Ich hab dieses Büchlein am Wochenende regelrecht verschlungen, und trotzdem fällt's mir schwer, meine Eindrücke in halbwegs geordnete Worte zu fassen (ich fürchte, ich greife derzeit bevorzugt zu Büchern, die mich in vergleichbarem Zustand zurücklassen :gruebel ).


    Elsie ist hässlich. Nein, sie leidet nicht unter einem einzelnen Makel wie einer aus dem Rahmen fallende Nase oder einem Gesicht, das nicht dem Schönheitsideal entspricht, und Elsie bildet sich das auch nicht ein. Das macht der Autor auf sehr kluge Weise deutlich, indem er Elsie nicht nur aus ihrer eigenen Perspektive, sondern auch aus derjenigen ihrer Mutter Gladys, ihres Bruders Geoffrey und seiner Frau Susan und ihres Onkels Henry nebst Gattin Pru schildert.


    Und aus derjenigen Stans, des Ex-Knackis, dem Elsie zufällig im Bus begegnet.


    Dabei ist Elsie, die als Putzkraft in Krankenhäusern arbeitet, ein herzensguter Mensch und liebt Gärten und Pflanzen über alles.
    Es ist dem Können des Autors zu verdanken, dass die Figur Elsie nicht in ein plattes Klischee "außen pfui, innen hui" abgleitet; praktisch von den ersten Seiten an hatte ich das Gefühl, Elsie wirklich kennenzulernen und ich habe sie sofort ins Herz geschlossen.
    So sehr, dass ich lange eine heftige Abneigung gegen Stan hatte, den ich als Bedrohung für Elsie empfand, und nur ganz, ganz allmählich konnte ich mich für ihn erwärmen; wirklich getraut habe ich ihm bis (fast) zur letzten Seite nicht.
    Überhaupt war es für mich ein Buch, das bei mir sehr starke Emotionen gegenüber den einzelnen Romangestalten ausgelöst hat.


    Umso erstaunlicher, als es doch eigentlich ein recht unspektakuläres Buch ist. Der Plot an sich ließe sich in wenigen Sätzen erzählen, und die Sprache ist einfach und schlicht - und genau das braucht diese Geschichte, genau das macht dieses Büchlein so beeindruckend. Der bodenständige Sprachstil, der immer genau auf den Punkt ist, übermittelt ungeheuer viel: an Bildern, Gefühlen, Gedanken, Eindrücken, Tiefgang, an Möglichkeiten, Wünschen, Hoffnungen für Fort- und Ausgang der Geschichte.


    Es ist die Geschichte zweier Außenseiter, die sich zufällig begegnen und Freundschaft schließen und deren Leben am Schluß nicht mehr das ist, was es einmal war. Beginnt das Buch ziemlich deprimierend, bekommt es zur Mitte hin richtig Spannung und hat genau das Ende, das es braucht - mit einer ordentlichen Portion britisch-schwarzen Humors, die mich breit hat grinsen und mich als Komplizin von Elsie und Stan hat fühlen lassen.


    Ein kleines, leises, unaufdringliches Buch, in dem es viel zu entdecken gibt und mindestens ebenso viel daraus mitzunehmen.
    Auch wenn darin nichts rosarot oder quietschigbunt ist, gehört es für mich eindeutig in die Kategorie "Wohlfühlbücher", denn hinterher ging's mir einfach gut. :-]

  • Ich habe das Buch aus der Hand gelegt und war tief berührt.
    "Meistens wünschte sie sich einfach, sie wäre anders, damit ihre Mutter sich nicht so große Mühe geben müsste, sie zu lieben."


    Den Worten meiner Vorschreiberin Nicole möchte ich mich uneingeschränkt anschließen.
    Ein stilles, ein leises Buch und gerade deswegen so bewegend. Jetzt gilt es ganz schnell Charles Chadwicks ersten Roman zu lesen, an dem er immerhin 30 Jahre geschrieben hat.

    Herzlichst, FrauWilli
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    Ich habe mich entschieden glücklich zu sein, das ist besser für die Gesundheit. - Voltaire

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  • Danke für die schönes Rezis.


    Ich hab das Buch gerade zur Hand genommen und überlegt, ob ich dieses unseren älteren Damen bei unserer Weihnachts-Theke (Veranstaltungsreihe in der Bibliothek wo wir Bücher als Geschenktipps vorstellen) empfehlen kann.
    ich werde es gleich selber lesen und denke es ist auch für die Theke gut geeignet.

  • Ich habe das Buch gestern beendet und kann mich den positiven Rezensionen nicht so ganz anschließen.


    Mich störte u.a. das ständige und plakative Wiederholen über Elsies Aussehen.
    Zudem finde ich manches unglaubwürdig (als Beispiel):
    Die Kinder ihres Bruders haben Elsie noch nie gesehen, weil sie so hässlich ist?
    Was ist das für ein Bruder, der das Äußere höher hält als den symphatischen Charakter seiner Schwester.


    Das Thema "Aussenseiter" ist schon interessant, ebenso dass innere Werte mehr zählen als äußeres Erscheinungsbild -aber sicher gibt es Romane, die dies besser umsetzen.


    6/10 Punkten

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • Ich habe das Buch vor Monaten gelesen und ich fand die Geschichte klasse, ist auch sehr schön geschrieben.

    Zitat

    Bücher haben Ehrgefühl, wenn man sie verleiht, kommen sie nicht zurück. T.Fontane


    :lesend :fruehstueck
    Ich lese Thomas Mann; Der Zauberberg;

  • "Ein unauffälliger Mann" von Chadwick fand ich richtig gut, "Eine zufällige Begegnung" hingegen sehe ich - so wie Conor - etwas differenzierter. Es ist ein ruhiges, leises, unaufgeregtes Buch, das bei mir vor allem mit seiner Unsentimentalität punkten konnte und das keinesfalls mehr Seiten vertragen hätte für den einfach gestrickten Plot. Soweit, so gut.


    Doch gibt es doch auch einige Kritikpunkte, nicht zuletzt die sehr einfach gehaltene, mitunter holprig wirkende Sprache (letzteres kann auch an der Übersetzung liegen), die ich nicht als notwendig betrachte für das Thema, das behandelt wird und somit kein glücklich gewähltes Stilmittel ist. Außerdem ist manches einfach nicht logisch nachvollziehbar, mitunter geht mir die Handlung zu gewollt in Richtung "zauberhaftes Märchen mit wertvoller Botschaft".


    Alles in allem blieb dieser Roman hinter meinen Erwartungen zurück und wird Chadwicks schriftstellerischen Fähigkeiten nicht gerecht, vor allem seiner Stärke, realitätsnah zu schreiben, wie er es in seinem Debütroman vorgezeigt hatte.